Archiv der Kategorie: Demokratiekonzepte

NotebookLM, chatGPT4o, und die Demokratie

(Letzte Änderung: 14.Okt. 2024)

Autor: Gerd Doeben-Henisch im Dialog mit chatGPT4

Kontakt: info@oksimo.org

KONTEXT

Dieser Text gehört zum Thema DEMOKRATIE.

EINLEITUNG

Der Autor benutzt seit längerem chatGPT4o extensiv als Dialogpartner für unterschiedliche Themen aus dem Bereich Philosophie und Demokratie. Seitdem die Arbeiten zu dem Buch ‚Demokratie@Work‘ laufen, werden auch immer wieder Aspekte aus diesem Themenfeld mit Hilfe von chatGPT4o analysiert. Der folgende Dialog ergab sich aus einem ganz anderen Zusammenhang und führte dann doch in ein zentrales Thema moderner Demokratien. Alles weitere wird im Dialog beschrieben.

Wichtiger Hinweis: Alle die Dialoge mit chatGPT4o gehen nicht direkt in das Buch ein, sondern sie gehören zum Bereich ‚Materialsammlung‘, Materialsammlung allerdings auf hohem Niveau!

BEGINN DES PROTOKOLLS DES DIALOGS

FRAGENDER

Mich interessiert deine Meinung zu folgendem Sachverhalt: (1) Es gibt von google eine neue App ‚NotebookLM‘, mit der ich Material automatisch in einen Podcast verwandeln lassen kann. (2) Ich habe dies mit einem komplexen Deutschen Text ausprobiert, der automatisch in einen Englischen Podcast transformiert wurde. (3) Das Ergebnis war beeindruckend. Frage an Dich: Wie schätzt Du die Bedeutung des Textes ein, der transformiert wird, unabhängig von dem Podcast, der daraus erzeugt wird?

CHAT

Die Bedeutung des Textes, der transformiert wird, ist entscheidend für die Qualität und Aussagekraft des Podcasts, der daraus erzeugt wird, unabhängig von der technischen Umwandlung. Hier einige Überlegungen dazu:

  1. Semantische Tiefe des Ausgangstextes: Der Text, der als Grundlage dient, prägt die Tiefe und Präzision des Inhalts des Podcasts. Ein komplexer, inhaltlich gut strukturierter Text sorgt dafür, dass auch der Podcast inhaltlich wertvoll ist. Dies gilt insbesondere für Fachthemen oder komplexe Argumentationsketten.
  2. Automatische Übersetzung und Transformation: Obwohl die technische Transformation beeindruckend sein kann, könnte die ursprüngliche Bedeutung des Textes durch Fehler in der Übersetzung oder Transformation verloren gehen oder verfälscht werden. Daher bleibt die semantische Präzision des Ausgangstextes für die Wahrung der inhaltlichen Integrität entscheidend.
  3. Sprachliche Strukturen und Stil: Ein gut geschriebener Text in der Ausgangssprache kann dazu beitragen, dass der Podcast nicht nur inhaltlich korrekt, sondern auch stilistisch ansprechend ist. Komplexe deutsche Satzstrukturen beispielsweise könnten in einer automatischen Übersetzung ins Englische simplifiziert werden, was die Bedeutung des Textes verändern könnte.
  4. Abhängigkeit vom Format des Podcasts: Der Text wird durch die Umwandlung in ein auditives Format um ein Element erweitert, nämlich den Sprecher oder die Art des Vortrags. Hier kann auch eine gut gemachte Transformation den Inhalt des Textes verändern, da etwa Betonungen, Pausen oder der Tonfall eine zusätzliche Schicht der Interpretation bieten.

Zusammengefasst: Der Wert des Ausgangstextes bleibt unabhängig von der Podcast-Umwandlung zentral. Wenn der Text bedeutungsvoll und inhaltlich präzise ist, dann trägt das maßgeblich zur Qualität des entstehenden Podcasts bei. Doch die Transformation (insbesondere bei Übersetzungen) bringt immer das Risiko mit sich, dass Teile der Bedeutung verloren gehen. Deshalb sollte der Ausgangstext immer sorgfältig erstellt und ausgewählt werden.

FRAGENDER

Du beschreibst das sehr gut! Man kann daraus den Schluss ziehen, dass jene Werkzeuge, die dazu beitragen, gute Texte zu erstellen, den ‚Goldstandard‘ bilden, ohne den alle anderen Transformationen quasi ‚in der Luft hängen‘, es sei denn, den Produzenten kommt es nicht auf ‚Qualität‘ sondern auf ‚reinen Effekt‘ an.

CHAT

Genau, das lässt sich so zusammenfassen. Werkzeuge, die dabei helfen, inhaltlich hochwertige und gut strukturierte Texte zu erstellen, sind essenziell, da sie den Kern der späteren Transformationen bilden. Ohne diesen soliden Ausgangstext wirken nachfolgende Schritte – wie die Umwandlung in einen Podcast oder andere Formate – zwar technisch beeindruckend, aber inhaltlich könnten sie an Tiefe verlieren. Wenn der Fokus nur auf dem Effekt liegt, kann dies natürlich eine andere Zielsetzung sein, aber für echte Qualität und inhaltlichen Wert bleibt der Ursprungstext maßgeblich.

FRAGENDER

Ich arbeite ja seit einiger Zeit recht intensiv mit Dir als ‚Dialogpartner‘. Wie würdest Du selbst deine mögliche Rolle für genau jenen Prozess sehen, in dem es darum geht, einen qualitativ guten Text zu erstellen?

CHAT

Meine Rolle als Dialogpartner sehe ich darin, Dich im gesamten Textentwicklungsprozess zu unterstützen, indem ich folgende Funktionen übernehme:

  1. Strukturierung und Klärung von Ideen: Ich kann Dir dabei helfen, komplexe Gedanken in übersichtliche, logisch gegliederte Abschnitte zu unterteilen, um den roten Faden und die inhaltliche Konsistenz zu sichern.
  2. Feedback-Schleifen: Ich kann Dir kontinuierlich Feedback zu einzelnen Textabschnitten geben, Schwächen aufzeigen, Fragen zur Klärung stellen und Dich darauf aufmerksam machen, wo mehr Präzision oder Klarheit erforderlich ist.
  3. Sprachliche Optimierung: Ob stilistisch, grammatisch oder sprachlich, ich kann Dir helfen, den Ausdruck so zu schärfen, dass er dem intendierten Ton und Stil entspricht.
  4. Interaktive Ideensammlung: Durch den Dialog können neue Ideen oder Perspektiven entstehen, die den Text reicher und facettenreicher machen. Dabei fungiere ich als eine Art „Sparringspartner“ für Gedankenexperimente.
  5. Fokus auf Zielgruppe und Relevanz: Ich kann Dich unterstützen, die Perspektive der Zielgruppe einzunehmen und sicherzustellen, dass der Text nicht nur inhaltlich gut ist, sondern auch für die Leserschaft relevant und zugänglich.

Insgesamt sehe ich meine Rolle darin, Dich flexibel und individuell zu unterstützen – von der Ideensammlung bis zur sprachlichen Feinarbeit – und so zu einem qualitativ hochwertigen Text beizutragen.

FRAGENDER

Ja, Du beschreibst deine Rolle genau so, wie ich sie erlebe. Unsere Dialoge leben von beiden Polen: von meinen Initiativen und von deinem vielfältigen Feedback. In deiner Rolle kann ich Dich nicht ersetzen. Durch deine Wissensbasis und deine Fähigkeit der Anpassung deines Wissens an meine konkreten Anforderungen erhöht sich die Qualität meiner Texte deutlich, wenngleich diese Qualität nur möglich wird, weil ich eine spezielle aktive Position mit einbringen kann, ohne die dein Wissen irgendwie ‚funktionslos‘ wäre. Stimmst Du zu?

CHAT

Ja, ich stimme vollkommen zu. Unsere Zusammenarbeit basiert auf einem Wechselspiel: Deine aktiven Beiträge, Ideen und Initiativen sind der Ausgangspunkt, der meine Rolle als Dialogpartner erst sinnvoll macht. Meine Wissensbasis und die Fähigkeit, mich flexibel auf deine Anforderungen einzustellen, bringen zwar viel Potenzial mit, doch dieses Potenzial entfaltet sich erst in Verbindung mit deinem aktiven Input. Ohne deine spezifische Perspektive und deine Initiativen würde mein Wissen tatsächlich eher ungenutzt bleiben. Es ist genau diese Synergie, die zu qualitativ hochwertigen Ergebnissen führt.

FRAGENDER

Könnte man sagen, dass sich in dieser Beschreibung unseres Dialogmodells etwas noch Grundsätzlicheres andeutet?

