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D@W : SIND DEMOKRATIEN ÜBERLEBENSFÄHIG? Ausgangslage

Letzte Änderung: 9.Dez 2024, 13:15h CET

Autor: Gerd Doeben-Henisch

Kommentare an: datw@oksimo.org

KONTEXT

Der folgende Text ist Teil des Buches ‚Demokratie@Work (kurz: D@W).

SIND DEMOKRATIEN ÜBERLEBENSFÄHIG? Ausgangslage

In einem vorausgehenden Text (‚Einleitung‘ zu D@W) wurde die Frage aufgeworfen, ob ‚Demokratien überlebensfähig‘ sind? Wenn Demokratien von vornherein keine Chance hätten, überleben zu können, wäre es wohl nicht sehr empfehlenswert, diesen Weg zu wählen.

Andererseits, nicht den Weg einer Demokratie zu wählen, also eine ‚Nicht-Demokratie‘, würde automatisch bedeuten, dass man den Weg einer ‚Autokratie‘ wählen müsste. ‚Ein bisschen Demokratie‘ geht nicht, auch wenn manche Autokratien sich gerne als ’nach außen demokratisch‘ darstellen.

WAS MUSS ÜBERLEBEN?

Bevor man die Frager diskutiert, ‚ob‘ Demokratien eine Chance haben, zu überleben, sollte man festhalten, ‚was‘ an einer Demokratie — ‚welche Elemente‘ — vorhanden sein müssten, damit man überhaupt von einer Demokratie sprechen kann?

Ein direkter Ansatz zur Charakterisierung der ‚Grundelemente einer Demokratie‘ ist die Bezugnahme auf ein ‚autokratisches System‘, welches im Kern eine sehr einfache Struktur besitzt. In dem Maße, wie sich bei der ‚Beschreibung‘ eines konkreten gesellschaftlichen Systems die Eigenschaften einer ‚Autokratie‘ aufzeigen lassen, in dem Maße liegt ‚keine Demokratie‘ vor sondern eben eine ‚Autokratie‘.

Keine Kontrolle der Macht durch das Volk

Das zentrale Kennzeichen einer Autokratie liegt im Fehlen einer effektiven ‚Kontrolle der Macht‘ durch freie Wahlen, bei denen sich jeder Bürger ab einem bestimmten Mindestalter beteiligen kann. Dazu gehört, dass nach den ‚freien und öffentlichen Wahlen‘ diejenigen, die eine ‚Mehrheit‘ errungen haben, für eine ‚definierte Zeit‘ die ‚Macht ausüben‘ dürfen.

Bei einer Gesellschaft, in der einige wenige die Macht ohne jegliche Kontrolle ausüben können, kann man nicht von einer ‚Demokratie‘ sprechen. Es gibt im Jahr 2024 viele Autokratien, in denen formal ‚Wahlen‘ stattfinden, aber diese Wahlen sind so angelegt, dass die ‚Akteure der unkontrollierten Macht‘ durch diese Wahlen nicht real gefährdet sind. Es gibt im Jahr 2024 aber auch Gesellschaften, die sich als ‚Demokratien‘ verstehen, in denen Wahlen unter Bedingungen stattfinden, die die Möglichkeit einer freien Wahl entweder für mögliche Kandidaten oder auch für die Wähler — oder für beide — partiell einschränken.

Keine freie öffentliche Meinung

Neben den freien Wahlen benötigt es eine ‚freie öffentliche Meinungsbildung‘, durch welche die Mitglieder einer Gesellschaft sich eine ‚zutreffendes Bild der Realität‘ machen können, welche sie als Gesellschaft ‚zum Wohle aller‘ täglich gestalten wollen. Dieses öffentlich verfügbare Meinungsbild bildet auch die Grundlagen für eine ‚Wahlentscheidung‘ im Fall einer Wahl. Ist solch eine freie öffentliche Meinung für ‚alle‘ (!) Bürger nicht umsetzbar, dann ist eine ‚Kontrolle der Macht‘ im Ansatz nicht möglich.

Kennzeichen für alle Autokratien (im Jahr 2024 z.B. u.a. der Iran, Russland und China) ist eine unfassbare Angst vor jedem Ereignis einer öffentlichen Meinungsbildung. Die Maßnahmen der Unterdrückung sind entsprechend rigoros: Verbote, reale Unterdrückung, willkürliche Verhaftungen, willkürliche Gerichtsverfahren, Gefängnis, Folter, Tötungen. Rein formal gibt es oft sogar schriftliche Regelungen, Vorschriften oder gar Gesetze, aber diese schriftlichen Regelungen wurden von einer Macht veranlasst, die selbst unkontrolliert ist,und die Regelungen sind auch so gestaltet, dass ihre Interpretation jeglichen Spielraum lässt.

Im Falle von Demokratien gibt es seit wenigen Jahren ein Phänomen, das zunehmend auch eine freie öffentliche Meinung für alle zerstören kann oder sogar schon aktiv zerstört: unter Ausnutzung der ‚rechtlich gewährten freien Meinungsäußerungen‘ und in Verbindung mit dem heute fast überall verfügbaren Internet konnte sich der ‚Raum der öffentlichen Meinung‘ in viele ‚Teilräume aufteilen‘, in denen unterschiedliche ‚Bilder von der Welt‘ kommuniziert werden können. Wenn nun diese kommunizierten Bilder von der Welt ‚teilweise oder überwiegend nicht zutreffen‘ (was nachweisbar der Fall ist), dann zerfällt die öffentliche Meinung in viele getrennte Bilder von der Welt, die teilweise oder überwiegend falsch sind. Damit wird eine ‚kritische Sicht der Gegenwart‘ deutlich getrübt und bei Wahlen können Kandidaten gewählt werden, die diese ‚unzutreffenden Bilder von der Welt‘ aktiv vertreten. Dadurch können die Grundregeln einer demokratischen Gesellschaft mindestens geschwächt, wenn nicht dann sogar aufgehoben werden.

Falsche öffentliche Ordnung

Jede Gesellschaft benötigt für ihr tägliches Zusammenleben eine minimale Ordnung, die durch Einrichtungen wie z.B. ‚Anwälte‘, ‚Polizei‘ und ‚Gerichte‘ moderiert wird.

In einer Autokratie gibt es diese Einrichtungen auch, und es gibt hier sogar auch ansatzweise Vorschriften, welche diese ‚Institutionen für die Erhaltung der öffentlichen Ordnung‘ einhalten sollen. Wenn aber diese Vorschriften von einer unkontrollierten Macht verordnet werden, gibt es für Willkür keine natürlichen Grenzen. Umso mehr, wenn es keine funktionierende öffentliche Meinung gibt. Die Praxis der heute existierenden Autokratien spricht hier eine deutliche Sprache.

Falsche Sprache

Auch wenn die realen Taten einer Autokratie ihre eigene klare Botschaft enthalten, versuchen Autokratien dennoch beständig, durch ‚geeignete sprachliche Formulierungen‘ den Eindruck zu erwecke, dass das, was sie täglich tun, alles ‚richtig‘ sei.

Im Zuge der Zeit, wo das Internet alle erreicht (zumindest dort, wo es keine ‚Sperren‘ gibt, wie sie Autokratien eingerichtet haben) und wo bestehende Demokratien eine nahezu unbeschränkte ‚Freiheit der Meinungsäußerungen‘ gewähren, fluten Autokratien diese
öffentlichen Räume‘ mit ihren ‚Texten der Pseudo-Wahrheiten‘, um auf diese Weise über die ‚Köpfe der Bürger‘ den inneren Zusammenhalt demokratischer Gesellschaft zu schwächen oder gar zu zerstören.

Während also Autokratien ihre ‚öffentliche Räume‘ aufs schärfste kontrollieren und mit martialischen Mitteln jede Abweichung ahnden, lassen bestehende Demokratien es bislang zu, dass ihre eigenen Bürger über die freien öffentlichen Räume‘ quasi ‚in Gedanken umprogrammiert‘ werden.

