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D@W : SIND DEMOKRATIEN ÜBERLEBENSFÄHIG? Ausgangslage

Letzte Änderung: 9.Dez 2024, 13:15h CET

Autor: Gerd Doeben-Henisch

Kommentare an: datw@oksimo.org

KONTEXT

Der folgende Text ist Teil des Buches ‚Demokratie@Work (kurz: D@W).

SIND DEMOKRATIEN ÜBERLEBENSFÄHIG? Ausgangslage

In einem vorausgehenden Text (‚Einleitung‘ zu D@W) wurde die Frage aufgeworfen, ob ‚Demokratien überlebensfähig‘ sind? Wenn Demokratien von vornherein keine Chance hätten, überleben zu können, wäre es wohl nicht sehr empfehlenswert, diesen Weg zu wählen.

Andererseits, nicht den Weg einer Demokratie zu wählen, also eine ‚Nicht-Demokratie‘, würde automatisch bedeuten, dass man den Weg einer ‚Autokratie‘ wählen müsste. ‚Ein bisschen Demokratie‘ geht nicht, auch wenn manche Autokratien sich gerne als ’nach außen demokratisch‘ darstellen.

WAS MUSS ÜBERLEBEN?

Bevor man die Frager diskutiert, ‚ob‘ Demokratien eine Chance haben, zu überleben, sollte man festhalten, ‚was‘ an einer Demokratie — ‚welche Elemente‘ — vorhanden sein müssten, damit man überhaupt von einer Demokratie sprechen kann?

Ein direkter Ansatz zur Charakterisierung der ‚Grundelemente einer Demokratie‘ ist die Bezugnahme auf ein ‚autokratisches System‘, welches im Kern eine sehr einfache Struktur besitzt. In dem Maße, wie sich bei der ‚Beschreibung‘ eines konkreten gesellschaftlichen Systems die Eigenschaften einer ‚Autokratie‘ aufzeigen lassen, in dem Maße liegt ‚keine Demokratie‘ vor sondern eben eine ‚Autokratie‘.

Keine Kontrolle der Macht durch das Volk

Das zentrale Kennzeichen einer Autokratie liegt im Fehlen einer effektiven ‚Kontrolle der Macht‘ durch freie Wahlen, bei denen sich jeder Bürger ab einem bestimmten Mindestalter beteiligen kann. Dazu gehört, dass nach den ‚freien und öffentlichen Wahlen‘ diejenigen, die eine ‚Mehrheit‘ errungen haben, für eine ‚definierte Zeit‘ die ‚Macht ausüben‘ dürfen.

Bei einer Gesellschaft, in der einige wenige die Macht ohne jegliche Kontrolle ausüben können, kann man nicht von einer ‚Demokratie‘ sprechen. Es gibt im Jahr 2024 viele Autokratien, in denen formal ‚Wahlen‘ stattfinden, aber diese Wahlen sind so angelegt, dass die ‚Akteure der unkontrollierten Macht‘ durch diese Wahlen nicht real gefährdet sind. Es gibt im Jahr 2024 aber auch Gesellschaften, die sich als ‚Demokratien‘ verstehen, in denen Wahlen unter Bedingungen stattfinden, die die Möglichkeit einer freien Wahl entweder für mögliche Kandidaten oder auch für die Wähler — oder für beide — partiell einschränken.

Keine freie öffentliche Meinung

Neben den freien Wahlen benötigt es eine ‚freie öffentliche Meinungsbildung‘, durch welche die Mitglieder einer Gesellschaft sich eine ‚zutreffendes Bild der Realität‘ machen können, welche sie als Gesellschaft ‚zum Wohle aller‘ täglich gestalten wollen. Dieses öffentlich verfügbare Meinungsbild bildet auch die Grundlagen für eine ‚Wahlentscheidung‘ im Fall einer Wahl. Ist solch eine freie öffentliche Meinung für ‚alle‘ (!) Bürger nicht umsetzbar, dann ist eine ‚Kontrolle der Macht‘ im Ansatz nicht möglich.

Kennzeichen für alle Autokratien (im Jahr 2024 z.B. u.a. der Iran, Russland und China) ist eine unfassbare Angst vor jedem Ereignis einer öffentlichen Meinungsbildung. Die Maßnahmen der Unterdrückung sind entsprechend rigoros: Verbote, reale Unterdrückung, willkürliche Verhaftungen, willkürliche Gerichtsverfahren, Gefängnis, Folter, Tötungen. Rein formal gibt es oft sogar schriftliche Regelungen, Vorschriften oder gar Gesetze, aber diese schriftlichen Regelungen wurden von einer Macht veranlasst, die selbst unkontrolliert ist,und die Regelungen sind auch so gestaltet, dass ihre Interpretation jeglichen Spielraum lässt.

Im Falle von Demokratien gibt es seit wenigen Jahren ein Phänomen, das zunehmend auch eine freie öffentliche Meinung für alle zerstören kann oder sogar schon aktiv zerstört: unter Ausnutzung der ‚rechtlich gewährten freien Meinungsäußerungen‘ und in Verbindung mit dem heute fast überall verfügbaren Internet konnte sich der ‚Raum der öffentlichen Meinung‘ in viele ‚Teilräume aufteilen‘, in denen unterschiedliche ‚Bilder von der Welt‘ kommuniziert werden können. Wenn nun diese kommunizierten Bilder von der Welt ‚teilweise oder überwiegend nicht zutreffen‘ (was nachweisbar der Fall ist), dann zerfällt die öffentliche Meinung in viele getrennte Bilder von der Welt, die teilweise oder überwiegend falsch sind. Damit wird eine ‚kritische Sicht der Gegenwart‘ deutlich getrübt und bei Wahlen können Kandidaten gewählt werden, die diese ‚unzutreffenden Bilder von der Welt‘ aktiv vertreten. Dadurch können die Grundregeln einer demokratischen Gesellschaft mindestens geschwächt, wenn nicht dann sogar aufgehoben werden.

Falsche öffentliche Ordnung

Jede Gesellschaft benötigt für ihr tägliches Zusammenleben eine minimale Ordnung, die durch Einrichtungen wie z.B. ‚Anwälte‘, ‚Polizei‘ und ‚Gerichte‘ moderiert wird.

In einer Autokratie gibt es diese Einrichtungen auch, und es gibt hier sogar auch ansatzweise Vorschriften, welche diese ‚Institutionen für die Erhaltung der öffentlichen Ordnung‘ einhalten sollen. Wenn aber diese Vorschriften von einer unkontrollierten Macht verordnet werden, gibt es für Willkür keine natürlichen Grenzen. Umso mehr, wenn es keine funktionierende öffentliche Meinung gibt. Die Praxis der heute existierenden Autokratien spricht hier eine deutliche Sprache.

Falsche Sprache

Auch wenn die realen Taten einer Autokratie ihre eigene klare Botschaft enthalten, versuchen Autokratien dennoch beständig, durch ‚geeignete sprachliche Formulierungen‘ den Eindruck zu erwecke, dass das, was sie täglich tun, alles ‚richtig‘ sei.

Im Zuge der Zeit, wo das Internet alle erreicht (zumindest dort, wo es keine ‚Sperren‘ gibt, wie sie Autokratien eingerichtet haben) und wo bestehende Demokratien eine nahezu unbeschränkte ‚Freiheit der Meinungsäußerungen‘ gewähren, fluten Autokratien diese
öffentlichen Räume‘ mit ihren ‚Texten der Pseudo-Wahrheiten‘, um auf diese Weise über die ‚Köpfe der Bürger‘ den inneren Zusammenhalt demokratischer Gesellschaft zu schwächen oder gar zu zerstören.

Während also Autokratien ihre ‚öffentliche Räume‘ aufs schärfste kontrollieren und mit martialischen Mitteln jede Abweichung ahnden, lassen bestehende Demokratien es bislang zu, dass ihre eigenen Bürger über die freien öffentlichen Räume‘ quasi ‚in Gedanken umprogrammiert‘ werden.

Zusammenfassend:

Dies kurze Skizze liefert folgenden Ansatzpunkte, die als ‚minimale Ankerpunkte‘ einer Demokratie gewahrt sein sollten, damit wir minimal von einer ‚Demokratie‘ reden können:

  1. ‚Macht‘ darf nur von solchen Menschen ‚ausgeübt‘ werden können, die durch ‚öffentliche freie Wahlen‘ für einen ‚vereinbarten endlichen Zeitraum‘ gewählt wurden.
  2. Für die ‚Ausübung der Macht‘ gibt es ‚Master-Regeln‘ (oft ‚Grundgesetz‘ oder ‚Verfassung‘ genannt), die von einer deutlichen Mehrheit der Bürger vereinbart worden sind. Sie können auch nur nach festen Regeln wieder ‚geändert‘ werden.
  3. Es gibt einen ‚öffentlichen Informationsraum‘, der ‚jedem Bürger unentgeltlich‘ von der Gesellschaft zur Verfügung gestellt wird, der es möglich macht, dass eine Gesellschaft sich eine ‚freie Meinung‘ über jene Welt bilden kann, in der diese Gesellschaft ‚überleben muss‘. Es gibt eine ‚Qualitätssicherung‘, die darauf achten muss, klar ‚unzutreffende Bilder von der Welt‘ kenntlich zu machen.