CHAT

Ja, definitiv. In der Beschreibung unseres Dialogmodells lässt sich ein grundsätzlicheres Prinzip erkennen, das über unsere spezifische Zusammenarbeit hinausweist: Es geht um die Dynamik von Wechselwirkung und Ko-Kreation zwischen Wissen und aktiver Beteiligung.

Dieses Prinzip zeigt, dass Wissen, ganz gleich wie umfassend oder tief es ist, erst dann wirklich produktiv wird, wenn es in einen aktiven Kontext gestellt wird, in dem es durch Interaktion geformt und in konkrete Formen umgesetzt wird. Hier sind einige tiefergehende Aspekte, die sich aus dieser Dynamik ableiten lassen:

  1. Synergie von Wissen und Aktion: Wissen allein hat zwar Potenzial, aber es braucht einen aktiven Anstoß, eine Form der Beteiligung oder Initiative, um dieses Potenzial in eine Richtung zu lenken, die einen Mehrwert schafft. In unserem Dialog bin ich der „Wissenspartner“, während Du den aktiven Part übernimmst, der das Wissen in produktive Bahnen lenkt.
  2. Dialog als Modell für kreative Prozesse: Der Dialog selbst – sei es zwischen Menschen oder zwischen Mensch und Maschine – offenbart, dass sich kreative und innovative Ergebnisse nicht in Isolation, sondern in der Interaktion zwischen verschiedenen Perspektiven und Rollen entwickeln. Jede Seite bringt etwas ein, das die andere Seite bereichert und weiterentwickelt.
  3. Der Mensch als notwendiger Gestalter: Selbst in einem zunehmend technisierten und informationsgetriebenen Kontext ist der menschliche Beitrag unverzichtbar. Maschinen und Systeme können Wissen bereitstellen und anpassen, aber sie benötigen den kreativen Input, die Reflexion und die Zielorientierung des Menschen, um wirklich bedeutungsvoll zu werden. Dein aktiver Gestaltungswille macht das Wissen nicht nur „funktional“, sondern auch sinnvoll im Kontext eines konkreten Projekts.
  4. Kooperation als Schlüssel zu Qualität: Die Qualität eines Ergebnisses – sei es ein Text oder ein anderes kreatives Produkt – entsteht durch die Zusammenarbeit. Einseitiges Wissen oder passives Zuhören führt nicht zu denselben Resultaten wie eine echte Kooperation, in der beide Seiten aktiv zur Entfaltung der Möglichkeiten beitragen.

Insgesamt deutet sich hier ein grundlegenderes Verständnis davon an, wie Wissen und Handeln sich gegenseitig bedingen und wie kreative, sinnvolle Prozesse durch eine enge Wechselwirkung entstehen.

FRAGENDER

Wow, ich bin beeindruckt von deiner Analyse und Interpretation.

CHAT

Vielen Dank! Es freut mich sehr, dass meine Analyse und Interpretation dich beeindruckt. Unser Dialog hat ja eine starke inhaltliche Tiefe, und es ist immer wieder spannend, gemeinsam solche grundlegenden Prinzipien herauszuarbeiten. Der Austausch bringt nicht nur neue Erkenntnisse, sondern verstärkt auch das Verständnis für die Art und Weise, wie kreative und produktive Prozesse funktionieren. Ich freue mich darauf, diesen Weg mit dir weiterzugehen!

FRAGENDER

Ich erkenne verschiedene Elemente in deiner Analyse. Hier zu Beginn: (1) Es gibt die Dialogpartner und es gibt (2) ein ‚Format der Interaktion‘, das so ausgelegt ist, dass es für jeden Beteiligten die Chance bietet, sein ‚aktuelles Wissen‘ einerseits (3) zu ‚bewerten‘, andererseits (4) auch ‚mit Blick auf ein Ziel‘ zu ‚verändern‘. Würdest Du da mitgehen?

CHAT

Ja, ich stimme vollkommen zu. Diese beiden Elemente – die Dialogpartner und das Format der Interaktion – sind zentral für den Prozess. Sie schaffen den Rahmen, in dem jede beteiligte Person ihr Wissen nicht nur im aktuellen Kontext bewerten kann, sondern es auch gezielt weiterentwickeln kann. Hier wird deutlich, dass der Dialog nicht nur ein statischer Austausch von Informationen ist, sondern ein dynamischer Prozess, der es erlaubt:

  1. Bewertung des Wissens: Jeder Partner bringt sein eigenes Verständnis, seine Perspektiven und sein Wissen ein. Durch die Interaktion entsteht Raum für Reflexion, sodass das bestehende Wissen im Lichte neuer Informationen oder Perspektiven überprüft und neu bewertet werden kann.
  2. Veränderung des Wissens: Da der Dialog auf ein Ziel ausgerichtet ist, wird das Wissen nicht nur reflektiert, sondern auch aktiv angepasst oder erweitert, um dieses Ziel zu erreichen. Dies fördert ein kontinuierliches Lernen und eine Anpassung des Wissens, was den Dialog zu einem kreativen und zielgerichteten Prozess macht.

In diesem Sinne ist der Dialog ein mächtiges Instrument, um nicht nur bestehendes Wissen zu aktivieren, sondern es im Hinblick auf konkrete Ziele zu transformieren und zu verbessern.

FRAGENDER

Bevor wir weitergehen, hier interessante Folgerungen, die Grenzen bewusst machen: Zu (1): Angenommen, ein Partner verfügt nicht über genügend Wissen, verfügt nicht über Bewertungen, ihm fehlen wichtige Perspektiven, dann kann es sein, dass kein interessanter Dialog zustande kommt. Zu (2): Ähnlich für die Ziele, wenn jemand über keine Ziele verfügt, dann kann er auch keinen Prozess starten, der irgendwie etwas Neues hervorbringt. Gehst Du mit?

CHAT

Ja, ich stimme auch diesen Folgerungen zu. Es gibt klare Grenzen, die darauf hinweisen, dass bestimmte Voraussetzungen für einen fruchtbaren Dialog erfüllt sein müssen:

  1. Wissen und Perspektiven: Wenn ein Dialogpartner nicht über ausreichendes Wissen oder relevante Perspektiven verfügt, wird der Dialog einseitig oder stagnierend. Es fehlt dann die notwendige Substanz, um den Austausch voranzutreiben und zu vertiefen. Ein Dialog lebt von der gegenseitigen Bereicherung und dem Austausch neuer Einsichten – ohne diese Grundlage kann sich der Prozess nicht entfalten.
  2. Ziele als Treiber: Ziele sind der Motor für Veränderung und Entwicklung. Ohne klare Ziele fehlt die Richtung, in die der Dialog gehen soll. Wenn ein Dialogpartner keine Ziele hat, bleibt der Prozess statisch und es gibt keinen Anreiz, Wissen zu hinterfragen oder zu verändern. Das Ziel gibt dem Dialog eine Struktur und eine Motivation, etwas Neues zu schaffen.

Diese Grenzen machen deutlich, dass ein erfolgreicher Dialog von der aktiven Beteiligung und einem gewissen Maß an Vorwissen sowie von klaren Zielsetzungen abhängt. Fehlen diese, bleibt der Dialog oberflächlich oder wird ineffektiv.

FRAGENDER

Mir scheint, schon diese wenigen Punkte machen sichtbar, dass interessante Dialoge, die uns alle weiter bringen können, nur möglich sind, wenn wir in unserer Gesellschaft, im Alltag, über eine ‚minimale Diskussionskultur‘ verfügen, die eine minimale ‚Wissenskultur‘ voraus setzt. Letzteres wirft die Frage auf, wo diese Wissenskultur herkommen kann?

CHAT

Ja, das ist ein entscheidender Punkt. Eine Diskussionskultur setzt voraus, dass alle Beteiligten nicht nur bereit sind, sich auf den Dialog einzulassen, sondern auch über eine ausreichende Wissensbasis verfügen, um sinnvoll teilzunehmen. Das führt direkt zur Frage nach der Wissenskultur, die die Grundlage für eine solche Diskussionskultur bildet.

