Archiv der Kategorie: Wasserverbrauch

DEMOKRATIE – Organisation von Wissen

(Letzter Eintrag: 7.Oktober 2024)

Autor: Gerd Doeben-Henisch

Kontakt: info@oksimo.org

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des Themas ‚Demokratie @ Work‘ im Rahmen des Themas ‚Demokratie‘.

ORGANISATION VON WISSEN

Nachdem die vorausgehenden Worte versucht haben zu erklären, warum es in einer Kommune im Umfeld der Gemeindevertreter ein Wissensproblem gibt – nicht notwendigerweise individuell bedingt, aber eben strukturell! –, soll hier jetzt dargelegt werden, wie man dieses strukturelle Wissensproblem auf praktischer Ebene vielleicht minimieren kann.

Handelnde Akteure

Dazu müssen wir uns bewusst machen, wer genau die ‚handelnden Akteure‘ sind, und was sind die Kontextbedingungen, unter denen sie handeln.

Wenn wir von einer demokratischen Gemeinde ausgehen, dann stehen die ‚gewählten Gemeindevertreter‘ im Zentrum, aber auch alle ‚wahlberechtigten Bürger‘, ja, letztlich alle ‚Einwohner‘, von denen viele nicht Wahlberechtigt sind (Kinder, Jugendliche, Menschen aus anderen Ländern).

Laut dem Grundgesetz (GG) sind die gewählten Gemeindevertreter nur ihrem ‚Gewissen‘ und dem ‚Wohl des Volkes‘ verpflichtet. Dies bedeutet, bei ihren politischen Entscheidungen sind sie formal nicht verpflichtet, immer zuerst Bürger bzw. Einwohner zu befragen.

Andererseits steht das ‚Wohl des Volkes‘ an zentraler Stelle. Der Begriff ‚Wohl des Volkes‘ wird dabei im Grundgesetz (GG) nicht explizit definiert. In den GG-Artikeln wie z.B. 14, 20, 28, 56, 64, 87109 und 140 werden Kontexte genannt, die für das Wohl des Volkes als wichtig erscheinen. Dennoch kann man nicht sagen, dass mit diesen Kontextualisierungen die Bedeutung von ‚Wohl des Volkes‘ klar umrissen sei. Was letztlich auch verständlich ist, da ja das Gesamt einer Bevölkerung und eines Staates samt seiner Einbettung in eine dynamische Welt nicht nur sehr komplex ist, sondern sich auch beständig verändert. Eine fest verdrahtete Definition, die Anspruch auf alle Details erhebt, wäre vor diesem Hintergrund wenig hilfreich.

Medium Sprache

Unter dem Einfluss einer umfassenden ‚Digitalisierung‘ und vielfachen ‚Formalisierung‘ unserer Lebensabläufe tendieren wir heute gerne dazu, ‚Formulierungen als solche‘ sehr hoch zu bewerten, sie ‚absolut‘ zu setzen. Schon eine kurze Besinnung auf das tatsächliche Funktionieren unserer Sprache im Alltag reicht aber aus, um zu verstehen, dass die ‚Bedeutung sprachlicher Ausdrücke‘ eben nicht im Ausdruck selbst liegt, sondern im ‚Innern‘ jener Menschen, die sprachliche Ausdrücke benutzen. Diese ‚an das Innere des Menschen‘ gebundene Bedeutung ist immer in einer Art ‚Schwebezustand‘, der von uns allen erfordert, dass wir uns immer wieder neu ‚vergewissern‘ müssen, was meint denn der andere, wenn er einen bestimmten sprachlichen Ausdruck benutzt.

Man kann diesen ‚permanenten Schwebezustand möglicher Bedeutung‘ als Nachteil ansehen, aber tatsächlich ist gerade diese Eigenschaft unserer Sprache ein unfassbares Plus: auf diese Weise können wir Menschen uns jederzeit jedem neuen Eindruck, jeder neuen Veränderung unserer Umwelt und von uns selbst öffnen und wir können diese Veränderung ‚zur Sprache bringen‘. Dies gibt uns eine Macht, die keinem anderen Lebewesen auf diesem Planeten vor uns in diesem Ausmaß zur Verfügung stand und steht. Dies unterscheidet uns zudem von all den modernen Software-gesteuerten Maschinen, die sich zwar riesige Mengen von Dokumenten einverleiben, indizieren und aufbereiten können. Sie verfügen aber alle nicht über eine ‚Bedeutungsfunktion‘, wie wir Menschen sie besitzen. Ihre sprachlichen Ausdrücke können mittlerweile sehr wortreich und stilistisch beeindruckend sein, aber sie können z.B. niemals entscheiden, ob ein Ausdruck ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ ist. Im Alltag ist genau dies aber wichtig, ja, überlebenswichtig.