Zusammenfassend:

Dies kurze Skizze liefert folgenden Ansatzpunkte, die als ‚minimale Ankerpunkte‘ einer Demokratie gewahrt sein sollten, damit wir minimal von einer ‚Demokratie‘ reden können:

  1. ‚Macht‘ darf nur von solchen Menschen ‚ausgeübt‘ werden können, die durch ‚öffentliche freie Wahlen‘ für einen ‚vereinbarten endlichen Zeitraum‘ gewählt wurden.
  2. Für die ‚Ausübung der Macht‘ gibt es ‚Master-Regeln‘ (oft ‚Grundgesetz‘ oder ‚Verfassung‘ genannt), die von einer deutlichen Mehrheit der Bürger vereinbart worden sind. Sie können auch nur nach festen Regeln wieder ‚geändert‘ werden.
  3. Es gibt einen ‚öffentlichen Informationsraum‘, der ‚jedem Bürger unentgeltlich‘ von der Gesellschaft zur Verfügung gestellt wird, der es möglich macht, dass eine Gesellschaft sich eine ‚freie Meinung‘ über jene Welt bilden kann, in der diese Gesellschaft ‚überleben muss‘. Es gibt eine ‚Qualitätssicherung‘, die darauf achten muss, klar ‚unzutreffende Bilder von der Welt‘ kenntlich zu machen.

DIE ZENTRALE ROLLE EINES ZUTREFFENDEN BILDES VON DER WELT

Im vorausgehenden Text wurden mit Bezug auf Autokratien minimale Kriterien formuliert, welche eine Gesellschaft erfüllen sollte, die sich ‚Demokratie‘ nennen will.

Schon bei dieser kurzen Skizze wurde deutlich, dass die Frage des ‚zutreffenden Bildes jener Welt, in der man lebt‘ bzw. auch ‚überleben will‘ eine zentraler Bedeutung bekommt. Ohne Verfügbarkeit eines ‚zutreffenden Bildes‘ ist ein verantwortungsvolles Handeln schlicht nicht möglich, nicht für einen einzelnen Menschen, nicht für eine Gruppe und auch nicht für eine ganze Gesellschaft.

Dies führt aber direkt zur Frage, was denn ein ‚zutreffendes Bild von der Welt‘ ist?

Solange es kein gemeinsames Verständnis davon gibt, was die Formulierung ‚Zutreffen einer Meinung über die Welt‘ gibt, wird es kaum möglich sein, gemeinsam an einem ‚zutreffenden Bild von der Welt‘ zu arbeiten geschweige denn gemeinsam danach zu handeln.

Aufgrund dieser grundsätzlichen Überlegung werden im folgenden Text Überlegungen angestellt, wie ein ‚Reden über die Welt‘ beschaffen sein muss, damit das, was gesagt wird,auf die Welt auch ‚tatsächlich zutrifft‘ bzw. ‚zutreffen kann‘, falls der Zeitpunkt des Zutreffens ‚in der Zukunft‘ liegt.

ÜBER DEMOKRATIE SPRECHEN

Grundvoraussetzungen

Wenn wir die Frage nach der Überlebensfähigkeit von Demokratien beantworten wollen, müssen wir uns bewusst machen, dass es um einen ‚Kommunikationsprozess zwischen Menschen‘ geht. Dies bedeutet, was jeder einzelne ‚in seinem Kopf‘ hat, dies wird nur ’sichtbar‘ oder ‚hörbar‘, wenn die verschiedenen Einzelnen über eine ‚gemeinsame Sprache‘ verfügen, mittels der sie wechselseitig ’sichtbar (und hörbar)‘ machen können, ‚worüber‘ sie mit den anderen ’sprechen‘ wollen.

‚Miteinander Sprechen‘ läuft dann darauf hinaus, dass es einen ‚Texte‘ in der ‚gemeinsamen Sprache‘ gibt. Und dieser Text — eine Anordnung von ‚Zeichen‘ auf einem Papier — kann eine ‚Bedeutung haben‘, wenn die Teilnehmer an der sprachlichen Kommunikation in der Lage sind, beim ‚Lesen des Textes‘ — jeder für sich — ‚in ihrem Innern‘ die ‚Zeichen des Textes‘ mit ‚inneren Zuständen‘ zu verknüpfen, die für jeden Leser das ausmachen, was — meistens — ‚Bedeutung‘ genannt wird.

Diese Fähigkeit, Zeichen eines Textes mit inneren Zuständen zu verknüpfen, die wir dann als ‚Bedeutung‘ wahrnehmen, ist insoweit ‚angeboren‘, als ein Mensch — meistens — von Kindheit an in der Lage ist, zu ‚Lernen‘, ‚welche Zeichen‘ in einer bestimmten sozialen Umgebung mit welchen inneren Zuständen ‚verbunden werden‘.

Dass diese ‚individuellen Lernprozesse‘ im Verlauf dazu führen können, dass verschiedene Menschen bei der gleichen Sprache ‚das Gleiche meinen‘ können, hängt damit zusammen, dass die ‚inneren Zustände‘ eines Menschen über ‚Wahrnehmungsprozesse‘ mit der jeweils ‚aktuellen Situation‘, in der sich der ‚Körper eines Menschen‘ befindet, partiell verbunden sind. Die ‚Sinnesorgane‘ des menschlichen Körpers können — meistens — bestimmte ‚Eigenschaften‘ der aktuellen Situation über das Gehirn dem einzelnen in seiner ‚Innensicht‘ ‚als wahrgenommene Eigenschaften‘ verfügbar machen. Sofern Menschen mit ihrem Körper zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind, können sie — das lehrt uns die Alltagserfahrung — ‚ähnliche Wahrnehmungsereignisse‘ haben. Nennt man die aktuelle Situation einschließlich des Körpers der beteiligten Situation die ‚reale Welt‘ oder einfach ‚die Realität‘, und nennt man das ‚Innere des Menschen‘, sofern es dem einzelnen Menschen ‚bewusst‘ ist, die ’subjektive Wirklichkeit‘, dann kann man die ’sinnlich induzierten Wahrnehmungsereignisse‘ als ‚Repräsentationen‘ von bestimmten Eigenschaften der realen Welt in der subjektiv Welt des einzelnen Menschen auffassen.

Aus der Alltagserfahrung wissen wir ferner, dass verschiedene Menschen sich — meistens — mit der gleichen Sprache in der gleichen Situation bei Bezugnahme auf bestimmte Aspekte der realen (Außen-)Welt weitgehend darüber einigen können, ‚mit welchen Zeichenkombinationen‘ sie das beschreiben, was sie in der aktuellen Situation ‚individuell wahrnehmen‘. Es können also ‚Texte‘ entstehen, bei denen die beteiligten Menschen zu der Feststellung kommen können, dass dieser Text bestimmte Eigenschaften der aktuellen Situation ‚zutreffend beschreibt‘ oder eben nicht. Ein Text, der als ‚zutreffend‘ aufgefasst wird, wird auch als ‚wahr‘ im Sinne des Zutreffens verstanden, ansonsten als ’nicht zutreffend‘ oder ‚falsch‘. Es kann auch Teile des Textes geben, die als ‚unbestimmt‘ empfunden werden; es ist dann nicht klar, worauf sich der Text beziehen soll. Er ist dann ‚weder wahr noch falsch‘.

Dieser kurze Text beschreibt die ‚Grundvoraussetzungen‘, ohne die es überhaupt keine Kommunikation gibt. Und, wie man ansatzweise fühlen kann, sind schon diese Grundvoraussetzungen nicht gerade ‚einfach‘ zu verstehen. Für die Klärung der Hauptfrage, ob Demokratien überlebensfähig sind, reichen diese Grundvoraussetzungen allerdings noch nicht aus. Weitere Aspekte müssen noch geklärt werden.

