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ANFANGEN: Sprache und Strukturen – Die Fiktion eines ‚Seins‘

Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@oksimo.org)

(Letzte Änderung: 6.November 2022 – 27.Februar 2023, 03:40h)

Email: gerd@oksimo.org

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des Buchprojektes „oksimo.R – Editor und Simulator für Theorien“. Man kann diesen Text lesen als Fortsetzung des Textes ‚Die Innenseite der Außenseite. Teil 2‘.

‚Transiente‘ Ereignisse und Sprache

Nachdem wir uns in der biologischen Zell-Galaxie ‚Mensch‘ soweit vorgearbeitet haben, dass wir ihre ‚Strukturiertheit‘ feststellen können (ohne ihre Entstehung und genaues Funktionieren bislang wirklich zu verstehen), und uns selbst als Zell-Galaxie dann doch — dem Augenschein nach — als ‚konkreten Körper‘ vorfinden, der mit der ‚Umgebung des eigenen Körpers‘ (oft auch ‚Außenwelt‘ genannt) zweifach ‚kommunizieren‘ kann: Wir können auf verschiedene Weise ‚Wahrnehmen‘ und wir können auf verschiedene Weise ‚Wirkungen‘ in er Außenwelt hervorbringen.

Für die ‚Koordinierung‘ mit anderen menschlichen Körpern, insbesondere zwischen den ‚Gehirnen‘ in diesen Körpern, scheint die Fähigkeit zu ‚Sprechen-Hören‘ bzw. dann auch zu ‚Schreiben-Lesen‘ von höchster Bedeutung zu sein. Schon als Kinder finden wir uns in Umgebungen vor, in denen Sprache sich ereignet und wir ‚lernen‘ sehr schnell, dass ’sprachliche Ausdrücke‘ sich nicht nur auf ‚Gegenstände‘ und deren ‚Eigenschaften‘ beziehen können, sondern auch auf flüchtige ‚Handlungen‘ (‚Peter steht vom Tisch auf‘) und auch sonstige ‚flüchtige‘ Ereignisse (‚die Sonne geht auf‘; ‚die Ampel wurde gerade rot‘). Es gibt auch sprachliche Ausdrücke, die sich nur partiell auf etwas Wahrnehmbares beziehen wie z.B. ‚der Vater von Hans‘ (der gar nicht im Raum ist), ‚das Essen von gestern‘ (was nicht da ist), ‚ich hasse Dich‘ (‚hassen‘ ist kein Gegenstand), ‚die Summe von 3+5‘ (ohne dass es irgendetwas gibt, was wie ‚3‘ oder ‚5‘ aussieht), und vieles mehr.

Wenn man versucht, diese ‚Phänomene unseres Alltags‘ ‚mehr‘ zu verstehen, kann man auf viele spannende Sachverhalte stoßen, die u.U. mehr Fragen erzeugen als sie Antworten liefern. Alle Phänomene, die ‚Fragen‘ hervorrufen können, dienen eigentlich der ‚Befreiung unseres Denkens‘ von aktuell falschen Bildern. Dennoch sind Fragen wenig beliebt; sie beunruhigen, strengen an, …

Wie kann man diesen vielfältigen Phänomenen näher kommen?

Schauen wir uns einfach einige Ausdrücke der ’normalen Sprache‘ an, die wir in unserem ‚Alltag‘ benutzen.[1] Im Alltag gibt es vielfältige Situationen, in denen wir uns   hinsetzen (Frühstück, Büro, Restaurant, Schule, Uni, Empfangshalle, Bus, U-Bahn, …). In einigen dieser Situationen sprechen wir z.B. von ‚Stühlen‘, in anderen von ‚Sesseln‘, wieder in anderen Situationen von ‚Bänken‘, oder auch einfach von ‚Sitzgelegenheiten‘. Vor einer Veranstaltung fragt vielleicht einer „Gibt es genügend Stühle?“ oder „Haben wir genügend Sessel?“ oder … In der jeweiligen konkreten Situation können es ganz unterschiedliche Gegenstände sein, die z.B. als ‚Stuhl‘ durchgehen würden oder als ‚Sessel‘ oder … Dies deutet darauf hin dass die ‚Ausdrücke der Sprache‘ (die ‚Laute‘, die ‚geschriebenen/ gedruckten Zeichen‘) sich mit ganz unterschiedlichen Dingen verknüpfen können. Es gibt hier keine 1-zu-1 Zuordnung. Bei anderen Gegenständen wie z.B. ‚Tassen‘, ‚Gläsern‘, ‚Tischen‘, ‚Flaschen‘, ‚Tellern‘ usw. ist es nicht anders.

Diese Beispiele deuten darauf hin, dass es hier  eine ‚Struktur‘ zu geben scheint, die sich in den konkreten Beispielen zwar ‚manifestiert‘, selbst aber ‚jenseits der Ereignisse‘ verortet ist.[2]

Versucht man dies ‚gedanklich zu sortieren‘, dann deuten sich hier mindestens zwei, eher drei ‚Dimensionen‘ an, die ineinander spielen:

  1. Es gibt konkrete sprachliche Ausdrücke — jene, die wir als ‚Worte‘ bezeichnen –, die ein ‚Sprecher-Hörer‘ benutzt.
  2. Es gibt unabhängig von den sprachlichen Ausdrücken ‚irgendein Phänomen‘ im Alltag, auf das sich der ‚Sprecher-Hörer‘ mit seinem sprachlichen Ausdruck bezieht (das können ‚Gegenstände‘
    sein, ‚Eigenschaften‘ von Gegenständen, …)[3]
  3. Der jeweilige ‚Sprecher‘ bzw. ‚Hörer‘ hat ‚gelernt‘, zwischen dem ’sprachlichem Ausdruck‘ und dem ‚Anderen  zum sprachlichen Ausdruck‘ eine ‚Beziehung herzustellen‘.

Da wir wissen, dass die gleichen Gegenstände und Ereignisse im Alltag in den ‚verschiedenen Sprachen‘ ganz ‚unterschiedlich benannt‘ werden können, deutet sich an, dass die jeweils von ‚Sprecher-Hörer‘ angenommenen Beziehung nicht ‚angeboren‘ sind, sondern in jeder ‚Sprachgemeinschaft‘ eher ‚beliebig‘ erscheinen.[4] Dies deutet darauf hin, dass die im Alltag vorfindlichen ‚Beziehungen‘ zwischen sprachlichen Ausdrücken und alltäglichen Gegebenheiten von jedem Sprecher-Hörer einzeln ‚gelernt‘ werden müssen, und dies durch direkten Kontakt mit Sprecher-Hörer der jeweiligen Sprachgemeinschaft.

ABSTRAKTE STRUKTUREN

(Letzte Änderungen: 29.Januar 2023)

Körper-Externe Gegebenheiten

Transformtion reale Objekte in wahrgenommene und abstrahierte Objekte plus Bedeutungs-Beziehung
BILD 1: Transformtion reale Objekte in wahrgenommene und abstrahierte Objekte plus Bedeutungs-Beziehung

Die bisherigen Überlegungen lassen die Bildung einer ‚Arbeitshypothese‘  dahingehend zu, dass ein Sprecher-Hörer ‚außerhalb seines Körpers‘ auf einzelne Objekte treffen kann (z.B. einen Gegenstand  ‚Tasse‘, ein Wort  ‚Tasse‘), die als solche keine direkte Beziehung miteinander haben. 

Im Sprecher-Hörer können sich zu den wahrgenommenen konkreten Ereignissen dann ‚abstrakte Konzepte‘ bilden,  die aus den variierenden Vorkommnissen einen ‚gemeinsamen Kern abstrahieren‘, der dann das eigentliche ‚abstrakte Konzept‘ repräsentiert.

