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D@W : SIND DEMOKRATIEN ÜBERLEBENSFÄHIG? Ausgangslage

Letzte Änderung: 9.Dez 2024, 13:15h CET

Autor: Gerd Doeben-Henisch

Kommentare an: datw@oksimo.org

KONTEXT

Der folgende Text ist Teil des Buches ‚Demokratie@Work (kurz: D@W).

SIND DEMOKRATIEN ÜBERLEBENSFÄHIG? Ausgangslage

In einem vorausgehenden Text (‚Einleitung‘ zu D@W) wurde die Frage aufgeworfen, ob ‚Demokratien überlebensfähig‘ sind? Wenn Demokratien von vornherein keine Chance hätten, überleben zu können, wäre es wohl nicht sehr empfehlenswert, diesen Weg zu wählen.

Andererseits, nicht den Weg einer Demokratie zu wählen, also eine ‚Nicht-Demokratie‘, würde automatisch bedeuten, dass man den Weg einer ‚Autokratie‘ wählen müsste. ‚Ein bisschen Demokratie‘ geht nicht, auch wenn manche Autokratien sich gerne als ’nach außen demokratisch‘ darstellen.

WAS MUSS ÜBERLEBEN?

Bevor man die Frager diskutiert, ‚ob‘ Demokratien eine Chance haben, zu überleben, sollte man festhalten, ‚was‘ an einer Demokratie — ‚welche Elemente‘ — vorhanden sein müssten, damit man überhaupt von einer Demokratie sprechen kann?

Ein direkter Ansatz zur Charakterisierung der ‚Grundelemente einer Demokratie‘ ist die Bezugnahme auf ein ‚autokratisches System‘, welches im Kern eine sehr einfache Struktur besitzt. In dem Maße, wie sich bei der ‚Beschreibung‘ eines konkreten gesellschaftlichen Systems die Eigenschaften einer ‚Autokratie‘ aufzeigen lassen, in dem Maße liegt ‚keine Demokratie‘ vor sondern eben eine ‚Autokratie‘.

Keine Kontrolle der Macht durch das Volk

Das zentrale Kennzeichen einer Autokratie liegt im Fehlen einer effektiven ‚Kontrolle der Macht‘ durch freie Wahlen, bei denen sich jeder Bürger ab einem bestimmten Mindestalter beteiligen kann. Dazu gehört, dass nach den ‚freien und öffentlichen Wahlen‘ diejenigen, die eine ‚Mehrheit‘ errungen haben, für eine ‚definierte Zeit‘ die ‚Macht ausüben‘ dürfen.

Bei einer Gesellschaft, in der einige wenige die Macht ohne jegliche Kontrolle ausüben können, kann man nicht von einer ‚Demokratie‘ sprechen. Es gibt im Jahr 2024 viele Autokratien, in denen formal ‚Wahlen‘ stattfinden, aber diese Wahlen sind so angelegt, dass die ‚Akteure der unkontrollierten Macht‘ durch diese Wahlen nicht real gefährdet sind. Es gibt im Jahr 2024 aber auch Gesellschaften, die sich als ‚Demokratien‘ verstehen, in denen Wahlen unter Bedingungen stattfinden, die die Möglichkeit einer freien Wahl entweder für mögliche Kandidaten oder auch für die Wähler — oder für beide — partiell einschränken.

Keine freie öffentliche Meinung

Neben den freien Wahlen benötigt es eine ‚freie öffentliche Meinungsbildung‘, durch welche die Mitglieder einer Gesellschaft sich eine ‚zutreffendes Bild der Realität‘ machen können, welche sie als Gesellschaft ‚zum Wohle aller‘ täglich gestalten wollen. Dieses öffentlich verfügbare Meinungsbild bildet auch die Grundlagen für eine ‚Wahlentscheidung‘ im Fall einer Wahl. Ist solch eine freie öffentliche Meinung für ‚alle‘ (!) Bürger nicht umsetzbar, dann ist eine ‚Kontrolle der Macht‘ im Ansatz nicht möglich.

Kennzeichen für alle Autokratien (im Jahr 2024 z.B. u.a. der Iran, Russland und China) ist eine unfassbare Angst vor jedem Ereignis einer öffentlichen Meinungsbildung. Die Maßnahmen der Unterdrückung sind entsprechend rigoros: Verbote, reale Unterdrückung, willkürliche Verhaftungen, willkürliche Gerichtsverfahren, Gefängnis, Folter, Tötungen. Rein formal gibt es oft sogar schriftliche Regelungen, Vorschriften oder gar Gesetze, aber diese schriftlichen Regelungen wurden von einer Macht veranlasst, die selbst unkontrolliert ist,und die Regelungen sind auch so gestaltet, dass ihre Interpretation jeglichen Spielraum lässt.