AKTUELL und PUNKTUELL

Im Rahmen der Grundvoraussetzungen können wir davon ausgehen, dass wir einen ‚konkreten Körper‘ haben. Mit diesem Körper befinden wir uns immer auch an einem ‚konkreten Ort‘ mit einer dazu gehörigen ‚konkreten Situation‘. Dies alles findet außerdem — falls man mittels einer Uhr ‚Zeit‘ ‚erzeugen‘ und damit ‚messen‘ kann — zu einem ‚konkreten Zeitpunkt‘ statt.

Zu jedem konkreten Zeitpunkt können wir nur ganz wenige ‚konkrete Dinge in unserem Kopf‘ zugleich ‚denken‘: z.B. nur einige wenige ‚aktuelle Wahrnehmungen‘, nur einige wenige ‚aktuelle Emotionen‘, nur einige wenige ‚aktuelle Vorstellungen/ Gedanken‘ und nur einige wenige ‚aktuelle Ziele‘. Wenn ich gerade vor mir eine bestimmte Straße sehe, dann kann ich nicht gleichzeitig eine andere Straße sehen; ein bestimmtes Schaufenster, nicht zugleich viele andere; eine bestimmte Buchseite und nicht zugleich andere Buchseiten; einen aktuellen Gedanken bewusst denken und nicht zugleich viele andere Gedanken bewusst denken, usw. (Der Zusatz ‚bewusst‘ ist hier notwendig, da das eigene Gehirn im ‚unbewussten Bereich‘ tatsächlich gleichzeitig viel mehr als nur einen Gedanken verarbeiten kann).

Man darf von daher schon sagen, dass wir in unserem konkreten Alltag mit unserem Körper zu einem bestimmten Zeitpunkt durchgehend ‚punktuell konkret Wahrnehmen, Fühlen und Denken‚.

Dass wir dies überhaupt können, ist schon für sich großartig, in einem größeren zeitlichen Zusammenhang würde diese ‚Fixierung auf den Augenblick‘ einen konkreten Körper aber lebensunfähig machen. Ein Körper mit solch einer Fixierung auf einen Augenblick würde der berühmten Mücke gleichen, die direkt zum hellen Licht fliegt und dort verbrennt, weil sie außer dem aktuellen Licht nichts anderes Wahrnehmen, Fühlen und Denken kann.

Was also brauchen wir noch an ‚Zutaten‘, um verstehen zu können, wie wir die Hauptfrage beantworten können?

VERALLGEMEINERUNGEN

Nun wissen wir aus unserem Alltag — meistens –, dass wir ja nicht nur einen ‚einzigen Augenblick‘ leben, sondern ‚viele einzelne Augenblicke‘. Dies können wir nur bemerken, weil wir — meistens — über eine ‚minimale Erinnerung‘ verfügen, wodurch wir ‚vorausgehende Augenblicke‘ ‚partiell erinnern‘ können. Unter Voraussetzung dieser Erinnerungsfähigkeit können wir feststellen, dass sich eine konkrete Situation ‚verändern‘ kann, und sei es nur, weil wir die Position unseres eigenen Körpers verändern oder dass wir ‚Teile unseres Körpers‘ (Kopf, Arme, Hände, Beine…) durch eine ‚Bewegung‘ so verändern, dass sich die Position unseres Körpers relativ zur aktuellen Situation verändert (Oder, weil wir eine ‚Uhr‘ besitzen, die für uns ‚regelmäßige Zeitmarken‘ erzeugt, durch die wir ’sich verändernde Zeitpunkte‘ als ‚Referenz‘ benutzen können). Als Folge solcher Veränderungen verändert sich unsere ‚Wahrnehmung‘ sowohl der umgebenden Situation‘ wie auch die ‚Innenwahrnehmung unseres Körpers‘ (wir können — meistens — die Bewegung eines Körperteils im Innern ’spüren‘ (weil sich in unserem Körper genügend viele biologische Sensoren befinden, die die Veränderung von Muskeln und Knochenstellungen ‚intern wahrnehmen‘ können, diese zu unserem Gehirn ‚melden‘, und dieses ‚übersetzt‘ diese Meldungen in entsprechende ‚Körperwahrnehmungen‘))

Diese grundlegende Fähigkeit, mehr als einen aktuellen Augenblick sowohl direkt erleben zu können, wie auch über den Umweg der Erinnerung in eine Art ‚Abfolge von Ereignissen‘ einordnen zu können, ermöglicht es uns, einzelne Situationen mit all ihren unterschiedlichen einzelnen Eigenschaften nicht nur ’nebeneinander‘ zu stellen, sondern auch ‚relativ dazu‘ ‚allgemeine Vorstellungen‘ zu bilden (weil unser Gehirn so gebaut ist, dass es uns diese Leistung verfügbar machen kann). Wenn ein Kind einen kleinen Hund sieht, im nächsten Moment einen anderen Hund, aber größer, und dann wieder einen anderen mit einer anderen Gestalt, dann kann das Kind ‚für sich‘, ‚in seinem Kopf‘ eine ‚Vorstellung von etwas‘ entwickeln, das andere Menschen ‚Hund‘ nennen, und dieses ‚Wort Hund‘ verbindet es mit drei verschiedenen ‚Wahrnehmungen‘, die ‚in der Erinnerung des Kindes verfügbar‘ sind. Diese drei verschiedenen Wahrnehmungen haben ‚etwas gemeinsam‘: vier Beine, einen Schwanz, einen Kopf mit Augen, Ohren, Maul und … ein ‚Briefkasten‘ sieht anders aus.

Dieser Mechanismus des ‚Zusammenfassens von verschiedenem Einzelnem‘ zu etwas ‚Allgemeinerem‘ (oft ‚Abstraktion‘ genannt) funktioniert nicht nur mit konkreten Wahrnehmungen, sondern man kann diesen ‚Mechanismus des Verallgemeinerns‘ ‚immer wieder‘ anwenden. Wenn man erst einmal gelernt hat, dass es ‚Hunde‘ gibt, ‚Vögel‘, ‚Katzen‘ usw., dann kann man dies weiter verallgemeinern zu ‚Haustieren‘, ‚Wildtieren‘ usw. und diese kann man weiter zusammenfassen zu ‚Tiere‘, zu ‚Lebewesen‘ … es gibt hier keine absolute Schranke.

Man spürt aber vielleicht, dass dieser Mechanismus des ‚Verallgemeinerns‘, des ‚Abstrahierens‘, sich auch in einer Weise verselbständigen kann, dass man irgendwann nicht mehr unbedingt weiß, ob sich ein Wort wie ‚Zentaurus‘, ‚Kaiser‘, ‚Elektron‘, ‚Liebe‘, ‚Migrant‘, ‚Wachstum‘ oder auch ‚Demokratie‘ tatsächlich noch auf etwas ‚Konkretes‘ zurück führen lässt. Der ‚Kreativität‘, der ‚Fantasie‘ der Menschen sind keine festen Grenzen gesetzt. Die Vielzahl an Märchen, Fabeln und die berühmten ‚Falsch-Erzählungen‘ zum Zwecke der ‚Manipulation‘ beweisen dies sehr deutlich.

‚Verallgemeinern‘ ist eine wichtige und große Kraft unseres ‚Denkens‘, sie kann sich aber auch ‚verselbständigen‘ und damit mehr und mehr den Kontakt zur konkreten Welt verlieren. Man könnte auch sagen, dass ‚unseriöse Verallgemeinerungen‘ etwas vorzugaukeln versuchen, was es real gar nicht gibt, was aber dennoch nicht selten das Denken von Menschen beeinflussen kann.

Wenn man jetzt schon ahnt, wie wir durch unsre sprachliche Kommunikation Augenblicke überwinden können, Abstraktionen vornehmen kann, so gilt aber auch hier: dies ist noch nicht alles, was wir brauchen!