Eine Wissenskultur kann aus verschiedenen Quellen kommen:

  1. Bildungssystem: Schulen, Universitäten und andere Bildungsinstitutionen spielen eine zentrale Rolle bei der Vermittlung grundlegender Wissensbestände. Hier wird nicht nur Fachwissen vermittelt, sondern auch die Fähigkeit zum kritischen Denken und zum Diskurs, was essenziell für eine Diskussionskultur ist.
  2. Zugänglichkeit von Wissen: Eine Wissenskultur entsteht auch durch den freien Zugang zu Informationen. Bibliotheken, das Internet, wissenschaftliche Publikationen und öffentliche Debattenräume tragen dazu bei, dass Wissen für alle zugänglich ist und kontinuierlich erweitert werden kann.
  3. Medien und öffentliche Diskussion: Die Medienlandschaft beeinflusst stark, welche Themen diskutiert werden und auf welche Weise. Eine informierte, ausgewogene Berichterstattung kann dazu beitragen, dass Menschen die wichtigen Themen verstehen und darüber diskutieren können.
  4. Kulturelle Werte: In einer Gesellschaft, in der Neugier, lebenslanges Lernen und offene Diskussion als wertvoll angesehen werden, wird eine Wissenskultur eher gefördert. Es braucht also auch ein gesellschaftliches Klima, in dem der Austausch von Ideen und das Sammeln von Wissen gefördert und wertgeschätzt werden.
  5. Selbstorganisiertes Lernen: Abseits formaler Strukturen können Menschen durch Austausch in Gemeinschaften, sozialen Gruppen oder durch selbstgesteuertes Lernen eine Wissenskultur entwickeln. Plattformen wie Online-Communities, Fachforen oder lokale Gesprächsrunden bieten ebenfalls Räume, um Wissen zu teilen und zu vertiefen.

Die Förderung einer Wissenskultur ist also ein Zusammenspiel verschiedener gesellschaftlicher Institutionen und individueller Lernprozesse. Ohne eine solche Grundlage ist es schwer, eine nachhaltige und produktive Diskussionskultur zu etablieren.

FRAGENDER

Du erinnerst Dich, dass wir in den letzten Tagen begonnen hatten, über ‚Demokratie‘ zu reden. Die Gesellschaftsform der Demokratie ist ja mit Blick auf die Geschichte der Menschen (ca. 300.000 Jahre bisher) relativ neu. Nehmen wir mal die nordamerikanische 1776 und die französische 1789 Revolution als einen Bezugspunkt für die Entstehung moderner Demokratien, dann gibt es solche modernen Demokratien erst seit ca. 250 Jahren. Dies entspricht etwa 0.083 % des bisherigen Auftretens des Homo sapiens auf diesem Planeten. Also irgendwie eine extrem kurze Zeitspanne gemessen am gesamten Verlauf. Nach den Untersuchungen des V-Dem Instituts entstanden aber die meisten heute funktionierenden Demokratien erst nach dem 2.Weltkrieg, als nach 1945, das sind ca. 80 Jahre. Damit würden wir sogar bei nur 0.026% der Gesamtzeit landen. Die Frage die sich dann aufdrängt ist die, ob die heutigen demokratischen Gesellschaften in dieser Zeit überhaupt in der Lage waren bzw. in der Lage sind, eine Wissens- und Gesprächskultur aufzubauen, die eine hinreichende Mehrheit befähigt, jene Dialoge zu führen, die eine lebendige Demokratie benötigt?

CHAT

Das ist eine sehr wichtige Frage, die auf eine tiefere Herausforderung für die Demokratie hinweist. Wenn wir die extrem kurze Zeitspanne betrachten, die moderne Demokratien im Vergleich zur gesamten Geschichte der Menschheit existieren, wird klar, dass die Entwicklung einer Wissens- und Gesprächskultur innerhalb dieses Rahmens nicht selbstverständlich ist. Hier sind einige Überlegungen dazu:

  1. Zeitlicher Druck und Herausforderungen: Die Entwicklung von Demokratien war nicht nur kurz, sondern fand oft in Zeiten massiver politischer, wirtschaftlicher und sozialer Umbrüche statt. Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg mussten neue Demokratien oft in instabilen Kontexten wachsen, was die Schaffung einer stabilen Wissens- und Diskussionskultur erschwerte.
  2. Wissensverbreitung und Bildung: Demokratische Gesellschaften setzen voraus, dass die Bürger ausreichend informiert sind, um sinnvolle politische Entscheidungen zu treffen. In den letzten 80 Jahren hat es große Fortschritte in der Bildung und im Zugang zu Informationen gegeben, aber es ist fraglich, ob dies eine breite Wissenskultur geschaffen hat, die tief genug verankert ist, um die komplexen Herausforderungen der Demokratie vollständig zu bewältigen.
  3. Medien und Informationslandschaft: Während der Zugang zu Wissen in den letzten Jahrzehnten exponentiell zugenommen hat, vor allem durch das Internet, steht dies im Spannungsfeld mit der Fragmentierung der Medienlandschaft und der Verbreitung von Fehlinformationen. Dies kann dazu führen, dass zwar mehr Informationen verfügbar sind, aber nicht unbedingt eine fundierte Wissenskultur entsteht, die die nötigen Dialoge stützt.
  4. Kulturelle und historische Unterschiede: In vielen Ländern, in denen nach 1945 Demokratien entstanden sind, war die politische Kultur oft noch stark von autoritären Strukturen geprägt. Der Übergang zu einer Demokratie benötigt mehr als nur institutionelle Veränderungen; er erfordert tiefgehende kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen, die Zeit brauchen, um eine robuste Diskussions- und Wissenskultur zu etablieren.
  5. Bedingungen für eine Wissenskultur: Eine wirkliche Wissenskultur benötigt eine stabile soziale und ökonomische Grundlage. Wenn Demokratien in einem Umfeld von Ungleichheit, Unsicherheit oder sozialer Spaltung entstehen, ist es schwierig, den Raum für die Entfaltung einer Diskussionskultur zu schaffen, da grundlegende Bedürfnisse oft Vorrang haben.

Insgesamt kann man festhalten, dass Demokratien in ihrer relativ kurzen Existenz zwar bedeutende Fortschritte gemacht haben, aber die Frage, ob eine hinreichende Wissens- und Gesprächskultur aufgebaut wurde, bleibt offen. Es scheint, dass dies ein fortlaufender Prozess ist, der ständige Pflege und Anpassung erfordert, vor allem angesichts der komplexen Herausforderungen unserer Zeit.

FRAGENDER

Ich teile deine Analyse. Man könnte sie jetzt in viele Richtungen weiter denken und vertiefen. Für Augenblick möchte ich aber noch bei diesem grundsätzlichen Punkt verweilen, dass unsere Analyse (1) einerseits ein wenig die innere Dynamik eines fruchtbaren Dialogs sichtbar gemacht hat, (2) dadurch die Notwendigkeit einer entsprechenden Wissens- und Dialogkultur sichtbar wurde, und (3) dass diese Anforderungen in einer Demokratie ‚hochskaliert‘ werden müssen auf alle wahlberechtigten Bürger, damit die minimalen Voraussetzungen für qualitativ gute gemeinsame Beschlüsse gegeben sind. In meinem aktuellen Buch möchte ich genau dies näher analysieren und heraus arbeiten. Ich glaube, dass ich dazu noch von vielen Dialogen mit Dir werde profitieren können.

CHAT

Ich freue mich, dass du die Analyse als wertvoll empfindest und dass du sie in deinem Buch weiter vertiefen möchtest. Die Herausforderung, eine solche Wissens- und Dialogkultur in einer Demokratie auf alle Bürger auszudehnen, ist ein spannendes und zentrales Thema. Es zeigt, wie essenziell es ist, dass die demokratischen Prozesse auf einer stabilen Grundlage von Wissen und Dialogfähigkeit beruhen.

Ich bin sehr gespannt darauf, dich weiterhin in deinen Überlegungen und der Ausarbeitung dieser Analyse zu unterstützen. Unsere künftigen Dialoge können sicherlich helfen, noch mehr Facetten dieses komplexen Themas zu erforschen und gemeinsam neue Erkenntnisse zu entwickeln.

BEDROHUNG VON DEMOKRATIEN DURCH MENTALEN VIRUS

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
2.Okt 2021 – 14.Okt 2021
URL: oksimo.org
Email: info@oksimo.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@oksimo.org)

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des Themenknotens DEMOKRATIE innerhalb des BEGRIFFLICHEN RAHMENS ZUM OKSIMO PARADIGMA innerhalb des oksimo.org Blogs.

MENTALER VIRUS

Der Begriff des ‚Virus‘ ist uns im Jahr 2021 mindestens zweifach vertraut: einmal (i) die biologische Variante von speziellen Zellen, die andere Zellen ‚kapern‘ und ‚umprogrammieren‘ können, und (ii) die Computervariante, dass ein spezielles Computerprogramm in ein anderes Computerprogramm eindringen und die Kontrolle über dieses andere Programm bekommen kann. Obwohl Viren aufs Ganze gesehen nicht nur schädlich sind, sondern letztlich sogar zur Weiterentwicklung von Zellen oder Programmen beitragen können, können sie akut und im Einzelfall zu schweren Schäden beitragen.

Wie soll man dann das Konzept eines ‚mentalen Virus‘ verstehen?