Wohl des Volkes konkret

Berücksichtigt man das soeben über Sprache Gesagte, dann solle klar sein, dass ein gewählter Gemeindevertreter, der sich auf das ‚Wohl des Volkes‘ beruft, im Einzelfall immer hinreichend ausführlich ‚erklären‘ muss, was er damit genau meint. Und da er diese Entscheidung ja nicht ‚für sich alleine‘ fällt, sondern als ‚gewählter Vertreter‘ jenes Volkes, von dem alle Macht ausgeht (GG 20.2), muss er letztlich genau ‚dieses Volk selbst‘ ernst nehmen, da nur die Realität dieses Volkes entscheiden kann, ob etwas zutrifft, wie es zutrifft, was es bewirkt und wie man dies bewerten muss. Und in einer Kommune wie 61137 Schöneck mit ca. 12.500 Einwohnern im Dezember 2023 kann man letztlich sogar jeden einzelnen Einwohner benennen, den die Entscheidung betrifft.

Andererseits, selbst ein so kleines ‚Volk‘ wie die ca. 12.500 Einwohner von Schöneck kann bei bestimmten anstehenden Entscheidungen real in viele unterschiedliche Gruppierungen zerfallen, die es im konkreten Fall tatsächlich schwer bis fast praktisch unmöglich machen, ‚ein einziges Wohl’ des Volkes zu bestimmen. Wer von den vielen Gruppierungen hat dann Recht? Wem soll sich der gewählte Vertreter jetzt verpflichtet fühlen? In solchen Situationen müssen die gewählten Vertreter zwar versuchen, durch eine öffentliche transparente Kommunikation heraus zu finden, für welche Position sich mehr ‚Argumente dafür‘ finden lassen, aber in einer ‚pluralen Wertewelt‘ ist dies möglicherweise nicht immer möglich. Entweder bleibt eine endgültige Entscheidung dann offen (was manchmal hilfreich sein kann), oder es wird für eine ‚Minderheitenmeinung‘ plädiert, die nur wenige befriedigt und viele unzufrieden lässt (was sich im Einzelfall im weiteren Verlauf dennoch als positiv-konstruktive erweisen kann).

An der Schwelle zu einer Zukunft, die letztlich niemand wirklich kennen kann, gibt es diese ‚Grauzonen des Wissens‘, für die es keine ‚Patentlösungen‘ gibt; es bleibt immer ein ‚Restrisiko‘.

Tägliche Zeitreise

Aus einer gewissen Distanz heraus bilden die gewählten Vertreter und die Einwohner einer Kommune eine Gemeinschaft, die sich gemeinsam ‚in der Zeit‘ bewegt. In der heutigen Welt benutzen Gesellschaften auf diesem Planeten ‚Kalender‘ und ‚Uhren‘, mittels deren jeder jederzeit ein ‚Datum‘ feststellen kann samt ‚Uhrzeit‘. Dass Datum und Uhrzeit weltweit ‚synchron‘ sind, setzen wir im Alltag stillschweigend voraus, ist aber nur möglich durch einen hohen technischen Aufwand und spezielle Behörden, die nichts anderes tun, als die ‚Zeit weltweit‘ synchron zu halten.

Mit Bezug auf diese vereinbarten Zeitmuster kann man – in der Theorie — zu jedem Zeitpunkt eine ‚Momentaufnahme‘ einer Kommune machen, in Form eines Textes, möglicherweise ergänzt um Fotos, der alles beschreibt, was einer bestimmten Gruppe von Bürgern (z.B. den Gemeindevertretern) als ‚wichtig‘ erscheint.

Nehmen wir an, dass jeden Tag solch ein Bericht erstellt und archiviert wird.

Dann könnte man anschließend in bestimmten periodischen Abständen (jeden 7.Tag, alle vier Wochen, …) den Bericht von diesem Datum herausfischen, sie hintereinander neu anordnen, und man hätte — wie in einem ‚Zeitraffer‘ — die verschiedenen Zustände der Gemeinde als eine Abfolge, wo man beobachten könnte, ob sich zwischen zwei Zeitpunkten etwas verändert hat, und was.