Unter Voraussetzung solcher abstrakter Konzepte können sich dann im  Sprecher-Hörer  ‚Bedeutungsbeziehungen‘ derart bilden, dass ein Sprecher ‚lernen‘ kann, die beiden einzelnen Objekte ‚Tasse‘  (als Gegenstand) und ‚Tasse‘ (als gehörtes/ geschriebenes Wort) ‚gedanklich zu verknüpfen‘, und zwar so, dass künftig das Wort ‚Tasse‘ eine Assoziation mit dem Gegenstand ‚Tasse‘ hervorruft und umgekehrt. Diese Bedeutungsbeziehung (Objekt ‚Tasse‘, Wort ‚Tasse‘) basiert auf ’neuronalen Prozessen‘ der Wahrnehmung und des Gedächtnisses. Sie können sich bilden, müssen aber nicht. Wenn solche neuronalen Prozesse verfügbar sind, dann kann der Sprecher-Hörer das kognitive Element ‚Objekt Tasse‘ auch dann aktualisieren, wenn es gar nicht außerhalb des Körpers als reales Objekt vorliegt;  letzteres würde  sich daran zeigen, dass kein ‚Wahrnehmungselement‘ vorliegt, das dem ‚Gedächtniselement‘ Objekt Tasse ‚entspricht‘.

Man kann diese erste Arbeitshypothese erweitern zu zwei ‚weiteren  Arbeitshypothesen‘:

(i) Arbeitshypothese: der Mechanismus der ‚abstrakten Konzeptbildung‘ funktioniert nicht nur unter Voraussetzung von konkreten Wahrnehmungsereignissen, sondern auch unter Voraussetzung von schon vorhandenen abstrakten Konzepten. Wenn ich schon abstrakte Konzepte wie ‚Tisch‘, ‚Stuhl‘, ‚Couch‘ habe, dann kann ich z.B. ein abstraktes Konzept ‚Möbel‘ bilden als ‚Oberbegriff‘ zu den drei zuvor genannten Konzepten. Nennt man abstrakte Konzepte, die sich direkt auf virtuell-konkrete Konzepte beziehen, Level 1-Konzepte, dann könnte man abstrakte Konzepte, die mindestens ein Konzept von Level n voraussetzen, Level n+1 Konzepte nennen. Wie viele Level im Bereich der abstrakten Konzepte von ‚Nutzen‘ sind, ist offen.  Generell gilt, je ‚höher der Level‘ ist, umso schwieriger wird eine Rückbindung an Level-0 Konzepte.

(ii) Arbeitshypothese: der ‚Mechanismus der Bildung von Bedeutungsbeziehungen‘ funktioniert auch mit Bezug auf beliebige abstrakte Konzepte.

Wenn Hans zu Anna sagt: „Unsere Möbel wirken mittlerweile irgendwie abgenutzt“, dann würde die interne Beziehung Möbel := { ‚Tisch‘, ‚Stuhl‘, ‚Couch‘ } vom Konzept Möbel zu den anderen untergeordneten Konzepten führen und Anna wüsste (bei gleichem Sprachverstehen), dass Hans eigentlich sagt: „Unsere Möbel in Gestalt von ‚Tisch‘, ‚Stuhl‘, ‚Couch‘   wirken mittlerweile irgendwie abgenutzt“.

Körper-Interne Gegebenheiten

Signalquellen sowohl von körper-externen Gegebenheiten wie auch von körper-internen Gegebenheiten, die dem Gehirn 'extern' sind
BILD 2: Signalquellen sowohl von körper-externen Gegebenheiten wie auch von körper-internen Gegebenheiten, die beide für das Gehirn ‚extern‘ sind.

Im BILD 1 wurde der Zusammenhang zwischen ‚körper-externen‘ Gegebenheiten und dem empfangenden ‚Gehirn‘ skizziert. Aus Sicht des Gehirns sind aber ‚körper-interne Prozesse‘ (verschiedene Körperorgane, vielfältige ‚Sensoren‘, und mehr) auch ‚extern‘ (siehe BILD 2)! Das Gehirn weiß von diesen körper-internen Gegebenheiten auch nur, insofern ihm entsprechende ‚Signale‘ übermittelt werden. Diese können aufgrund ihres ‚individuellen Eigenschaftsprofils‘ vom Gedächtnis  unterschiedlichen ‚abstrakten Konzepten‘  zugeordnet werden, und damit werden sie auch ‚Kandidaten für eine semantische Beziehung‘. Allerdings nur dann, wenn diese Abstraktionen auf körper-internen Signalereignissen beruhen, die im ‚aktuellen Gedächtnis‘ so repräsentiert werden, dass sie ‚uns‘ ‚bewusst‘ werden. [7]

Der ‚körper-interne Ereignisraum‘, der  im aktuellen Gedächtnis ‚bemerkbar‘ wird setzt sich aus sehr vielen unterschiedlichen Ereignissen zusammen. Neben ‚organ-spezifischen‘ Signalen, die sich bisweilen sogar im Körperinnern einigermaßen ‚lokalisieren‘ lassen (‚mein linker Backenzahn tut weh‘, ‚mein Hals juckt‘, ‚ich bin hungrig‘, usw. ), gibt es sehr viele ‚Stimmungen’/ ‚Gefühle’/ ‚Emotionen‘, die sich schwer bis gar nicht lokalisieren lassen, die aber dennoch ‚bewusst‘ sind, und denen man unterschiedliche ‚Intensitäten‘ zuordnen kann (‚Ich bin sehr traurig‘, ‚Das macht mich wütend‘, ‚Die Lage ist hoffnungslos‘, ‚Ich liebe dich sehr‘, ‚Ich glaube Dir nicht‘, …).

Wenn man solchen ‚körper-internen‘ Eigenschaften ‚Worte zuordnet‘, dann entsteht auch eine ‚Bedeutungsbeziehung‘, allerdings ist es zwischen zwei menschlichen Akteuren dann unterschiedlich schwer bis fast unlösbar, jeweils ‚für sich‘ zu klären, was ‚der andere‘ wohl ‚meint‘, wenn er einen bestimmten sprachlichen Ausdruck benutzt. Bei ‚lokalisierbaren‘ sprachlichen Ausdrücken kann man aufgrund eines  ähnlichen Körperbaus eventuell nachvollziehen, was gemeint ist (‚mein linker Backenzahn tut weh‘, ‚mein Hals juckt‘, ‚ich bin hungrig‘). Bei anderen, nicht-lokalisierbaren sprachlichen Ausdrücken (‚Ich bin sehr traurig‘, ‚Das macht mich wütend‘, ‚Die Lage ist hoffnungslos‘, ‚Ich liebe dich sehr‘, ‚Ich glaube Dir nicht‘, …) wird es schwierig. Oft kann man nur ‚raten‘; falsche Interpretationen sind sehr wahrscheinlich.

Spannend wird es, wenn Sprecher-Hörer in ihren sprachlichen Ausdrücken neben solchen Konzepten, die sich von körper-externen Wahrnehmungsereignissen herleiten, auch solche Konzepte benutzen, die sich  von körper-internen Wahrnehmungsereignissen herleiten. Wenn z.B. jemand sagt „Das rote Auto da drüben, da habe ich kein gutes Gefühl“ oder „Die Leute dort mit ihren Mützen machen mir Angst“ oder „Wenn ich dieses Fischbrötchen sehe, dann krieg ich richtig Appetit“ oder „Ach, diese tolle Luft“, usw.  Solche Aussagen machen wir ständig. Sie manifestieren eine durchgängige ‚Dualität unserer Welterfahrung‘: mit unsrem Körper sind wir ‚in‘ einer externen Körperwelt, die wir spezifisch wahrnehmen können, und zeitgleich erleben wir fragmentarisch das ‚Innere unseres Körpers‘, wie es in der aktuellen Situation reagiert. Man kann es auch so sehen: Unser Körper spricht mittels der ‚körper-internen Signale‘ mit uns darüber, wie er eine aktuelle ‚externe Situation‘ erlebt/ empfindet/ fühlt.