DIE ZENTRALE ROLLE EINES ZUTREFFENDEN BILDES VON DER WELT

Im vorausgehenden Text wurden mit Bezug auf Autokratien minimale Kriterien formuliert, welche eine Gesellschaft erfüllen sollte, die sich ‚Demokratie‘ nennen will.

Schon bei dieser kurzen Skizze wurde deutlich, dass die Frage des ‚zutreffenden Bildes jener Welt, in der man lebt‘ bzw. auch ‚überleben will‘ eine zentraler Bedeutung bekommt. Ohne Verfügbarkeit eines ‚zutreffenden Bildes‘ ist ein verantwortungsvolles Handeln schlicht nicht möglich, nicht für einen einzelnen Menschen, nicht für eine Gruppe und auch nicht für eine ganze Gesellschaft.

Dies führt aber direkt zur Frage, was denn ein ‚zutreffendes Bild von der Welt‘ ist?

Solange es kein gemeinsames Verständnis davon gibt, was die Formulierung ‚Zutreffen einer Meinung über die Welt‘ gibt, wird es kaum möglich sein, gemeinsam an einem ‚zutreffenden Bild von der Welt‘ zu arbeiten geschweige denn gemeinsam danach zu handeln.

Aufgrund dieser grundsätzlichen Überlegung werden im folgenden Text Überlegungen angestellt, wie ein ‚Reden über die Welt‘ beschaffen sein muss, damit das, was gesagt wird,auf die Welt auch ‚tatsächlich zutrifft‘ bzw. ‚zutreffen kann‘, falls der Zeitpunkt des Zutreffens ‚in der Zukunft‘ liegt.

ÜBER DEMOKRATIE SPRECHEN

Grundvoraussetzungen

Wenn wir die Frage nach der Überlebensfähigkeit von Demokratien beantworten wollen, müssen wir uns bewusst machen, dass es um einen ‚Kommunikationsprozess zwischen Menschen‘ geht. Dies bedeutet, was jeder einzelne ‚in seinem Kopf‘ hat, dies wird nur ’sichtbar‘ oder ‚hörbar‘, wenn die verschiedenen Einzelnen über eine ‚gemeinsame Sprache‘ verfügen, mittels der sie wechselseitig ’sichtbar (und hörbar)‘ machen können, ‚worüber‘ sie mit den anderen ’sprechen‘ wollen.

‚Miteinander Sprechen‘ läuft dann darauf hinaus, dass es einen ‚Texte‘ in der ‚gemeinsamen Sprache‘ gibt. Und dieser Text — eine Anordnung von ‚Zeichen‘ auf einem Papier — kann eine ‚Bedeutung haben‘, wenn die Teilnehmer an der sprachlichen Kommunikation in der Lage sind, beim ‚Lesen des Textes‘ — jeder für sich — ‚in ihrem Innern‘ die ‚Zeichen des Textes‘ mit ‚inneren Zuständen‘ zu verknüpfen, die für jeden Leser das ausmachen, was — meistens — ‚Bedeutung‘ genannt wird.

Diese Fähigkeit, Zeichen eines Textes mit inneren Zuständen zu verknüpfen, die wir dann als ‚Bedeutung‘ wahrnehmen, ist insoweit ‚angeboren‘, als ein Mensch — meistens — von Kindheit an in der Lage ist, zu ‚Lernen‘, ‚welche Zeichen‘ in einer bestimmten sozialen Umgebung mit welchen inneren Zuständen ‚verbunden werden‘.

Dass diese ‚individuellen Lernprozesse‘ im Verlauf dazu führen können, dass verschiedene Menschen bei der gleichen Sprache ‚das Gleiche meinen‘ können, hängt damit zusammen, dass die ‚inneren Zustände‘ eines Menschen über ‚Wahrnehmungsprozesse‘ mit der jeweils ‚aktuellen Situation‘, in der sich der ‚Körper eines Menschen‘ befindet, partiell verbunden sind. Die ‚Sinnesorgane‘ des menschlichen Körpers können — meistens — bestimmte ‚Eigenschaften‘ der aktuellen Situation über das Gehirn dem einzelnen in seiner ‚Innensicht‘ ‚als wahrgenommene Eigenschaften‘ verfügbar machen. Sofern Menschen mit ihrem Körper zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind, können sie — das lehrt uns die Alltagserfahrung — ‚ähnliche Wahrnehmungsereignisse‘ haben. Nennt man die aktuelle Situation einschließlich des Körpers der beteiligten Situation die ‚reale Welt‘ oder einfach ‚die Realität‘, und nennt man das ‚Innere des Menschen‘, sofern es dem einzelnen Menschen ‚bewusst‘ ist, die ’subjektive Wirklichkeit‘, dann kann man die ’sinnlich induzierten Wahrnehmungsereignisse‘ als ‚Repräsentationen‘ von bestimmten Eigenschaften der realen Welt in der subjektiv Welt des einzelnen Menschen auffassen.

Aus der Alltagserfahrung wissen wir ferner, dass verschiedene Menschen sich — meistens — mit der gleichen Sprache in der gleichen Situation bei Bezugnahme auf bestimmte Aspekte der realen (Außen-)Welt weitgehend darüber einigen können, ‚mit welchen Zeichenkombinationen‘ sie das beschreiben, was sie in der aktuellen Situation ‚individuell wahrnehmen‘. Es können also ‚Texte‘ entstehen, bei denen die beteiligten Menschen zu der Feststellung kommen können, dass dieser Text bestimmte Eigenschaften der aktuellen Situation ‚zutreffend beschreibt‘ oder eben nicht. Ein Text, der als ‚zutreffend‘ aufgefasst wird, wird auch als ‚wahr‘ im Sinne des Zutreffens verstanden, ansonsten als ’nicht zutreffend‘ oder ‚falsch‘. Es kann auch Teile des Textes geben, die als ‚unbestimmt‘ empfunden werden; es ist dann nicht klar, worauf sich der Text beziehen soll. Er ist dann ‚weder wahr noch falsch‘.

Dieser kurze Text beschreibt die ‚Grundvoraussetzungen‘, ohne die es überhaupt keine Kommunikation gibt. Und, wie man ansatzweise fühlen kann, sind schon diese Grundvoraussetzungen nicht gerade ‚einfach‘ zu verstehen. Für die Klärung der Hauptfrage, ob Demokratien überlebensfähig sind, reichen diese Grundvoraussetzungen allerdings noch nicht aus. Weitere Aspekte müssen noch geklärt werden.

AKTUELL und PUNKTUELL

Im Rahmen der Grundvoraussetzungen können wir davon ausgehen, dass wir einen ‚konkreten Körper‘ haben. Mit diesem Körper befinden wir uns immer auch an einem ‚konkreten Ort‘ mit einer dazu gehörigen ‚konkreten Situation‘. Dies alles findet außerdem — falls man mittels einer Uhr ‚Zeit‘ ‚erzeugen‘ und damit ‚messen‘ kann — zu einem ‚konkreten Zeitpunkt‘ statt.

Zu jedem konkreten Zeitpunkt können wir nur ganz wenige ‚konkrete Dinge in unserem Kopf‘ zugleich ‚denken‘: z.B. nur einige wenige ‚aktuelle Wahrnehmungen‘, nur einige wenige ‚aktuelle Emotionen‘, nur einige wenige ‚aktuelle Vorstellungen/ Gedanken‘ und nur einige wenige ‚aktuelle Ziele‘. Wenn ich gerade vor mir eine bestimmte Straße sehe, dann kann ich nicht gleichzeitig eine andere Straße sehen; ein bestimmtes Schaufenster, nicht zugleich viele andere; eine bestimmte Buchseite und nicht zugleich andere Buchseiten; einen aktuellen Gedanken bewusst denken und nicht zugleich viele andere Gedanken bewusst denken, usw. (Der Zusatz ‚bewusst‘ ist hier notwendig, da das eigene Gehirn im ‚unbewussten Bereich‘ tatsächlich gleichzeitig viel mehr als nur einen Gedanken verarbeiten kann).

Man darf von daher schon sagen, dass wir in unserem konkreten Alltag mit unserem Körper zu einem bestimmten Zeitpunkt durchgehend ‚punktuell konkret Wahrnehmen, Fühlen und Denken‚.

Dass wir dies überhaupt können, ist schon für sich großartig, in einem größeren zeitlichen Zusammenhang würde diese ‚Fixierung auf den Augenblick‘ einen konkreten Körper aber lebensunfähig machen. Ein Körper mit solch einer Fixierung auf einen Augenblick würde der berühmten Mücke gleichen, die direkt zum hellen Licht fliegt und dort verbrennt, weil sie außer dem aktuellen Licht nichts anderes Wahrnehmen, Fühlen und Denken kann.

Was also brauchen wir noch an ‚Zutaten‘, um verstehen zu können, wie wir die Hauptfrage beantworten können?