Im Falle von Demokratien gibt es seit wenigen Jahren ein Phänomen, das zunehmend auch eine freie öffentliche Meinung für alle zerstören kann oder sogar schon aktiv zerstört: unter Ausnutzung der ‚rechtlich gewährten freien Meinungsäußerungen‘ und in Verbindung mit dem heute fast überall verfügbaren Internet konnte sich der ‚Raum der öffentlichen Meinung‘ in viele ‚Teilräume aufteilen‘, in denen unterschiedliche ‚Bilder von der Welt‘ kommuniziert werden können. Wenn nun diese kommunizierten Bilder von der Welt ‚teilweise oder überwiegend nicht zutreffen‘ (was nachweisbar der Fall ist), dann zerfällt die öffentliche Meinung in viele getrennte Bilder von der Welt, die teilweise oder überwiegend falsch sind. Damit wird eine ‚kritische Sicht der Gegenwart‘ deutlich getrübt und bei Wahlen können Kandidaten gewählt werden, die diese ‚unzutreffenden Bilder von der Welt‘ aktiv vertreten. Dadurch können die Grundregeln einer demokratischen Gesellschaft mindestens geschwächt, wenn nicht dann sogar aufgehoben werden.

Falsche öffentliche Ordnung

Jede Gesellschaft benötigt für ihr tägliches Zusammenleben eine minimale Ordnung, die durch Einrichtungen wie z.B. ‚Anwälte‘, ‚Polizei‘ und ‚Gerichte‘ moderiert wird.

In einer Autokratie gibt es diese Einrichtungen auch, und es gibt hier sogar auch ansatzweise Vorschriften, welche diese ‚Institutionen für die Erhaltung der öffentlichen Ordnung‘ einhalten sollen. Wenn aber diese Vorschriften von einer unkontrollierten Macht verordnet werden, gibt es für Willkür keine natürlichen Grenzen. Umso mehr, wenn es keine funktionierende öffentliche Meinung gibt. Die Praxis der heute existierenden Autokratien spricht hier eine deutliche Sprache.

Falsche Sprache

Auch wenn die realen Taten einer Autokratie ihre eigene klare Botschaft enthalten, versuchen Autokratien dennoch beständig, durch ‚geeignete sprachliche Formulierungen‘ den Eindruck zu erwecke, dass das, was sie täglich tun, alles ‚richtig‘ sei.

Im Zuge der Zeit, wo das Internet alle erreicht (zumindest dort, wo es keine ‚Sperren‘ gibt, wie sie Autokratien eingerichtet haben) und wo bestehende Demokratien eine nahezu unbeschränkte ‚Freiheit der Meinungsäußerungen‘ gewähren, fluten Autokratien diese
öffentlichen Räume‘ mit ihren ‚Texten der Pseudo-Wahrheiten‘, um auf diese Weise über die ‚Köpfe der Bürger‘ den inneren Zusammenhalt demokratischer Gesellschaft zu schwächen oder gar zu zerstören.

Während also Autokratien ihre ‚öffentliche Räume‘ aufs schärfste kontrollieren und mit martialischen Mitteln jede Abweichung ahnden, lassen bestehende Demokratien es bislang zu, dass ihre eigenen Bürger über die freien öffentlichen Räume‘ quasi ‚in Gedanken umprogrammiert‘ werden.

Zusammenfassend:

Dies kurze Skizze liefert folgenden Ansatzpunkte, die als ‚minimale Ankerpunkte‘ einer Demokratie gewahrt sein sollten, damit wir minimal von einer ‚Demokratie‘ reden können:

  1. ‚Macht‘ darf nur von solchen Menschen ‚ausgeübt‘ werden können, die durch ‚öffentliche freie Wahlen‘ für einen ‚vereinbarten endlichen Zeitraum‘ gewählt wurden.
  2. Für die ‚Ausübung der Macht‘ gibt es ‚Master-Regeln‘ (oft ‚Grundgesetz‘ oder ‚Verfassung‘ genannt), die von einer deutlichen Mehrheit der Bürger vereinbart worden sind. Sie können auch nur nach festen Regeln wieder ‚geändert‘ werden.
  3. Es gibt einen ‚öffentlichen Informationsraum‘, der ‚jedem Bürger unentgeltlich‘ von der Gesellschaft zur Verfügung gestellt wird, der es möglich macht, dass eine Gesellschaft sich eine ‚freie Meinung‘ über jene Welt bilden kann, in der diese Gesellschaft ‚überleben muss‘. Es gibt eine ‚Qualitätssicherung‘, die darauf achten muss, klar ‚unzutreffende Bilder von der Welt‘ kenntlich zu machen.

DIE ZENTRALE ROLLE EINES ZUTREFFENDEN BILDES VON DER WELT

Im vorausgehenden Text wurden mit Bezug auf Autokratien minimale Kriterien formuliert, welche eine Gesellschaft erfüllen sollte, die sich ‚Demokratie‘ nennen will.

Schon bei dieser kurzen Skizze wurde deutlich, dass die Frage des ‚zutreffenden Bildes jener Welt, in der man lebt‘ bzw. auch ‚überleben will‘ eine zentraler Bedeutung bekommt. Ohne Verfügbarkeit eines ‚zutreffenden Bildes‘ ist ein verantwortungsvolles Handeln schlicht nicht möglich, nicht für einen einzelnen Menschen, nicht für eine Gruppe und auch nicht für eine ganze Gesellschaft.

Dies führt aber direkt zur Frage, was denn ein ‚zutreffendes Bild von der Welt‘ ist?

Solange es kein gemeinsames Verständnis davon gibt, was die Formulierung ‚Zutreffen einer Meinung über die Welt‘ gibt, wird es kaum möglich sein, gemeinsam an einem ‚zutreffenden Bild von der Welt‘ zu arbeiten geschweige denn gemeinsam danach zu handeln.