Raumstrukturen

In den Bildern 1+2 werden die Wahrnehmungen und die aktuellen Erinnerungen  ‚einzeln‘ dargestellt. Tatsächlich aber verarbeitet das Gehirn alle Signale der ‚gleichen Zeitscheibe‘ [10] so, als ob sie ‚Elemente eines drei-dimensionalen Raumes‘ wären. Dies hat zur Folge, dass zwischen den Elementen ‚räumliche Beziehungen‘ bestehen, ohne dass die Elemente selbst solche Beziehungen erzeugen können. Im Fall von körper-externen Wahrnehmungen gibt es ein klares ’neben‘, ‚vor‘, ‚unter‘ usw. Im Fall von körper-internen Wahrnehmungen bildet der Körper einen Bezugspunkt, aber der Körper als Bezugspunkt ist unterschiedlich konkret (‚Mein linker Zeh…‘, ‚Ich bin müde‘, ‚Mein Magen knurrt‘, …).

Benutzen die Sprecher-Hörer zusätzlich zu ihrer ’normalen‘ angeborenen Wahrnehmung im Fall von körper-externen Gegebenheiten ‚Messoperationen‘, dann kann man den ‚Gegebenheiten im Raum‘ verschiedene Messwerte zuordnen (Längen, Volumen, Lage in einem Koordinatensystem, usw.).

Im Fall von  ‚körper-internen‘ Gegebenheiten  kann man zwar den Körper selbst samt Prozesseigenschaften ‚messen‘ — was z.B. experimentelle Psychologen und Gehirnforscher oft tun –, aber der Zusammenhang mit den körper-internen Wahrnehmungen ist je nach Art der ‚körper-internen Wahrnehmung‘  entweder nur ‚einigermaßen‘ herstellbar (‚Mein linker Zahn schmerzt‘), oder ‚eher nicht‘ (‚Ich fühle mich heute so matt‘, ‚Gerade schoß mir dieser Gedanke durch den Kopf‘).

Zeit: Jetzt, Vorher, ‚Möglich‘

Aus dem Alltag kennen wir das Phänomen, dass wir ‚Veränderungen‘ wahrnehmen können: ‚Die Ampel geht auf rot‘, ‚Der Motor springt an‘, ‚Die Sonne geht auf‘, … Dies ist uns so selbstverständlich, dass wir kaum darüber nachdenken.

Dieses Konzept von ‚Veränderung‘ setzt ein ‚Jetzt‘ und ein ‚Vorher‘ voraus und die Fähigkeit, ‚Unterschiede‘ zwischen dem ‚Jetzt‘ und dem ‚Vorher‘ ‚erkennen zu können‘.

Als Arbeitshypothese [12] für diese Eigenschaft des Erkennens von ‚Veränderungen werden hier folgende Annahmen getroffen:

  1. Ereignisse als Teil von räumlichen Anordnungen werden als ‚Situationen‘ im ‚potentiellen Gedächtnis‘ hinterlegt, und zwar so, dass ‚aktuelle Wahrnehmungen‘, die sich von ‚hinterlegten (vorher)‘ Situationen unterscheiden, durch unbewusste Vergleichsoperationen ‚auffallen‘: wir merken, ohne es zu wollen, dass die Ampel von Orange auf Grün schaltet. Solche ‚Veränderungen‘ können wir dadurch beschreiben, dass wir den Zustand ‚vorher‘ und ‚jetzt‘ nebeneinander stellen können.
  2. In einem ‚Vergleich‘ im Kontext von ‚Veränderungen‘ benutzen wir ‚abstrakte erinnerte‘ Konzepte in Verbindung mit ‚abstrakten wahrgenommenen‘ Konzepten, z.B. der Zustand der Ampel ‚vorher‘ und ‚jetzt‘.
  3. ‚Aktuelle‘ Wahrnehmungen gehen schnell in ‚erinnerte‘ Wahrnehmungen über (Der Übergang der Ampel von Orange auf Grün ist ‚eben‘ passiert).
  4. Wir können die abstrakten Konzepte erinnerter Wahrnehmungen ‚in einer Folge/ Reihe‘ anordnen‘ derart, dass ein Element in der Reihe als ‚zeitlich‘ vorher‘ zu einem nachfolgenden Element angesehen werden kann oder ‚zeitlich nachher‘. Durch Abbildung in ’sprachliche Ausdrücke‘ kann man diese Sachverhalte ‚mehr explizit‘ machen.
  5. Durch die Verfügbarkeit von ‚zeitlichen Relationen‘ (‚x ist zeitlich  vor y‘, ‚y ist zeitlich nach x‘, ‚y ist zeitgleich mit y‘, …) gewinnt man einen Ausgangspunkt für die Betrachtung von ‚Häufigkeiten‘ in diesen Beziehungen, z.B. „Ist y zeitlich ‚immer‘ nach y“ oder nur ‚manchmal‘? Ist dieses zeitliche Muster ‚zufällig‘ oder irgendwie ’signifikant‘?
  6. Sofern die beobachteten ‚Muster zeitlichen Auftretens‘ ’nicht rein zufällig‘ sind sondern sich hierin signifikante Wahrscheinlichkeiten andeuten, dann kann man auf dieser Basis ‚Hypothesen für solche Situationen‘ formulieren, die ’nicht vergangen und nicht gegenwärtig sind‘, aber im Licht der Wahrscheinlichkeiten als ‚künftig möglich‘ erscheinen.

Zeit: faktisch und analytisch

(Letzte Änderung: 31.Januar 2023)

Die vorausgehenden Überlegungen zur Zeit gehen davon aus, dass das ‚Erkennen von Veränderungen‘ auf einer ‚automatischen Wahrnehmung‘ beruht: dass sich etwas in unserem Wahrnehmungsraum  ‚verändert‘, beruht auf ‚unbewussten neuronalen Prozessen‘, die diese Veränderung ‚automatisch erfassen‘ und ‚automatisch zur Kenntnis‘ bringen, ohne dass wir dies ‚bewusst‘ tun müssten. In allen Sprachen finden sich dazu sprachliche Ausdrücke, die dies reflektieren: ‚fahren‘, ‚wechseln‘, ‚wachsen‘, ‚fliegen‘, ’schmelzen‘, ‚erhitzen‘, ‚altern‘, … Wir können mit einer gewissen ‚Leichtigkeit‘ von Veränderungen Notiz nehmen, mehr aber auch nicht. Es ist das ‚pure Faktum‘ von Veränderung, was sich uns bemerkbar macht; daher die Formulierung ‚faktische Zeit‘.

Wenn wir ‚verstehen‘ wollen, was denn genau passiert bei einer Veränderung, warum, unter welchen  Bedingungen, wie oft, in welchem Zeitraum usw., dann müssen wir uns die Mühe machen, solche Veränderungen genauer zu ‚analysieren‘. Dies bedeutet, wir müssen den ‚gesamten Veränderungsprozess‘ anschauen und versuchen, an ihm so viele ‚einzelne Momente‘ zu identifizieren, dass wir dann — eventuell — Hinweise finden, was genau wie und warum passiert ist.

Solch eine Analyse kann nur gelingen, wenn man folgende Fragen beantworten kann:

  1. Wie kann man die Situation ‚vor‘ der Änderung beschreiben?
  2. Wie kann man die Situation ’nach‘ der Änderung beschreiben?
  3. Worin genau bestehen die ‚Unterschiede‘?
  4. Wie kann man eine Wenn-Dann-Regel formulieren, die besagt, bei welcher ‚Voraussetzung‘ welche ‚Veränderung‘ so angewendet werden sollen, dass sich der gewünschte ’neue Zustand‘ mit allen ‚Veränderungen‘ ergibt?