VERALLGEMEINERUNGEN

Nun wissen wir aus unserem Alltag — meistens –, dass wir ja nicht nur einen ‚einzigen Augenblick‘ leben, sondern ‚viele einzelne Augenblicke‘. Dies können wir nur bemerken, weil wir — meistens — über eine ‚minimale Erinnerung‘ verfügen, wodurch wir ‚vorausgehende Augenblicke‘ ‚partiell erinnern‘ können. Unter Voraussetzung dieser Erinnerungsfähigkeit können wir feststellen, dass sich eine konkrete Situation ‚verändern‘ kann, und sei es nur, weil wir die Position unseres eigenen Körpers verändern oder dass wir ‚Teile unseres Körpers‘ (Kopf, Arme, Hände, Beine…) durch eine ‚Bewegung‘ so verändern, dass sich die Position unseres Körpers relativ zur aktuellen Situation verändert (Oder, weil wir eine ‚Uhr‘ besitzen, die für uns ‚regelmäßige Zeitmarken‘ erzeugt, durch die wir ’sich verändernde Zeitpunkte‘ als ‚Referenz‘ benutzen können). Als Folge solcher Veränderungen verändert sich unsere ‚Wahrnehmung‘ sowohl der umgebenden Situation‘ wie auch die ‚Innenwahrnehmung unseres Körpers‘ (wir können — meistens — die Bewegung eines Körperteils im Innern ’spüren‘ (weil sich in unserem Körper genügend viele biologische Sensoren befinden, die die Veränderung von Muskeln und Knochenstellungen ‚intern wahrnehmen‘ können, diese zu unserem Gehirn ‚melden‘, und dieses ‚übersetzt‘ diese Meldungen in entsprechende ‚Körperwahrnehmungen‘))

Diese grundlegende Fähigkeit, mehr als einen aktuellen Augenblick sowohl direkt erleben zu können, wie auch über den Umweg der Erinnerung in eine Art ‚Abfolge von Ereignissen‘ einordnen zu können, ermöglicht es uns, einzelne Situationen mit all ihren unterschiedlichen einzelnen Eigenschaften nicht nur ’nebeneinander‘ zu stellen, sondern auch ‚relativ dazu‘ ‚allgemeine Vorstellungen‘ zu bilden (weil unser Gehirn so gebaut ist, dass es uns diese Leistung verfügbar machen kann). Wenn ein Kind einen kleinen Hund sieht, im nächsten Moment einen anderen Hund, aber größer, und dann wieder einen anderen mit einer anderen Gestalt, dann kann das Kind ‚für sich‘, ‚in seinem Kopf‘ eine ‚Vorstellung von etwas‘ entwickeln, das andere Menschen ‚Hund‘ nennen, und dieses ‚Wort Hund‘ verbindet es mit drei verschiedenen ‚Wahrnehmungen‘, die ‚in der Erinnerung des Kindes verfügbar‘ sind. Diese drei verschiedenen Wahrnehmungen haben ‚etwas gemeinsam‘: vier Beine, einen Schwanz, einen Kopf mit Augen, Ohren, Maul und … ein ‚Briefkasten‘ sieht anders aus.

Dieser Mechanismus des ‚Zusammenfassens von verschiedenem Einzelnem‘ zu etwas ‚Allgemeinerem‘ (oft ‚Abstraktion‘ genannt) funktioniert nicht nur mit konkreten Wahrnehmungen, sondern man kann diesen ‚Mechanismus des Verallgemeinerns‘ ‚immer wieder‘ anwenden. Wenn man erst einmal gelernt hat, dass es ‚Hunde‘ gibt, ‚Vögel‘, ‚Katzen‘ usw., dann kann man dies weiter verallgemeinern zu ‚Haustieren‘, ‚Wildtieren‘ usw. und diese kann man weiter zusammenfassen zu ‚Tiere‘, zu ‚Lebewesen‘ … es gibt hier keine absolute Schranke.

Man spürt aber vielleicht, dass dieser Mechanismus des ‚Verallgemeinerns‘, des ‚Abstrahierens‘, sich auch in einer Weise verselbständigen kann, dass man irgendwann nicht mehr unbedingt weiß, ob sich ein Wort wie ‚Zentaurus‘, ‚Kaiser‘, ‚Elektron‘, ‚Liebe‘, ‚Migrant‘, ‚Wachstum‘ oder auch ‚Demokratie‘ tatsächlich noch auf etwas ‚Konkretes‘ zurück führen lässt. Der ‚Kreativität‘, der ‚Fantasie‘ der Menschen sind keine festen Grenzen gesetzt. Die Vielzahl an Märchen, Fabeln und die berühmten ‚Falsch-Erzählungen‘ zum Zwecke der ‚Manipulation‘ beweisen dies sehr deutlich.

‚Verallgemeinern‘ ist eine wichtige und große Kraft unseres ‚Denkens‘, sie kann sich aber auch ‚verselbständigen‘ und damit mehr und mehr den Kontakt zur konkreten Welt verlieren. Man könnte auch sagen, dass ‚unseriöse Verallgemeinerungen‘ etwas vorzugaukeln versuchen, was es real gar nicht gibt, was aber dennoch nicht selten das Denken von Menschen beeinflussen kann.

Wenn man jetzt schon ahnt, wie wir durch unsre sprachliche Kommunikation Augenblicke überwinden können, Abstraktionen vornehmen kann, so gilt aber auch hier: dies ist noch nicht alles, was wir brauchen!

BEZIEHUNGEN FESTSTELLEN

Neben der Fähigkeit, verschiedene einzelne Eigenschaften in einem einzigen Begriff zusammen zu fassen, verfügen wir auch über die Fähigkeit, ‚zwischen‘ verschiedenen Eigenschaften ‚Beziehungen‘ zu denken. Vertraut sind den meisten ‚räumliche Beziehungen‘ zwischen unterscheidbaren Objekten und Körpern in einer Situation. Wir sind in der Lage festzustellen, ob sich ein Objekt z.B. ‚vor‘, ’neben‘, ‚hinter‘, ‚über‘ oder ‚unter‘ einem anderen Objekt befindet. Wir können auch unterscheiden, ob ein Objekt räumlich ’nah‘ oder ‚entfernt‘ ist, ‚groß‘ oder ‚klein‘, ‚dick‘ oder ‚dünn‘, usw. Diese ‚Beziehungen‘ sind selbst ‚keine direkten Objekte‘, wir können sie aber als ‚Beziehungen in unserem Denken‘ sichtbar machen. Anders formuliert: Wenn wir zwei verschiedene Objekte in einem Raum ‚bewusst‘ wahrnehmen oder denken können, dann verfügen wir in unserer subjektiven Wirklichkeit über die Fähigkeit zwischen diesen bewussten Wahrnehmungen oder bewussten Denkinhalten ‚Beziehungen‘ als etwas ‚Gegebenes‘ wahrnehmen bzw. denken zu können. Bei ‚realen‘ Wahrnehmungen und Denken über reale Objekte hängen diese Beziehungen vom Vorhandensein der realen Objekte ab. Aber beim ‚Erinnern‘ von zuvor wahrgenommenen Objekten oder beim ‚Denken‘ von erinnerbaren Objekten können wir Beziehungen denken, obgleich keine realen Objekte in der Wahrnehmung vorliegen.

Auch hier können wir sehen, wie das ‚Denken von Beziehungen‘ sich von dem Vorhandensein von realen Objekten sobald lösen kann, wie wir mit Erinnerungen und Denken arbeiten. ‚Erinnertes‘ kann im Denken ‚verändert‘ werden und die dadurch entstandenen ’neuen Objekte‘ können wiederum in ‚Beziehungen‘ gedacht werden, die jetzt nur zwischen ‚gedachten Objekten‘ bestehen.

Wie schon im Fall des ‚Verallgemeinerns‘ kann uns dies entweder helfen, die reale Welt mit uns als Teil davon etwas besser zu verstehen, indem wir allgemeinere Strukturen und Zusammenhänge erfassen können, es kann aber auch schnell dazu führen, dass wir Beziehungen denken, die es so gar nicht gibt. Der Weg zum ‚Trügerischen‘, ‚Falschem‘ ist da nicht weit.

Ein anderer Fall von ‚Beziehungen aktivieren‘ ist das Zuordnen von Eigenschaften‘. Wenn ich eine Pflanze sehe und jemand sagt, dass ‚diese Pflanze giftig sei‘, dann wird eine explizite Beziehung zwischen der Pflanze und der Eigenschaft ‚ist giftig‘ hergestellt. Dies kann hilfreich sein, wenn ‚es stimmt‘, oder auch nicht, wenn es ‚falsch‘ ist. Wenn jemand von einer Gruppe von Menschen sagt, dies seien ‚Betrüger, Schmarotzer oder Ähnliches‘, dann kann dies zu sozialer Ausgrenzung und mehr führen. Wie kann man feststellen, ob diese behauptete Beziehung richtig oder falsch ist? Was soll man davon halten, wenn jemand behauptet, ‚die Wirtschaft hat kein Wachstum‘?

Was am Beispiel von ‚Zusprechen von Beziehungen‘ deutlich wird: Das ‚Zutreffen‘ (‚wahr‘ sein) oder ‚Nicht-Zutreffen‘ (‚falsch‘ sein) von solchen behaupteten Beziehungen lässt sich nicht mehr ‚einfach so‘ erkennen. Man muss in der Tat einiges ‚wissen‘, um ‚Wahr‘ ‚Falsch‘ hier einschätzen zu können. Wer sich z.B. mit ‚Pilzen‘ nicht auskennt, wird selbst wenig zur Aussage beitragen können.