Aufgrund dieser grundsätzlichen Überlegung werden im folgenden Text Überlegungen angestellt, wie ein ‚Reden über die Welt‘ beschaffen sein muss, damit das, was gesagt wird,auf die Welt auch ‚tatsächlich zutrifft‘ bzw. ‚zutreffen kann‘, falls der Zeitpunkt des Zutreffens ‚in der Zukunft‘ liegt.

ÜBER DEMOKRATIE SPRECHEN

Grundvoraussetzungen

Wenn wir die Frage nach der Überlebensfähigkeit von Demokratien beantworten wollen, müssen wir uns bewusst machen, dass es um einen ‚Kommunikationsprozess zwischen Menschen‘ geht. Dies bedeutet, was jeder einzelne ‚in seinem Kopf‘ hat, dies wird nur ’sichtbar‘ oder ‚hörbar‘, wenn die verschiedenen Einzelnen über eine ‚gemeinsame Sprache‘ verfügen, mittels der sie wechselseitig ’sichtbar (und hörbar)‘ machen können, ‚worüber‘ sie mit den anderen ’sprechen‘ wollen.

‚Miteinander Sprechen‘ läuft dann darauf hinaus, dass es einen ‚Texte‘ in der ‚gemeinsamen Sprache‘ gibt. Und dieser Text — eine Anordnung von ‚Zeichen‘ auf einem Papier — kann eine ‚Bedeutung haben‘, wenn die Teilnehmer an der sprachlichen Kommunikation in der Lage sind, beim ‚Lesen des Textes‘ — jeder für sich — ‚in ihrem Innern‘ die ‚Zeichen des Textes‘ mit ‚inneren Zuständen‘ zu verknüpfen, die für jeden Leser das ausmachen, was — meistens — ‚Bedeutung‘ genannt wird.

Diese Fähigkeit, Zeichen eines Textes mit inneren Zuständen zu verknüpfen, die wir dann als ‚Bedeutung‘ wahrnehmen, ist insoweit ‚angeboren‘, als ein Mensch — meistens — von Kindheit an in der Lage ist, zu ‚Lernen‘, ‚welche Zeichen‘ in einer bestimmten sozialen Umgebung mit welchen inneren Zuständen ‚verbunden werden‘.

Dass diese ‚individuellen Lernprozesse‘ im Verlauf dazu führen können, dass verschiedene Menschen bei der gleichen Sprache ‚das Gleiche meinen‘ können, hängt damit zusammen, dass die ‚inneren Zustände‘ eines Menschen über ‚Wahrnehmungsprozesse‘ mit der jeweils ‚aktuellen Situation‘, in der sich der ‚Körper eines Menschen‘ befindet, partiell verbunden sind. Die ‚Sinnesorgane‘ des menschlichen Körpers können — meistens — bestimmte ‚Eigenschaften‘ der aktuellen Situation über das Gehirn dem einzelnen in seiner ‚Innensicht‘ ‚als wahrgenommene Eigenschaften‘ verfügbar machen. Sofern Menschen mit ihrem Körper zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind, können sie — das lehrt uns die Alltagserfahrung — ‚ähnliche Wahrnehmungsereignisse‘ haben. Nennt man die aktuelle Situation einschließlich des Körpers der beteiligten Situation die ‚reale Welt‘ oder einfach ‚die Realität‘, und nennt man das ‚Innere des Menschen‘, sofern es dem einzelnen Menschen ‚bewusst‘ ist, die ’subjektive Wirklichkeit‘, dann kann man die ’sinnlich induzierten Wahrnehmungsereignisse‘ als ‚Repräsentationen‘ von bestimmten Eigenschaften der realen Welt in der subjektiv Welt des einzelnen Menschen auffassen.

Aus der Alltagserfahrung wissen wir ferner, dass verschiedene Menschen sich — meistens — mit der gleichen Sprache in der gleichen Situation bei Bezugnahme auf bestimmte Aspekte der realen (Außen-)Welt weitgehend darüber einigen können, ‚mit welchen Zeichenkombinationen‘ sie das beschreiben, was sie in der aktuellen Situation ‚individuell wahrnehmen‘. Es können also ‚Texte‘ entstehen, bei denen die beteiligten Menschen zu der Feststellung kommen können, dass dieser Text bestimmte Eigenschaften der aktuellen Situation ‚zutreffend beschreibt‘ oder eben nicht. Ein Text, der als ‚zutreffend‘ aufgefasst wird, wird auch als ‚wahr‘ im Sinne des Zutreffens verstanden, ansonsten als ’nicht zutreffend‘ oder ‚falsch‘. Es kann auch Teile des Textes geben, die als ‚unbestimmt‘ empfunden werden; es ist dann nicht klar, worauf sich der Text beziehen soll. Er ist dann ‚weder wahr noch falsch‘.

Dieser kurze Text beschreibt die ‚Grundvoraussetzungen‘, ohne die es überhaupt keine Kommunikation gibt. Und, wie man ansatzweise fühlen kann, sind schon diese Grundvoraussetzungen nicht gerade ‚einfach‘ zu verstehen. Für die Klärung der Hauptfrage, ob Demokratien überlebensfähig sind, reichen diese Grundvoraussetzungen allerdings noch nicht aus. Weitere Aspekte müssen noch geklärt werden.