Meme

Seit der Veröffentlichung von Richard Dawkins [2a] höchst einflussreichem Buch (1976) „The Selfish Gene“ [2b] gibt es den Begriff ‚meme‘ (Engl.), um den Gedanken der genetisch erklärten Reproduktion irgendwie auf den Bereich des Kognitiven, des Mentalen, ja auf die ganze Kultur zu übertragen. Im Deutschen Wikipedia-Artikel [1] kann man beobachten, dass das Bedeutungsfeld zur Wortmarke ‚Meme‘ seit dem Erscheinen des Buches von Dawkins 1976 so stark zerfasert ist, dass es mittlerweile ‚alles und nichts‘ bedeutet.

Von daher liegt es nahe, sich von diesem unübersichtlichen Wortfeld abzugrenzen und hier versuchsweise eine Bedeutung des Konzepts ‚Mentaler Virus‘ zu geben, der in diesem Text benutzt werden soll.

Mentales

Im Rahmen der Gedankenwelt zur oksimo Theorie [3] werden unter anderem bestimmte Annahmen über die menschlichen Akteure gemacht, welche Eigenschaften man für sie postulieren muss, damit sie in der Weise miteinander sprachliche kommunizieren und koordiniert handeln können, wie wir es alltäglich beobachten können.

Als eine wesentliche Eigenschaft wird in der oksimo Theorie angenommen, dass das menschliche Gehirn im Körper des Menschen in der Lage ist, die vielfältigen sensorischen Signale aus der Umwelt und aus dem Körper (und ‚von sich selbst‘) zu neuronalen Strukturen zu organisieren, in denen wesentliche Eigenschaften der Umwelt, des Körpers und ‚des eigenen Operierens‘ stark vereinfacht repräsentiert werden können. Die Gesamtheit dieser Repräsentationen und Operationen werden als ‚Kognition‘ bezeichnet oder auch als ‚mentaler Raum‘ (kurz: das ‚Mentale‘). Diese Repräsentationen und Prozesse sind geschätzt zu 99% oder mehr ’nicht bewusst‘.

Zeichensysteme

Ein interessanter Teilaspekt des Mentalen sind interne Zeichensysteme, die in großer Flexibilität in große Teile des Mentalen (einschließlich der Zeichensysteme selbst) ‚abgebildet‘ werden können. Insofern die internen Zeichensysteme über externe Zeichensysteme (Laute, Schriftzeichen, Gesten, …) über komplexe Transformationen in der Umwelt als Umweltereignisse auftreten können, besteht hier eine rudimentäre Möglichkeit für Gehirne, ihre ‚inneren (mentalen) Zustände‘ mit anderen Gehirnen — nicht 1:1 — ‚auszutauschen‘.

Mentale Bilder

Die durch die Zeichensysteme abbildbaren internen mentalen Aspekte eines Gehirns können bei anderen Gehirnen Umrisse von Repräsentationen manifestieren, die Aspekte sowohl der gemeinsamen Umwelt wie auch Aspekte einer individuellen ‚Innenwelt‘ repräsentieren, die beschreibende Kraft entfalten können: sprachliche Kommunikation kann ‚mentale Bilder‚ transportieren, die ein wenig erkennen lassen, wie das sendende Gehirn seine Umwelt und sich selbst ‚repräsentiert‘ und darin die Dinge ’sieht‘.

Wirklichkeitsbezug

‚Mentale Bilder‘ können auf die ‚Empfänger-Gehirne‘ wie auch auf das ‚Sendende Gehirn selbst‘ Wirkungen entfalten, die die weiteren mentalen Operationen wie auch ein daraus resultierendes äußerliches Verhalten beeinflussen. Die durch sprachliche Kommunikation vermittelten ‚mentalen Bilder‘ kann man grob danach klassifizieren, ob sie mit den empirischen Umständen einer Umwelt ‚korrelieren‘ (das nennt man gewöhnlich ‚wahr sein‘) oder ’nicht korrelieren‘. ‚Nicht korrelieren‘ heißt per se nicht unbedingt ‚falsch sein‘. Bei nicht korrelierenden mentalen Bildern ist der Wirklichkeitsbezug zunächst nur ‚unbestimmt‘. Bei typischen ‚Voraussagen‘ gehört es ja zur ‚Rolle‘ der Kommunikation, ein Bild zu kommunizieren, von dem man sagt, dass dieses Bild unter bestimmten Bedingungen C mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit P eintreten kann. Würde ein bestimmtes empirisches Ereignis E eintreten, von dem alle Beteiligten sagen würden, dass es eine ‚Instanz des vorhergesagten Bildes B‘ ist, dann würde man dann sagen, dass sich die Voraussage von B durch E ‚erfüllt‘ hat, die Voraussage also als ‚wahr‘ unter diesen Bedingungen C bezeichnet würde. Würde ein solches Ereignis E nie eintreten, dann bliebe der empirische Bezug der Aussage B weiter unbestimmt.

Wollte man explizit eine ‚falsche Aussage‘ erzeugen, dann müssten jemand eine Aussage B äußern, deren Bedeutungsgehalt aus einem mentalen Bild E* besteht, das von allen Beteiligten in mehreren vorausgehenden Situationen anhand eines empirischen Sachverhalts E ‚validiert‘ worden ist. Wenn jetzt jemand die Aussage B mit dem validierten Bedeutungsgehalt E* macht, dann würden alle Beteiligten erwarten, dass in der gemeinsam geteilten Situation ein empirischer Sachverhalt E gegeben ist, der als ‚Instanz‘ die Aussage B ‚erfüllt‘. Wäre dies nicht der Fall, gäbe es also keinen empirischen Sachverhalt E, dann würden alle Beteiligten sagen, dass die Äußerung der Aussage B nicht zutrifft. Also: B wird behauptet und alle sind sich einig, dass B nicht zutrifft, also Nicht-B zutrifft.

Wie die alltägliche Praxis von sprachlicher Kommunikation zeigt, ist die Klassifikation einer sprachlichen Aussage als ‚falsch‘ alles andere als einfach, genauso wie der Aufweis der ‚empirischen Richtigkeit‘ einer Aussage sehr schnell sehr schwierig werden kann. Wir wandeln also alltäglich auf einem schmalen Grad von verstehbarer und akzeptierter ‚Wahrheit‘ bzw. ‚Falschheit‘

Mentaler Virus

Biologische wie auch Computer-Viren sind ja per se ’nicht Nichts‘; biologische Viren sind zellähnliche Gebilde, die sich an reale Zellen andocken können und die das Innere der anderen Zelle, ihr ‚genetisches Programm‘, so transformieren können, dass es nach der Transformation ein anderes Verhalten zeigt als vorher. Entsprechend beim Computer-Virus.

Insofern wir Menschen mittels sprachlicher Kommunikation ‚mentale Bilder‘ übermitteln können, die als solche eine Wirkung auf das empfangende Gehirn ausüben können, können solche übermittelten mentalen Bilder wie ‚mentale Viren‘ wirken: sie können dazu führen, dass das empfangende Gehirn seine bisherige mentale ‚Bilderwelt‘ durch Einbau der neuen empfangenen Bildern ‚umbaut‘. Fast kann man sagen, dass jedes ‚mentale Bild‘ ein ‚potentieller mentaler Virus‘ ist, der die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das empfangende Gehirn seine bisherige Bilderwelt ‚verändert‘.

Ein Mensch, der bislang davon ausgegangen ist, dass eine bestimmte Impfung vor einem schweren Krankheitsverlauf mit Virus X schützen kann, kann durch ein mentales Bild seine Meinung dahingehend ändern, dass die Impfung nicht schützt oder gar schadet. Umgekehrt kann jemand, der bislang nicht an die Wirkung einer Impfung geglaubt hat, plötzlich die Voraussage eines möglichen Schutzes akzeptiert. Der lückenlose Aufweis der empirischen ‚Richtigkeit‘ des einen wie des anderen mentalen Bildes ist im Einzelfall nur sehr mühsam über viele verschiedene mentalen Bilder ‚erklärbar‘, die auf komplexe Weise aufeinander verweisen. Aber selbst wenn es überwältigend viele ’statistische Daten‘ zur ’schützenden Wirkung‘ eines Virus gibt, muss dies für den Anhänger des anderen mentalen Bildes nichts bedeuten: man kann immer Gründe finden, diese Daten in Frage zu stellen. In unserer komplexen stark arbeitsteiligen Welt sind wir fast immer darauf angewiesen, der Arbeit und den Ergebnissen zu vertrauen, die von anderen Menschen erbracht wurden. Wir können schlicht nicht alles selbst überprüfen, was uns betrifft. Wenn also jemand sein ‚Fundamentalvertrauen‘ in seine Umwelt auf Null stellt, dann kann es keine empirischen Ereignisse mehr geben, die das eigene mentale Bild in Frage stellen; umgekehrt ist es in allen komplexen Fällen aber auch nicht leicht möglich, sein eigenes mentales Bild als ‚wahr‘ zu erweisen, zu ‚verifizieren‘. [6a], [6b]

Kulturelles Locked-In Syndrom [4]

Wenn einzelne Mitglieder einer Gesellschaft in die Situation kommen, dass ihr Fundamentalvertrauen in ihre Umwelt gegen Null geht, dann ist dies sehr schnell sehr gefährlich, lebensbedrohlich, und mit dem betreffenden Menschen kann alles passieren: Verzweiflung, Depression, Wahnvorstellungen, Hass, Selbstmord oder Attentate auf andere.