URSACHEN ANNEHMEN

Ein anderer Fall von Beziehungen liegt vor, wenn jemand feststellt, dass zwischen einem ‚aktuellen Ereignis‘ und einem ‚erinnerten Ereignis‘ eine Beziehung derart besteht, dass das erinnerte (vorausgehende) Ereignis die ‚Ursache‘ dafür ist, dass das nachfolgende Ereignis eingetreten ist. Wenn jemand beim Autofahren plötzlich einschläft und darauf hin sein Auto einen Unfall verursacht, wird — meistens — angenommen, dass das Einschlafen die Ursache für den nachfolgenden Unfall war. Natürlich kann man dann auch weiter fragen, was zum ‚Einschlafen‘ geführt hat. Aber erst mal werden — meistens — die Menschen zufrieden sein mit der Beschreibung, dass das ‚Einschlafen zum nachfolgenden Unfall geführt hat‘. Andere einfache Beispiel sind der Regen, der die Straße und die Wiese nass macht; die Kälte, die alles gefrieren lässt; der Lichtschalter, der das Licht einschaltet, usw.

Dies sind einfache ‚Ursache-Wirkung‘ Beziehungen. Schwieriger wird es, wenn sich eine Ursache erst ’nach einer längeren Zeitspanne‘ auswirkt. Wenn der Beton einer Brücke durch innere Erosionsprozesse langsam brüchig wird, dann kann es ein paar Jahre dauern, bis die Brücke einstürzt. Wenn die Infrastruktur in der Kanalisation nicht genügend gewartet wird, dann kann es auch Jahre dauern, bis Fehler sichtbar werden, entsprechend mit den Verkehrsmitteln, oder auch bei uns Menschen selbst: wer sich über Jahre ungünstig ernährt, kann alleine von der falschen Ernährung erhebliche gesundheitliche Schäden nehmen, die, wenn sie dann sichtbar werden, oft kaum noch einfach behoben werden können. Unser Alltag ist voll von Ursache-Wirkung Beziehungen, die lange ‚verdeckt‘ wirksam sind, wenn wir nicht darauf achten.

Auch bei diesen ‚Ursachen-Beziehungen‘ spielt das ‚Wissen‘ eine große Rolle. Wer nichts über Erosionsprozesse im Beton weiß oder nichts über ‚gesunde Ernährung‘, der wird mit den entsprechenden ‚Wirkungen‘ immer überrascht werden und sich wundern, warum eine Brücke einstürzt oder eine schwere gesundheitliche Störung auftritt.

VORAUSSAGEN MACHEN

Mit dem bisher Gesagten können wir zwar ansatzweise verstehen, warum Menschen sich überhaupt sprachlich verständigen und sich über ‚wahre/ falsche/ unklare Aussagen‘ einigen können. Ferner leuchtet etwas von der ‚inneren Struktur‘ unseres subjektiven Wissens von der Welt auf insofern wir Gegenwart und Vergangenheit unterscheiden und in der Lage sind, im Vergleich von gegenwärtigen und vergangenen Situation Veränderungen erfassen können, dazu Beziehungen zwischen Objekten und Eigenschaften, auch mögliche Ursachen mit unterstellten Wirkungen. Noch nicht klar ist allerdings die Frage, ob wir auf der Basis von Gegenwart und Vergangenheit irgendetwas über eine ‚mögliche Zukunft‘ oder gar über ‚viele mögliche Zukünfte‘ sagen können? Und, falls wir solche sprachlichen Beschreibungen über mögliche Zukünfte liefern, wie ‚zuverlässig‘ solche Beschreibungen sind: handelt es sich um reine ‚Fantasie‘ oder sind diese Aussagen auf eine Weise ‚begründet‘, so dass ihr eine ‚Wahrscheinlichkeit jenseits des puren Zufalls‘ zugesprochen werden kann?

Für die Beantwortung der Frage nach der ‚Überlebensfähigkeit‘ einer Demokratie wäre diese zusätzliche Eigenschaft einer ‚Voraussage‘ über eine mögliche Zukunft deutlich über den puren Zufall hinweg eine wesentliche Voraussetzung. Falls wir solche Art von Voraussagen nicht machen können, sind wir faktisch ‚blind für Zukunft‘.

Bisher haben wir nur einen Fall von Beziehungen unterschieden, die sich über mehrere Zeitpunkte erstrecken können: die ‚Ursache – Wirkung Beziehung‘. Es gibt allerdings auch noch den Fall, dass wir ‚Regelmäßigkeiten‘ in der uns umgebenden Welt beobachten ohne dass wir schon ein Ursache-Wirkung Schema identifizieren konnten : Erscheinen und Verschwinden von Mond und Sonne; das Auftreten von Jahreszeiten im jährlichen Rhythmus; das Wachsen von Pflanzen bei bestimmten Bedingungen; Ebbe und Flut; usw. Natürlich kann man alle beobachtbaren Regelmäßigkeiten daraufhin hinterfragen, ob sich hier nicht ein ‚Ursache-Wirkung Schema‘ andeutet. Die moderne Wissenschaft war in diesem Aufdecken von zunächst verborgenen Ursache-Wirkung Zusammenhängen bislang sehr erfolgreich. Das Erkennen eines Ursache-Wirkung Schemas setzt aber voraus, dass man zuvor überhaupt bemerkt hat, dass es ‚regelmäßige Ereignisse‘ gibt, die als Kandidaten für das Feststellen eines dazu gehörigen Ursache-Wirkung Schemas dienen können.

Die Mindestanforderung für die Erstellung einer Voraussage besteht darin, dass wir über die Beschreibung einer als ‚zutreffend erkannten Ausgangslage‘ verfügen und über die Beschreibung von mindestens einer ‚beobachteten Veränderung‘, die eine gegebene Situation so abändern kann, dass eine ’neue Situation‘ entsteht. Dazu gehört auch das Wissen, wie eine ‚beschriebene Veränderung‘ so ‚angewendet‘ werden kann, dass es durch die Anwendung zu einer veränderten ’neuen Situation‘ kommen kann. Falls die beschriebene Veränderung mehrmals angewendet werden kann (z.B. der Schlag eines Hammers auf ein Stück glühendes Metall), dann kann bei jeder Anwendung ein ‚Stück Veränderung passieren‘.

Damit — stark vereinfacht — wurden minimale Voraussetzungen zusammen gestellt, die notwendig erscheinen, etwas über eine möglich Zukunft — z.B. auch für eine Demokratie — zu sagen, das den Ausgangspunkt für eine Diskussion bilden kann, ob eine Demokratie überleben kann oder nicht.

BEDÜRFNISSE UND EMOTIONEN

Was in diesem Rahmen noch fehlt, das ist der Hinweis auf die ’natürlichen Bedürfnisse‘, die unser Körper fest einprogrammiert hat, und eine große Zahl unterschiedlicher ‚Emotionen‘, die sich situationsbezogen bemerkbar machen können. Bei Emotionen gibt es den schwierigen Fall, dass diese sich zwar im Bewusstsein bemerkbar machen können, dass es aber auch den Fall gibt (nicht selten), dass eine Emotion zwar im ‚Unbewussten‘ aktiv ist, dies aber im ‚Bewussten‘ kaum bis gar nicht direkt wahrnehmbar ist, allerdings indirekt.

Mit Blick auf die Frage, ob Demokratien überleben können, spielen Bedürfnisse und Emotionen eine zentrale Rolle, da diese so stark sein können, dass sie alle anderen Überlegungen oder Entscheidungen mindestens beeinflussen, wenn nicht gar blockieren können. Aber, selbst wenn die Grundbedürfnisse befriedigt sind, so können Menschen starke Emotionen haben, die sie darin blockieren, bestimmte Anschauungen oder Verhaltensweisen zu übernehmen, selbst wenn sie vielleicht für sie wichtig sein können; umgekehrt kann dies dazu führen, dass sie ganz bestimmte Anschauungen und Verhaltensweisen stark favorisieren, auch wenn diese für sie schädlich sein können.

KOMPLEXE SYSTEME

Der vorausgehende Überblick über grundlegende Faktoren, welche das Zutreffen einer Beschreibung (letztlich ein ‚Bild‘ von) der realen Welt mitbestimmen, beschreibt als Ausgangspunkte für mögliche Voraussagen (‚Prognosen‘) die ‚einfachen‘ Fälle: ‚Beobachtbare regelmäßige Muster‘ oder erkannte ‚Ursache – Wirkung‘ Muster im Bereich der Alltagserfahrung.

Die reale Welt, in der wir leben — einschließlich unserer eigenen Körper — besteht aber aus einer unfassbar großen Zahl von ‚Sachverhalten‘, die die Wissenschaft und das Engineering gerne als ‚komplexe Systeme‘ bezeichnen. Mit einem ‚komplexen System‘ ist hier ein Sachverhalt gemeint, der im Zusammenhang von Ereignissen, die sich in der Zeit folgen, als eine ‚mögliche Ursache‘ aufgefasst werden kann, die nachfolgende Ereignisse ‚bewirkt‘. Das Besondere bei komplexen Systemen ist aber, dass sie unterschiedlich ‚reagieren‘ können. Je nach der Art von ‚vorausgehenden‘ Ereignissen können sie mit unterschiedlichen Häufigkeiten unterschiedliche Wirkungen auslösen.[1] Im Fall des Menschen z.B. sind wir im Alltag bei uns bekannten Personen damit ‚vertraut‘, was diese Person in bestimmten Situationen ‚gewöhnlich‘ tut. Es gibt aber auch Fälle, in denen diese Person dies manchmal auch nicht tut. Bei diesen Voraussetzungen Prognosen über das Verhalten dieser Person zu einem Zeitpunkt in der Zukunft aufzustellen, ist schwierig, aber nicht unmöglich.