Nehmen wir beispielsweise an, der jeweilige Zustandsbericht würde auch den ‚täglichen Wasserverbrauch‘ der Gemeinde protokollieren. Und im Fall von Schöneck würde auch noch unterschieden zwischen dem Wasser aus den eigenen drei Brunnen und jenem Wasser, das extern vom Netz der Kreis-Wasserwerke bezogen wird. Dann könnten die Beobachter der Veränderungen zwischen den einzelnen Berichten gut erkennen, dass z.B. die Wasserentnahme aus den eigenen Brunnen ‚schwankt‘, aber niemals mehr als ca. 20% des Gesamtverbrauchs ausmacht. Wäre solch eine Beobachtung ‚beunruhigend‘? Kann man davon ausgehen, dass die Wasserversorgung ‚gesichert‘ ist? Gibt es irgendwelche Umstände, die darauf hindeuten, dass sich an der Verfügbarkeit des Wassers etwas ändern könnte?

Die Einführung von ‚Zeit‘ ermöglicht die Erfassung von ‚Veränderungen in der Zeit‘, und diese wiederum liefern mögliche Ansatzpunkte, darüber nachzudenken, ob ‚alles so weiter geht‘ oder ob es Sachverhalte im Kontext der Gemeinde gibt, die auf mögliche Veränderungen hindeuten, mit denen sich eine Gemeinde beschäftigen sollte.

Minimierung des ‚Restrisikos‘

Da sich jede Gemeinde kontinuierlich auf einer ‚Zeitreise‘ befindet, die bei geeigneter ‚Beobachtung‘ reale ‚Veränderungen‘ sichtbar machen kann, empfiehlt es sich für die Gemeindevertreter, die dem ‚Wohl des Volkes‘ dienen wollen, sich mit all jenen Veränderungen zu beschäftigen, die in und mit ihrer Kommune stattfinden.

Wie sich am Beispiel des für alle ‚lebenswichtigen Wassers‘ andeutet, ist die Verfügbarkeit von Wasser nicht in allen Fällen und ‚nicht für alle Zeit‘ gesichert. Die Ingenieure dieser Welt sprechen in solch einem Fall von einem ‚Risiko‘. Und jeder Ingenieure wird immer versuchen, ein Risiko durch geeignete Maßnahmen zu minimieren. Angenommen, ein Ingenieur findet Maßnahmen, die als relativ sicher gelten, und diese lassen erwarten, dass ca. 80% eines erkannten Risikos als ‚abgedeckt‘ erscheinen, dann bleiben noch 20% eines erkannten Risikos als ‚Restrisiko‘. Auch dieses Restrisiko sollten ‚verschwinden‘, was aber nicht immer gelingt. Ganz radikal betrachtet, leben wir in einer Welt und unter Umständen, die eine vollständige Eliminierung von Risiko ausschließt. Wenn wir sehr gut sind, dann können wir das Risiko ‚möglichst klein‘ halten, aber ganz eliminieren können wir es in dieser konkreten Welt nie.

Gemeinsames Vorgehen

Falls sich hinreichend viele Gemeindevertreter und Bürger darauf einigen können, dass sie sich alle gemeinsam auf einer ‚Zeitreise‘ befinden, die auf vielfache Weise mit ‚Restrisiken‘ durchsetzt ist, dann könnte die Einsicht wachsen, dass man um einer gemeinsamen Zukunft willen, Wege finden sollte, wie man das verfügbare Wissen so organisiert, dass die Gemeinde sich eine ‚möglichst gute Entscheidungsbasis‘ sichert.

Zur Grundeinsicht gehört, dass die gewählten Vertreter ‚trotz repräsentativer Demokratie‘ sich bewusst sind, dass ihr eigenes Wissen bei weitem nicht ausreicht, um allen Herausforderungen optimal zu begegnen. Und den Bürgern sollte ebenfalls klar sein, dass eine Haltung ‘das machen die da oben’ heute keineswegs mehr angemessen ist. ‚Die da oben‘, das sind die gewählten Gemeindevertreter, die aus freien Stück und ehrenamtlich ein Teil ihrer Lebenskraft der Gemeinde widmen und sie alleine können niemals alle diese neuen Herausforderungen optimal stemmen.