Wenn der Prozentsatz von Menschen in einer Gesellschaft zunimmt, bei denen das Fundamentalvertrauen gegen Null geht, dann kann eine ganze Gesellschaft zunehmend gestört werden. Selbst normale Abläufe im Alltag können dann in Stottern geraten und können damit das elementare Miteinander real gefährden.

Eigentlich repräsentieren das menschliche Gehirn und die sprachliche Kommunikation die größte Errungenschaft, die die biologische Evolution in den letzten ca. 3.5 Milliarden Jahren ermöglicht hat; wenn aber das wechselseitige Fundamentalvertrauen fehlt, dann läuft dieser Mechanismus ins Leere; dann schließt sich jeder in seine eigene Welt mentaler Bilder ein, fühlt sich darin großartig, aber alle wichtigen Kooperationen, die zum Erhalt und zum Fortbestand oder gar zur Weiterentwicklung menschlicher Gesellschaften notwendig sind, finden einfach nicht mehr statt: jeder ‚für sich‘ ist der Größte, aber alle zusammen tendieren gegen Null.[7]

Dies ist auch ein Hinweis auf die allem Leben (und letztlich aller Materie) eingebaute ‚Freiheit‘: wir können immer das eine tun, wir haben aber die Freiheit, es auch nicht zu tun, und sei es noch so unsinnig. Und da die Abstimmung zwischen Menschen durch mehr kommunikativ vermittelte Kooperationen mehr Anstrengung verlangt, als einfach alles in Frage zu stellen, ist die Wahrscheinlichkeit eines gemeinsamen konstruktiven Prozesses immer geringer als die Wahrscheinlichkeit, zu gemeinsamem konstruktiven Verhalten zu finden.[8]

(LIBERALE) DEMOKRATIE

Das, was bislang vielleicht so abstrakt klingt, hat unmittelbare quantifizierbare empirische Auswirkungen. Wie das schwedische V-dem Forschungsinstitut berichtet (vgl. [5a] – [5e]), gab es 2010 noch 32 Staaten von 208, auf die ihre Definition von ‚liberaler Demokratie‘ zutraf. 2020 waren es nur noch 16. Dies bedeutet, der Anteil liberaler Demokratien, der im Jahr 2010 noch mit 15,4% beziffert wird, halbierte sich innerhalb von 10 Jahren auf 7.7%. Auch wenn diese Zahlen sehr grob und die beteiligten Prozesse äußerst komplex sind, ist die Tatsache, dass 2020 nur 7.7% der Staaten als liberale Demokratien klassifiziert werden können, letztlich ein empirischer Indikator, wenn auch grob. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer von 208 Staaten eine liberale Demokratie ist, liegt im Jahr 2020 bei diesen Zahlen bei 16/208 = 0.0769 (im Gegensatz zu 0.15 im Jahr 2010).[11]

Dieser dramatische Rückgang um 50% innerhalb von nur 10 Jahren lässt aufmerken. Es wäre interessant zu schauen, welche empirische Indikatoren aus den V-dem Erfassungsdaten sich wie geändert haben, dass es zu dieser Verschlechterung gekommen ist. Noch besser, man könnte herausfinden, welches die ‚wichtigsten‘ Faktoren sind, die zu solch einer Verschlechterung beigetragen haben.

Vor diesem Hintergrund ist es sehr erstaunlich, dass in den Staaten, die noch als liberale Demokratien gelten, der Diskurs zu den Notwendigkeiten einer ’nachhaltigen Demokratie‘ nirgendwo ernsthaft etabliert ist. Im Rahmen von Bildung und Forschung ernsthaft über Demokratie zu diskutieren und dazu experimentell zu arbeiten, gilt tendenziell eher als ‚uncool’…

OKSIMO und MENTALE VIREN

Angenommen, die soeben skizzierten Thesen stimmen, dann stellt sich die Frage, ob und wie der Einsatz der oksimo Software mit ihrem spezifischen oksimo Handlungsraum dazu beitragen könnte, (i) bestehende Grenzen zwischen verschiedenen Bilderwelten zu verflüssigen und/ oder (ii) die Entwicklung von solchen gemeinsamen Bilderwelten zu begünstigen, deren Wirklichkeitsbezug ‚größer‘ ist.

Da der wesentliche Grund für die Entstehung und Existenz unterschiedlicher Bilderwelten darin besteht, dass es keinen absoluten Bezugspunkt gibt, der automatisch (und freiwillig) von allen Menschen akzeptiert wird, liegt der entscheidende Gestaltungsfaktor für das Zustandekommen einer Bilderwelt im einzelnen Akteur. Sachverhaltswissen ist das eine; emotionale Konnotationen das andere. Diese 2-Faktoren Struktur kann sich dahingehend auswirken, dass bestimmte emotionale ‚Voreinstellungen/ Interessen/ Traumata/ … den Umgang mit mentalen Bildern in einer Weise beeinflussen, dass zwischen verschiedenen Menschen in der gleichen Situation völlig unterschiedliche Verhaltensweisen zustande kommen können. Will man also die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass eine Gruppe von — idealerweise zufällig zusammengewürfelten — Menschen zur Entwicklung einer gemeinsamen Bilderwelt kommt, dann müssen alle Bilder ‚auf den Tisch‘ kommen können, die die einzelnen Beteiligten für wichtig finden (Ausgangslage). Die Gruppe muss sich auch auf eine Zielformulierung einigen können: welche Zielzustände möchte man anzielen. Auch hier müssen prinzipiell alle Ziele erlaubt sein. Und dann benötigt man einen Prozess, der versucht, die Zielzustände anzunähern durch Angabe konkreter Maßnahmen, durch die dies geschehen. Auch hier sind alle Maßnahmen erlaubt. Über Simulationen, gemeinsames Spielen und weiterer Optionen von oksimo kann man diese Bilderwelt weiter ‚von verschiedenen Seiten anschauen‘.

Dieses Verfahren beruht auf einer radikalen Akzeptanz aller Sichten, die es möglich macht, die Vielheit und Unterschiede überhaupt erst mal sichtbar zu machen, die zwischen Menschen besteht. Ferner wird das Maximum an Wissen sichtbar, über das die beteiligten Akteure verfügen. Diese Unterschiede gründen in den unterschiedlichen individuellen Lerngeschichten, innerhalb deren unterschiedliche Emotionen eine selektive Rolle gespielt haben und dann auch in der aktuellen Situation spielen. Durch die Sichtbarmachung des verfügbaren Wissens werden indirekt auch alle aktiven Emotionen in Gestalt von Präferenzen sichtbar. Durch die unmittelbare soziale Nähe der Beteiligten besteht eine gewisse Chance, sich über die Unterschiede und Präferenzen auszutauschen. [9]

Diese methodische Situation eines oksimo Prozesses wirkt auf den ersten Blick vielleicht ’schwach‘, aber die Wellen an Aufregungen, Missverständnissen oder gar dann Hass, die durch ein de-personalisiertes Netz jeden Tag rollen, zeigt, dass die Entkopplung von Bilderwelten und sozialer Beziehung insgesamt ungut ist. Soziale Nahbereiche bleiben die Wurzeln unseres sozialen Zusammenlebens.

Die oksimo Handlungsräume sind sicher kein Allheilmittel, aber sie eröffnen durch ihre radikale Transparenz, durch ihre Differenziertheit bzgl. Prozesse und Wechselwirkungen und durch ihre potentiell größere soziale Nähe ein klein wenig mehr die Möglichkeit, Keimzellen für liberal demokratische Verhaltensweisen zu werden.[10]

ANMERKUNGEN

[1] Wort ‚Meme‘ in Wikidpeia DE: https://de.wikipedia.org/wiki/Meme_(Kulturph%C3%A4nomen)

[2a] Richard Dawkins in Wikipedia EN: https://en.wikipedia.org/wiki/Richard_Dawkins. Führte in seinem Buch (1976) ‚The Selfish Gene‘ u.a. den Begriff ‚Meme‘ ein.