Alle (biologischen) Lebewesen auf diesem Planeten repräsentieren letztlich ‚komplexe Systeme‘, was das Zusammenspiel von vielen Lebewesen als ‚Population‘ oder als ‚Lebensraum‘ mit vielen verschiedenen Populationen gleichzeitig beliebig schwierig machen kann.

Dennoch stellen wir fest, dass die Meisten dieser vielen verschiedenen komplexen Lebewesen über längere Zeiträume ‚gelernt‘ haben, sich auf eine komplexe Umgebung in einer Weise einzustellen, dass ein ’stabiles Ökosystem‘ entsteht, das allen Beteiligten eine funktionierende Lebenschance bietet. Diese komplexen Ökosysteme erwecken den Eindruck, dass sie ‚überlebensfähig‘ (oft auch ‚resilient‘ genannt) sind.

Es könnte also mit Blick auf die Menschen als Teil des Lebens auf diesem Planeten eine wichtige Frage sein, wie diese beeindruckende Breite an Formen der Überlebensfähigkeit aller bekannten Lebewesen letztlich funktioniert. Verschärft könnte man auch fragen, wie könnte die Überlebensfähigkeit von Lebewesen sogar ’noch besser‘ funktionieren als bisher? Was würde ‚besser‘ dann auch heißen?

[1] Eine gute Einführung in die Thematik komplexer Systeme bietet Donella H.Meadows (Herausgegeben von Diana Wright), Thinking in Systems. A primer, Chelsea Green Publishing, White River Junction in Vermont, USA, 2008, Copyright by Sustainability Institute. Das Thema ist allerdings noch umfassender, als in diesem Buch beschrieben.

DEMOKRATIE – Organisation von Wissen

(Letzter Eintrag: 7.Oktober 2024)

Autor: Gerd Doeben-Henisch

Kontakt: info@oksimo.org

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des Themas ‚Demokratie @ Work‘ im Rahmen des Themas ‚Demokratie‘.

ORGANISATION VON WISSEN

Nachdem die vorausgehenden Worte versucht haben zu erklären, warum es in einer Kommune im Umfeld der Gemeindevertreter ein Wissensproblem gibt – nicht notwendigerweise individuell bedingt, aber eben strukturell! –, soll hier jetzt dargelegt werden, wie man dieses strukturelle Wissensproblem auf praktischer Ebene vielleicht minimieren kann.

Handelnde Akteure

Dazu müssen wir uns bewusst machen, wer genau die ‚handelnden Akteure‘ sind, und was sind die Kontextbedingungen, unter denen sie handeln.

Wenn wir von einer demokratischen Gemeinde ausgehen, dann stehen die ‚gewählten Gemeindevertreter‘ im Zentrum, aber auch alle ‚wahlberechtigten Bürger‘, ja, letztlich alle ‚Einwohner‘, von denen viele nicht Wahlberechtigt sind (Kinder, Jugendliche, Menschen aus anderen Ländern).

Laut dem Grundgesetz (GG) sind die gewählten Gemeindevertreter nur ihrem ‚Gewissen‘ und dem ‚Wohl des Volkes‘ verpflichtet. Dies bedeutet, bei ihren politischen Entscheidungen sind sie formal nicht verpflichtet, immer zuerst Bürger bzw. Einwohner zu befragen.

Andererseits steht das ‚Wohl des Volkes‘ an zentraler Stelle. Der Begriff ‚Wohl des Volkes‘ wird dabei im Grundgesetz (GG) nicht explizit definiert. In den GG-Artikeln wie z.B. 14, 20, 28, 56, 64, 87109 und 140 werden Kontexte genannt, die für das Wohl des Volkes als wichtig erscheinen. Dennoch kann man nicht sagen, dass mit diesen Kontextualisierungen die Bedeutung von ‚Wohl des Volkes‘ klar umrissen sei. Was letztlich auch verständlich ist, da ja das Gesamt einer Bevölkerung und eines Staates samt seiner Einbettung in eine dynamische Welt nicht nur sehr komplex ist, sondern sich auch beständig verändert. Eine fest verdrahtete Definition, die Anspruch auf alle Details erhebt, wäre vor diesem Hintergrund wenig hilfreich.

Medium Sprache

Unter dem Einfluss einer umfassenden ‚Digitalisierung‘ und vielfachen ‚Formalisierung‘ unserer Lebensabläufe tendieren wir heute gerne dazu, ‚Formulierungen als solche‘ sehr hoch zu bewerten, sie ‚absolut‘ zu setzen. Schon eine kurze Besinnung auf das tatsächliche Funktionieren unserer Sprache im Alltag reicht aber aus, um zu verstehen, dass die ‚Bedeutung sprachlicher Ausdrücke‘ eben nicht im Ausdruck selbst liegt, sondern im ‚Innern‘ jener Menschen, die sprachliche Ausdrücke benutzen. Diese ‚an das Innere des Menschen‘ gebundene Bedeutung ist immer in einer Art ‚Schwebezustand‘, der von uns allen erfordert, dass wir uns immer wieder neu ‚vergewissern‘ müssen, was meint denn der andere, wenn er einen bestimmten sprachlichen Ausdruck benutzt.

Man kann diesen ‚permanenten Schwebezustand möglicher Bedeutung‘ als Nachteil ansehen, aber tatsächlich ist gerade diese Eigenschaft unserer Sprache ein unfassbares Plus: auf diese Weise können wir Menschen uns jederzeit jedem neuen Eindruck, jeder neuen Veränderung unserer Umwelt und von uns selbst öffnen und wir können diese Veränderung ‚zur Sprache bringen‘. Dies gibt uns eine Macht, die keinem anderen Lebewesen auf diesem Planeten vor uns in diesem Ausmaß zur Verfügung stand und steht. Dies unterscheidet uns zudem von all den modernen Software-gesteuerten Maschinen, die sich zwar riesige Mengen von Dokumenten einverleiben, indizieren und aufbereiten können. Sie verfügen aber alle nicht über eine ‚Bedeutungsfunktion‘, wie wir Menschen sie besitzen. Ihre sprachlichen Ausdrücke können mittlerweile sehr wortreich und stilistisch beeindruckend sein, aber sie können z.B. niemals entscheiden, ob ein Ausdruck ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ ist. Im Alltag ist genau dies aber wichtig, ja, überlebenswichtig.

Wohl des Volkes konkret

Berücksichtigt man das soeben über Sprache Gesagte, dann solle klar sein, dass ein gewählter Gemeindevertreter, der sich auf das ‚Wohl des Volkes‘ beruft, im Einzelfall immer hinreichend ausführlich ‚erklären‘ muss, was er damit genau meint. Und da er diese Entscheidung ja nicht ‚für sich alleine‘ fällt, sondern als ‚gewählter Vertreter‘ jenes Volkes, von dem alle Macht ausgeht (GG 20.2), muss er letztlich genau ‚dieses Volk selbst‘ ernst nehmen, da nur die Realität dieses Volkes entscheiden kann, ob etwas zutrifft, wie es zutrifft, was es bewirkt und wie man dies bewerten muss. Und in einer Kommune wie 61137 Schöneck mit ca. 12.500 Einwohnern im Dezember 2023 kann man letztlich sogar jeden einzelnen Einwohner benennen, den die Entscheidung betrifft.

Andererseits, selbst ein so kleines ‚Volk‘ wie die ca. 12.500 Einwohner von Schöneck kann bei bestimmten anstehenden Entscheidungen real in viele unterschiedliche Gruppierungen zerfallen, die es im konkreten Fall tatsächlich schwer bis fast praktisch unmöglich machen, ‚ein einziges Wohl’ des Volkes zu bestimmen. Wer von den vielen Gruppierungen hat dann Recht? Wem soll sich der gewählte Vertreter jetzt verpflichtet fühlen? In solchen Situationen müssen die gewählten Vertreter zwar versuchen, durch eine öffentliche transparente Kommunikation heraus zu finden, für welche Position sich mehr ‚Argumente dafür‘ finden lassen, aber in einer ‚pluralen Wertewelt‘ ist dies möglicherweise nicht immer möglich. Entweder bleibt eine endgültige Entscheidung dann offen (was manchmal hilfreich sein kann), oder es wird für eine ‚Minderheitenmeinung‘ plädiert, die nur wenige befriedigt und viele unzufrieden lässt (was sich im Einzelfall im weiteren Verlauf dennoch als positiv-konstruktive erweisen kann).

An der Schwelle zu einer Zukunft, die letztlich niemand wirklich kennen kann, gibt es diese ‚Grauzonen des Wissens‘, für die es keine ‚Patentlösungen‘ gibt; es bleibt immer ein ‚Restrisiko‘.

