UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
16.Juni 2021 – 18.Juni2021
URL: oksimo.org
Email: info@oksimo.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@oksimo.org)
Letzte Änderung: 18.Juni 2021
KONTEXT
Dieser Text ist Teil des Themenbereichs UNIVERSELLE PROZESSE PLANEN – Aus Sicht der Kommunen im oksimo.org Blog.
KOGNITIVE SUPPORTSTRUKTUR FÜR BÜRGERBETEILIGUNG
Im vorausgehenden Post zum grundlegenden Verhältnis von Bürgerbeteiligung und Politische Parteien war herausgearbeitet worden, dass eine einzelne Fraktion in einer Gemeindevertretung rein aufgrund ihres quantitativ extrem kleinen Anteils an der Gesamtbevölkerung einer Kommune grundsätzlich nicht in der Lage ist, die Breite und Vielfalt der Bürger zu repräsentieren. Dazu kommt, dass die Komplexität der Themen selbst samt ihrer Vernetzung und ihrer oft langen zeitlichen Erstreckung die verfügbaren kognitiven Kapazitäten bei weitem überschreitet.
Eine einfache Lösung für diese Problemstellung gibt es nicht.
Erkennbare Anforderungen
Grundsätzlich müssten die folgenden Anforderungen einigermaßen erfüllt werden, um sich einer verbesserten Situation anzunähern:
- Ergänzend zu den gewählten Fraktionen der politischen Parteien in den Bürgervertretungen müsste es eine helfende Struktur [HS] geben, die über mehr Kompetenz verfügt.
- Diese helfende Struktur HS müsste in der Lage sein, wichtige Themen zu identifizieren, und sie müsste abklären können, ob und inwieweit die identifizierten Themen global-lokal den Prozess einer Kommune in einer errechneten Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit beeinflussen können. Ferner wäre es wichtig, daraus begründete Handlungsempfehlungen ableiten zu können.
- Diese helfende Struktur müsste einen gesellschaftlich-kulturellen und politischen Zusammenhang mit den gewählten Bürgervertretungen herstellen..
Politische Parteien als Ort des Diskurses?
Wenn die handelnden politischen Fraktionen als solche kognitiv zu begrenzt sind, sie aber dennoch die offiziell gewählten Vertreter bleiben, dann fragt sich, wo eine helfende Struktur herkommen kann, die nicht identisch ist mit der Fraktion, aber dennoch mit dieser in engem Zusammenhang steht?
Eine Antwort liegt im Konzept der politischen Partei! [1] Eine politische Partei ist laut Parteiengesetz [PartG] [2] auf jeden Fall mehr als nur eine Fraktion. Letztlich ist die Partei als Vereinigung von Bürgern nicht nur der Erstellung von Wahllisten und der Entsendung von gewählten Listenvertretern vorgelagert, sondern eine Partei umfasst viele Aufgaben, die über das Aufstellen von Wahllisten weit hinausgehen. So heißt es im PartG §1 des Parteiengesetzes, dass „Parteien … an der Bildung des politischen Willens des Volkes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens [mitwirken].“ Dazu gehört ausdrücklich auch, „die aktive Teilnahme der Bürger am politischen Leben [zu] fördern …“.
Von daher wäre es naheliegend, die Idee einer helfenden Struktur innerhalb der bestehenden Parteien zu verorten.
Bei großen Parteien gibt es helfende Strukturen, die partielle Angebote an alle Mitglieder bereit stellen. Doch diese erscheinen im Gesamtzusammenhang des Wählerverhaltens möglicherweise als zu begrenzt.
Ein anderer Aspekt ist das reale Interesse der Bürger an der Zusammenarbeit mit den politischen Parteien. So gab es bei den Kommunalwahlen in Hessen 2016 nur eine Wahlbeteiligung von 48% [3], bei den Landtagswahlen in Hessen 2018 eine Wahlbeteiligung von 67.3% [4], und bei der Bundestagswahl in Deutschland 2017 eine Wahlbeteiligung von 76.2% [5]. Die geringe Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen ist auffällig. Ungefähr die Hälfte aller wahlberechtigten Bürger haben nicht gewählt! Dies kann man als Indikator für ein mögliches geringer Interesse und/ oder auch geringes Vertrauen in die kommunal vertretenen Wählergruppen und Parteien werten.
Diese Zahlen werden ergänzt durch die alltägliche Beobachtungen, dass die Position von Parteien sehr klischeehaft wahrgenommen werden und dass die Bereitschaft von Fraktionen unterschiedlicher politischer Gruppierungen, sachlich, offen, konstruktiv mit Vertretern anderer politischer Gruppierungen zusammen zu arbeiten, nur schwach ausgeprägt ist.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und wie die politischen Parteien ihrem Auftrag von mehr informierter Bürgerbeteiligung nachkommen können, wenn ihre öffentliche Position im kommunalen Bereich der Gesellschaft so schwach ist. Die drängenden Probleme unserer Gesellschaft sind real, sie verlangen unmittelbar höchste Aufmerksamkeit. Was kann getan werden?