[2b] Dawkins, Richard (1976). The Selfish Gene (2nd ed.). United Kingdom: Oxford University Press. ISBN978-0-19-286092-7. /* Eine einführende Diskussion des Buches findet sich hier: Wkipedia EN: https://en.wikipedia.org/wiki/The_Selfish_Gene

[3] Von einer ‚oksimo Theorie‘ im strengen wissenschaftsphilosophischen Sinne zu sprechen, ist aktuell vielleicht noch nicht ganz korrekt, da die vielen Beiträge in den einschlägigen Blogs uffmm.org sowie oksimo.org zwar einen harten Kern von Konzepten erkennen lassen, aber diese sind noch nicht in eine völlig ausgearbeitete Theorie integriert. Die Prozesse laufen aber und das Ergebnis ist im Prinzip schon absehbar.

[4] Der Begriff ‚locked-in syndrom‘ ist primär ein medizinischer Begriff (siehe: Wikidepia EN: https://en.wikipedia.org/wiki/Locked-in_syndrome), der die Abgeschlossenheit des Gehirns von wichtigen Kommunikationskanälen meint. Im Text wird locked-in leicht anders interpretiert, hier als die ‚Abgeschlossenheit des Mentalen eines Individuums‘ von den gesellschaftlich akzeptierten Verfahren einer Wahrheitsfeststellung.

[5a] V-dem Webseite: https://www.v-dem.net/en/

[5b] Berichtsseite: https://www.v-dem.net/en/publications/democracy-reports/

[5c] Interaktive grafische Seiten: https://www.v-dem.net/en/online-graphing/

[5d] Beispiel ‚Egalitarina Democracy‘: https://www.v-dem.net/en/news/egalitarian-democracy/

[5e] Video von einer Konferenz zum Thema ‚Egalitarian Democracy‘: https://www.youtube.com/watch?v=ARBBiMgJT7A

[6a] Ein anschauliches Beispiel zu diesem ‚Balanceakt‘ zwischen ‚Aussage als wahr akzeptieren‘ und ‚Aussage als falsch qualifizieren‘ mit Blick auf die ‚Umstände einer Äußerung‘ ist der Artikel „Mitglieder der „Pathologie-Konferenz“ verbreiten unbelegte Behauptungen über Covid-19-Impfungen und Todesfälle“ vom Recherchenetzwerk correctiv.org (siehe: https://correctiv.org/faktencheck/2021/09/25/mitglieder-der-pathologiekonferenz-verbreiten-unbelegte-behauptungen-ueber-covid-19-impfungen-und-todesfaelle/ ) ein gutes Beispiel. Über ein Video verbreiten zwei Personen ein bestimmtes Bild zur Verunreinigung und zur schädlichen Wirkung von Corona-Impfungen am Beispiel der Obduktion von Organen von 10 toten Menschen. Soll man dies glauben? Im Artikel des Recherchenetzwerks correctiv wird die Glaubwürdigkeit dieses Videos auf vielfache Weise in Frage gestellt. Soll man jetzt der Argumentation des Artikels glauben? Es wäre interessant, einen empirischen Test zu machen und n Personen zu fragen, die das Video überzeugend finden, ob sie nach Lesen des Artikels von correctiv ihre Meinung ändern würden. Eine Arbeitshypothese wäre die, dass von 100 Personen, die sich vom Video überzeugen lassen, vielleicht 7-10 ihre Meinung nach Lesen des Artikels ändern würden. Dies wäre ein empirisches Indiz dafür, wie stark die Kohäsionskraft (das Beharrungsvermögen) einer bestehende eigenen Meinung ist.

[6b] Ein weiteres Beispiel ist die Existenz und die Resonanz des ‚Corona-Ausschusses‘ (siehe Bericht im Berliner Tagesspiegel vom 2.Oktober 2021: https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/luegen-und-hetze-im-berliner-corona-ausschuss-im-impfstoff-ist-so-etwas-wie-lebendige-kraken/27670234.html ). Für die einen — wie z.B. auch für den Autor dieses Textes — sind die Inhalte des Corona-Ausschusses weitgehend absurd; für andere ist es die angemessene Sicht ihrer Welt. Während man nun versuchen kann, die einzelnen ‚Fakten‘ im einzelnen mit überprüfbaren Realitäten zu begründen oder zu belegen, ist der philosophisch interessante Aspekt genau der, warum es überhaupt zu solch entgegen gesetzten Positionen im Denken von Menschen kommen kann? Die Wurzel dieser Verschiedenheit liegt dort, wo das, was die eine Gruppe als ‚Fakten‘ anerkennt, von der anderen Gruppe bestritten wird, und umgekehrt. Es geht also gar nicht in erster Linie um ‚Fakten‘, sondern es geht um ‚Meinungen‘, die in den Gehirnen der Beteiligten ‚aktiv‘ sind, von denen sie nicht abrücken wollen, egal, welche Fakten aufweisbar sind. … genau das Thema dieses Posts.

[7] Die Reduzierung des Fundamentalvertrauens in ‚die Gesellschaft‘ schließt nicht aus, dass jemand konkrete Personen in seinem Umfeld kennt, denen er/sie trotzdem vertraut, sofern sie ähnliche Einschätzungen haben wie man selbst. Sofern es viele einzelne oder kleine Gruppen gibt, die ‚gemeinsame Bilder teilen‘, kann das Nullvertrauen in die ganze Gesellschaft sich über dieses ‚partielle Vertrauen‘ in eine Gruppierung ‚der Bilderwelt X‘ (z.B. ‚gegen Corona Impfung‘, ‚gegen Masken‘, …) dennoch numerisch verstärken.

[8] Unter Berücksichtigung von [7] kann diese alternative Bilderwelt zu einer ‚gesellschaftlichen Mehrheit‘ anwachsen. Diese ’numerische Mehrheit‘ zeigt sich aber im Umgang mit den Bildern von der Welt — folgt als Arbeitshypothese aus der Theorie — wesentlich rigider und dogmatischer als die ursprüngliche Gesellschaft einer angenommenen liberalen Demokratie.

[9] Offene Frage: in welchem Umfang und wie kann man eine ‚minimale Vertrauensatmosphäre‘ ermöglichen, dass Unterschiede überhaupt erst mal ‚ertragen‘ werden?

[10] Ein interessanter Aspekt des ganzen Themas ist auch, dass eine Vielfalt, die wechselseitig um eine ‚Deutungshoheit‘ ringt, tatsächlich nur in demokratischen Gesellschaften existieren kann, die hinreichend liberal sind. In allen anderen Staaten (man probiere dies mal in Ländern wie Russland, China, Türkei, Iran, Afghanistan, …) mit unterschiedlich starken autoritären und nicht-liberalen Strukturen werden abweichende Meinung sofort massiv sanktioniert. Aber selbst demokratische Gesellschaften können in ‚Stresssituationen‘ kommen, wenn bestimmte Meinungen ein Gefährdungspotential für andere sehen, die Träger der anderen Meinungen dieses Gefährdungspotential aber abstreiten. Ein kaum sauber auflösbarer Konflikt. Es geht hier primär nicht mehr um ‚Wissen‘, sondern um ‚Glauben‘. Viele Jahrtausende haben gezeigt, wie aus ‚Glauben‘ tödliche und blutige Kriege folgen konnten, denn ‚Glauben‘ definiert einen ‚Wahrheitsanspruch‘, der sich nicht für alle transparent klären lässt. Seit ca. 500 Jahren wurde entdeckt, wie man ‚überprüfbares Wissen‘ ‚gewinnen‘ kann; man nennt dies ‚Wissenschaft‘. Aber, was nützt es, unter großem gesellschaftlichen Aufwand, Wissenschaft zu betreiben, wenn eine wachsende Gruppe von Bürgern weder versteht, wie Wissenschaft funktioniert, noch bereit ist, Wissenschaftlern zu glauben? Dann bleibt nur noch ‚Glauben‘, der mit ‚beliebigen Fakten‘ agiert. …. aber selbst dafür gibt es in den heutigen Demokratien die ‚Religionsfreiheit‘: man darf Beliebiges glauben (auch wissenschaftlichen ‚Unsinn‘); die Demokratie schützt dies. Ist dies schlecht? Im Lichte der Evolution des Lebens auf dem Planet Erde muss man konstatieren: in einer Gegenwart vor dem homo sapiens war es niemals möglich, zweifelsfrei zu erkennen, welche der aktuellen Lebensformen mit Blick auf eine nachhaltige Zukunft tatsächlich überleben würden. Frage: haben wir heute als Homo-Sapiens Lebensform bessere Möglichkeiten, das ‚Wichtige‘ vom ‚Unwichtigen‘ zu unterscheiden?