Tägliche Zeitreise

Aus einer gewissen Distanz heraus bilden die gewählten Vertreter und die Einwohner einer Kommune eine Gemeinschaft, die sich gemeinsam ‚in der Zeit‘ bewegt. In der heutigen Welt benutzen Gesellschaften auf diesem Planeten ‚Kalender‘ und ‚Uhren‘, mittels deren jeder jederzeit ein ‚Datum‘ feststellen kann samt ‚Uhrzeit‘. Dass Datum und Uhrzeit weltweit ‚synchron‘ sind, setzen wir im Alltag stillschweigend voraus, ist aber nur möglich durch einen hohen technischen Aufwand und spezielle Behörden, die nichts anderes tun, als die ‚Zeit weltweit‘ synchron zu halten.

Mit Bezug auf diese vereinbarten Zeitmuster kann man – in der Theorie — zu jedem Zeitpunkt eine ‚Momentaufnahme‘ einer Kommune machen, in Form eines Textes, möglicherweise ergänzt um Fotos, der alles beschreibt, was einer bestimmten Gruppe von Bürgern (z.B. den Gemeindevertretern) als ‚wichtig‘ erscheint.

Nehmen wir an, dass jeden Tag solch ein Bericht erstellt und archiviert wird.

Dann könnte man anschließend in bestimmten periodischen Abständen (jeden 7.Tag, alle vier Wochen, …) den Bericht von diesem Datum herausfischen, sie hintereinander neu anordnen, und man hätte — wie in einem ‚Zeitraffer‘ — die verschiedenen Zustände der Gemeinde als eine Abfolge, wo man beobachten könnte, ob sich zwischen zwei Zeitpunkten etwas verändert hat, und was.

Nehmen wir beispielsweise an, der jeweilige Zustandsbericht würde auch den ‚täglichen Wasserverbrauch‘ der Gemeinde protokollieren. Und im Fall von Schöneck würde auch noch unterschieden zwischen dem Wasser aus den eigenen drei Brunnen und jenem Wasser, das extern vom Netz der Kreis-Wasserwerke bezogen wird. Dann könnten die Beobachter der Veränderungen zwischen den einzelnen Berichten gut erkennen, dass z.B. die Wasserentnahme aus den eigenen Brunnen ‚schwankt‘, aber niemals mehr als ca. 20% des Gesamtverbrauchs ausmacht. Wäre solch eine Beobachtung ‚beunruhigend‘? Kann man davon ausgehen, dass die Wasserversorgung ‚gesichert‘ ist? Gibt es irgendwelche Umstände, die darauf hindeuten, dass sich an der Verfügbarkeit des Wassers etwas ändern könnte?

Die Einführung von ‚Zeit‘ ermöglicht die Erfassung von ‚Veränderungen in der Zeit‘, und diese wiederum liefern mögliche Ansatzpunkte, darüber nachzudenken, ob ‚alles so weiter geht‘ oder ob es Sachverhalte im Kontext der Gemeinde gibt, die auf mögliche Veränderungen hindeuten, mit denen sich eine Gemeinde beschäftigen sollte.

Minimierung des ‚Restrisikos‘

Da sich jede Gemeinde kontinuierlich auf einer ‚Zeitreise‘ befindet, die bei geeigneter ‚Beobachtung‘ reale ‚Veränderungen‘ sichtbar machen kann, empfiehlt es sich für die Gemeindevertreter, die dem ‚Wohl des Volkes‘ dienen wollen, sich mit all jenen Veränderungen zu beschäftigen, die in und mit ihrer Kommune stattfinden.

Wie sich am Beispiel des für alle ‚lebenswichtigen Wassers‘ andeutet, ist die Verfügbarkeit von Wasser nicht in allen Fällen und ‚nicht für alle Zeit‘ gesichert. Die Ingenieure dieser Welt sprechen in solch einem Fall von einem ‚Risiko‘. Und jeder Ingenieure wird immer versuchen, ein Risiko durch geeignete Maßnahmen zu minimieren. Angenommen, ein Ingenieur findet Maßnahmen, die als relativ sicher gelten, und diese lassen erwarten, dass ca. 80% eines erkannten Risikos als ‚abgedeckt‘ erscheinen, dann bleiben noch 20% eines erkannten Risikos als ‚Restrisiko‘. Auch dieses Restrisiko sollten ‚verschwinden‘, was aber nicht immer gelingt. Ganz radikal betrachtet, leben wir in einer Welt und unter Umständen, die eine vollständige Eliminierung von Risiko ausschließt. Wenn wir sehr gut sind, dann können wir das Risiko ‚möglichst klein‘ halten, aber ganz eliminieren können wir es in dieser konkreten Welt nie.

Gemeinsames Vorgehen

Falls sich hinreichend viele Gemeindevertreter und Bürger darauf einigen können, dass sie sich alle gemeinsam auf einer ‚Zeitreise‘ befinden, die auf vielfache Weise mit ‚Restrisiken‘ durchsetzt ist, dann könnte die Einsicht wachsen, dass man um einer gemeinsamen Zukunft willen, Wege finden sollte, wie man das verfügbare Wissen so organisiert, dass die Gemeinde sich eine ‚möglichst gute Entscheidungsbasis‘ sichert.

Zur Grundeinsicht gehört, dass die gewählten Vertreter ‚trotz repräsentativer Demokratie‘ sich bewusst sind, dass ihr eigenes Wissen bei weitem nicht ausreicht, um allen Herausforderungen optimal zu begegnen. Und den Bürgern sollte ebenfalls klar sein, dass eine Haltung ‘das machen die da oben’ heute keineswegs mehr angemessen ist. ‚Die da oben‘, das sind die gewählten Gemeindevertreter, die aus freien Stück und ehrenamtlich ein Teil ihrer Lebenskraft der Gemeinde widmen und sie alleine können niemals alle diese neuen Herausforderungen optimal stemmen.

Und – ein Gedanke, der vielleicht bislang noch ein wenig ‚zu leise‘ ist – das ‚Wissen‘, um das es geht, um möglichst gute Wege in eine vielfach unbekannte ‚Zukunft‘ auszuloten, dieses Wissen ist zu jedem Zeitpunkt normalerweise erst einmal gar nicht vorhanden! Tun sich schon viele Menschen schwer, die bisherige ‚Geschichte‘ ihres Lebensweges zusammen mit all den anderen angemessen vor Augen zuführen, so stellt ein ‚Wissen um eine mögliche Zukunft‘ zusätzliche neue Herausforderungen. Wie schon zuvor angedeutet, reicht es nicht aus, zu wissen, was war dann und dann dort und dort. Man muss zusätzlich ‚erkennen‘, welche Arten von Veränderungen sind bislang aufgetreten, und welche von diesen Veränderungen lassen ein ‚Muster‘ erkennen, eine ‚Regelhaftigkeit‘, Formen von ‚Wahrscheinlichkeiten‘?

Um so etwas zu erkennen, reicht es nicht aus, dass man ‚ab und zu‘ mal in die Geschichte schaut oder dass ‚der eine oder die andere‘ sich gelegentlich mal damit beschäftigt. Solch ein Wissen kann nur entstehen, wenn es einen echten ‚Plan‘ gibt, den alle kennen, und wo die Gemeinschaft gemeinsam ‚festgelegt‘ hat, wie sie ihren Plan im Alltagsgeschäft umsetzt. Zudem muss dieser Plan samt allen Erkenntnissen jederzeit allen’ zugänglich’ sein. Er muss für alle ‚verständlich‘ sein und es muss klar sein, wie man seine eigene Meinung, seine ‚eigene Erfahrung‘ jederzeit dazu ‚mit einbringen‘ kann. Und, ja, dies alles muss so sein, dass sich letztlich jeder ‚gehört‘ fühlt, und dass die ‚Vielfalt der Meinungen‘ systematisch aufgegriffen und ‚bewertet‘ wird.

oksimo.R – Alltagsszenen – Tagesablauf (Zeitliche und ethische Struktur(en))

Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@oksimo.org)

(Letzte Änderung: 26.November 2022 – 5.Dezember 2022, 09:25h)

KONTEXT

Dieser Text ist Teil der einführenden Beispiele des Buchprojektes „oksimo.R – Editor und Simulator für Theorien“. Dieser Teil bildet eine Fortsetzung sowohl zum Teil 2 von ‚Essen gehen (mit Absicht))‘ wie auch der Erklärungsbox ‚Welt, Raum, Zeit‘.

INHALT

In diesem Text geht es einmal darum, bei der Beschreibung eines Prozesses im Alltag neben der ‚impliziten Zeitstruktur‘ auch eine ‚explizite Zeitstruktur‘ zu verwenden. Ferner zeigen sich neue Aspekte im Kontext einer ‚IST-Beschreibung‘; diese können ‚elementar‘ sein oder ‚zusammengesetzt‘. Ein anderer Aspekt sind die ‚ZIELE‘, die im Rahmen eines Prozesses auftreten können. Diese repräsentieren neben der primär erfahrbaren ‚empirischen Welt‘ eine zusätzliche ‚ethische‘ Dimension, deren Beschaffenheit bis heute als ‚eher ungesichert‘ anzusehen ist.