Beispiel: Ein Passant beobachtet, dass eine Ampel von Orange auf Grün wechselt. Eine (einfache) Analyse könnte wie folgt funktionieren:

Veränderungsregel (einfach):

VORAUSSETZUNGEN

  1. Vorher: Die Ampel ist orange.
  2. Nachher: Die Ampel ist grün.
  3. Unterschied: Die Eigenschaft ‚orange‘ wurde durch die Eigenschaft ‚grün‘ ersetzt.

REGEL-TEXT

Veränderungsregel: Wenn: ‚Eine Ampel ist orange‘. Dann: (i) Entferne ‚Eine Ampel ist orange‘, (ii) Füge hinzu: ‚Eine Ampel ist grün‘

Will man diesen Gedanken vertiefen, dann stößt man schnell auf viele Fragen eine einzelne Veränderungsregel betreffend:

  1. Was an einer ‚Situation vorher‘ ist wichtig? Muss man ‚alles‘ aufschreiben oder nur ‚Teilaspekte‘? Wie bestimmt eine Gruppe von menschlichen Akteuren die ‚Grenze‘ von der Situation zur weiteren Umgebung? Falls nur eine teilweise Beschreibung: wie bestimmt man, was wichtig ist?
  2. Entsprechende Fragen stellen sich auch für die Beschreibung der ‚Situation nachher‘.
  3. Spannend ist auch die Frage nach dem ‚Wenn-Teil‘ der Veränderungs-Regel: Wie viele der Sachverhalte der Situation vorher sind wichtig? Sind alle wichtig oder nur einige? Wenn ich z.B. drei Sachverhalte unterscheiden kann: müssen sie alle ‚gleichzeitig‘ erfüllt sein oder nur ‚alternativ‘?
  4. Interessant ist auch der ‚Zusammenhang‘ zwischen der Situation vorher und nachher: Ist diese beobachtbare Veränderung (i) ‚ganz zufällig‘ oder (ii) kommt diesem Zusammenhang eine ‚gewisse Häufigkeit‘ (ein gewisser ‚Wahrscheinlichkeitswert‘) zu, oder (iii) tritt dieser Zusammenhang ‚immer‘ auf?

Schaut man sich mit diesen Fragen im Hinterkopf konkrete Beispiele der normalen Sprache zur ‚faktischen Zeit‘ an, dann kann man gut erkennen, wie ‚minimalistisch‘ Veränderung im Alltag sprachlich praktiziert wird:

  1. Peter geht nach oben.
  2. Kommst Du?
  3. Er trank das Glas aus.
  4. Sie öffnete die Tür.
  5. Wir aßen schweigend.

Alle diese Ausdrücke (1) – (5) thematisieren nur knapp die Art der Veränderung, deuten beteiligte Personen und Gegenstände an, und lassen den Raum, in dem dies geschieht, unerwähnt. Die genaue Zeitdauer wird auch nicht explizit angegeben. Die Sprecher-Hörer in diesen Situationen setzen offensichtlich voraus, dass jeder aufgrund der sprachlichen Äußerungen ’sich selbst die zugehörige Bedeutung erschließen‘ kann, einmal durch das ‚allgemeine Sprachwissen‘, zum anderen durch das ‚konkrete Involviert‘ sein in der jeweiligen konkreten Situation.

Einen ganz anderen Aspekt liefert im Fall einer ‚analytischen Zeit‘ die Frage nach der ‚Beschreibung selbst‘, der ‚Regel-Text‘:

Veränderungsregel: Wenn: ‚Eine Ampel ist orange‘. Dann: (i) Entferne ‚Eine Ampel ist orange‘, (ii) Füge hinzu: ‚Eine Ampel ist grün‘

Dieser Text enthält sprachliche Ausdrücke ‚Eine Ampel ist orange‘ sowie ‚Eine Ampel ist grün‘. Diese sprachlichen Ausdrücke haben in der normalen Sprache meistens eine bestimmte ’sprachliche Bedeutung‘, die sich in diesem Fall auf ‚Erinnerungen‘ beziehen, die aufgrund von ‚Wahrnehmungen‘ gebildet worden sind. Es geht um das abstrakte Objekt ‚Ampel‘, dem die abstrakten Eigenschaften ‚orange‘ bzw. ‚grün‘ zu- bzw. abgesprochen werden. Normalerweise haben Sprecher-Hörer des Deutschen gelernt, diese abstrakten Bedeutung anlässlich einer ‚konkreten Wahrnehmung‘ auf solche konkreten Gegebenheiten (reale Ampeln) zu beziehen, die sie im Rahmen ihres Sprach-Lernens als ‚zugehörig‘ gelernt haben. Ohne eine aktuelle konkrete Wahrnehmung handelt es sich nur um abstrakte Bedeutungen mittels abstrakter Erinnerungen, deren ‚Wirklichkeitsbezug‘ nur ‚potentiell‘ ist. Erst beim Auftreten einer konkreten Wahrnehmung mit den ‚passenden Eigenschaften‘ wird aus der ‚potentiellen‘ Bedeutung eine ‚real gegebene‘ (empirische) Bedeutung.

Der Text einer Veränderungs-Regel beschreibt also abstrakt einen möglichen Übergang von einer abstrakt geschilderten Situation zu einer abstrakt möglichen anderen Situation. Ob aus dieser abstrakten Möglichkeit jemals eine konkrete reale Bedeutung wird, ist offen. Die Verdichtung von ‚mehrmaligen Ereignissen‘ gleicher Art in der Vergangenheit (gespeichert als Erinnerung) im Konzept der ‚Häufigkeit‘ oder dann im Konzept einer ‚Wahrscheinlichkeit‘ kann zwar die ‚Erwartung eines Akteurs‘ dahingehend beeinflussen, dass er in seinem Verhalten ‚berücksichtigt‘, dass die Veränderung eintreten kann, wenn er die ‚auslösende Situation‘ wieder ‚herstellt‘, aber eine vollständige Sicherheit dafür gäbe es nur dann, wenn die beschriebene Veränderung auf einem vollständig deterministischen Zusammenhang beruhen würde.

Was in dieser einfachen Betrachtung nicht vorkommt, das ist der zeitlichen Aspekt: ob eine Veränderung sich im Millisekunden Bereich abspielt oder in Stunden, Tagen, Monaten Jahren, das markiert gewaltige Unterschiede.

Desgleichen die Bezugnahme auf einen Raum: Wo findet der statt? Wie?

Arbeitshypothese KONTEXT

Sprachlich Beschreibungen von Veränderungen geschehen als ‚abstrakte Formulierungen‘ und setzen in der Regel folgendes voraus:

  1. Ein gemeinsames sprachliches Bedeutungswissen in den Köpfen der Beteiligten.
  2. Eine Kenntnis der räumlichen Situation, in der die Veränderung stattfindet.
  3. Eine Kenntnis der beteiligten Personen und Gegenstände.
  4. Eine Kenntnis der zeitlichen Dimension.
  5. Optional: Eine Kenntnis von erfahrungsbasierter Wahrscheinlichkeit.

Veränderungs-Beschreibungen, die abstrakt abgefasst sind, müssen — je nach Fall und Anforderung — die Kontext-Aspekte (1) – (5) explizit machen, um ‚verständlich‘ sein zu können.

Die Forderung nach ‚Verständlichkeit‘ ist aber prinzipiell ‚vage‘, da die jeweiligen Kontexte beliebig komplex und beliebig unterschiedlich sein können.