AKTUELL und PUNKTUELL

Im Rahmen der Grundvoraussetzungen können wir davon ausgehen, dass wir einen ‚konkreten Körper‘ haben. Mit diesem Körper befinden wir uns immer auch an einem ‚konkreten Ort‘ mit einer dazu gehörigen ‚konkreten Situation‘. Dies alles findet außerdem — falls man mittels einer Uhr ‚Zeit‘ ‚erzeugen‘ und damit ‚messen‘ kann — zu einem ‚konkreten Zeitpunkt‘ statt.

Zu jedem konkreten Zeitpunkt können wir nur ganz wenige ‚konkrete Dinge in unserem Kopf‘ zugleich ‚denken‘: z.B. nur einige wenige ‚aktuelle Wahrnehmungen‘, nur einige wenige ‚aktuelle Emotionen‘, nur einige wenige ‚aktuelle Vorstellungen/ Gedanken‘ und nur einige wenige ‚aktuelle Ziele‘. Wenn ich gerade vor mir eine bestimmte Straße sehe, dann kann ich nicht gleichzeitig eine andere Straße sehen; ein bestimmtes Schaufenster, nicht zugleich viele andere; eine bestimmte Buchseite und nicht zugleich andere Buchseiten; einen aktuellen Gedanken bewusst denken und nicht zugleich viele andere Gedanken bewusst denken, usw. (Der Zusatz ‚bewusst‘ ist hier notwendig, da das eigene Gehirn im ‚unbewussten Bereich‘ tatsächlich gleichzeitig viel mehr als nur einen Gedanken verarbeiten kann).

Man darf von daher schon sagen, dass wir in unserem konkreten Alltag mit unserem Körper zu einem bestimmten Zeitpunkt durchgehend ‚punktuell konkret Wahrnehmen, Fühlen und Denken‚.

Dass wir dies überhaupt können, ist schon für sich großartig, in einem größeren zeitlichen Zusammenhang würde diese ‚Fixierung auf den Augenblick‘ einen konkreten Körper aber lebensunfähig machen. Ein Körper mit solch einer Fixierung auf einen Augenblick würde der berühmten Mücke gleichen, die direkt zum hellen Licht fliegt und dort verbrennt, weil sie außer dem aktuellen Licht nichts anderes Wahrnehmen, Fühlen und Denken kann.

Was also brauchen wir noch an ‚Zutaten‘, um verstehen zu können, wie wir die Hauptfrage beantworten können?

VERALLGEMEINERUNGEN

Nun wissen wir aus unserem Alltag — meistens –, dass wir ja nicht nur einen ‚einzigen Augenblick‘ leben, sondern ‚viele einzelne Augenblicke‘. Dies können wir nur bemerken, weil wir — meistens — über eine ‚minimale Erinnerung‘ verfügen, wodurch wir ‚vorausgehende Augenblicke‘ ‚partiell erinnern‘ können. Unter Voraussetzung dieser Erinnerungsfähigkeit können wir feststellen, dass sich eine konkrete Situation ‚verändern‘ kann, und sei es nur, weil wir die Position unseres eigenen Körpers verändern oder dass wir ‚Teile unseres Körpers‘ (Kopf, Arme, Hände, Beine…) durch eine ‚Bewegung‘ so verändern, dass sich die Position unseres Körpers relativ zur aktuellen Situation verändert (Oder, weil wir eine ‚Uhr‘ besitzen, die für uns ‚regelmäßige Zeitmarken‘ erzeugt, durch die wir ’sich verändernde Zeitpunkte‘ als ‚Referenz‘ benutzen können). Als Folge solcher Veränderungen verändert sich unsere ‚Wahrnehmung‘ sowohl der umgebenden Situation‘ wie auch die ‚Innenwahrnehmung unseres Körpers‘ (wir können — meistens — die Bewegung eines Körperteils im Innern ’spüren‘ (weil sich in unserem Körper genügend viele biologische Sensoren befinden, die die Veränderung von Muskeln und Knochenstellungen ‚intern wahrnehmen‘ können, diese zu unserem Gehirn ‚melden‘, und dieses ‚übersetzt‘ diese Meldungen in entsprechende ‚Körperwahrnehmungen‘))

Diese grundlegende Fähigkeit, mehr als einen aktuellen Augenblick sowohl direkt erleben zu können, wie auch über den Umweg der Erinnerung in eine Art ‚Abfolge von Ereignissen‘ einordnen zu können, ermöglicht es uns, einzelne Situationen mit all ihren unterschiedlichen einzelnen Eigenschaften nicht nur ’nebeneinander‘ zu stellen, sondern auch ‚relativ dazu‘ ‚allgemeine Vorstellungen‘ zu bilden (weil unser Gehirn so gebaut ist, dass es uns diese Leistung verfügbar machen kann). Wenn ein Kind einen kleinen Hund sieht, im nächsten Moment einen anderen Hund, aber größer, und dann wieder einen anderen mit einer anderen Gestalt, dann kann das Kind ‚für sich‘, ‚in seinem Kopf‘ eine ‚Vorstellung von etwas‘ entwickeln, das andere Menschen ‚Hund‘ nennen, und dieses ‚Wort Hund‘ verbindet es mit drei verschiedenen ‚Wahrnehmungen‘, die ‚in der Erinnerung des Kindes verfügbar‘ sind. Diese drei verschiedenen Wahrnehmungen haben ‚etwas gemeinsam‘: vier Beine, einen Schwanz, einen Kopf mit Augen, Ohren, Maul und … ein ‚Briefkasten‘ sieht anders aus.