Eine ‚implizite‘ Beschreibung von Zeit liegt vor, wenn man verschiedene Ereignisse im Erzählen hintereinander anordnet, ohne explizit Zeitangaben zu machen (Peter steht vor der Tür. Er öffnet die Tür und geht hinein.) Eine ‚explizite‘ Zeitangabe benutzt solche Ausdrücke, die als vereinbarte ‚Zeitmarken‘ gelten (Es ist früh am Morgen. Peter wacht auf. Nach 15 Minuten geht er ins Badezimmer. Um 12:00h muss er im Geschäft sein….). ‚Zusammengesetzte‘ IST-Beschreibungen vereinigen eine endliche Menge von ‚elementaren‘ IST-Beschreibungen. ‚ZIELE‘ können ‚global‘ oder ‚lokal‘ sein, ja, sie können sich auch ‚verändern‘! Sie müssen von den handelnden Menschen separat zur erfahrbaren Weltbeschreibung gesetzt und formuliert werden. Diese — oft ‚ethisch‘ genannte — Vorgehensweise ist im Lichte der bisherigen Geschichte extrem Fehleranfällig.

Ein Tagesablauf

Im bisherigen Beispiel wird ein Prozess beschrieben (Essen gehen), den man als ‚Teil eines Tages‘ verstehen kann: Als ein ‚Tag‘ wird normalerweise die ‚Zeit‘ zwischen dem Aufstehen am ‚Morgen‘ und dem ‚zu Bett gehen‘ am ‚Abend‘ verstanden, wobei ‚Abend‘ fließend ist; bei vielen erstreckt sich die Zeit bis zum ‚Schlafen gehen‘ bis ‚Mitternacht‘ oder gar später. Während die Aktivitäten ‚Aufstehen‘ und ‚Schlafen gehen‘ als solche eine einigermaßen konkrete Bedeutung haben, ist es mit ‚Morgen‘ und ‚Abend‘ schon schwieriger. Ursprünglich war ‚Morgen‘ die Zeit, wenn die ‚Sonne aufgeht‘, und ‚Abend‘, wenn die ‚Sonne untergeht‘. Mit dem Fortschreiten der ‚Verstädterung‘ und der ‚Technisierung‘ der Lebenswelt findet eine immer stärkere Abkopplung des Tagesablaufs von ‚periodischen Naturereignissen‘ (Sonne, Mond, …) statt und stattdessen eine immer stärkere Ankopplung an ‚künstliche Umgebungen‘, zu der auch ‚Zeitmaschinen‘ (Uhren) gehören. Die ‚periodischen Signale‘ dieser Zeitmaschinen dienen dann immer mehr als Ersatz für natürlich periodische Vorgänge. Mein ‚Morgen‘ ist dann vielleicht nicht mehr der ‚Sonnenaufgang‘ sondern das ‚Klingeln meines Weckers‘ um z.B. 7:00h. Die ‚Mittagszeit‘ ist dann nicht mehr der höchste Sonnenstand sondern z.B. 12:30h bis 13:30h als ‚offizielle Mittagspause‘ der jeweiligen Institution. usw.

Will man in einem oksimo.R Text mit expliziten Zeitangaben arbeiten, dann müssen diese als ‚Eigenschaft einer Situation‘ auftreten. Ein einfaches Beispiel:

Gerd sitzt in seinem Büro. Es ist 12:30h. Gerd ist hungrig.

Man könnte dann z.B. fortsetzen mit:

Gerd beschließt, zum Griechen um die Ecke zu gehen. Gerd geht zum Griechen. Es ist 12:40h, als er sein Büro verlässt.

Auf diese Weise kann man eine Uhr — oder andere typische Zeitangaben — den ganzen Tag mitlaufen lassen bis zu dem Zeitpunkt, wo Gerd schlafen geht.

Es ist 23:35h. Gerd schläft ein. Um 7:00h klingelt der Wecker.

Nehmen wir mal den einfachen Fall an, dass der Tagesablauf durch ‚Fixpunkte‘ weitgehend geregelt ist. Dann könnte man mit wenigen Regeln beliebig viele Tagesabläufe hintereinander beschreiben.

Ein erstes Demo-Beispiel

Folgender einfacher Tagesablauf soll beispielhaft angenommen werden [1]:

  • Morgen, Aufwachen
  • Die Wohnung verlassen
  • Vormittag, Büro
  • Mittag, Imbiss
  • Nachmittag, Büro
  • Arbeitsende
  • Abends Einkaufen
  • Spät am Abend Freizeit
  • Nachts Schlafen

Erste Teilsimulation: Arbeitsende und Einkaufen

IST-Beschreibung

Eine Ausgangslage könnte zu jedem Zeitpunkt ansetzen, z.B. am Arbeitsende:

IST-BESCHREIBUNG (Arbeitsende)

Name: arbeitsende1
Es ist Arbeitsende.
Gerd verlässt das Büro.

ZIEL-Beschreibung(en)

Der Akteur kann viele Ziele gleichzeitig haben, z.B.:

ZIEL-BESCHREIBUNG(en) [2]

ZIEL 1 (Einkaufen)

Name: z-einkaufen1

Es ist Arbeitsende.
Gerd hat eingekauft.

ZIEL 2

Name: z-zuhausemusik1

Gerd ist zu Hause.
Gerd hat Musik gemacht.

ZIEL 3

Es ist nach 23:00h. Gerd hat sich schlafen gelegt.

Veränderungs-Regeln

Jetzt muss man sich überlegen, mit Hilfe von welchen Veränderungsregeln man — ausgehend von der IST-Beschreibung — die verschiedenen Ziele erreichen kann.

… für Ziel 1

Um ZIEL 1 zu erreichen, könnte man vielleicht folgende Veränderungs-Regel(n) annehmen:

VR-Einkaufen

WENN

Es ist Arbeitsende. Gerd verlässt das Büro.

DANN

Hinzu: Gerd geht zum Laden um die Ecke.

Wegnehmen: Gerd verlässt das Büro.

Regel im oksimo.R Format:

Rule: vr-laden1
Conditions:
Es ist Arbeitsende.
Gerd verlässt das Büro.
Positive Effects:
Gerd geht zum Laden um die Ecke.

Negative Effects:
Gerd verlässt das Büro.

Rule name: vr-laden2

Conditions:
Es ist Arbeitsende.
Gerd geht zum Laden um die Ecke.

Effects plus:
Gerd ist im Laden.
Gerd sucht sich alles zusammen, was er braucht.
Gerd geht zur Kasse und zahlt.
Gerd hat eingekauft.
Effects minus:
Gerd geht zum Laden um die Ecke.

Zusammengefasst in einem Regel-Dokument ergibt sich:

rd-einkaufen1

vr-laden1
vr-laden2

Name der gespeicherten Simulation: einkaufen1-sim1

Your vision:
Gerd hat eingekauft.,Es ist Arbeitsende.

Initial states: 
Es ist Arbeitsende.,Gerd verlässt das Büro.

Round 1

Current states: Gerd geht zum Laden um die Ecke.,Es ist Arbeitsende.
Current visions: Gerd hat eingekauft.,Es ist Arbeitsende.
Current values:
50.00 percent of your vision was achieved by reaching the following states:
Es ist Arbeitsende.

Round 2

Current states: Gerd hat eingekauft.,Gerd geht zur Kasse und zahlt.,Gerd sucht sich alles zusammen, was er braucht.,Es ist Arbeitsende.,Gerd ist im Laden
Current visions: Gerd hat eingekauft.,Es ist Arbeitsende.
Current values:

100.00 percent of your vision was achieved by reaching the following states:
Gerd hat eingekauft.,Es ist Arbeitsende.

Differenzierung des Konzepts ‚IST-Beschreibung‘

Man kann an der IST-Beschreibung von Runde 2 erkennen, dass in dieser IST-Beschreibung eigentlich ‚mehrere Zustandsbeschreibungen‘ zusammengefasst wurden. Denn die einzelnen Aussagen {Gerd geht zur Kasse und zahlt., Gerd sucht sich alles zusammen, was er braucht., Es ist Arbeitsende., Gerd ist im Laden.} sind so, dass jede für sich eine IST-Situation beschreibt, die für sich alleine stehen kann . Im Alltag setzen diese einzelnen Situationen eine gewisse ‚Abfolge voraus‘:

  1. Es ist Arbeitsende.
  2. Gerd ist im Laden.
  3. Gerd sucht sich alles zusammen, was er braucht.
  4. Gerd geht zur Kasse und zahlt.

Dies wirft die grundsätzliche Frage auf, ob eine solche ‚Zusammenfassung‘ von einzelnen IST-Beschreibungen noch eine IST-Beschreibung darstellt, die folgende Anforderungen einer IST-Beschreibung erfüllt : (i) Eine Menge von Eigenschaften, die innerhalb eines Zeitintervalls unverändert sind. (ii) Alle in der Situation beteiligten Akteure können die Aussagen bestätigen. Führt man die Unterscheidung zwischen ‚Elementaren IST-Beschreibungen‘ und ‚Zusammengesetzten-IST-Beschreibungen‘ ein, dann könnte man vereinbaren:

  1. Def: Eine ‚elementare IST-Beschreibung ist ein IST-Beschreibung
  2. Def: Eine ‚zusammengesetzte IST-Beschreibung‚ stellt eine ‚Sammlung‘ von elementaren IST-Beschreibungen‘ dar.
  3. Wahrheitskriterium: Die Beteiligten einer gemeinsamen Situation müssen entscheiden, ob sie die elementaren/ zusammengesetzten IST-Beschreibungen akzeptieren.