BEZIEHUNGEN FESTSTELLEN

Neben der Fähigkeit, verschiedene einzelne Eigenschaften in einem einzigen Begriff zusammen zu fassen, verfügen wir auch über die Fähigkeit, ‚zwischen‘ verschiedenen Eigenschaften ‚Beziehungen‘ zu denken. Vertraut sind den meisten ‚räumliche Beziehungen‘ zwischen unterscheidbaren Objekten und Körpern in einer Situation. Wir sind in der Lage festzustellen, ob sich ein Objekt z.B. ‚vor‘, ’neben‘, ‚hinter‘, ‚über‘ oder ‚unter‘ einem anderen Objekt befindet. Wir können auch unterscheiden, ob ein Objekt räumlich ’nah‘ oder ‚entfernt‘ ist, ‚groß‘ oder ‚klein‘, ‚dick‘ oder ‚dünn‘, usw. Diese ‚Beziehungen‘ sind selbst ‚keine direkten Objekte‘, wir können sie aber als ‚Beziehungen in unserem Denken‘ sichtbar machen. Anders formuliert: Wenn wir zwei verschiedene Objekte in einem Raum ‚bewusst‘ wahrnehmen oder denken können, dann verfügen wir in unserer subjektiven Wirklichkeit über die Fähigkeit zwischen diesen bewussten Wahrnehmungen oder bewussten Denkinhalten ‚Beziehungen‘ als etwas ‚Gegebenes‘ wahrnehmen bzw. denken zu können. Bei ‚realen‘ Wahrnehmungen und Denken über reale Objekte hängen diese Beziehungen vom Vorhandensein der realen Objekte ab. Aber beim ‚Erinnern‘ von zuvor wahrgenommenen Objekten oder beim ‚Denken‘ von erinnerbaren Objekten können wir Beziehungen denken, obgleich keine realen Objekte in der Wahrnehmung vorliegen.

Auch hier können wir sehen, wie das ‚Denken von Beziehungen‘ sich von dem Vorhandensein von realen Objekten sobald lösen kann, wie wir mit Erinnerungen und Denken arbeiten. ‚Erinnertes‘ kann im Denken ‚verändert‘ werden und die dadurch entstandenen ’neuen Objekte‘ können wiederum in ‚Beziehungen‘ gedacht werden, die jetzt nur zwischen ‚gedachten Objekten‘ bestehen.

Wie schon im Fall des ‚Verallgemeinerns‘ kann uns dies entweder helfen, die reale Welt mit uns als Teil davon etwas besser zu verstehen, indem wir allgemeinere Strukturen und Zusammenhänge erfassen können, es kann aber auch schnell dazu führen, dass wir Beziehungen denken, die es so gar nicht gibt. Der Weg zum ‚Trügerischen‘, ‚Falschem‘ ist da nicht weit.

Ein anderer Fall von ‚Beziehungen aktivieren‘ ist das Zuordnen von Eigenschaften‘. Wenn ich eine Pflanze sehe und jemand sagt, dass ‚diese Pflanze giftig sei‘, dann wird eine explizite Beziehung zwischen der Pflanze und der Eigenschaft ‚ist giftig‘ hergestellt. Dies kann hilfreich sein, wenn ‚es stimmt‘, oder auch nicht, wenn es ‚falsch‘ ist. Wenn jemand von einer Gruppe von Menschen sagt, dies seien ‚Betrüger, Schmarotzer oder Ähnliches‘, dann kann dies zu sozialer Ausgrenzung und mehr führen. Wie kann man feststellen, ob diese behauptete Beziehung richtig oder falsch ist? Was soll man davon halten, wenn jemand behauptet, ‚die Wirtschaft hat kein Wachstum‘?

Was am Beispiel von ‚Zusprechen von Beziehungen‘ deutlich wird: Das ‚Zutreffen‘ (‚wahr‘ sein) oder ‚Nicht-Zutreffen‘ (‚falsch‘ sein) von solchen behaupteten Beziehungen lässt sich nicht mehr ‚einfach so‘ erkennen. Man muss in der Tat einiges ‚wissen‘, um ‚Wahr‘ ‚Falsch‘ hier einschätzen zu können. Wer sich z.B. mit ‚Pilzen‘ nicht auskennt, wird selbst wenig zur Aussage beitragen können.

URSACHEN ANNEHMEN

Ein anderer Fall von Beziehungen liegt vor, wenn jemand feststellt, dass zwischen einem ‚aktuellen Ereignis‘ und einem ‚erinnerten Ereignis‘ eine Beziehung derart besteht, dass das erinnerte (vorausgehende) Ereignis die ‚Ursache‘ dafür ist, dass das nachfolgende Ereignis eingetreten ist. Wenn jemand beim Autofahren plötzlich einschläft und darauf hin sein Auto einen Unfall verursacht, wird — meistens — angenommen, dass das Einschlafen die Ursache für den nachfolgenden Unfall war. Natürlich kann man dann auch weiter fragen, was zum ‚Einschlafen‘ geführt hat. Aber erst mal werden — meistens — die Menschen zufrieden sein mit der Beschreibung, dass das ‚Einschlafen zum nachfolgenden Unfall geführt hat‘. Andere einfache Beispiel sind der Regen, der die Straße und die Wiese nass macht; die Kälte, die alles gefrieren lässt; der Lichtschalter, der das Licht einschaltet, usw.

Dies sind einfache ‚Ursache-Wirkung‘ Beziehungen. Schwieriger wird es, wenn sich eine Ursache erst ’nach einer längeren Zeitspanne‘ auswirkt. Wenn der Beton einer Brücke durch innere Erosionsprozesse langsam brüchig wird, dann kann es ein paar Jahre dauern, bis die Brücke einstürzt. Wenn die Infrastruktur in der Kanalisation nicht genügend gewartet wird, dann kann es auch Jahre dauern, bis Fehler sichtbar werden, entsprechend mit den Verkehrsmitteln, oder auch bei uns Menschen selbst: wer sich über Jahre ungünstig ernährt, kann alleine von der falschen Ernährung erhebliche gesundheitliche Schäden nehmen, die, wenn sie dann sichtbar werden, oft kaum noch einfach behoben werden können. Unser Alltag ist voll von Ursache-Wirkung Beziehungen, die lange ‚verdeckt‘ wirksam sind, wenn wir nicht darauf achten.

Auch bei diesen ‚Ursachen-Beziehungen‘ spielt das ‚Wissen‘ eine große Rolle. Wer nichts über Erosionsprozesse im Beton weiß oder nichts über ‚gesunde Ernährung‘, der wird mit den entsprechenden ‚Wirkungen‘ immer überrascht werden und sich wundern, warum eine Brücke einstürzt oder eine schwere gesundheitliche Störung auftritt.

VORAUSSAGEN MACHEN

Mit dem bisher Gesagten können wir zwar ansatzweise verstehen, warum Menschen sich überhaupt sprachlich verständigen und sich über ‚wahre/ falsche/ unklare Aussagen‘ einigen können. Ferner leuchtet etwas von der ‚inneren Struktur‘ unseres subjektiven Wissens von der Welt auf insofern wir Gegenwart und Vergangenheit unterscheiden und in der Lage sind, im Vergleich von gegenwärtigen und vergangenen Situation Veränderungen erfassen können, dazu Beziehungen zwischen Objekten und Eigenschaften, auch mögliche Ursachen mit unterstellten Wirkungen. Noch nicht klar ist allerdings die Frage, ob wir auf der Basis von Gegenwart und Vergangenheit irgendetwas über eine ‚mögliche Zukunft‘ oder gar über ‚viele mögliche Zukünfte‘ sagen können? Und, falls wir solche sprachlichen Beschreibungen über mögliche Zukünfte liefern, wie ‚zuverlässig‘ solche Beschreibungen sind: handelt es sich um reine ‚Fantasie‘ oder sind diese Aussagen auf eine Weise ‚begründet‘, so dass ihr eine ‚Wahrscheinlichkeit jenseits des puren Zufalls‘ zugesprochen werden kann?