ABSTRAKTE STRUKTUREN II = DENKEN

(Letzte Änderung: 31.Januar 2023, 19:15h)

Die bisher eingeführten abstrakten Elemente sind zwar noch wenige, aber sie erlauben schon jetzt, einen gewissen ‚abstrakten Raum‘ abzustecken. So gibt es bislang

  1. Abstrakte Elemente im aktuellen Gedächtnis (auch ‚Bewusstsein‘) auf der Basis von konkreter Wahrnehmung,
  2. die dann übergehen können in gespeicherte abstrakte — und dynamische — Elemente des potentiellen Gedächtnisses,
  3. weiterhin abstrakte Konzepte n-ter Ordnung im aktuellen wie auch im potentiellen Gedächtnis,
  4. Abstrakte Elemente im aktuellen Gedächtnis (auch ‚Bewusstsein‘) auf der Basis von konkreter Wahrnehmung, die als sprachliche Elemente fungieren,
  5. die dann ebenfalls übergehen können in gespeicherte abstrakte — und dynamische — Elemente des potentiellen (Sprach-)Gedächtnisses,
  6. ebenso abstrakte sprachlicher Konzepte n-ter Ordnung im aktuellen wie auch im potentiellen Gedächtnis,
  7. abstrakte Beziehungen zwischen abstrakten sprachlichen Elementen und abstrakten anderen Elementen des aktuellen wie potentiellen Gedächtnisses.
  8. sprachliche Ausdrücke für die Beschreibung von faktischen Veränderungen und
  9. sprachliche Ausdrücke für die Beschreibung von analytischen Veränderungen.

Die Generierung von abstrakten sprachlichen Elementen erlaubt also auf vielfache Weise die Beschreibung von Veränderungen von etwas Gegebenem, das (i) entweder als ‚bedingungsloses‘ Geschehen nur ‚geschildert‘ wird oder aber (ii) mit ‚Veränderungs-Regeln‘ arbeitet, die klar zwischen ‚Bedingung‘ und ‚Wirkung‘ unterscheidet. Dieser zweite Fall mit Veränderungsregeln lässt sich mit vielen Spielarten von ‚logischen Folgerungen‘ in Beziehung setzen. Tatsächlich kann man jede bekannte Form von ‚Logik‘ mit diesem allgemeinen Konzept von Veränderungsregeln ‚emulieren‘.

Diese hier nur angedeutete Idee wird im weiteren Verlauf etwas genauer untersucht und in verschiedenen Anwendungen demonstriert werden.

SEIN: ‚Fiktiv (Virtuell)‘ und ‚Real‘

(Letzte Änderung: 27.Februar 2023, 03:40h)

Schon diese wenigen Überlegungen lassen erkennen, dass es unterschiedliche Formen von ‚Sein‘ gibt.[5]

Im Schema von BILD 1 gibt es jene Gegebenheiten in der realen Außenwelt, die zum Auslöser von Wahrnehmungen werden können. Unser Gehirn kann diese ‚realen Gegebenheiten‘ aber nicht direkt erkennen, nur ihre ‚Wirkungen im Nervensystem‘: zuerst (i) als ‚Wahrnehmungsereignis‘, dann (ii) als ‚Gedächtniskonstrukt‘ unterschieden nach (ii.1) ‚aktuellem Gedächtnis (Arbeitsgedächtnis, Kurzzeitgedächtnis, …) und (ii.2) ‚potentiellem Gedächtnis‘ (Langzeitgedächtnis, verschiedene funktionelle Klassifikationen, ..).[6]

Nennt man die ‚Inhalte‘ von Wahrnehmung und aktuellem Gedächtnis ‚bewusst‘ [7], dann wäre die primäre Form von ‚Sein‘, deren wir direkt habhaft werden können, jene ‚bewussten Inhalte‘, die unser Gehirn uns aus all seinen neuronalen Berechnungen ‚aufbereitet präsentiert‘. Unsere ‚aktuelle Wahrnemungen‘ stehen dann für die ‚Realität da draußen‘, obgleich wir tatsächlich ‚die Realität da draußen‘ nicht ‚direkt, unmittelbar‘ erfassen können, sondern nur ‚vermittelt, indirekt‘.

Sofern wir uns ‚aktueller Inhalte‘ ‚bewusst‘ sind, die das ‚potentielle Gedächtnis‘ uns ‚zur Verfügung‘ stellt (im Alltag meist  ‚erinnern‘ genannt; im Ergebnis eine ‚Erinnerung‘),  haben wir auch eine Form von ‚primärem Sein‘ zur Verfügung, dieses primäre Sein muss aber aktuell keine Entsprechung in der Wahrnehmung haben; daher klassifizieren wir es als  ’nur erinnert‘ oder ’nur gedacht‘ oder ‚abstrakt‘ ohne ‚konkreten‘ Wahrnehmungsbezug.

Für die Frage der inhaltlichen Übereinstimmung zwischen ‚realer Gegebenheit‘ und ‚wahrgenommener Gegebenheit‘ sowie zwischen ‚wahrgenommener Gegebenheit‘ und ‚erinnerter Gegebenheit‘ gibt es zahllose Erkenntnisse, die allesamt darauf hindeuten, dass diese beiden Beziehungen unter dem Aspekt der ‚Abbildungsähnlichkeit‘ keine ‚1-zu-1‘ Abbildungen darstellen. Dies hat vielfache Ursachen.

Im Fall der Wahrnehmungsähnlichkeit mit den auslösenden realen Gegebenheiten spielt schon die Interaktion zwischen realer Gegebenheit und den jeweiligen Sinnesorganen eine Rolle, dann die Verarbeitung der primären Sinnesdaten durch das Sinnesorgan selbst sowie durch das nachfolgende Nervensystem. Das Gehirn arbeitet mit ‚Zeitscheiben‘, mit ‚Selektion/ Verdichtung‘ und mit ‚Interpretation‘. Letztere resultiert aus dem ‚Echo‘ aus dem potentiellen Gedächtnis, das aktuelle neuronale Ereignisse ‚kommentiert‘. Zusätzlich können unterschiedliche ‚Emotionen‘ den Wahrnehmungsprozess beeinflussen. [8]  Das ‚finale‘ Produkt aus Übertragung, Verarbeitung, Selektion, Interpretation und Emotionen  ist dann das, was wir als ‚Wahrnehmungsinhalt‘ bezeichnen.[6]

Im Fall der ‚Erinnerungs-Ähnlichkeit‘ deuten die Verarbeitungsprozesse des ‚Abstrahierens‘ und ‚Speicherns‘, der kontinuierlichen ‚Aktivierungen‘ von Gedächtnisinhalten sowie der ‚Wechselwirkungen‘ zwischen Erinnertem darauf hin, dass sich ‚Gedächtnisinhalte‘ im Laufe der Zeit deutlich verändern können, ohne dass der betreffende Mensch, der gerade erinnert, dies am Gedächtnisinhalt selbst  ablesen kann. Um diese Veränderungen erkennen zu können braucht man ‚Aufzeichnungen‘ von vorausgehenden Zeitpunkten (Fotos, Filme, Protokolle, …), die Anhaltspunkte für die realen Gegebenheiten liefern können, mit denen man seine Erinnerungen vergleichen kann.[9]

Wie man aus diesen Überlegungen erkennen kann, ist die Frage nach dem ‚Sein‘ keine triviale Frage. Einzelne Fragmente von Wahrnehmungen oder Erinnerungen sind tendenziell keine 1-zu-1 ‚Repräsentanten‘ möglicher realen Gegebenheiten. Dazu kommt die hohe ‚Veränderungsrate‘ der realen Welt, nicht zuletzt auch durch die Aktivitäten des Menschen selbst.

KOMMENTARE

wkp := Wikipedia

[1] Statt von ’normaler Sprache‘ im ‚Alltag‘ spreche ich hier auch einfach von ‚Alltagssprache‘

[2] Ein Denker, der sich mit diesem Phänomen des ‚alltäglich Konkretem‘ und gleichzeitig doch auch ‚alltäglich — irgendwie — Abstraktem‘ beschäftigt hat, ist Ludwig Wittgenstein (siehe [2a,b]). Er führte dazu den Begriff des ‚Sprachspiels‘ ein, ohne dass er im eigentlichen Sinne zu all diesen Überlegungen eine eigentliche ‚(empirische) Theorie‘ einführte.