Zweite Teilsimulation: Spät Freizeit und Schlafen

Die vorausgehende Teil-Simulation zum Thema ‚Arbeitsende und Einkaufen‘ endet mit folgender IST-Beschreibung:

Es ist Arbeitsende. Gerd ist im Laden, Gerd sucht sich alles zusammen, was er braucht. Gerd geht zur Kasse und zahlt. Gerd hat eingekauft.

Es gibt jetzt zwei Ziele, die noch nicht erreicht wurden:

ZIEL 2

Es ist spät am Abend. Gerd hat Musik gemacht.

ZIEL 3

Es ist nach 23:00h. Gerd hat sich schlafen gelegt.

Veränderungs-Regeln

Jetzt muss man sich wieder überlegen, mit Hilfe von welchen Veränderungsregeln man — ausgehend von der aktuellen IST-Beschreibung — die verschiedenen Ziele erreichen kann.

… für Ziel 2

Um ZIEL 2 zu erreichen, könnte man vielleicht folgende Veränderungs-Regel(n) annehmen:

VR-Nach Hause

WENN

Es ist Arbeitsende. Gerd hat eingekauft.

DANN

Hinzu: Gerd geht nach Hause.

Wegnehmen: Gerd ist im Laden., Gerd sucht sich alles zusammen, was er braucht. Gerd geht zur Kasse und zahlt. Gerd hat eingekauft.

Regel im oksimo.

Rule name: vr-nachhause1

Conditions:
Es ist Arbeitsende.
Gerd hat eingekauft.

Effects plus:
Gerd geht nach Hause.
Effects minus:
Gerd ist im Laden.
Gerd sucht sich alles zusammen, was er braucht.
Gerd geht zur Kasse und zahlt.
Gerd hat eingekauft.

Rule: vr-zuhause1
Conditions:
Gerd geht nach Hause.
Positive Effects:
Gerd ist zu Hause.
Gerd macht Musik.
Es ist 23:00h.

Negative Effects:
Gerd geht nach Hause.

Test der Teiltheorie durch Simulation

Name gespeicherte Simulation: feierabend1-sim1

Bestandteile:

Selected visions:
z-einkaufen1
z-zuhausemusik1
Selected states:
arbeitsende1
Selected rules:
doc rd-einkaufen1
vr-nachhause1
vr-zuhause1

Your vision:
Gerd hat eingekauft.,Gerd hat Musik gemacht.,Gerd ist zu Hause.,Es ist Arbeitsende.

Initial states: 
Es ist Arbeitsende.,Gerd verlässt das Büro.

Round 1

Current states: Gerd geht zum Laden um die Ecke.,Es ist Arbeitsende.
Current visions: Gerd hat eingekauft.,Gerd hat Musik gemacht.,Gerd ist zu Hause.,Es ist Arbeitsende.
Current values:

25.00 percent of your vision was achieved by reaching the following states:
Es ist Arbeitsende.

Round 2

Current states: Gerd hat eingekauft.,Gerd geht zur Kasse und zahlt.,Gerd sucht sich alles zusammen, was er braucht.,Es ist Arbeitsende.,Gerd ist im Laden.
Current visions: Gerd hat eingekauft.,Gerd hat Musik gemacht.,Gerd ist zu Hause.,Es ist Arbeitsende.
Current values:

50.00 percent of your vision was achieved by reaching the following states:
Gerd hat eingekauft.,Es ist Arbeitsende.,

Round 3

Current states: Gerd geht nach Hause.,Es ist Arbeitsende.
Current visions: Gerd hat eingekauft.,Gerd hat Musik gemacht.,Gerd ist zu Hause.,Es ist Arbeitsende.
Current values:

25.00 percent of your vision was achieved by reaching the following states:
Es ist Arbeitsende.

Round 4

Current states: Gerd macht Musik.,Gerd ist zu Hause.,Es ist Arbeitsende.,Es ist 23:00h.
Current visions: Gerd hat eingekauft.,Gerd hat Musik gemacht.,Gerd ist zu Hause.,Es ist Arbeitsende.
Current values:

50.00 percent of your vision was achieved by reaching the following states:
Gerd ist zu Hause.,Es ist Arbeitsende.,

Differenzierung des Begriffs ZIELE

An diesem kleinen Beispiel kann man u.a. folgendes beobachten:

  1. Wenn es mehr als eine ZIEL-Beschreibung gibt, dann werden die Inhalte der verschiedenen ZIEL-Beschreibungen automatisch zu einer ZIEL-Beschreibung zusammen gefasst. Dies bedeutet, sollte es unterschiedliche Arbeitsgruppen mit unterschiedlichen Zielen geben, werden diese automatisch vereinigt, sofern man diese in einem Test zusammen führt. Dies führt dann dazu, dass die ‚Anzeige‘ einer ‚Zielerfüllung‘ sich immer mehr ‚verfeinert‘: jeder einzelne Aspekt eines Zieles wird berücksichtigt.
  2. Wenn die Ziele keine ‚globalen‘ Ziele sind, die für den ganzen Prozess gelten sollen, sondern nur ‚lokale‘ Ziele, die im Verlauf eines längeren Prozesses quasi ‚durchlaufen‘ werden, dann kann es passieren, dass keine 100%-Zielerfüllung mehr angezeigt wird, obgleich jedes Teilziel zu 100% erreicht wurde. Man könnte diese Wechselwirkung zwischen Teilzielen mit dem Begriff ‚Zielabschattung‘ benennen.

Der Effekt einer ‚Zielabschattung‘ ist nicht sehr hilfreich.

Die ‚Logik hinter den Teilzielen‘ besteht ja darin, dass ein längerer Prozess ja tatsächlich verschiedene ‚lokale‘ Ziele umfassen kann. In einer bestimmten IST-Situation kann es ein lokales Ziel geben (nach Arbeitsende noch kurz einkaufen), das für eine kurze Zeitspanne den Akteur ‚dominiert‘, aber wenn dieses lokale Ziel dann erfüllt wurde (‚Gerd hat eingekauft‘), dann hat sich dieses Ziel ‚erledigt‘. Dann kann ein ’neues lokales Ziel‘ aktiv werden (’nach Hause gehen‘).

Um solch einen Zielabschattungs-Effekt zu verhindern, wäre es besser, man kann Ziele ’situationsabhängig aktivieren und deaktivieren‘. Dies ist möglich. Schauen wir uns dies an, indem wir die bisherige Theorie entsprechend abändern.

Lese die Fortsetzung HIER.

KOMMENTARE

[1] TAGESBLAUF: Dieser Tagesablauf ist einerseits höchst einfach, zugleich beschreibt er dennoch in seiner Einfachheit einen Tagesablauf, der bei vielen anderen Menschen völlig anders aussieht. Es wäre sicher interessant, einen Tagesablauf als ‚Baustein‘ eines alltäglichen Lebensprozesses zu sehen, durch den für den handelnden Akteur zu großen Teilen festgelegt wird, was er so ‚erlebt‘, was er so ‚tut‘, welche sozialen und gesellschaftlichen Interaktionen er/sie/x erlebt, usw.

[2] ZIEL-BESCHREIBUNGEN: Normalerweise formulieren wir Zielbeschreibungen als Wünsche, in einer Form, in der wir ausdrücken, was wir positiv wollen, ohne dass es schon eingetreten ist: „Ich möchte nachher noch einkaufen“, „Ich will nach dem Einkaufen noch Musik machen“, „Spätestens nach 23:00h werde ich ins Bett gehen“. Im Rahmen eines oksimo.R Textes muss man Wünsche in einer Form formulieren, in der das ‚Ergebnis des Wunsches‘ beschrieben wird, z.B. statt „Ich möchte nachher noch einkaufen“ muss man schreiben: „Ich habe eingekauft“ oder statt „Ich will nach dem Einkaufen noch Musik machen“ muss man schreiben „Ich habe nach dem Einkaufen Musik gemacht“, usw. Die ‚Logik‘ dahinter ist, dass ein oksimo.R Text eine ‚Theorie‘ ist, die sich auf eine IST-Situation bezieht (z.B.: „Es ist Arbeitsende. Gerd verlässt das Büro,“), und innerhalb dieser Theorie wird dann auf eine gegebene IST-Situation eine mögliche ‚Veränderungs-Regeln‘ anwendet. Durch diese Anwendung von Veränderungsregeln auf eine IST-Situation entsteht dann eine ’neue‘ IST-Situation. Und dann kann es passieren, dass nach einer bestimmten Folge von IST-Situationen eine IST-Situation eintritt, in der der ursprüngliche Wunsch, einzukaufen, stattgefunden hat, d.h. in der IST-Situation kann dann die Eigenschaft vorliegen „Gerd hat eingekauft“. Wenn es dann eine ZIEL-Beschreibung gibt, in der es heißt „Gerd hat eingekauft“, dann kann das System sofort feststellen, dass dieses Ziel erreicht wurde. Würde es in der ZIEL-Beschreibung aber heißen „Gerd will einkaufen“, dann könnte dieses Ziel niemals erreicht werden, weil nicht klar ist, wann es dann erfüllt wäre.