Partei-Übergreifende Hilfe Strukturen?
Schaut man zunächst nur ‚rein sachlich‘ auf die Problemstellung, dann kann man die allgemeinen Forderungen vom Beginn u.a. wie folgt zu einem Minimalen Unterstützungs-Katalog [MUK] erweitern:
- Es muss Gruppen von Bürgern geben, die sich zu dieser übergreifenden Fragestellung zusammen finden
- Diese Gruppen von Bürgern müssen gemeinsam sowohl die Sachanforderungen der bekannten Themen (z.T. ‚global‘) wie auch ihre eigene Ausgangslage (‚lokal‘) hinreichend zutreffend beschreiben.
- Diese Beschreibungen sollten Wechselwirkungen unter den Themen wie auch die möglichen Auswirkungen in der Zukunft erkennbar machen.
- Die Bürger müssen versuchsweise eine Bewertung dieser erkennbaren Auswirkungen vornehmen.
- Alle diese Beschreibungen, Ausblicke und Bewertungen sollten möglichst allen öffentlich zugänglich sein.
- Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, diese Darstellungen zu kommentieren und Alternativen auszuprobieren.
- Es muss die grundsätzliche Möglichkeit geben, die verschiedenen Beschreibungen verschiedener Sachlagen jederzeit ohne zusätzlichen Aufwand miteinander zu einer größeren Beschreibung zu vereinigen und diese Gesamtheit direkt zu simulieren.
- Auf Wunsch muss jede solche Darstellung mittels künstlicher Intelligenz innerhalb der potentiellen Varianten auf mögliche günstige Fälle hin abgesucht werden können (‚Optimierende KI‚).
- Auf Wunsch muss jede solche Darstellung mittels künstlicher Intelligenz in ihren Ausgangsannahmen kreativ variiert werden können (‚Kreative KI‚).
- Alle erarbeiteten Simulation sollten auch in Form von interaktiven Spielen für menschliche Spieler benutzbar sein.
- Alle erarbeiteten Simulation sollten in Form von interaktiven Spielen nicht nur mit menschlichen Spielern benutzbar sein, sondern auch mit künstlichen Akteuren. Letztere können als ‚Freunde‘, als ‚Trainer‘, oder als ‚Opponenten‘ auftreten.
- Eine geprüfte Auswahl solcher Simulationen sollte auch für Zertifizierungszwecke im Rahmen einer Ausbildung genutzt werden können (‚sich selbst organisierendes Lernen‚/ ‚autopoietic learning‚).
Auch wenn man diesen minimalen Unterstützungskatalog sicher noch erweitern und verfeinern könnte, wird doch sichtbar, dass es für eine Umsetzung dieses Forderungs-Katalogs nicht ausreicht, nur eine einzige kleine Gruppe zu bilden. Vielmehr braucht es möglichst viele solcher lokal verankerten Gruppen, die auf geeignete Weise miteinander vernetzt sind.
Ferner wird klar, dass es eine gemeinsame Plattform braucht, auf der sowohl die Beschreibungen selbst verfügbar sind wie auch die Möglichkeit zu verteilten Simulationen und Spielen angeboten wird.
Neben der rein organisatorischen Struktur, die dafür benötigt wird, muss diese Support-Struktur die kognitiven Aspekte des kommunizierten Wissens wie auch die normativen Aspekte berücksichtigen und unterstützen. Diese Aspekte sollen in einem weiteren Post diskutiert werden
ANMERKUNGEN
[1] Politische Partei, Wikipedia [DE]: https://de.wikipedia.org/wiki/Politische_Partei
[2] Parteiengesetz, Wikipedia [DE]: https://de.wikipedia.org/wiki/Parteiengesetz_(Deutschland) (Als PDF-Text: https://www.gesetze-im-internet.de/partg/PartG.pdf )
[3] Kommunalwahlen in Hessen 2016: https://www.statistischebibliothek.de/mir/servlets/MCRFileNodeServlet/HEHeft_derivate_00005694/BVII3-2_5j16.pdf
[4] Landtagswahlen in Hessen 2018: https://www.statistischebibliothek.de/mir/servlets/MCRFileNodeServlet/HEHeft_derivate_00008307/BVII2-4_5j18_a.pdf
[5] Bundestagswahl 2017: https://bundeswahlleiter.de/dam/jcr/e0d2b01f-32ff-40f0-ba9f-50b5f761bb22/btw17_heft4.pdf