Dieser Mechanismus des ‚Zusammenfassens von verschiedenem Einzelnem‘ zu etwas ‚Allgemeinerem‘ (oft ‚Abstraktion‘ genannt) funktioniert nicht nur mit konkreten Wahrnehmungen, sondern man kann diesen ‚Mechanismus des Verallgemeinerns‘ ‚immer wieder‘ anwenden. Wenn man erst einmal gelernt hat, dass es ‚Hunde‘ gibt, ‚Vögel‘, ‚Katzen‘ usw., dann kann man dies weiter verallgemeinern zu ‚Haustieren‘, ‚Wildtieren‘ usw. und diese kann man weiter zusammenfassen zu ‚Tiere‘, zu ‚Lebewesen‘ … es gibt hier keine absolute Schranke.

Man spürt aber vielleicht, dass dieser Mechanismus des ‚Verallgemeinerns‘, des ‚Abstrahierens‘, sich auch in einer Weise verselbständigen kann, dass man irgendwann nicht mehr unbedingt weiß, ob sich ein Wort wie ‚Zentaurus‘, ‚Kaiser‘, ‚Elektron‘, ‚Liebe‘, ‚Migrant‘, ‚Wachstum‘ oder auch ‚Demokratie‘ tatsächlich noch auf etwas ‚Konkretes‘ zurück führen lässt. Der ‚Kreativität‘, der ‚Fantasie‘ der Menschen sind keine festen Grenzen gesetzt. Die Vielzahl an Märchen, Fabeln und die berühmten ‚Falsch-Erzählungen‘ zum Zwecke der ‚Manipulation‘ beweisen dies sehr deutlich.

‚Verallgemeinern‘ ist eine wichtige und große Kraft unseres ‚Denkens‘, sie kann sich aber auch ‚verselbständigen‘ und damit mehr und mehr den Kontakt zur konkreten Welt verlieren. Man könnte auch sagen, dass ‚unseriöse Verallgemeinerungen‘ etwas vorzugaukeln versuchen, was es real gar nicht gibt, was aber dennoch nicht selten das Denken von Menschen beeinflussen kann.

Wenn man jetzt schon ahnt, wie wir durch unsre sprachliche Kommunikation Augenblicke überwinden können, Abstraktionen vornehmen kann, so gilt aber auch hier: dies ist noch nicht alles, was wir brauchen!

BEZIEHUNGEN FESTSTELLEN

Neben der Fähigkeit, verschiedene einzelne Eigenschaften in einem einzigen Begriff zusammen zu fassen, verfügen wir auch über die Fähigkeit, ‚zwischen‘ verschiedenen Eigenschaften ‚Beziehungen‘ zu denken. Vertraut sind den meisten ‚räumliche Beziehungen‘ zwischen unterscheidbaren Objekten und Körpern in einer Situation. Wir sind in der Lage festzustellen, ob sich ein Objekt z.B. ‚vor‘, ’neben‘, ‚hinter‘, ‚über‘ oder ‚unter‘ einem anderen Objekt befindet. Wir können auch unterscheiden, ob ein Objekt räumlich ’nah‘ oder ‚entfernt‘ ist, ‚groß‘ oder ‚klein‘, ‚dick‘ oder ‚dünn‘, usw. Diese ‚Beziehungen‘ sind selbst ‚keine direkten Objekte‘, wir können sie aber als ‚Beziehungen in unserem Denken‘ sichtbar machen. Anders formuliert: Wenn wir zwei verschiedene Objekte in einem Raum ‚bewusst‘ wahrnehmen oder denken können, dann verfügen wir in unserer subjektiven Wirklichkeit über die Fähigkeit zwischen diesen bewussten Wahrnehmungen oder bewussten Denkinhalten ‚Beziehungen‘ als etwas ‚Gegebenes‘ wahrnehmen bzw. denken zu können. Bei ‚realen‘ Wahrnehmungen und Denken über reale Objekte hängen diese Beziehungen vom Vorhandensein der realen Objekte ab. Aber beim ‚Erinnern‘ von zuvor wahrgenommenen Objekten oder beim ‚Denken‘ von erinnerbaren Objekten können wir Beziehungen denken, obgleich keine realen Objekte in der Wahrnehmung vorliegen.

Auch hier können wir sehen, wie das ‚Denken von Beziehungen‘ sich von dem Vorhandensein von realen Objekten sobald lösen kann, wie wir mit Erinnerungen und Denken arbeiten. ‚Erinnertes‘ kann im Denken ‚verändert‘ werden und die dadurch entstandenen ’neuen Objekte‘ können wiederum in ‚Beziehungen‘ gedacht werden, die jetzt nur zwischen ‚gedachten Objekten‘ bestehen.

Wie schon im Fall des ‚Verallgemeinerns‘ kann uns dies entweder helfen, die reale Welt mit uns als Teil davon etwas besser zu verstehen, indem wir allgemeinere Strukturen und Zusammenhänge erfassen können, es kann aber auch schnell dazu führen, dass wir Beziehungen denken, die es so gar nicht gibt. Der Weg zum ‚Trügerischen‘, ‚Falschem‘ ist da nicht weit.