Und – ein Gedanke, der vielleicht bislang noch ein wenig ‚zu leise‘ ist – das ‚Wissen‘, um das es geht, um möglichst gute Wege in eine vielfach unbekannte ‚Zukunft‘ auszuloten, dieses Wissen ist zu jedem Zeitpunkt normalerweise erst einmal gar nicht vorhanden! Tun sich schon viele Menschen schwer, die bisherige ‚Geschichte‘ ihres Lebensweges zusammen mit all den anderen angemessen vor Augen zuführen, so stellt ein ‚Wissen um eine mögliche Zukunft‘ zusätzliche neue Herausforderungen. Wie schon zuvor angedeutet, reicht es nicht aus, zu wissen, was war dann und dann dort und dort. Man muss zusätzlich ‚erkennen‘, welche Arten von Veränderungen sind bislang aufgetreten, und welche von diesen Veränderungen lassen ein ‚Muster‘ erkennen, eine ‚Regelhaftigkeit‘, Formen von ‚Wahrscheinlichkeiten‘?

Um so etwas zu erkennen, reicht es nicht aus, dass man ‚ab und zu‘ mal in die Geschichte schaut oder dass ‚der eine oder die andere‘ sich gelegentlich mal damit beschäftigt. Solch ein Wissen kann nur entstehen, wenn es einen echten ‚Plan‘ gibt, den alle kennen, und wo die Gemeinschaft gemeinsam ‚festgelegt‘ hat, wie sie ihren Plan im Alltagsgeschäft umsetzt. Zudem muss dieser Plan samt allen Erkenntnissen jederzeit allen’ zugänglich’ sein. Er muss für alle ‚verständlich‘ sein und es muss klar sein, wie man seine eigene Meinung, seine ‚eigene Erfahrung‘ jederzeit dazu ‚mit einbringen‘ kann. Und, ja, dies alles muss so sein, dass sich letztlich jeder ‚gehört‘ fühlt, und dass die ‚Vielfalt der Meinungen‘ systematisch aufgegriffen und ‚bewertet‘ wird.

BiG WASSER BERICHT : Wasser-Workshop 10.April 2024 zum Thema ABWASSER IN SCHÖNECK

Letzte Änderung: 15.April 2024

Bericht: Gerd Doeben-Henisch

Kontakt: big-wasser@oksimo.org

KONTEXT

Dieser Text ist Teil der Liste der Veranstaltungen zum Thema WASSER Phase II.

Wasser-Workshop 10.April 2024

Zur Einführung siehe die Ankündigung und den ersten Kurzbericht. Hier folgt jetzt ein Bericht zur Präsentation während der Veranstaltung.

Dieser Bericht folgt weitgehend der Präsentation von Hans-Jürgen Merget (stellvertretender Leiter der Fachabteilung Stadtplanung), ergänzt um Erläuterungen von Günter Rauch (Leiter der Fachabteilung Stadtplanung) und den kurzen Dialogen zwischendrin zwischen den Bürgern und den Vertretern der Gemeinde. Wegen des Umfangs wurden manche weitere Informationen ausgelassen. Diese können in zukünftigen Erweiterungen behandelt werden.

Vorweg sollte man wissen, dass es neben der laufenden (alten) Kläranlage ein Neubauprojekt gibt, das 2020 begann und nach vielen Verzögerungen (Corona, Ukrainekrieg) und Teuerungen im Mai 2025 abgeschlossen sein soll. Der Neubau wurde erzwungen, da die alte Anlage an ihre Kapazitätsgrenzen stieß. Nach vielen Recherchen schälte sich heraus, dass man auf dem bisherigen Gelände mit einer neuen Methode eine Kläranlage bauen könnte, die den gestiegenen Anforderungen dennoch gerecht werden kann. Während Langenselbold bei annähernd gleichen Rahmenbedingungen einen Neubau mit dem bekannten Standards gestartet hat (geschätzte Kosten 30 Mio Euro), belaufen sich die Kosten für die neue Anlage auf 17 Mio Euro (dazu gibt es einen Zuschuss vom Bund in Höhe von 800.000 Euro). Vom Gesamtbetrag übernimmt Niederdorfelden 25% der Kosten.

Der Weg des Wassers vom Abfluss über Kanalisation und Kläranlage zurück in den Naturkreislauf

Die Präsentation startete mit einem Überblick über die verschiedenen Arten des Wassers, welches über die Kanalisation zur Kläranlage gelangt. Hier ein erweitertes Schaubild:

BILD : Ein erweitertes Schaubild (rekonstruiert aus [1:997-1013]) gibt einen Eindruck von den verschiedenen Arten von Wasser, die im kommunalen Abwassersystem anfallen.

Das Schaubild nach [1] zeigt die verschiedenen Arten von Wasser auf, die nach Gebrauch — z.B. kommunales Schmutzwasser — oder nach Entstehung — z.B. Niederschläge — auftreten können. Mit dieser Vielfalt klar zu kommen, ist eine große Herausforderung für die kommunale Wasserwirtschaft, die in Grenzfällen letztlich nur angenähert werden kann.