Für die Beantwortung der Frage nach der ‚Überlebensfähigkeit‘ einer Demokratie wäre diese zusätzliche Eigenschaft einer ‚Voraussage‘ über eine mögliche Zukunft deutlich über den puren Zufall hinweg eine wesentliche Voraussetzung. Falls wir solche Art von Voraussagen nicht machen können, sind wir faktisch ‚blind für Zukunft‘.

Bisher haben wir nur einen Fall von Beziehungen unterschieden, die sich über mehrere Zeitpunkte erstrecken können: die ‚Ursache – Wirkung Beziehung‘. Es gibt allerdings auch noch den Fall, dass wir ‚Regelmäßigkeiten‘ in der uns umgebenden Welt beobachten ohne dass wir schon ein Ursache-Wirkung Schema identifizieren konnten : Erscheinen und Verschwinden von Mond und Sonne; das Auftreten von Jahreszeiten im jährlichen Rhythmus; das Wachsen von Pflanzen bei bestimmten Bedingungen; Ebbe und Flut; usw. Natürlich kann man alle beobachtbaren Regelmäßigkeiten daraufhin hinterfragen, ob sich hier nicht ein ‚Ursache-Wirkung Schema‘ andeutet. Die moderne Wissenschaft war in diesem Aufdecken von zunächst verborgenen Ursache-Wirkung Zusammenhängen bislang sehr erfolgreich. Das Erkennen eines Ursache-Wirkung Schemas setzt aber voraus, dass man zuvor überhaupt bemerkt hat, dass es ‚regelmäßige Ereignisse‘ gibt, die als Kandidaten für das Feststellen eines dazu gehörigen Ursache-Wirkung Schemas dienen können.

Die Mindestanforderung für die Erstellung einer Voraussage besteht darin, dass wir über die Beschreibung einer als ‚zutreffend erkannten Ausgangslage‘ verfügen und über die Beschreibung von mindestens einer ‚beobachteten Veränderung‘, die eine gegebene Situation so abändern kann, dass eine ’neue Situation‘ entsteht. Dazu gehört auch das Wissen, wie eine ‚beschriebene Veränderung‘ so ‚angewendet‘ werden kann, dass es durch die Anwendung zu einer veränderten ’neuen Situation‘ kommen kann. Falls die beschriebene Veränderung mehrmals angewendet werden kann (z.B. der Schlag eines Hammers auf ein Stück glühendes Metall), dann kann bei jeder Anwendung ein ‚Stück Veränderung passieren‘.

Damit — stark vereinfacht — wurden minimale Voraussetzungen zusammen gestellt, die notwendig erscheinen, etwas über eine möglich Zukunft — z.B. auch für eine Demokratie — zu sagen, das den Ausgangspunkt für eine Diskussion bilden kann, ob eine Demokratie überleben kann oder nicht.

BEDÜRFNISSE UND EMOTIONEN

Was in diesem Rahmen noch fehlt, das ist der Hinweis auf die ’natürlichen Bedürfnisse‘, die unser Körper fest einprogrammiert hat, und eine große Zahl unterschiedlicher ‚Emotionen‘, die sich situationsbezogen bemerkbar machen können. Bei Emotionen gibt es den schwierigen Fall, dass diese sich zwar im Bewusstsein bemerkbar machen können, dass es aber auch den Fall gibt (nicht selten), dass eine Emotion zwar im ‚Unbewussten‘ aktiv ist, dies aber im ‚Bewussten‘ kaum bis gar nicht direkt wahrnehmbar ist, allerdings indirekt.

Mit Blick auf die Frage, ob Demokratien überleben können, spielen Bedürfnisse und Emotionen eine zentrale Rolle, da diese so stark sein können, dass sie alle anderen Überlegungen oder Entscheidungen mindestens beeinflussen, wenn nicht gar blockieren können. Aber, selbst wenn die Grundbedürfnisse befriedigt sind, so können Menschen starke Emotionen haben, die sie darin blockieren, bestimmte Anschauungen oder Verhaltensweisen zu übernehmen, selbst wenn sie vielleicht für sie wichtig sein können; umgekehrt kann dies dazu führen, dass sie ganz bestimmte Anschauungen und Verhaltensweisen stark favorisieren, auch wenn diese für sie schädlich sein können.

KOMPLEXE SYSTEME

Der vorausgehende Überblick über grundlegende Faktoren, welche das Zutreffen einer Beschreibung (letztlich ein ‚Bild‘ von) der realen Welt mitbestimmen, beschreibt als Ausgangspunkte für mögliche Voraussagen (‚Prognosen‘) die ‚einfachen‘ Fälle: ‚Beobachtbare regelmäßige Muster‘ oder erkannte ‚Ursache – Wirkung‘ Muster im Bereich der Alltagserfahrung.

Die reale Welt, in der wir leben — einschließlich unserer eigenen Körper — besteht aber aus einer unfassbar großen Zahl von ‚Sachverhalten‘, die die Wissenschaft und das Engineering gerne als ‚komplexe Systeme‘ bezeichnen. Mit einem ‚komplexen System‘ ist hier ein Sachverhalt gemeint, der im Zusammenhang von Ereignissen, die sich in der Zeit folgen, als eine ‚mögliche Ursache‘ aufgefasst werden kann, die nachfolgende Ereignisse ‚bewirkt‘. Das Besondere bei komplexen Systemen ist aber, dass sie unterschiedlich ‚reagieren‘ können. Je nach der Art von ‚vorausgehenden‘ Ereignissen können sie mit unterschiedlichen Häufigkeiten unterschiedliche Wirkungen auslösen.[1] Im Fall des Menschen z.B. sind wir im Alltag bei uns bekannten Personen damit ‚vertraut‘, was diese Person in bestimmten Situationen ‚gewöhnlich‘ tut. Es gibt aber auch Fälle, in denen diese Person dies manchmal auch nicht tut. Bei diesen Voraussetzungen Prognosen über das Verhalten dieser Person zu einem Zeitpunkt in der Zukunft aufzustellen, ist schwierig, aber nicht unmöglich.

Alle (biologischen) Lebewesen auf diesem Planeten repräsentieren letztlich ‚komplexe Systeme‘, was das Zusammenspiel von vielen Lebewesen als ‚Population‘ oder als ‚Lebensraum‘ mit vielen verschiedenen Populationen gleichzeitig beliebig schwierig machen kann.

Dennoch stellen wir fest, dass die Meisten dieser vielen verschiedenen komplexen Lebewesen über längere Zeiträume ‚gelernt‘ haben, sich auf eine komplexe Umgebung in einer Weise einzustellen, dass ein ’stabiles Ökosystem‘ entsteht, das allen Beteiligten eine funktionierende Lebenschance bietet. Diese komplexen Ökosysteme erwecken den Eindruck, dass sie ‚überlebensfähig‘ (oft auch ‚resilient‘ genannt) sind.

Es könnte also mit Blick auf die Menschen als Teil des Lebens auf diesem Planeten eine wichtige Frage sein, wie diese beeindruckende Breite an Formen der Überlebensfähigkeit aller bekannten Lebewesen letztlich funktioniert. Verschärft könnte man auch fragen, wie könnte die Überlebensfähigkeit von Lebewesen sogar ’noch besser‘ funktionieren als bisher? Was würde ‚besser‘ dann auch heißen?