Ein anderer Fall von ‚Beziehungen aktivieren‘ ist das Zuordnen von Eigenschaften‘. Wenn ich eine Pflanze sehe und jemand sagt, dass ‚diese Pflanze giftig sei‘, dann wird eine explizite Beziehung zwischen der Pflanze und der Eigenschaft ‚ist giftig‘ hergestellt. Dies kann hilfreich sein, wenn ‚es stimmt‘, oder auch nicht, wenn es ‚falsch‘ ist. Wenn jemand von einer Gruppe von Menschen sagt, dies seien ‚Betrüger, Schmarotzer oder Ähnliches‘, dann kann dies zu sozialer Ausgrenzung und mehr führen. Wie kann man feststellen, ob diese behauptete Beziehung richtig oder falsch ist? Was soll man davon halten, wenn jemand behauptet, ‚die Wirtschaft hat kein Wachstum‘?

Was am Beispiel von ‚Zusprechen von Beziehungen‘ deutlich wird: Das ‚Zutreffen‘ (‚wahr‘ sein) oder ‚Nicht-Zutreffen‘ (‚falsch‘ sein) von solchen behaupteten Beziehungen lässt sich nicht mehr ‚einfach so‘ erkennen. Man muss in der Tat einiges ‚wissen‘, um ‚Wahr‘ ‚Falsch‘ hier einschätzen zu können. Wer sich z.B. mit ‚Pilzen‘ nicht auskennt, wird selbst wenig zur Aussage beitragen können.

URSACHEN ANNEHMEN

Ein anderer Fall von Beziehungen liegt vor, wenn jemand feststellt, dass zwischen einem ‚aktuellen Ereignis‘ und einem ‚erinnerten Ereignis‘ eine Beziehung derart besteht, dass das erinnerte (vorausgehende) Ereignis die ‚Ursache‘ dafür ist, dass das nachfolgende Ereignis eingetreten ist. Wenn jemand beim Autofahren plötzlich einschläft und darauf hin sein Auto einen Unfall verursacht, wird — meistens — angenommen, dass das Einschlafen die Ursache für den nachfolgenden Unfall war. Natürlich kann man dann auch weiter fragen, was zum ‚Einschlafen‘ geführt hat. Aber erst mal werden — meistens — die Menschen zufrieden sein mit der Beschreibung, dass das ‚Einschlafen zum nachfolgenden Unfall geführt hat‘. Andere einfache Beispiel sind der Regen, der die Straße und die Wiese nass macht; die Kälte, die alles gefrieren lässt; der Lichtschalter, der das Licht einschaltet, usw.

Dies sind einfache ‚Ursache-Wirkung‘ Beziehungen. Schwieriger wird es, wenn sich eine Ursache erst ’nach einer längeren Zeitspanne‘ auswirkt. Wenn der Beton einer Brücke durch innere Erosionsprozesse langsam brüchig wird, dann kann es ein paar Jahre dauern, bis die Brücke einstürzt. Wenn die Infrastruktur in der Kanalisation nicht genügend gewartet wird, dann kann es auch Jahre dauern, bis Fehler sichtbar werden, entsprechend mit den Verkehrsmitteln, oder auch bei uns Menschen selbst: wer sich über Jahre ungünstig ernährt, kann alleine von der falschen Ernährung erhebliche gesundheitliche Schäden nehmen, die, wenn sie dann sichtbar werden, oft kaum noch einfach behoben werden können. Unser Alltag ist voll von Ursache-Wirkung Beziehungen, die lange ‚verdeckt‘ wirksam sind, wenn wir nicht darauf achten.

Auch bei diesen ‚Ursachen-Beziehungen‘ spielt das ‚Wissen‘ eine große Rolle. Wer nichts über Erosionsprozesse im Beton weiß oder nichts über ‚gesunde Ernährung‘, der wird mit den entsprechenden ‚Wirkungen‘ immer überrascht werden und sich wundern, warum eine Brücke einstürzt oder eine schwere gesundheitliche Störung auftritt.

VORAUSSAGEN MACHEN

Mit dem bisher Gesagten können wir zwar ansatzweise verstehen, warum Menschen sich überhaupt sprachlich verständigen und sich über ‚wahre/ falsche/ unklare Aussagen‘ einigen können. Ferner leuchtet etwas von der ‚inneren Struktur‘ unseres subjektiven Wissens von der Welt auf insofern wir Gegenwart und Vergangenheit unterscheiden und in der Lage sind, im Vergleich von gegenwärtigen und vergangenen Situation Veränderungen erfassen können, dazu Beziehungen zwischen Objekten und Eigenschaften, auch mögliche Ursachen mit unterstellten Wirkungen. Noch nicht klar ist allerdings die Frage, ob wir auf der Basis von Gegenwart und Vergangenheit irgendetwas über eine ‚mögliche Zukunft‘ oder gar über ‚viele mögliche Zukünfte‘ sagen können? Und, falls wir solche sprachlichen Beschreibungen über mögliche Zukünfte liefern, wie ‚zuverlässig‘ solche Beschreibungen sind: handelt es sich um reine ‚Fantasie‘ oder sind diese Aussagen auf eine Weise ‚begründet‘, so dass ihr eine ‚Wahrscheinlichkeit jenseits des puren Zufalls‘ zugesprochen werden kann?