Andeutung der Wassermengen

Um ein Gefühl für die Menge des Wassers zu bekommen, stellte der Referent zwei Näherungswerte in den Raum: die Menge des Trinkwasserverbrauchs von einem 4 Personen Haushalt bei 121 L pro Person und Tag [2] und die Menge des Regenwassers bei einem Dach von 341 m2 .[3] Beide Werte beruhen auf Mittelwerten und können von daher nur als Annäherung an die tatsächlichen Volumen gelten.

BILD : Rechenblatt mit der Berechnung des angenäherten Volumens, das in einem Zeitfenster von 5 min entstehen kann.

Mit Hilfe dieser Annäherungen kann man sehen, dass Regenfälle in einem kurzen Zeitraum bis zu ca. 1800 mal mehr Volumen für die Kanalisation generieren können wie der normale Schmutzwasseranfall, sofern man den Regen nicht vor Eintritt in die Kanalisation durch geeignete Maßnahmen auffängt oder verteilt. Dies bedeutet eine gewaltige Herausforderung für die Kanalisation.[5b]

BILD : Das Bild zeigt die Struktur des Mischsystems und eines Trennsystems nebeneinander, wie es sich aus der Perspektive eines Hauses darstellt.

Umgelegt auf die gesamte Kanalisation bedeutet dies, dass entsprechend entweder zwei getrennte Rohrsysteme im Boden liegen müssen (Trennsystem: Regenwasser (blau) und Schmutzwasser (braun) getrennt) oder nur ein Rohrsystem (Mischsystem: Schmutzwasser und Regenwasser zusammen (Magenta)).

BILD : Nach [5]. Ziel ist es u.a., möglichst kein Regenwasser durch die Kläranlage fließen zu lassen, da das Regenwasser vergleichsweise sauber ist, allerdings — abhängig von der Bodenbeschaffenheit — nicht immer. [7]

In Schöneck gibt es je nach Ortsbereich beide Systeme. Für Mischwasser sind in Schöneck 55 km Rohre verlegt, für Regenwasser 6,79 km, und für Schmutzwasser 5,846 km, zusammen also gut 67 km an Leitungen!

Im Fall des Mischsystems kann der Fall eintreten, dass das Wasservolumen durch den Regen derart ansteigt, dass eine Entlastungen der Kanalisation notwendig ist. Idealerweise geschieht dies vor dem Eintreten in das Kanalsystem (Rückhaltevorrichtungen). Durch die vielen Einlaufwerke (Gullis) tritt das zusätzliche Volumen aber auch entlang des Kanalsystems auf. Dazu gibt es Entlastungsbauwerke [6], in denen in einem bestimmten Abschnitt des Kanals das Abwasser in einer Rinne mit hochgezogener Überlaufschwelle geführt wird. Nimmt das Volumen des Wassers über einen festgesetzten Maximalwert zu, dann läuft es über die Schwelle in einen eigenen Kanal, mit dem das Wasser dann herausgeführt und in ein Gewässer abgeleitet (‚abgeschlagen‘) wird. Zusätzlich zu den Entlastungsbauwerken gibt es auch weitere Vorhalteflächen vor dem Eintritt in die Kanalisation wie auch zusätzliche Versickerungsflächen.

BILD : Abschnitt aus dem Kanalsystem in Schöneck mit Mischkanal und und unterirdischem Entlastungsbauwerk

Ein Abschöpfen von Wasser kann allerdings auch bei einem Trennsystem mit zwei getrennten Rohren auftreten.

BILD : Kartenausschnitt von Schöneck mit Trennsystem und Verringerung des Wasservolumens durch eine Abschlagsleitung.

Es wurde angemerkt, dass Regenwasser, das mit Straßenbelag in Berührung kommt, allein durch den erheblichen Abrieb der Reifen erheblich belastet ist und eigentlich vorgereinigt werden müsste. Bei der Schönecker Kanalisation, die schon älter ist, findet eine solche Vorreinigung von Regenwasser vor der Einleitung in Gewässer noch nicht statt.

Ein anderer Fall wird im folgenden Schaubild dargestellt: da Schöneck unterschiedliche Geländeformationen umfasst, ist es bisweilen notwendig, Wasser auch auf ein höheres Niveau zu pumpen.

BILD : Hinaufpumpen von Schmutzwasser (braun) zu einem Mischwasserkanal (Magenta) auf einem höheren Niveau.