[1] Eine gute Einführung in die Thematik komplexer Systeme bietet Donella H.Meadows (Herausgegeben von Diana Wright), Thinking in Systems. A primer, Chelsea Green Publishing, White River Junction in Vermont, USA, 2008, Copyright by Sustainability Institute. Das Thema ist allerdings noch umfassender, als in diesem Buch beschrieben.

oksimo.R – Alltagsszenen – Essen gehen …

Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@oksimo.org)

(Letzte Änderung: 18.November 2022)

KONTEXT

Dieser Text ist Teil der einführenden Beispiele des Buchprojektes „oksimo.R – Editor und Simulator für Theorien“.

INHALT

Anhand einer normalen Alltagsszene werden einige Eigenschaften einer Modellierung (Theoriebildung) im oksimo.R Paradigma illustriert. In diesem Fall geht es um eine Person, die in einer Hochschule arbeitet, dort ein Büro hat (zusammen mit anderen), und gegen Mittag ‚Hunger verspürt‘. Dies wird zum Anlass dafür, dass diese Person beschließt, Essen zu gehen. In diesem Fall ‚zum Griechen um die Ecke‘. Die kurze Geschichte endet damit, dass diese Person keinen Hunger mehr verspürt.

OKSIMO.R TEXTSORTEN

Eine Modellierung (Theoriebildung) im oksimo.R Paradigma findet dadurch statt, dass eine Gruppe von Personen gemeinsam einen Text in einer gemeinsamen Sprache formulieren. Im konkreten Fall ist dies die Deutsche Sprache; es kann aber auch jede beliebige andere Sprache sein.

Dabei wird zwischen drei Arten von Texten unterschieden:

  1. IST-Beschreibungen (Ausgangslagen)
  2. ZIEL-Beschreibungen (Anforderungen)
  3. VERÄNDERUNGS-Beschreibungen (Veränderungs-Regeln)

Diese Unterscheidung setzen voraus, dass ein menschlicher Akteur unterscheiden kann zwischen solchen Vorstellungen in seinem Kopf, die mit Erfahrungen außerhalb seines Gehirns (im ‚eigenen Körper‘, in der ‚Körperwelt außerhalb seines Körpers‘) ‚korrespondieren‘, und solchen Vorstellungen in seinem Kopf, die er ‚alleine‘, ‚für sich‘ denkt/ erinnert/ träumt/ fantasiert … .

IST-Situation

IST-Beschreibungen beziehen sich dabei auf solche Vorstellungen, die sich auf die Körperwelt jenseits seines Körpers beziehen und die von anderen menschlichen Akteuren ‚geteilt‘ werden können. Wenn jemand z.B. im Freien steht und sagt „Es regnet“, und alle Umstehenden würden dies bestätigen, dann wäre dies ein Fall einer IST-Beschreibung, die von allen ‚bestätigt‘ werden kann. Meistens sagt man dann auch, dass diese Beschreibung ‚wahr‘ ist. Würde in dieser Situation, wo es regnet, jemand sagen „Es regnete nicht“ , dann würden alle — normalerweise — sagen, dass diese ‚Aussage‘ ‚falsch‘ ist. Wenn jemand stattdessen sagt „Es wird bald regnen“, dann werden alle Umstehenden, die Deutsch verstehen, sich zwar eine Vorstellung in ihrem Gehirn bilden können, dass es regnet, aber zu dieser Vorstellung gibt es dann keine konkrete Entsprechung in der realen zwischenmenschlichen Körperwelt. Diese Aussage wäre dann weder ‚wahr‘ noch ‚falsch‘. Ihre Beziehung zur ‚gemeinsamen Körperwelt‘ wäre ‚unbestimmt‘: sie kann vielleicht wahr werden, muss aber nicht.

ZIEL-Beschreibung

ZIEL-Beschreibungen (auch in Form von Anforderungen) beziehen sich auf solche ‚Vorstellungen im Kopf von Akteuren‘, zu denen es akzeptierte sprachliche Ausdrücke gibt, die aber im Moment des Aufschreibens oder Sagens noch keine Entsprechung in der gemeinsamen Körperwelt haben. Die zu einer nur gedachten Zielbeschreibung gehörigen Vorstellungen haben eine mehr oder weniger große Wahrscheinlichkeit, dass sie ‚irgendwann in der Zukunft‘ möglicherweise eintreten. Entweder gibt es ‚Erfahrungen‘ aus der Vergangenheit, die ein Eintreten nahelegen oder es gibt erst einmal nur den ‚Wunsch‘, dass diese Vorstellungen wirklich werden.

VERÄNDERUNGS-Beschreibungen

VERÄNDERUNGS-Beschreibungen beziehen sich auf solche ‚Ereignisse‘ oder ‚Maßnahmen‘, von denen man weiß (oder stark annimmt), dass ihr Eintreten bzw. ihre Umsetzung eine gegebene Situation (IST) in mindestens einer Eigenschaft so ‚verändert‘, dass nach einer ‚bestimmten Zeit‘ (‚Zeitintervall‘) die ‚alte‘ Situation aufgrund der ‚Veränderung‘ eine ’neue‘ Situation repräsentiert, die als ‚Nachfolgesituation‘ dann zur ’neuen IST-Situation‘ wird. Weitere Ereignisse oder Maßnahmen können auch diese neue IST-Situation wieder ändern.

Geforderte Textmengen

Während man mindestens eine IST-Situation und mindestens eine VERÄNDERUNGS-Beschreibung für eine oksimo.R Modellierung (Theoriebildung) benötigt, ist eine ZIEL-Beschreibung optional. Wird keine ZIEL-Beschreibung gegeben, dann gibt es eine — mehr oder weniger — gerichtete oder offene Folge von IST-Zuständen, die durch — auch wiederholte — ‚Anwendung‘ der VERÄNDERUNGS-Beschreibungen auf eine gegebene IST-Situation entstehen können. Liegt mindestens eine ZIEL-Beschreibung vor, dann kann diese benutzt werden, um eine aktuelle IST-Situation danach zu ‚bewerten‘, ob und — falls ja — wieweit eine IST-Situation schon Elemente der ZIEL-Situation enthält. Dies kann zwischen 0% oder 100% liegen.

Anwenden von Veränderungsbeschreibungen auf eine IST-Situation

Für die Anwendung einer Veränderungs-Beschreibung auf eine gegebene IST-Situation muss man verstehen, dass im oksimo.R Paradigma ein TEXT nichts anderes ist als eine Menge von SPRACHLICHEN AUSDRÜCKEN, deren ‚Bedeutung‘ nur die Sprecher kennen. Jeder sprachliche Ausdruck wird als ein ‚Element der Menge‘ Text betrachtet, und es wird unterstellt, dass jeder sprachliche Ausdruck irgendeine ‚Eigenschaft‘ der realen IST-Situation beschreibt. Eine unterstellte IST-Situation besitzt genau so viele Eigenschaften, wie der TEXT der IST-Situation sprachliche Ausdrücke umfasst. Wird ein bestimmter Ausdruck aus dem Text entfernt, verschwindet die zugehörige Eigenschaft, kommt ein neuer sprachlicher Ausdruck hinzu, dann entsteht eine neue Eigenschaft in der unterstellten IST-Situation.

Eine VERÄNDERUNGS-Beschreibung (auch ‚Veränderungs-Regel‘ oder einfach ‚Regel‘) muss also minimal folgendes leisten:

  1. Angeben, welche Ausdrücke neu hinzu kommen sollen (Generieren neuer Eigenschaften)
  2. Angeben, welche der bisherigen Ausdrücke entfernt werden sollen (Eliminieren von Eigenschaften)

Um die Anwendung der Regel ‚unter Kontrolle‘ zu halten, sollte man die Anwendung einer Veränderungsregel auf eine aktuelle IST-Situation so von BEDINGUNGEN abhängig machen, dass man den Angaben zum ‚Hinzufügen‘ bzw. zum ‚Entfernen‘ eine Menge von Ausdrücken — dies sind unterstellte Eigenschaften — voranstellt, die gegeben sein müssen, damit die Veränderungs-Regel ‚aktiv‘ werden kann.