Für die Beantwortung der Frage nach der ‚Überlebensfähigkeit‘ einer Demokratie wäre diese zusätzliche Eigenschaft einer ‚Voraussage‘ über eine mögliche Zukunft deutlich über den puren Zufall hinweg eine wesentliche Voraussetzung. Falls wir solche Art von Voraussagen nicht machen können, sind wir faktisch ‚blind für Zukunft‘.

Bisher haben wir nur einen Fall von Beziehungen unterschieden, die sich über mehrere Zeitpunkte erstrecken können: die ‚Ursache – Wirkung Beziehung‘. Es gibt allerdings auch noch den Fall, dass wir ‚Regelmäßigkeiten‘ in der uns umgebenden Welt beobachten ohne dass wir schon ein Ursache-Wirkung Schema identifizieren konnten : Erscheinen und Verschwinden von Mond und Sonne; das Auftreten von Jahreszeiten im jährlichen Rhythmus; das Wachsen von Pflanzen bei bestimmten Bedingungen; Ebbe und Flut; usw. Natürlich kann man alle beobachtbaren Regelmäßigkeiten daraufhin hinterfragen, ob sich hier nicht ein ‚Ursache-Wirkung Schema‘ andeutet. Die moderne Wissenschaft war in diesem Aufdecken von zunächst verborgenen Ursache-Wirkung Zusammenhängen bislang sehr erfolgreich. Das Erkennen eines Ursache-Wirkung Schemas setzt aber voraus, dass man zuvor überhaupt bemerkt hat, dass es ‚regelmäßige Ereignisse‘ gibt, die als Kandidaten für das Feststellen eines dazu gehörigen Ursache-Wirkung Schemas dienen können.

Die Mindestanforderung für die Erstellung einer Voraussage besteht darin, dass wir über die Beschreibung einer als ‚zutreffend erkannten Ausgangslage‘ verfügen und über die Beschreibung von mindestens einer ‚beobachteten Veränderung‘, die eine gegebene Situation so abändern kann, dass eine ’neue Situation‘ entsteht. Dazu gehört auch das Wissen, wie eine ‚beschriebene Veränderung‘ so ‚angewendet‘ werden kann, dass es durch die Anwendung zu einer veränderten ’neuen Situation‘ kommen kann. Falls die beschriebene Veränderung mehrmals angewendet werden kann (z.B. der Schlag eines Hammers auf ein Stück glühendes Metall), dann kann bei jeder Anwendung ein ‚Stück Veränderung passieren‘.

Damit — stark vereinfacht — wurden minimale Voraussetzungen zusammen gestellt, die notwendig erscheinen, etwas über eine möglich Zukunft — z.B. auch für eine Demokratie — zu sagen, das den Ausgangspunkt für eine Diskussion bilden kann, ob eine Demokratie überleben kann oder nicht.

BEDÜRFNISSE UND EMOTIONEN

Was in diesem Rahmen noch fehlt, das ist der Hinweis auf die ’natürlichen Bedürfnisse‘, die unser Körper fest einprogrammiert hat, und eine große Zahl unterschiedlicher ‚Emotionen‘, die sich situationsbezogen bemerkbar machen können. Bei Emotionen gibt es den schwierigen Fall, dass diese sich zwar im Bewusstsein bemerkbar machen können, dass es aber auch den Fall gibt (nicht selten), dass eine Emotion zwar im ‚Unbewussten‘ aktiv ist, dies aber im ‚Bewussten‘ kaum bis gar nicht direkt wahrnehmbar ist, allerdings indirekt.

Mit Blick auf die Frage, ob Demokratien überleben können, spielen Bedürfnisse und Emotionen eine zentrale Rolle, da diese so stark sein können, dass sie alle anderen Überlegungen oder Entscheidungen mindestens beeinflussen, wenn nicht gar blockieren können. Aber, selbst wenn die Grundbedürfnisse befriedigt sind, so können Menschen starke Emotionen haben, die sie darin blockieren, bestimmte Anschauungen oder Verhaltensweisen zu übernehmen, selbst wenn sie vielleicht für sie wichtig sein können; umgekehrt kann dies dazu führen, dass sie ganz bestimmte Anschauungen und Verhaltensweisen stark favorisieren, auch wenn diese für sie schädlich sein können.

KOMPLEXE SYSTEME

Der vorausgehende Überblick über grundlegende Faktoren, welche das Zutreffen einer Beschreibung (letztlich ein ‚Bild‘ von) der realen Welt mitbestimmen, beschreibt als Ausgangspunkte für mögliche Voraussagen (‚Prognosen‘) die ‚einfachen‘ Fälle: ‚Beobachtbare regelmäßige Muster‘ oder erkannte ‚Ursache – Wirkung‘ Muster im Bereich der Alltagserfahrung.

Die reale Welt, in der wir leben — einschließlich unserer eigenen Körper — besteht aber aus einer unfassbar großen Zahl von ‚Sachverhalten‘, die die Wissenschaft und das Engineering gerne als ‚komplexe Systeme‘ bezeichnen. Mit einem ‚komplexen System‘ ist hier ein Sachverhalt gemeint, der im Zusammenhang von Ereignissen, die sich in der Zeit folgen, als eine ‚mögliche Ursache‘ aufgefasst werden kann, die nachfolgende Ereignisse ‚bewirkt‘. Das Besondere bei komplexen Systemen ist aber, dass sie unterschiedlich ‚reagieren‘ können. Je nach der Art von ‚vorausgehenden‘ Ereignissen können sie mit unterschiedlichen Häufigkeiten unterschiedliche Wirkungen auslösen.[1] Im Fall des Menschen z.B. sind wir im Alltag bei uns bekannten Personen damit ‚vertraut‘, was diese Person in bestimmten Situationen ‚gewöhnlich‘ tut. Es gibt aber auch Fälle, in denen diese Person dies manchmal auch nicht tut. Bei diesen Voraussetzungen Prognosen über das Verhalten dieser Person zu einem Zeitpunkt in der Zukunft aufzustellen, ist schwierig, aber nicht unmöglich.

