CITIZEN SCIENCE

(Letzte Änderung: 21.Dezember 2022)

Auf der Willkommensseite wird der ’normale Bürger‘ ins Zentrum der Wissensbildung und des Handelns gestellt. Warum? Wie soll dies gehen? Haben wir dazu nicht die vielen Spezialisten und ausgewiesenen Experten um uns herum? Was ist mit den vielen staatlichen Einrichtungen und den politischen Entscheidungsstrukturen?

Ja, die Verwendung des Begriffs Citizen Science (Bürgerwissenschaft) ist erklärungsbedürftig. Eine solche Erklärung soll auf dieser Seite versucht werden.[1]

Eine Kurzfassung dieser Erklärung geht wie folgt:

1987 eröffnete der sogenannte Brundtland-Report der Vereinten Nationen das Nachdenken über eine globale ’nachhaltige Entwicklung‘. Während die Vereinten Nationen seitdem versuchen, diese Grundideen im Geflecht vielfältiger — z.T. widersprechender — politischer Strömungen weiter zu entwickeln, ist das Prinzip der ‚Nachhaltigkeit‘ selbst seit gut 3.5 Milliarden Jahren das Grundprinzip der biologischen Evolution. Uns Menschen (optimistisch ‚homo sapiens‘ getauft) gibt es z.B. nur, weil die gesamte Biosphäre vom ‚Kern‘ her Nachhaltigkeit lebt.

Dieser Kern der Nachhaltigkeit repräsentiert sich im Rahmen eines Wechselspiels zwischen biologischen Populationen und einer realen Umgebung. Angesichts der anhaltenden Veränderungen des Systems Erde (als Teil des Sonnensystems, als Teil …) konnte sich das biologische Leben nur behaupten (und tatsächlich sogar an Komplexität stark zulegen), weil es in seiner ‚Reproduktion‘ programmatisch eine radikale ‚Diversität‘ schuf, die — bislang zumindest — vielfältig genug war, um das unausweichliche ‚Scheitern‘ von Konzepten durch ‚funktionierende Lösungen‘ auszugleichen. Der ‚Überschuss‘ an Lösungen war die schmale Brücke in eine mögliche, jederzeit ‚unbekannte Zukunft‘.

Während der Evolution bis zum Erscheinen des homo sapiens war ‚Innovation durch Vielfalt‘ gepaart mit ‚Nutzung bisheriger Erfolge‘ eine Kombination, die selbst Dinge, die als maximal unwahrscheinlich galten, dennoch möglich machte.

Die Teilpopulation des homo sapiens veränderte dieses bis dahin geltende globale Schema durch eine qualitativ neue Fähigkeit: die ‚Simulation‘ neuer Möglichkeiten im Gehirn, gepaart mit einer neuen ’symbolischen Kommunikation‘, die potentiell neue Formen von ‚Kooperation‘ zwischen Gehirnen möglich machte. Statt wie bisher, ‚blind‘ abwarten zu müssen, was die Zukunft bringt, und dafür ‚blind‘ Innovationen ‚ins Blaue‘ generieren zu müssen, von denen viele scheiterten, konnte die homo sapiens Teilpopulation jetzt ansatzweise ‚vermutete Zukunft‘ vorweg nehmen und konnte die vorhandenen Ressourcen ‚gezielter‘ einsetzen.

Wie der weitere Gang der Evolution (ca. 300.000 Jahre im Verhältnis zu 3.5 Milliarden Jahre!) zeigt, ist dieses neue Prinzip einer ‚gedanklichen Vorwegnahme‘ von ‚möglicher Zukunft‘ noch sehr fehlerbehaftet. Aus Sicht des Jahres 2022 (die ca. 300.000 Jahre vorher werden im Kalender elegant ausgeklammert) kann man den Eindruck haben, dass die Teilpopulation des homo sapiens die Biosphäre gerade mal ‚an die Wand‘ fährt. Fehler gehören schon immer zur biologischen Evolution. Bislang gab es neben den ‚Fehlern‘ aber immer genügend ‚funktionierende Alternativen‘. Wo sind diese im Fall der homo sapiens Teilpopulation, die dank ihrer neuen Fähigkeiten den gesamten Planeten in Besitz genommen hat, und zwar auf eine Weise, die allen anderen Lebensformen immer mehr ihre Lebensgrundlage entzieht, und dabei zugleich ihre eigene Lebensgrundlage vernichtet. Wo soll hier noch Raum für eine innovative Alternative sein?

Solange die Teilpopulation des homo sapiens die ‚Kontrolle über den Planet Erde‘ innehat, kann eine Lösung nur ‚aus dem Innern‘ dieser Teilpopulation kommen: die Art, wie diese Teilpopulation ‚denkt‘, ‚kommuniziert‘ und ‚kooperiert‘. Im Kern geht es um ‚Bildung‘, und zwar um eine Bildung, die ‚wirklichkeitsbezogen‘ ist und möglichst ‚alle Mitglieder der Population‘ einbezieht, da jeder Mensch ein Lösungspotential verkörpert, das — dies zeigt die Geschichte — einer ganzen Generation entscheidend helfen kann.

Die Idee einer ‚Citizen Science 2.0/ Bürgerwissenschaft 2.0‘ knüpft an diesen grundlegenden Sachverhalt an und versucht mit Unterstützung eines neuen bürgernahen Konzepts einer ‚allgemeinen empirischen Theorie‘ samt einer neuen Art von ‚alltagsnaher Software‘ die Bürger in die Lage zu versetzen, gemeinsam mit normaler Sprache die unbekannte Zukunft versuchsweise zu planen.[2]

KOMMENTARE

[1] Eine interessante ‚Form der Einführung in das Thema ‚Citizen Science/ Bürgerwissenschaft‘ könnte die Lektüre des Berichts von der FULDA-Tagung der hessischen Forschungsgruppe ‚Nachhaltige Intelligenz – Intelligente Nachhaltigkeit‘ vom 8.Dezember 2022 ( https://www.oksimo.org/2022/12/09/review-konferenz-partizipation-und-nachhaltigkeit-in-der-digitalitaet-7-8-dezember-2022/ ) sein. In diesem Bericht wird in er Einleitung ein sehr generischer Kontext für Bürgerwissenschaft skizziert (die Perspektive dieser Forschungsgruppe), und dazu gibt es dann vier Vorträge von namhaften Vertretern der Thematik, die vier sehr unterschiedliche Perspektiven vorstellen.

[2] Wer noch zusätzliche Argumente sucht über die hinaus, die im obigen kurzen Text zu finden sind, der ist eingeladen, die Gedanken zum Schluss des großartigen Buches von Glaubrecht „Ende der Evolution … “ (2021)(https://www.cognitiveagent.org/2022/09/22/das-ende-der-evolution-von-matthias-glaubrecht2021-2019-lesenotizen-teil-2/) zu lesen. Glaubrecht beschreibt dort u.a. eine positive Variante von Zukunft im Jahr 2062, falls wir alles ‚richtig‘ machen. In seinem Text gibt es aber den berühmten ‚Elefanten im Raum‘: dies ist ein Problem, das jeder kennt, aber niemand spricht es aus. In meiner Reflexion auf den Text von Glaubrecht versuche ich, genau diesen ‚Elefanten im Raum‘ sichtbar zu machen. Man kann den obigen Text über Citizen Science 2.0 als eine Antwort auf diesen Elefanten im Raum verstehen. (*) URL: https://www.cognitiveagent.org/2022/09/22/das-ende-der-evolution-von-matthias-glaubrecht2021-2019-lesenotizen-teil-2/

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