Gruppenkläranlage Schöneck-Niederdorfelden

BILD : Eingang zur Kläranlage Schoeneck-Niederdorfelden Samstag 13.April 2024. Elemente einer Baustelle sind erkennbar.

BILD : Aus openstreetmap.org: Lage der Gruppenkläranlage Schöneck-Niederdorfelden

Dazu ein Kartenausschnitt mit den Hauptleitungen zur Kläranlage.

BILD : Hauptzuleitungen zur Gruppenkläranlage von Schöneck (von rechts) und von Niederdorfelden (von links). Die Unterbrechungen in der Linie von Niederdorfelden zeigt an, dass es sich wegen des Geländeunterschieds um eine Druckleitung handelt. Der Durchmesser der Leitung von Schöneck ist größer als 1 m, der von Niederdorfelden deutlich kleiner als 1 m.

Die Zuleitungskanäle kommen im Vergleich zum Niveau der Kläranlage ca. 9 m tiefer an, was bedeutet, dass das Wasser auf das höhere Niveau gehoben werden muss. Standardmäßig würde man dies mit einer robusten Schneckenpumpe umsetzen. Doch wegen des großen Platzbedarfs einer Schneckenpumpe werden Zulauf-Pumpen benutzt. Die Zulauf-Pumpen sind sehr anfällig für alle Arten von Textilien (einschließlich Feuchttüchern), die über das Wasser angespült werden. Diese können sich ineinander verwickeln und müssen dann mechanisch aus der Pumpte entfernt werden.

Ablaufschema einer Kläranlage

BILD : Typisches Ablaufschema einer Kläranlage (siehe [8] mit weiteren Erklärungen).

Stufe 1: Mechanische Reinigung

Rechen

Mit Hilfe einer mechanischen Recheneinrichtung (Rechen) werden grobe Stoffe aus dem Wasser entfernt. Diese kommen dann in eine Pressschnecke und werden dann als Restmüll in einem Container entsorgt.

Sand und Fettabscheider

Als nächstes gibt es einen Sand- und Fettfang: zwei längere Becken, in denen an der Oberfläche das Fett abgenommen wird und am Boden Sandanteile.

BILD : Prinzipschaubild aus der Präsentation. Im nächsten Bild das Original in Schöneck.

BILD : Fettfang links und Sandfang rechts in der Kläranlage Schöneck. Daneben sieht man viele Spuren der Großbaustelle.

AUDIO : Originalton aus der Präsentation zum Fett- und Sandabscheider (Tonqualität nicht gut da nur Hintergrundaufnahme)

Vorklärung

Ein weiteres Becken, in dem verbleibende Schwebanteile abgesondert werden, und welches das so bereinigte Wasser der biologischen Klärung zuführt. Die Schwebanteile aus der Vorklärung werden dem Faulturm zugeführt (siehe weiter unten).

Stufe 2: Biologie

Die Klärung des Wassers durch Mikroorganismen wird auch als Belebtschwammverfahren bezeichnet. [9] Das Grundprinzip besteht darin, dass in einem eigenen Becken dem Wasser aus der mechanischen Klärung (Stufe 1) Sauerstoff und Belebtschlamm zugeführt wird, um damit den Mikroorganismen (im Schlamm) die Möglichkeit zu geben, vorhandene organische Bestandteile zu binden, so dass am Ende nur Wasser und CO2 übrig bleibt, sowie der Belebtschlamm, der teilweise aber wieder zurückgeführt wird, um die Bakterien zu erhalten.

Belebtbecken

Um das Wasser aus der Vorklärung weiter reinigen zu können, gibt es eine hinreichende Menge Schlamm mit Bakterien. Diese benötigen für ihren Prozess hinreichend viel Sauerstoff, der über Rohre in das Becken geleitet wird.

BILD : Belebungsbecken in Schöneck (alte Anlage).

In den letzten 20 Jahren ist kein Fall bekannt geworden, in dem die eingesetzten Bakterien für ihre Aufgabe versagt hätten. Entsprechend den Betriebsanforderungen seitens der Aufsichtsbehörde des Regierungspräsidenten (RP) Darmstadt werden täglich mehrfach Kontrollen vorgenommen, um die Einhaltung wichtiger Größen zu überprüfen. Dazu gibt es ein eigenes Labor, das diese Kontrollen überwacht und dokumentiert. Mehrmals jährlich gibt es auch unangemeldete Kontrollen seitens der Aufsichtsbehörde. Da das Gewerbe in Schöneck und Niederdorfelden keine Betriebe umfasst, die im größeren Stil organische Abfälle erzeugen, ist die Herausforderung an die Bakterien nicht extrem. Dennoch stellt die sich ändernde Zusammensetzung des Wassers (unterschiedliche Regenanteile) und die sich ändernden Temperaturen eine Herausforderung an die Arbeit der Bakterien dar.