[2b] Wittgenstein, L.; Tractatus Logico-Philosophicus, 1921/1922 /* Während des Ersten Weltkriegs geschrieben, wurde das Werk 1918 vollendet. Es erschien mit Unterstützung von Bertrand Russell zunächst 1921 in Wilhelm Ostwalds Annalen der Naturphilosophie. Diese von Wittgenstein nicht gegengelesene Fassung enthielt grobe Fehler. Eine korrigierte, zweisprachige Ausgabe (deutsch/englisch) erschien 1922 bei Kegan Paul, Trench, Trubner und Co. in London und gilt als die offizielle Fassung. Die englische Übersetzung stammte von C. K. Ogden und Frank Ramsey. Siehe einführend Wikipedia-DE: https://de.wikipedia.org/wiki/Tractatus logicophilosophicus*/

[2c] Wittgenstein, L.; Philosophische Untersuchungen,1936-1946, publiziert 1953 /* Die Philosophischen Untersuchungen sind Ludwig Wittgensteins spätes, zweites Hauptwerk. Es übten einen außerordentlichen Einfluss auf die Philosophie der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts aus; zu erwähnen ist die Sprechakttheorie von Austin und Searle sowie der Erlanger Konstruktivismus (Paul Lorenzen, Kuno Lorenz). Das Buch richtet sich gegen das Ideal einer logik-orientierten Sprache, die neben Russell und Carnap Wittgenstein selbst in seinem ersten Hauptwerk vertreten hatte. Das Buch ist in den Jahren 1936-1946 entstanden, wurde aber erst 1953, nach dem Tod des Autors, veröffentlicht. Siehe einführend Wikipedia-DE: https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophische Untersuchungen*/

[3] Im Grenzfall sind diese ‚anderen‘ Phänomene des Alltags auch sprachliche Ausdrücke (wenn man ‚über‘ einen Text oder sprachliche Äußerungen‘ spricht).

[4] wkp [DE]: Sprachfamilien der Welt, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Sprachfamilien_der_Welt . Anmerkung: Aufgrund von ‚räumlicher Nähe‘ oder zeitlichem Zusammenhang (oder beidem) kann es unterschiedlich viele Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Sprache geben.

[5] Das Wort ‚Sein‘ ist eines der ältesten und beliebtesten Konzepte in der Philosophie. Im Fall der europäischen Philosophie tritt das Konzept ‚Sein‘ im Kontext der klassischen Griechischen Philosophie auf, und verbreitet sich durch die Jahrhunderte und Jahrtausende in ganz Europa und dann in jenen Kulturen, die mit der Europäischen Kultur einen gedanklichen Austausch hatten/ haben. Die systematische Beschäftigung mit dem Konzept ‚Sein‘ nannten und nennen  die Philosophen ‚Ontologie‘. Siehe dazu überblicksmäßig den Artikel ‚Ontologie‘ in der Deutschen Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Ontologie

[6] Zum Thema ‚Wahrnehmung‘ und ‚Gedächtnis‘ gibt es eine riesige Literatur in verschiedenen empirischen Disziplinen. Die wichtigsten dürfen wohl die ‚Biologie‘, die ‚experimentelle Pschologie‘ und die ‚Gehirnwissenschaften‘ sein; diese ergänzt um die philosophische ‚Phänomenologie‘, und dann Kombinationen von diesen wie z.B. ‚Neuro-Psychologie‘ oder ‚Neuro-Phänomenologie‘ usw. Dazu gibt es unzählige weitere spezielle Disziplinen wie z.B. die ‚Linguistik‘ und die ‚Neuro-Linguistik‘.

[7] Eine weiterhin offene Frage ist, wie das im Alltag geläufige Konzept ‚Bewusstsein‘ in diesem Kontext einzuordnen ist. Wie auch der Begriff ‚Sein‘ war und ist der  Begriff ‚Bewusstsein‘  in der neueren Europäischen Philosophie  sehr prominent, hat aber auch starke Beachtung in vielen empirischen Disziplinen gefunden;  besonders im Spannungsfeld von philosophischer Phänomenologie, Psychologie und Gehirnforschung gibt es eine lange und intensive Debatte darüber, was man denn jetzt unter ‚Bewusstsein‘ verstehen soll. Aktuell (2023) gibt es kein klares, allseits akzeptiertes Ergebnis dieser Diskussionen.  Von den vielen verfügbaren Arbeitshypothesen erscheint dem Autor dieses Textes die Anknüpfung an die empirischen Modelle zum ‚aktuellem Gedächtnis‘ in enger Verknüpfung mit den Modellen zur ‚Wahrnehmung‘ bislang am ehesten nachvollziehbar. In diesem Kontext wäre auch das Konzept des ‚Unbewussten‘ einfach erklärbar. Für einen Überblick siehe den Eintrag ‚Bewusstsein‘ in der Deutschen Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Bewusstsein

[8] Im Alltag erleben wir ständig, dass verschiedene Menschen die gleichen realen Ereignisse unterschiedlich wahrnehmen, je nachdem in welcher ‚Stimmung‘ sie sich befinden, welche aktuellen Bedürfnisse sie gerade haben, über welches ‚Vor-Wissen‘ sie verfügen, und wie ihre reale Position zur realen Gegebenheit beschaffen ist, um nur einige Faktoren zu bennen, die eine Rolle spielen können.

[9] Klassische Beispiele für die mangelnde Qualität von Erinnerungen bilden seit jeher ‚Zeugenaussagen‘ zu bestimmten Vorgängen.  Zeugenaussagen stimmen fast nie ‚1-zu-1′ überein, bestenfalls ’strukturell‘, und selbst darin kann es ‚Abweichungen‘ unterschiedlicher Stärke geben.

[10] Die Erkenntnis über die ‚Zeitscheiben‘ bei der Verarbeitung von  körper-externen Gegebenheiten findet sich in vielen Arbeiten der experimentellen Psychologie und der Gehirnforschung. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel, wie dieser Faktor sich im Verhalten des Menschen auswirkt, bietet das Buch von Card, Moran und Newell (1983), siehe [11].

[11] Stuart K.Card, Thomas P.Moran, Allen Newell, (1983),The Psychology of Human-Computer Interaction, CRC-Press (Taylor & Francis Group), Boca Raton – London – New York. Anmerkung: Aus Sicht des Autors dieses Textes war  dieses Buch ein Meilenstein in der Entwicklung der Disziplin  der  Mensch-Maschine Interaktion. 

[12] Zur Frage des Gedächtnisses, speziell zur Frage der Mechanismen, die für die Speicherung von Inhalten und deren weitere Verarbeitung (z.B. auch ‚Vergleiche‘) zuständig sind, gibt es viel Literatur, aber noch keine endgültige Klarheit. Es wird hier wieder der Weg einer ‚hypothetischen Strukturbildung‘ gewählt: explizite Annahme einer Struktur, die die verfügbaren Phänomene ‚einigermaßen erklärt‘ bei Offenheit für weitere Modifikationen.

TEMPORÄRE VERDICHTUNG VON ZIELORIENTIERTER DIVERSER GEMEINSAMKEIT

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
24.Aug 2021 – 25.Aug 2021
URL: oksimo.org
Email: info@oksimo.org

Gerd Doeben-Henisch (gerd@oksimo.org)

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des Themas OKSIMO WELTMODELL im oksimo.org Blog.

TEMPORÄRE VERDICHTUNG VON ZIELORIENTIERTER DIVERSER GEMEINSAMKEIT

Zusammenfassung

In diesem Beitrag wird zunächst der gesellschaftliche Anwendungskontext von oksimo umrissen. Dann folgt eine Charakterisierung des möglichen Outputs eines oksimo Kommunikationsprozesses: letztlich generiert ein oksimo Kommunikationsprozess ‚by design‘ eine empirische Theorie, die man simulieren (=testen), spielen und evaluieren kann. Durch die freie Wahl an Zielen, Abstraktionen und Konkretheiten bietet sich ein oksimo Kommunikationsprozess als ideales Werkzeug für eine experimentelle Zukunftsgestaltung an.