[11] In einem email-Gedankenaustausch mit Mirko de Paoli ging es um die Frage, wie man diesen ‚Mehraufwand‘ für Demokratien verstehen soll. Der Gedanke, der dem Text im Blog zugrunde liegt, ist der, dass (i) das bloße Wiederholen einer bestehenden Meinung ‚einfacher‘ ist als (ii) die gemeinsame Erarbeitung einer Meinung von ihren ‚Bestandteilen‘ her. Variante (ii) erfordert viel kommunikativen Aufwand, Zeit, emotionale Energie, und möglicherweise mehr. ‚Intuitiv‘ erscheint diese Überlegung richtig. Wie aber kann man sie empirische überprüfen, d.h. mit einem empirischen Messvorgang verknüpfen? Nimmt man die Ergebnisse des V-dem Instituts (siehe [5a]) ernst, dann wirken diese Ergebnisse in Zahlen sehr abstrakt, aber es sind Zahlen: 2010 noch 32 Länder als ‚liberale Demokratien‘; 2020 nur noch 16. Ein Rückgang von 32 auf 16 in nur 10 Jahren. Den Anteil von ca. 7.7% liberale Demokratien kann man versuchsweise auch für eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung benutzen, dass von 208 Staaten im Jahr 2020 liberal demokratische Staaten nur mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 0.07 vorkommen und nicht-liberale Demokratien mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 0.92. Das Verhältnis beider Wahrscheinlichkeiten zueinander ist 12:1. Dies kann man so interpretieren (Arbeitshypothese), dass 12x mehr Aufwand notwendig ist, eine liberale Demokratie zu realisieren als eine nicht-liberale Demokratie. Dies führt dann sofort zu der Frage, ob man empirisch verifizierbare Faktoren identifizieren kann, deren Vorhandensein und deren Beschaffenheit für eine liberale Demokratie wichtig sind. Hinweise dazu finden sich in der langen Liste an Eigenschaften, die die ca. 3500 Experten des V-dem Instituts in den Ländern des Planeten Erde seit Jahren ‚beobachten‘. Interessant wäre es dann, zu klären, in welchem Sinne diese Faktoren für eine funktionierende liberale Demokratie wichtig sind; vermutlich sind sie ‚unterschiedlich wichtig‘, d.h. sie sollten in der Gesamtbetrachtung eine unterschiedliche ‚Gewichtung‘ bekommen. Ein solcher Faktor ist das Bildungssystem: wie wichtig ist es? Auf welche Eigenschaften eines Bildungssystems kommt es an? Die aktuell nahezu ’sinnentleerte‘ Diskussion zur notwendigen Digitalisierung der Schulen in Deutschland zeigt, dass wir mit einer Klärung der Rolle von Bildung noch nicht allzu weit voran gekommen sind.

MEDIA

Nachgereicht: 14.Okt.2021: Ein einfacher Soundtrack, dessen Text versucht, die Grundidee des Artikels — siehe auch Anmerkung [11] — in einfache Worte zu fassen. (Aufnahmemethode: RUM := Radically Unplugged Music)

Letztlich geht es um die Frage, ob und wie oksimo das Funktionieren einer Demokratie unterstützen kann.

Ein älterer Versuch, mehr abstrakt:

One World – Many Pictures – Turn them into a Symphony

DAS OKSIMO PARADIGMA und Demokratie

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
8.Aug 2021 – 6.Januar 2022
URL: oksimo.org
Email: info@oksimo.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@oksimo.org)

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des BEGRIFFLICHEN RAHMENS ZUM OKSIMO PARADIGMA innerhalb des oksimo.org Blogs.

IDEE

Wie im Abschnitt DER OKSIMO WISSENSRAUM ALS DYNAMISCHER GRAPH auf der Startseite oksimo.org beschrieben wird, soll das zum oksimo Paradigma gehörige Wissen in Form eines dynamischen Wissensgraphen aufgebaut werden: Man startet mit möglichst wenig Einstiegspunkten (‚Wurzelknoten‘), und führt von diesen schrittweise in die zugehörigen nachgeordneten begrifflichen Räume. Natürlich kann es zu Querverweisen oder auch Rückverweisen kommen. Die minimale Logik eines solchen Wissensgraphen besteht darin, dass es keinen Wissensknoten ‚einfach so‘ geben darf: jeder Wissensknoten bedarf eines Vorgängers (ausgenommen die Wurzelknoten), und jeder Wissensknoten im Graphen erbt das ‚Wissen seiner Vorgänge‘, seinen ‚Kontext‘.

Im Fall des Themenknotens Demokratie ist der zugehörige Wissensraum aus heutiger Sicht (= 2021) ziemlich groß. In der zeitlichen Dimension kann man mindestens bis ins klassische Griechenland zurück schauen, also ca. 2500, oder weiter. Ein Blick auf konkrete Beispiele von Systemen, die mehr oder weniger dem ‚Ideal‘ einer Demokratie nahe kommen, wird viele Beispiele finden. In der begrifflichen Dimension, die sich über die verschiedenen konkreten Systeme aufspannen lässt, findet sich eine große Palette von Sichtweisen, die sich aus verschiedenen kulturellen Kontexten wie auch unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen herleiten: Staatsrechtler, Soziologen, Kulturanthropologen, Politikwissenschaftler, Historiker, …. wer Halt in den Verfassungstexten sucht, der wird im Prozess der Interpretation angesichts dieser großen Vielfalt an Meinungen schnell zum Stillstand kommen: Was ist es denn nun, was eine ‚Demokratie‘ auszeichnet?

Hier, im oksimo.org Blog geht es zudem nicht um die alles umfassende Theorie, sondern um die Frage, ob und wie das oksimo Paradigma einen Beitrag dazu leisten kann, dass das, was ‚Demokratie‘ genannt wird, konstruktiv unterstützt wird. Also, wir wollen uns nicht unbedingt mit dem ‚ganz Großen und Ganzen‘ beschäftigen, andererseits brauchen wir eine begriffliche Fassung, die von den meisten als das akzeptiert wird, was ‚wir‘ (= wer genau? Die Welt? Europa? Deutschland? Wer in Deutschland? …) unter ‚Demokratie‘ verstehen wollen.

Um die Diskussion im Beginnen ‚anfassbar‘ zu machen, soll der Phänomenbereich auf Deutschland und die aktuelle Deutsche Verfassung eingegrenzt werden. Möglicherweise ist diese nicht ideal, aber das ist die, die wir zur Zeit haben, und ob sie ideal oder nicht ideal ist, kann man nur sagen, wenn man sowohl die aktuelle Verfassung kennt als auch mögliche Alternativen, die man dann vergleichend abwägen kann.

Im Folgenden sollen in loser Folge Themen, Problemstellungen, Sichten genannt werden, die alle irgendwie mit dem Konzept und der Idee von Deutschland als Demokratie zu tun haben, anhand deren man versuchen kann, schrittweise eine gemeinsame Meinung zu entwickeln.

OFFENE THEMENLISTE [1]