Neubau mit SBR Verfahren

Wenn die aktuelle Baustelle im Mai 2025 ihr Ziel erreicht hat, dann soll in Schöneck das bisherige 2-stufige Verfahren von Belebtbecken mit Nachklingbecken durch ein SBR (Sequencing Batch) Verfahren ergänzt werden. Bei einem SBR Reaktor werden zeitlich hintereinander mehrere Prozessphasen ablaufen können, so da dass man auf einem kleinen Raum einen umfassenden Klärungsprozess realisieren kann.

BILD : Vereinfachtes Schaubild der Phasen eines SBR nach [9].

In der Phase 1 (Start) wird hinreichend viel Schlamm mit den Bakterien bereitgestellt. Dazu kommt in Phase 2 (Befüllen) dann das zu reinigenden Wasser. Damit dann die Bakterien arbeiten können, wird in Phase 3 (Belüften) genügend viel Sauerstoff zugeführt, die vorhandene organische — und andere — Stoffe bearbeiten. In Phase 4 (Absetzen) lässt man die Schlammanteile absinken, damit das gereinigte Wasser dann in Phase 5 (Entleeren) entnommen werden kann. Dann beginnt wieder Phase 1.

Nachklärung

In einem runden Nachklärungsbecken (in der aktuellen alten Anlage) werden restliche Schwebstoffe (Schlamm) abgesondert. Das Wasser wird in Gewässer weiter geleitet (hier in die Nidder) und der Schlamm z.T. dem Belebtbecken wieder zugeführt und z.T. dem Faulbehälter.

BILD : Links beispielhaftes Bild vom Ablauf des gereinigten Wassers und rechts ein Originalfoto (Merget) vom Austritt in die Nidder.

Stufe 3: Chemische Reinigung

Die Dimension der chemischen Reinigung lässt sich nicht an einem bestimmten Bauteil festmachen. Sie findet als Teil des gesamten Prozesses statt. Basierend auf den laufenden Labormessungen (und von verschiedenen Sensoren) wird festgelegt, wie viel von sogenannten Fällmitteln über Dosierungspumpen dem Wasser beigegeben werden. Andererseits [9] wird heute auch zunehmend statt mit Fällmitteln mit Biomasse gearbeitet. Übergreifend wir die chemische Reinigung von einem Prozessleitsystem gesteuert. Aktuell bedarf es noch teilweise des Eingriffs durch eine Person. Nach Vollendung des Neubaus soll alles automatisch ablaufen. Die Steuerung der Prozesse wird dann per Software gesteuert, die man nach Bedarf anpassen kann.

Stufe 4 : Spezielle Stoffe

Zu speziellen Stoffen gehören z.B. toxische Verbindungen (PCB, CKW, AOX…), Spurenstoffe, Mikroplastik, Nanopartikel, Antibiotikaresistenzen, PFAS. Für Anlagen ab 100.000 Einwohner ist Stufe 4 schon vorgeschrieben. Für kleinere Anlagen steht dies noch aus.

Schlamm, Faulgas & Energie

Die zuvor schon geschilderte Absonderung von Schlamm wird dazu genutzt, dass bei annähernd Körpertemperatur einerseits aus dem Schlamm Gas gebildet wird, das gesammelt und dann einem Blockheizkraftwerk (BHK) zugeleitet wird. Mit der Leistung des BHK kann etwa 50% der Stromleistung der Anlage erzeugt werden. Für die restlichen 50% ist noch eine Photovoltaik-Anlage geplant. Bedenkt man, dass die Kläranlage mit 516.000 KWh der größte Stromverbraucher der Gemeinde ist, dann bilde diese neue Lösungsstrategie einen weiteren deutlichen Beitrag zur Nachhaltigkeit der Anlage.

Der verbleibende Klärschlamm mit ca. 2000 Tonnen pro Jahr wird weitgehend vom Wetteraukreis übernommen, der seit Jahren ein kreisweites Programm zur Klärschlammentsorgung für seine Kommunen betreibt.