Vorbemerkung

Da das oksimo Projekt recht komplex ist, wundert es nicht, dass trotz all der schon geschriebenen Texte und der vielen Bilder und Videos immer wieder noch Fragen aufkommen, was denn oksimo genau ist. Bei der Vielzahl von Perspektiven kann es nicht nur eine Antwort geben, deswegen sei hier eine neue Antwort hinzugefügt, deren Gedanken sich unterschiedlichen Gesprächen verdanken.[1]

Forschungsprozesse/ Planungsprozesse

Typische Grundelemente von Planungsprozessen sind im Bild 1 angedeutet: ausgehend von einem Problem muss ein mögliches Ziel ermittelt werden, und dann muss ein Weg gefunden werden, auf dem es innerhalb gesetzter Eckwerte möglich ist, das Ziel real einzulösen.

BILD 1: Grundelemente eines Planungsprozesses

Ist die Bestimmung eines Zieles zu einer gegebenen Ausgangslage bzw. eines Weges eher Neuland, hat der ganze Prozess eher den Charakter von Forschung. Existieren schon praktisch verwertbare Erkenntnisse, hat das Ganze eher den Charakter eines normalen Planungsprozesses.

Ein eingeschränkte Blick nur auf den Planungsprozess kann dazu führen, dass man leicht übersieht, in welchem Umfeld solche Planungs- bzw. Forschungsprozesse stattfinden.

BILD 2: Im Netzwerk der vielen Weltbilder

Wie Bild 2 andeutet, reden wir zwar gerne von der realen Welt, vom realen Alltag, aber die wichtigsten Akteure des Alltags, wir Menschen, erleben den Alltag nur im Medium unserer Gehirnzustände, die zu jedem Zeitpunkt ein bestimmtes individuelles mentales Bild der Welt um uns herum zur Verfügung haben, hervorgegangen aus einer individuellen Lerngeschichte. Und schaut man sich die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen an, dann hat jede von diesen ihr fachspezifisches Weltbild. Wie die Alltagserfahrung lehrt, ist eine Kommunikation zwischen oder über den verschiedenen Disziplinen eher schwierig wenn nicht gar weitgehend unmöglich. Zusätzlich gibt es im Alltag eine Vielzahl von gesellschaftlichen Institutionen (Ämter, Behörden, Kommunen, Landkreise, Bundesländer, …, Gerichte, Krankenhäuser, Pflegeheime, Bildungseinrichtungen, … Vereine, Firmen, …), wobei jede einzelne durch eine Vielzahl von Regeln definiert ist, die sich zudem in vielfältigen Rollen verdichten. Jede Institution repräsentiert eine bestimmte Form von sich selbst erschaffender Realität die sich wiederum in den mentalen Modellen der Beteiligten widerspiegeln.

Wenn also Menschen zusammen kommen, um Probleme in Lösungen zu überführen, Probleme zu erforschen oder Lösungen zu planen, dann bringen sie alle diese individuellen und fachspezifischen Weltbilder mit, dazu noch — je nach Zugehörigkeit zu einer Institution — spezifische Rollenmuster aus eben diesen Institutionen. Die tägliche Praxis des Planens und Forschens zeigt, dass bei Zunahme der Vielfalt (Diversität) ein Prozess an seiner Vielfalt ersticken kann.

BILD 3: Der oksimo Prozess als temporäre Verdichtung von zielorientierter diverser Gemeinsamkeit

Bild 3 deutet an, wo und wie sich ein durch die oksimo Software gestützter Handlungsraum in diesem Geflecht einordnen kann und sollte. Hier einige Punkte:

  1. Damit die Barriere für eine gemeinsame Kommunikation möglichst niedrig ist, sollte eine gemeinsame Sprache benutzt werden. Mit oksimo kann man die normale Sprache benutzen. Da oksimo nahezu jede normale Sprache erlaubt [2], können also Menschen aller Nationen direkt miteinander sprechen. Jede normale Sprache kann durch fachsprachliche Ausdrücke erweitert werden, z.B. auch durch Zahlausdrücke und Formeln. Diese Erweiterungen sind prinzipiell auch innerhalb von oksimo möglich, brauchen aber zusätzliche Entwicklungszeit.
  2. Damit die reale Vielfalt von Meinungen möglichst weitgehend in einen oksimo Diskurs Eingang finden kann, ist jeder Teilnehmer an einem oksimo Diskurs gleichberechtigt.
  3. Da ein wirkliches Vertrauen in einer Gruppe nur entstehen kann, wenn es völlige Transparenz gibt, sind alle Informationen einer Kommunikation allen Beteiligten zugänglich.
  4. Damit die gemeinsame Entwicklung einer Idee von möglichst wenig Strukturen behindert wird, kann das aktuelle Ergebnis der Kommunikation im Prozess an jeder Stelle und zu jedem Zeitpunkt getestet (= simuliert), gespielt und geändert werden. Im Spielmodus heißt dies, dass ein Teilnehmer während des Spielens beantragen kann, eine bestehende ‚Regel‘ zu ändern. Wird dies übernommen, spielen alle mit der veränderten ‚Regel‘ weiter, wenn nicht, dann können ab diesem Zeitpunkt zwei Gruppen weiter spielen: jede Gruppe testet dann die jeweilige Variante aus. Selbst Teile des anfänglichen Ziels (der Vision) können sich kontextabhängig ändern.
  5. Sofern innerhalb des Kommunikationsprozesses ein Problemraum hinreichend definiert ist, kann man zur weiteren Erkundung beliebige intelligente Algorithmen einsetzen. Ihre genaue interne Funktionsweise spielt keine Rolle. Sie werden über ihr Verhalten evaluiert.

Mögliche Ergebnisse einer oksimo Kommunikation

Die bisherige Beschreibung schildert die Rahmenbedingungen und die Form einer oksimo Kommunikation. Das eigentliche Ziel einer solchen Kommunikation ist aber letztlich ein Text, der einen Prozess beschreibt, mit dem man von einer gegebenen Situation zu einer zukünftigen Situation kommen kann. oksimo verwandelt den primären Text, der als Drehbuch eingegeben wird, in folgende Elemente:

  1. Eine Reihe von Texten, die zusammen eine Ausgangssituation beschreiben.
  2. Eine Reihe von Texten, die zusammen ein gewünschtes Ziel (Vision) beschreiben.
  3. Eine Menge von Veränderungsregeln, die für eine bestimmte aktuelle Situation festlegen, in welchem Sinne diese aktuelle Situation in eine Nachfolgesituation abgeändert werden soll.

oksimo produziert Theorien

Wenn man nun berücksichtigt, dass der Kern des oksimo Programms ein Simulator ist, der für eine gegebene aktuelle Situation prüfen kann, welche der verfügbaren Veränderungsregeln auf diese anwendbar sind, um eine Nachfolgesituation zu erzeugen, dann wird klar, dass das oksimo Programm letztlich die minimale Struktur einer Theorie bereitstellt:

< Ausgangslage [S0] Ziel [V0], Regeln [R], Simulator [Σ]>

Der Simulator funktioniert in diesem Kontext als ein Folgerungsbegriff, der festlegt, welche Ergebnisse bei einer bestimmten Vorgabe möglich sind. Drei Haupttypen werden unterschieden:

(0) S,V ⊩ ∑ R V‘

(1) S ⊩ ∑ R S‘

(2) S ⊩ ∑ V %Goal

Im Fall (0) kann der Simulator Σ nach vorgegebenen Veränderungsregeln R aus einer gegebenen Situation S und einem gegebenen Ziel V das Ziel V in ein abgeändertes Ziel V‘ verändern.