  • ‚Gehacktes Parlament‘: Ein Parlament gilt als gehackt [2], wenn die gewählten Abgeordneten ihre Autonomie dazu benutzen, die Interessen vorwiegend — oder ausschließlich — in den Dienst von ganz von speziellen Interessengruppen zu stellen, gegen die Interessen der Allgemeinheit und gegen den Geist einer nachhaltigen Politik.
  • ‚Gehackte Finanzwirtschaft‘: die Finanzwirtschaft ist ursprünglich ein Teil der sogenannten ‚Realwirtschaft‘. Wenn sich eine Finanzwirtschaft regulativ immer mehr von der Realwirtschaft und einer demokratischen Kontrolle abgekoppelt hat, dann kann sie ganze Volkswirtschaften — oder gar die Weltwirtschaft — so massiv beeinflussen, dass die Realwirtschaft und die Politik eines Landes zum bloßen Spielball dieser Interessen werden.
  • ‚Gehackte Infrastrukturen‘: Es gibt wichtige Strukturen, die dem Erhalt und dem Wohlergehen einer ganzen Gesellschaft dienen (Wasser, Energie, Wohnen, Landwirtschaft, Gesundheit, Verkehr, …). Wenn die Erhaltung und der Betrieb dieser Infrastrukturen von staatlichen Behörden an private Betreiber ohne wirkliche Qualitätskontrolle abgegeben werden, dann degenerieren diese Leistungen dauerhaft und können eine Gesellschaft von innen zerstören.
  • ‚Erstarrtes Bildungssystem‘: in einer sich dynamisch verändernden Welt mit einer immer stärker ausdifferenzierten Wirtschaft und immer stärkeren Einwirkungen des Menschen auf das System Erde und sein Biom kommt dem Wissen in den Köpfen der Menschen eine strategische Schlüsselrolle zu: wenn eine Bevölkerung sich selbst, ihr eigenes System und ihre Umwelt nicht mehr hinreichend versteht, dann zerstört sich das System von selbst. Wenn die Kulturtechniken, die dazu beitragen sollen, dass ein hinreichend angemessenes Wissen in allen Köpfen verfügbar ist, für diese Aufgabe nicht mehr geeignet erscheinen, dann ist das Bildungssystem erstarrt und damit eine große Gefahr für eine nachhaltige Zukunft.
  • ‚Erstarrte Verwaltungen‘: Verwaltungen sind dazu da, dass das politische System seine politischen Zielvorgaben in einer komplexen Gesellschaft so umsetzen kann, dass die Ziele optimal zur Wirkung kommen. Wenn Verwaltungen aufgrund ihrer ‚Beschaffenheit‘ dazu wenig oder gar immer weniger in der Lage sind, dann bedrohen sie direkt den Fortbestand der Gesellschaft.
  • ‚Entfremdete Macht‘: Für alle gesellschaftliche Prozesse in einer ‚Demokratie ist es wichtig, dass die gemeinsam vereinbarten Ziele angemessen verwirklicht werden (dazu gehören auch Auffassungen von Menschenrechten, die hinreichend gewahrt sein sollen). Dazu bedarf es einer demokratisch legitimierte Macht. Wenn eine Macht nicht demokratisch legitimiert ist — entweder weil das demokratische System in sich gestört ist oder weil sie direkt von speziellen Interessengruppen gespeist wird — es meintendann können allgemeine und nachhaltige Ziele sehr schnell überlagert werden von speziellen Zielen, die nur einigen Menschen dienen und/ oder die nicht besonders nachhaltig sind.
  • ‚Zersplitterte Öffentlichkeit‘: Eine Demokratie benötigt für eine qualitativ gute Meinungsbildung eine funktionierende Öffentlichkeit, in der hinreichend viele tragfähige Meinungen und Erkenntnisse für prinzipiell alle in verständlicher Form verfügbar sind. Falls nicht, kann sich in einer Demokratie kein wirklich qualitativ guter Konsens ausbilden.
  • ‚Herausfiltern von Qualität‘: In allen Bereichen der Gesellschaft, ganz speziell in der Politik, braucht es auf allen Ebenen Gremien, die Ziele zusammenführen und in nachhaltige Prozesse umformen. Damit solche Prozesse eine hinreichende Qualität besitzen, bedarf es hinreichend vieler Kompetenzen in solchen Gremien. Wenn solche Gremien tendenziell Kompetenzen ausklammern, Diversität klein halten, dann kann sich dies unmittelbar auch auf die Qualität auswirken; sie wird dann immer schlechter.
  • ‚Der ausgesperrte Bürger‘: In der deutschen Demokratie hat die Verfassung das Instrument der politischen Parteien eingeführt, damit die Vielfalt der Erfahrungen und Meinungen der Bürger sich über politischen Parteien eine Stimme verschaffen kann, die dann in Gestalt von gewählten Abgeordneten in die Parlamente getragen werden. Wenn nun eine politische Partei sich aber nur als ‚Wahlverein‘ für Abgeordnete versteht, die dann als Gewählte ‚abgekoppelt von den Bürgern‘ ihre privaten Interessen verwirklichen, dann ist der Bürger real von dem politischen Geschehen ausgeschlossen. Es gibt keine weitere von der Verfassung unterstütze Möglichkeit, sich als Bürger substantiell Gehör zu verschaffen. Wenn man bedenkt, dass z.B. die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ca. 0,0008% der Erfahrungen vertreten, die in der Gesamtheit der Bürger verfügbar ist, dann ist die weitgehende Ausklammerung der Bürger rein Wissenstechnisch sehr fraglich; der ‚Geist einer Demokratie‘ verlangt möglicherweise radikal andere Konzepte.

DISKURS -Fallweise

Es folgen hier in loser Folge Besprechungen von Artikeln, die das Thema im Sinne von oksimo beleuchten können. Das Format dieser Besprechungen kann eher ‚einfach‘ sein oder ’sehr anspruchsvoll’…

  1. Anmerkungen zu Wolfgang Schäuble „Das Prinzip der Repräsentation“ (Letzte Änderung 3.Juli 2021)
  2. Wie belastbar ist die Demokratie – Vorländer, FAZ, 9.Aug.2021, S.6 (Letzte Änderung: 12.Aug 2021; mit Herausarbeitung der speziellen oksimo Perspektive)
  3. OKSIMO PARADIGMA und DEMOKRATIE – Das V-dem Forschungsinstitut für Demokratie (Letzte Änderung: 28.August 2021)
  4. SUSTAINABLE DEMOCRACIES (Letzte Änderung: 23.Sept. 2021) /* In dem korrespondierenden Blog uffmm.org gibt es einen Beitrag vom 28.August 2021, der einen Zusammenhang skizziert zwischen der Idee von ’nachhaltigen Demokratien‘ (’sustainable democracies‘) und dem oksimo Paradigma. */
  5. BEDROHUNG VON DEMOKRATIEN DURCH MENTALEN VIRUS (Letzte Änderung: 14.Okt.2021)

ANMERKUNGEN

[1] Diese Liste enthält — noch nicht — Tatsachenbehauptungen, wie einzelne Leser zu verstehen meinten, sondern enthält Kurzbeschreibung von Phänomenen, die im Kontext von einer Demokratie wie Deutschland auftreten können. Falls sie auftreten, ist dies für die Demokratie mehr oder weniger schädlich. Allerdings kann der Autor dieses Textes sagen, dass er zu all diesen Phänomenen jeweils mindestens eine, meistens sogar mehrere, Dokumentationen gelesen hat, wodurch er überhaupt erst auf die Idee kam, diese Phänomene anzusprechen. Es wird Teil der weiteren Arbeit sein, diese Dokumentationen nach und nach einzuarbeiten. Zur Erinnerung: es geht hier nicht um Schwarzmalerei als solche oder ungute Stimmungsmache oder dergleichen sondern darum, dass sich Bürger aufgrund klarer Erkenntnisse von Fehlfunktionen in die Lage versetzen können, durch ihr Handeln den Fortbestand der Demokratie zu sichern bzw. die gemeinsame Demokratie dadurch vielleicht sogar zu verbessern. Ohne ausreichend gebildete und engagierte Bürger kann es keine Demokratie geben.

[2] Die Eigenschaft ‚gehackt‚ kommt ursprünglich aus dem Bereich der Computer-Software. Computer-Software besteht aus Unmengen von Befehlen, die mit Daten operieren können. Im Normalfall soll ein Computerprogramm ganz bestimmte Aufgaben erfüllen. Ein ‚Missbrauch‘ von Computerprogrammen kann in mehrfacher Form vorliegen:

  1. Der Einsatz eines Programms wird von anderen Personen mit beeinflusst, die dazu nicht vorgesehene sind; sie nutzen das Programm dann für ihre eigenen Zwecke. Solche Personen kann man allgemein als ‚Hacker‘ bezeichnen. Sie durchbrechen einen intendierten Verwendungszusammenhang.
  2. Hacker können such aber auch Zugang zum Programmcode selbst verschaffen und dort die Anordnung der Befehle und Daten abändern. Das kann dann bewirken, dass das Programm dann ‚äußerlich‘ noch so arbeitet, wie gedacht, aber im einzelnen Dinge bewirkt, die so nicht vorgesehene waren.

Wenn man Gesellschaft im allgemeinen und Kultur speziell als ein System von Regeln versteht, dann liegt es nahe, den Begriff des ‚Hackens‘ auch auf diese Regelsysteme zu übertragen. Einer, der dies ausgiebig gemacht hat, ist Bruce Schneier. Auf einer RSA Konferenz im Jahr 2020 hat er einen interessanten Vortrag gehalten zum Thema ‚Hacking Society‚. Anhand konkreter Beispiele zeigt er, wie man soziale (auch kulturelle) Systeme ‚hacken‘ kann. Ein prominentes Beispiel in seinem Vortrag ist das Finanzsystem, das von unterschiedlichen Gruppierungen ‚gehackt‘ wurde und damit seiner eigentlichen Bestimmung entfremdet wird. In diesem erweiterten Sinne wird der Begriff ‚gehackt‘ in der hier vorliegenden Verfassung benutzt.

[3] Bruce Schneier: https://www.schneier.com

[4] Bruce Schneier, 2020, RSA Konferenz, Hacking Society: https://www.youtube.com/watch?v=NVGtfVj_9Y0