Nachtrag Trinkwasser-Anteil

Mit Blick auf das Schmutzwasser von Privathaushalten und Kleingewerbe ist der Anteil des Trinkwassers am Gesamtverbrauch des Wassers interessant: Im Jahr 2023 machte der Verbrauch von Wasser bei Essen und Trinken 4% aus. [4]

GRAFIK : BDEW https://www.bdew.de/service/daten-und-grafiken/trinkwasserverwendung-im-haushalt/

Mit Blick auf die Gesamtversorgung mit Trinkwasser für Schöneck (und Niederdorfelden) als Teil des Wassernetzes des Main-Kinzig Kreises stellt sich zunehmend die Frage, wie man einer allmählichen Verknappung des Trinkwassers durch bessere Nutzung des Trinkwassers entgegen wirken kann.

Wie das Schaubild zur aktuellen Nutzung des Wassers andeutet und wie die Situation der Regenwassernutzung zeigt, gibt es prinzipiell ein Potential, das verfügbare Wasser besser zu nutzen.

Ein bisschen Statistik

Hier noch einige Zahlen zur Gemeinschaftsanlage Schöneck-Niederdorfelden:

Stromverbrauch516.000,00KW
Hilfsstoffe103,00t
Betriebskosten GKA280.000,00
Betrieb Kanalnetz130.000,00
Kosten Kanalsanierung150.000,00
Jahresabwassermenge (Schmutzwasser + Regen)2.266.225,00
Rechengut21,20t
Sandfanggut18,60t
Fettabscheiderückstände17,00
Klärschlammmenge1.942,40t

Ausblick

Dieser Bericht versteht sich als ein erster Einstieg in die Thematik Abwasser am Beispiel der Kommunen Schöneck-Niederdorfelden.

Dieser Bericht soll im weiteren Verlauf weiter ergänzt und erweitert werden.

Zusätzlich soll auch der Zusammenhang mit der Frage der Wasserverfügbarkeit im MKK thematisiert werden.

Auch soll die Idee eines Besuchs der Kläranlage vor Ort aufgegriffen werden.

Das Kanalnetz in Schöneck zusammen mit der Kläranlage bilden letztlich ein großes und für die Bürger zentrales Projekt der Sicherung unseres alltäglichen Lebens. Dieses sollte im Bewusstsein von uns allen einen festen Ort haben.

QUELLENANGABEN

[1] Zusammenstellung anhand des „Taschenbuch der Wasserwirtschaft“ (TBW) herausgegeben von Kurt Lechner, Hans-Peter Lühr und Ulrich Z.E.Zamke, Springer Verlag, 2021, 10.Aufl., SS.985 – 1013

[2] Nach Statistischem Bundesamt für das Jahr 2019: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Umwelt/Wasserwirtschaft/Tabellen/ww-01-wasserabgabe1991-2019.html . Im Vergleich, laut [4] waren es 2023 nur 121 L pro Person und Tag.

[3] Der Koeffizient 316,7 L(s * ha) wird typischerweise aus einem Tabellenwerk entnommen, das aus langjährigen Mittelwerten und weiteren Größen einen Koeffizienten berechnet. Näheres siehe TBW 1002ff.

[4] Laut Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft für 2023, siehe: https://www.bdew.de/service/daten-und-grafiken/trinkwasserverwendung-im-haushalt/

[5a] DWA: Im Klartext. Abwasser geht jeden an, 5.Aufl. 2018, URL: https://de.dwa.de/files/_media/content/DIVERSES/Flyer/FlippingBook1/Klartext-Abwasser/Klartext-Abwasser/index.html

[5b] Kanalisation, ein erster Überblick — auch zur Geschichte der Kanalisation — findet sich hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Kanalisation Anmerkung: Es ist bemerkenswert, dass es schon vor 1.800 Jahre vor unserer Zeitrechnung schon Siedlungen/ Städte mit kompletten Kanalisationen gegeben hat, ein Wissen, das im westlichen Europa ab frühem Mittelalter wieder verloren gegangen ist und erst ab ca. Mitte des 19.Jahrhunderts ‚wieder entdeckt‘ wurde.

[6] In Schöneck gibt es 26 Entlastungsbauwerke unter der Straße.

[7] Regenwasser, das mit Oberflächen in Berührung kommt, die verschmutzt sind, kann natürlich dennoch eine Anforderung für Klärung von Schadstoffen stellen.

[8] Überblicksartikel zu Kläranlagen generell mit vielen Zusatzartikeln siehe hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Kl%C3%A4ranlage Anmerkung: Es ist interessant, dass die erste Kläranlage auf dem europäischen Festland erst 1889 in Frankfurt am Main in Betrieb genommen wurde.

[9] Belebtschwammverfahren: Siehe für eine erste gute Beschreibung hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Belebtschlammverfahren