Im Fall (1) kann der Simulator Σ nach vorgegebenen Veränderungsregeln R aus einer gegebenen Situation S eine neue, abgeänderte Situation S‘ generieren.

Im Fall (2) kann der Simulator Σ mit einem vorgegebenen Ziel V für eine gegebenen Situation S berechnen, zu wie viel % das gegebene Ziel in der aktuellen Situation enthalten ist.

Eine Anfangssituation S0 mit Regeln R kann man dann als einen Theoriekern verstehen, und der Folgerungsmechanismus im Format des Simulators Σ generiert aus diesem Theoriekern <S0, R > eine — möglicherweise endlich unendliche — Menge von möglichen Nachfolgesituationen. Ein Teil von diesen Nachfolgesituation enthält das formulierte Ziel nicht, andere mehr oder weniger stark.

Auf der Ebene der Ausdrücke alleine entspricht dieses Schema einer normalen formalen Theorie mit Folgerungsbegriff. Innerhalb dieses Schemas könnte man die bekannte formale Logik simulieren.

Bedeutung: empirisch – abstrakt

Dadurch, dass die Ausdrücke aber Ausdrücke einer normalen Sprache L sind und die Teilnehmer an einer oksimo Kommunikation Menschen sind, die jeweils individuell und doch auch bis zu einem gewissen Grad gemeinsam in ihren Gehirnen eine Bedeutungsfunktion [μ] zur Sprache L gelernt haben, können die Teilnehmer der oksimo Kommunikation in jedem einzelnen Fall feststellen, ob sie den formalen Ausdrücken mit Hilfe ihres Bedeutungswissens im Lichte der Bedeutungsfunktion μ eine Bedeutung zuordnen können. Hier kann man grob folgende Fälle unterscheiden:

  1. Die verstandene Bedeutung hat hinreichende Korrespondenzen in der aktuellen gemeinsamen beobachtbaren Körperwelt des Alltags, so dass sich alle Kommunikationsteilnehmer darüber verständigen können, ob ein bestimmter empirischer Sachverhalt aktuell (jetzt) ‚zutrifft‚ (‚wahr ist‚) oder nicht.
  2. Eine verstandene Bedeutung muss aber keine hinreichende Korrespondenzen in der aktuellen gemeinsamen beobachtbaren Körperwelt des Alltags haben. (Wenn z.B. gesagt wird, dass hinter der weißen Tür ein roter Tisch steht, oder dass morgen Bill ankommen wird oder …). Aufgrund des Alltagswissen nehmen die meisten dann an, dass es so sein könnte.
  3. Eine verstandene Bedeutung ohne eine hinreichende Korrespondenzen in der aktuellen gemeinsamen beobachtbaren Körperwelt des Alltags kann aber beliebig abstrakt sein, so dass die Frage, ob eine denkbare Bedeutung irgendwie Sinn macht, also unter bestimmten zukünftigen Bedingungen doch empirisch real werden könnte, in vielen Fällen nur schwer oder gar nicht beantwortbar ist. Trotzdem können selbst solche aktuell nicht entscheidbaren Bedeutungen unter veränderten Bedingungen plötzlich doch ’sinnvoll‘ werden.
  4. Ein spezieller Fall von Abstraktheit liegt vor, wenn Ausdrücke eingeführt werden, deren Bedeutung nicht selbst empirisch ist, sondern Bezug nimmt auf andere Ausdrücke, deren Bedeutung eine empirische Bedeutung haben können. Solche Beziehungen zwischen Ausdrücken können beliebig lang sein: ‚Spielsteine -> Schach -> weiße Dame‘ oder ‚Holz -> Figuren -> Spielsteine -> Schach -> weiße Dame‘ usw. Bezeichnet man Ausdrücke mit einer direkt zuordenbaren empirischen Bedeutung als zur Abstraktheitsstufe 0 gehörig, dann würden die Abstraktheitsstufen immer höher werden, je weiter ‚entfernt‘ ein Ausdruck in solch einer Zuordnungskette von einem Ausdruck aus Abstraktheitsstufe 0 ist.

Wege in die Zukunft

Das, was wir ‚Zukunft‘ nennen, existiert bekanntlich nicht als ein ’normales Objekt‘; Zukunft existiert überhaupt nicht. Unser Denken kennt nur stark modifizierte Bilder von Fragmenten aus dem, was wir ‚Vergangenheit‘ nennen und stark modifizierte Bilder von dem, was wir ‚Gegenwart‘ nennen. Aus diesen Quellen kann das, was wir ‚Denken‘ nennen, neuartige Bilder generieren, von denen wir entscheiden müssen, was wir davon halten: ‚Völlig unsinnig‘? ‚Vielleicht möglich?‘ ‚Ziemlich wahrscheinlich!’… Aufgrund von empirischen Erkenntnissen haben wir eine Menge von ‚Regelhaftigkeiten‘ im Kontext der empirischen Welt identifiziert, denen wir eine hohe Wahrscheinlichkeit zuordnen, und mittels deren wir sowohl den möglichen Prozessverlauf der Erde oder des Universums seit einem theoretisch vermuteten Anfangszeitpunkt als auch hin zu einem in die Zukunft reichenden theoretisch vermuteten Entwicklungspunkt extrapolieren können. Die bis heute bekannten Regelhaftigkeiten, die einigermaßen ‚fest‘ erscheinen, erfassen aber nur einen Teil der real wirkenden Faktoren, und speziell alle Faktoren im Umfeld biologischer Systeme sind mehr oder weniger nicht voraussagbar.

Vor dem Auftreten von uns Menschen — dem homo sapiens — und ähnlichen Lebensformen mit Sprache konnten sich Innovationen nur über die biologische Reproduktion realisieren. Diese war dadurch in gewisser Weise ‚langsam‘, aber — wie sich in der Geschichte zeigt — doch ziemlich robust und stabil. Trotz gewaltiger Katastrophen hat es das biologische Leben geschafft, immerhin ca. 3.5 Milliarden Jahre nicht nur zu überstehen, sondern unfassbar komplexe Organismen und organismische Netzwelten zu entwickeln.

Mit der zunehmenden Abstraktionsfähigkeit von höheren biologischen Lebensformen, dann noch verstärkt durch ein leistungsfähiges Sprachsystem, wie bei uns Menschen, konnte die Innovationskraft sowohl in der Geschwindigkeit wie auch in der Komplexität erheblich gesteigert werden. Die Auswirkungen sind in den letzten Jahrtausenden deutlich spürbar, mit einer rasanten wachsenden Beschleunigung. Was wir aber heute sehen, können ist, dass die Entwicklung von innovativen Strukturen so schnell ist, dass die negativen Auswirkungen erst gemerkt werden, wenn es möglicherweise für die Lebensform des Menschen — wie auch der meisten anderen biologischen Lebensformen — fast schon zu spät ist. Das aktuell umlaufende Wort ‚Klimakrise‘ gibt diese negativen Wirkungen nur bruchstückhaft wieder. Das gesamte biologische System samt der dazu notwendigen Umwelt ist im Mark getroffen.

ANMERKUNGEN

[1] Ganz wichtig zu nennen die Relektüre des Buches ‚Logic. The Theory of Inquiry‘ von John Dewey (1938), dann Gespräche mit Mirko de Paoli, sowie eine längere Diskussion mit Philipp Westermeier.

[2] Die Einschränkung ’nahezu jede‘ normale Sprache hat damit zu tun, dass es Sprachen mit speziellen Notationssystemen gibt un d es nicht absehbar ist, ab wann die Eingabemöglichkeiten von oksimo alle Notationssysteme verarbeiten können. Dies ist kein prinzipielles sondern nur ein praktisches Problem.

MEDIA

Hier ein kurzer Audiotrack mit mündlichem Kommentar zum Post. Fokussierung auf die Kernidee.