Einfaches Beispiel

IST-Situation:

Gerd sitzt in seinem Büro. Gerd ist hungrig.

ZIEL-Situation:

Gerd ist nicht hungrig.

VERÄNDERUNGS-Beschreibung:

WENN:

Gerd ist hungrig.

DANN:

Füge als Eigenschaft zur IST-Situation hinzu: Gerd verlässt sein Büro.

Entferne als Eigenschaft aus der IST-Situation: Gerd sitzt in seinem Büro.

ANWENDUNG der Veränderungs-Beschreibung:

Die BEDINGUNG ist erfüllt.

DANN:

NEUE IST-Situation:

Gerd verlässt sein Büro. Gerd ist hungrig.

BEWERTUNG:

Die Eigenschaft aus dem ZIEL: ‚Gerd ist nicht hungrig‘ ist noch nicht erfüllt, also: Erfolg bisher: 0%

WIEDERHOLTE ANWENDUNG

Jede Veränderungs-Regel kann grundsätzlich beliebig oft angewendet werden, allerdings nur, solange die BEDINGUNG erfüllt wird.

Im obigen Beispiel wäre die BEDINGUNG ‚Gerd ist hungrig‘ weiter erfüllt, aber die erneute Anwendung der Regel wird die Situation nicht mehr weiter verändern. Damit ist absehbar, dass der ZIEL-Zustand in diesem Modell (in dieser Theorie) niemals erreicht werden kann.

Beispiel mit der oksimo.R Software

Kontextualisierung der Software

Die oksimo.R Software ist Teil des oksimo.R Paradigmas. Das ‚oksimo.R Paradigma‘ umfasst drei Komponenten: (i) Als ‚Anwendungsformat‘ eine Menge von beliebigen Bürgern, die sich als ’natürliche Experten‘ verstehen, die ‚gemeinsam wissenschaftlich arbeiten‘. Dieses Format wird im Kontext des oksimo.R Paradigmas ‚Bürgerwissenschaft 2.0‘ genannt. (ii) Die ‚oksimo.R Software‘, die von Bürgern genutzt werden kann, um ihre wissenschaftliche Beschreibung der erfahrbaren Welt so zu formulieren (‚Editieren‘), dass sie ‚automatisch‘ die Anforderungen einer ‚empirischen Theorie‘ erfüllen, um damit jederzeit auch ‚Folgerungen‘ ziehen zu können, die als ‚Simulationen‘ praktiziert werden. (iii) Ein klares Konzept einer ‚empirischen Theorie‘, die mit allen bekannten Formen von ‚empirischen Wissenschaften‘ kompatibel ist (tatsächlich kann die allgemeine Form des oksimo.R Theoriekonzepts auch alle Formen von nicht-empirische Theorien repräsentieren).

Die oksimo.R Software wird zur Zeit auf einem Server im Internet entwickelt und bereit gestellt, der über die Adresse oksimo.com erreichbar ist.

Da das theoretische Konzept der oksimo.R Software nahezu alles abdeckt, was wir bislang als Softwareanwendung im Internet kennen (einschließlich der verschiedenen Formen von ‚Künstlicher Intelligenz (KI)‘ und ‚Internet of Things (IoT)‘, ist die Umsetzung des theoretischen Konzepts in anwendbare Software generell ein ‚unendlicher Prozess‘. Zum Zeitpunkt dieses Schreibens (16.November 2022) ist Level 2 direkt verfügbar und gearbeitet wird an Level 3.

Eine oksimo.R Theorie in der Software (Noch Level 2)

Das alte Menü — noch im Kommandozeilen-Modus — zeigt sich nach dem Einloggen wie folgt:

Welcome to Oksimo v2.1 02 May 2022 (ed14)

MAIN MENU
1 is NEW VISION
2 is MANAGE VISIONS
3 is VISION COLLECTIONS
4 is NEW STATE
5 is MANAGE STATES
6 is STATE COLLECTIONS
7 is NEW RULE
8 is MANAGE RULES
9 is RULE DOCUMENT
10 is NEW SIMULATION
11 is MANAGE SIMULATIONS
12 is LOAD SIMULATION
13 is COMBINE SIMULATIONS
14 is SHARE
15 is EXIT SIMULATOR
Enter a Number [1-15] for Menu Option

Im alten Kommandozeilen-Modus muss man die oksimo.R Texte manuell eingeben. Für den IST-Zustand sieht dies wie folgt aus:

IST-Beschreibung eingeben

Enter a Number [1-15] for Menu Option

4

Here you can describe an actual state S related to your problem.

Enter a NAME for the new state description:

Essen1

Enter an expression for your state description in plain text:

Gerd sitzt in seinem Büro.

Expressions so far:
Gerd sitzt in seinem Büro.

Enter another expression or leave blank to proceed:

Gerd ist hungrig.

Expressions so far:
Gerd sitzt in seinem Büro.
Gerd ist hungrig.

Enter another expression or leave blank to proceed:

Name: Essen1
Expressions:
Gerd sitzt in seinem Büro.
Gerd ist hungrig.

Anmerkung: In der Version Level 2 (bislang nur mit Englischem Interface) wird eine IST-Beschreibung allgemein nur als ‚Zustand (state)‘ bezeichnet.

VISIONs-Text eingeben

Enter a Number [1-15] for Menu Option

1

Here you can describe your vision S.

Enter a NAME for the new vision:

Essen1-v1

Enter an expression for your vision in plain text:

Gerd ist nicht hungrig.

Expressions so far:
Gerd ist nicht hungrig.

Enter another expression or leave blank to proceed:

Your final vision document is now:
Name: Essen1-v1
Expressions:
Gerd ist nicht hungrig.

VERÄNDERUNGS-Regel eingeben

Enter the name of the new rules document:

Essen1-Wollen1

Enter condition:

Gerd ist hungrig.

Conditions so far:
Gerd ist hungrig.

Enter another condition or leave blank to proceed:

Enter a probability between 0.0 and 1.0:

1.0

(Anmerkung: Das Feature ‚Probability‘ an dieser Stelle ist mittlerweile obsolet. Wahrscheinlichkeiten werden genereller und flexibler gehandthabt. Beispiele folgen.)

Enter positive effect:

Gerd verlässt sein Büro.

Positive Effects so far:
Gerd verlässt sein Büro.

Enter another positive effect or leave blank to proceed:

Enter negative effect:

Gerd sitzt in seinem Büro.

Negative Effects so far:
Gerd sitzt in seinem Büro.

Enter another negative effect or leave blank to proceed:

Summary:
Rule:Essen1-Wollen1
Conditions:
Gerd ist hungrig.

Probability:
1.0
Positive Effects:
Gerd verlässt sein Büro.

Negative Effects:
Gerd sitzt in seinem Büro.

Wirkung der Theorie ‚testen‘

Folgerungen testen

Der ‚Kern einer oksimo.R Theorie‘ besteht aus den beiden Komponenten IST-Situation (hier: state) und VERÄNDERUNGS-Regel (hier: rule). Durch die Anwendung einer Regel auf einen Zustand entsteht ein Nachfolge-Zustand, der letztlich eine ‚Folgerung‘ innerhalb der Theorie ist. Je komplexer der Ausgangszustand ist und je mehr Veränderungs-Regeln es gibt, um so vielfältiger wird die Menge der möglichen Folgerungen. Diese zu überschauen, vor allem auch dann, wenn die Veränderungsregeln immer wieder auf einen Nachfolgezustand angewendet werden können, so dass eine immer längere Folge von Zuständen entsteht, die ‚auseinander‘ hervorgehen, kann sehr schnell sehr schwer werden.

Zielerfüllung testen

Benutzt man einen oksimo.R Theoriekern zusammen mit einer ZIEL-Beschreibung, dann kann man während des Folgerungsprozesses (der ‚Simulation‘) an jeder Stelle auch überprüfen, wie viele ‚Elemente der ZIEL-Beschreibung‘ schon in einem gefolgerten Zustand ‚vorkommen‘. Falls ‚alle‘ Elemente der ZIEL-Beschreibung vorkommen, ist die Theorie in der Lage, 100% der ZIEL-Beschreibung zu ‚folgern‘ (‚abzuleiten‘), andernfalls weniger, bis hin zu 0% Zielerfüllung.

Eine oksimo.R Simulation starten

Enter a Number [1-15] for Menu Option

10

Here you can run a simulation SIM to check what happens with your initial state S when the change rules X will be applied repeatedly on the state S.

Available vision descriptions:

Essen1-v1

Enter a name for a vision description you want to load. Use prefix col to load a collection:

Essen1-v1

Visions selected so far:
Essen1-v1

Add another vision or leave blank to proceed:

Available state descriptions:

Essen1

Enter a name for a state description you want to load. Use prefix col to load a collection:

Essen1

States selected so far:
Essen1

Add another state or leave blank to proceed:

Selected states:
Essen1

Available rules

Essen1-Wollen1

Rules selected so far:
Essen1-Wollen1
Add another rule or leave blank to proceed:

Selected visions:
Essen1-v1
Selected states:
Essen1
Selected rules:
Essen1-Wollen1

Enter maximum number of simulation rounds

3

Your vision:
Gerd ist nicht hungrig.

Initial states: 
Gerd sitzt in seinem Büro.,Gerd ist hungrig.


Round 1

Current states: Gerd verlässt sein Büro.,Gerd ist hungrig.
Current visions: Gerd ist nicht hungrig.

0.00 percent of your vision was achieved by reaching the following states:
None

Round 2

Current states: Gerd ist hungrig.,Gerd verlässt sein Büro.
Current visions: Gerd ist nicht hungrig.

0.00 percent of your vision was achieved by reaching the following states:
None
...

Man kann direkt erkennen, dass sich die Beschreibung des IST-Zustands nicht mehr verändert. Es gibt auch keinen Grund dafür, dass weitere Änderungen auftreten könnten.

Regelanwendung und Logischer Folgerungsbegriff

(Letzte Änderung: 17.Nov.2022)

Anhand des vorausgehenden einfachen Beispiels wurde konkret erklärt, was passiert, wenn man eine Regel auf eine gegebene IST-Situation anwendete. Eine Wissenschaft, die sich mit solchen Veränderungsprozessen mittels Regelanwendung(en) beschäftigt, ist die ‚Logik‘. Logiküberlegungen gibt es schon seit mehr als 2500 Jahren, in vielfältigsten Formen. Die im Rückblick bedeutendsten Logik Paradigmen sind möglicherweise die mit dem Namen Aristoteles verbundene Logik, in der logische Ausdrücke noch nicht isoliert von möglichen sprachlichen Bedeutungen betrachtet wurden, und die modernen formale Logik, in der die logischen Ausdrücke außer mit abstrakten ‚Wahrheitswerten‘ keinerlei Verbindung zu einer sprachlichen Bedeutung aufweisen. Die Geschichte der modernen formalen Logik begann im 19.Jahrhundert vor ca. 150 Jahren (Bool, de Morgan, Venn, Frege, Russell, …).

Die zentrale Idee jeder Logik ist, ein ‚Verfahren zu finden, dass es dem Anwender erlaubt, aus einer Menge von ‚als (abstrakt) wahr angenommenen‘ Aussagen nur solche Aussagen ‚ableiten‘ zu können, die auch wieder ‚(abstrakt) wahr‘ sind. Die ‚abstrakte Wahrheit‘ der modernen formalen Logik ist ein ‚Platzhalter‘ für eine alltagssprachliche Wahrheit, die sich als solche nicht innerhalb einer formalen Logik ausdrücken lässt. Die formale Logik setzt voraus, dass es ‚Akteure‘ gibt, die ‚wissen‘ was sie sagen, wenn sie von einer ‚wahren‘ Aussage sprechen. Ob die Formalisierung von ‚Wahrheitsbeziehungen‘ zwischen verschiedenen Mengen von Ausrücken im Format der modernen formalen Logik das Bedeutungswissen der Akteure ‚adäquat‘ abbilden, lässt sich daher nicht ‚innerhalb des logischen Systems‘ entscheiden, sondern nur ‚von außerhalb‘, aus der Perspektive des ‚Bedeutungswissens des handelnden Akteurs‘.

Nennt man die Ausgangsmenge von ‚als abstrakt wahr‘ angenommenen sprachlichen Ausdrücken eine IST-Beschreibung (im Stile des oksimo.R Paradigmas) und die Menge der möglichen ‚abgeleiteten als abstrakt wahr angenommenen‘ Ausdrücke die ‚gefolgerten abstrakt wahren Ausdrücke‘, dann könnte man dies im Stile der formalen Logik wie folgt formulieren:

IST-AUSSAGEN  VERÄNDERUNGS-REGELN GENERIERTE-POTENTIELLE- IST-AUSSAGEN

oder abkürzend:

X  R X‘

Das Zeichen ‚‚ repräsentiert einen Folgerungsbegriff. Dieser besteht aus einem Text, in dem beschrieben wird, wie man eine Veränderungs-Regel aus der Menge R auf eine gegebene Menge von Ausdrücken X so anwendet, dass aufgrund der Anwendung auf die gegebene Menge X eine neue Menge X‘ entsteht. Die Beschreibung des Folgerungsbegriffs muss so beschaffen sein, dass völlig eindeutig ist, ‚was zu tun ist‘.

Der Anspruch der ‚rein formalen Logik‘ der Neuzeit, dass alle Ausdrücke, die mit dem Folgerungsbegriff generiert werden, auch konform zum ‚angenommenen abstrakten Wahrheitswert‘ sind, gilt so bei dem Folgerungsbegriff der oksimo.R Theorie-Software auch. Bei dem oksimo.R Folgerungsbegriff wird garantiert, dass alle ‚generierten Ausdrücke‘ ‚wahr‘ sind im Sinne des ’sprachlich fundierten Bedeutungswissens‘ der beteiligten ‚Akteure‘! Allerdings ist sprachlich fundiertes Bedeutungswissen ‚Wissensabhängig‘ und kann daher empirische entweder ‚wahr‘ sein oder ‚falsch‘ oder ‚unbestimmt‘. Dies verweist darauf, dass generell sind die Akteure die ‚Hüter der Wahrheit‘ sind. Die Akteure formulieren die Veränderungs-Regeln R auf der Basis ihres sprachlichen Wissens. Wenn diese Veränderungs-Regeln R ‚zutreffend‘ sind, dann gilt dies auch für die mittels Folgerungsbegriff generierten sprachlichen Ausdrücke. Beinhalten die Veränderungs-Regeln R einen ‚Fehler‘, dann wird dieser zwangsläufig in der generierten Nachfolge-Situation X‘ als Beschreibungselement E enthalten sein. Dieses Ausdruckselement E als Teil der Voraussage X‘ kann sich dann im weiteren Verlauf im Vergleich mit der gemeinsam geteilten empirischen Realität entweder als ‚falsch‘ heraus stellen oder es wird auf Dauer ‚unbestimmt‘ bleiben, da es weder ‚wahr‘ wird noch direkt als ‚falsch‘ klassifiziert werden kann. Im Fall der modernen formalen Logik ist der empirische Wahrheitsstatus von gefolgerten Ausdrücken vollständig unbestimmt.

Der oksimo.R Folgerungsbegriff vereinigte die formalen Vorteile der modernen formalen Logik mit dem Bedeutungsbezug der Aristotelischen Logik und versteht sich als ’natürliches Ausdrucksmittel‘ für eine empirische Theorie mit Wahrheitsanspruch.

Fortsetzung zu Teil 2