Alle (biologischen) Lebewesen auf diesem Planeten repräsentieren letztlich ‚komplexe Systeme‘, was das Zusammenspiel von vielen Lebewesen als ‚Population‘ oder als ‚Lebensraum‘ mit vielen verschiedenen Populationen gleichzeitig beliebig schwierig machen kann.

Dennoch stellen wir fest, dass die Meisten dieser vielen verschiedenen komplexen Lebewesen über längere Zeiträume ‚gelernt‘ haben, sich auf eine komplexe Umgebung in einer Weise einzustellen, dass ein ’stabiles Ökosystem‘ entsteht, das allen Beteiligten eine funktionierende Lebenschance bietet. Diese komplexen Ökosysteme erwecken den Eindruck, dass sie ‚überlebensfähig‘ (oft auch ‚resilient‘ genannt) sind.

Es könnte also mit Blick auf die Menschen als Teil des Lebens auf diesem Planeten eine wichtige Frage sein, wie diese beeindruckende Breite an Formen der Überlebensfähigkeit aller bekannten Lebewesen letztlich funktioniert. Verschärft könnte man auch fragen, wie könnte die Überlebensfähigkeit von Lebewesen sogar ’noch besser‘ funktionieren als bisher? Was würde ‚besser‘ dann auch heißen?

[1] Eine gute Einführung in die Thematik komplexer Systeme bietet Donella H.Meadows (Herausgegeben von Diana Wright), Thinking in Systems. A primer, Chelsea Green Publishing, White River Junction in Vermont, USA, 2008, Copyright by Sustainability Institute. Das Thema ist allerdings noch umfassender, als in diesem Buch beschrieben.

DEMOKRATIE – Organisation von Wissen

(Letzter Eintrag: 7.Oktober 2024)

Autor: Gerd Doeben-Henisch

Kontakt: info@oksimo.org

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des Themas ‚Demokratie @ Work‘ im Rahmen des Themas ‚Demokratie‘.

ORGANISATION VON WISSEN

Nachdem die vorausgehenden Worte versucht haben zu erklären, warum es in einer Kommune im Umfeld der Gemeindevertreter ein Wissensproblem gibt – nicht notwendigerweise individuell bedingt, aber eben strukturell! –, soll hier jetzt dargelegt werden, wie man dieses strukturelle Wissensproblem auf praktischer Ebene vielleicht minimieren kann.

Handelnde Akteure

Dazu müssen wir uns bewusst machen, wer genau die ‚handelnden Akteure‘ sind, und was sind die Kontextbedingungen, unter denen sie handeln.

Wenn wir von einer demokratischen Gemeinde ausgehen, dann stehen die ‚gewählten Gemeindevertreter‘ im Zentrum, aber auch alle ‚wahlberechtigten Bürger‘, ja, letztlich alle ‚Einwohner‘, von denen viele nicht Wahlberechtigt sind (Kinder, Jugendliche, Menschen aus anderen Ländern).

Laut dem Grundgesetz (GG) sind die gewählten Gemeindevertreter nur ihrem ‚Gewissen‘ und dem ‚Wohl des Volkes‘ verpflichtet. Dies bedeutet, bei ihren politischen Entscheidungen sind sie formal nicht verpflichtet, immer zuerst Bürger bzw. Einwohner zu befragen.

Andererseits steht das ‚Wohl des Volkes‘ an zentraler Stelle. Der Begriff ‚Wohl des Volkes‘ wird dabei im Grundgesetz (GG) nicht explizit definiert. In den GG-Artikeln wie z.B. 14, 20, 28, 56, 64, 87109 und 140 werden Kontexte genannt, die für das Wohl des Volkes als wichtig erscheinen. Dennoch kann man nicht sagen, dass mit diesen Kontextualisierungen die Bedeutung von ‚Wohl des Volkes‘ klar umrissen sei. Was letztlich auch verständlich ist, da ja das Gesamt einer Bevölkerung und eines Staates samt seiner Einbettung in eine dynamische Welt nicht nur sehr komplex ist, sondern sich auch beständig verändert. Eine fest verdrahtete Definition, die Anspruch auf alle Details erhebt, wäre vor diesem Hintergrund wenig hilfreich.

Medium Sprache

Unter dem Einfluss einer umfassenden ‚Digitalisierung‘ und vielfachen ‚Formalisierung‘ unserer Lebensabläufe tendieren wir heute gerne dazu, ‚Formulierungen als solche‘ sehr hoch zu bewerten, sie ‚absolut‘ zu setzen. Schon eine kurze Besinnung auf das tatsächliche Funktionieren unserer Sprache im Alltag reicht aber aus, um zu verstehen, dass die ‚Bedeutung sprachlicher Ausdrücke‘ eben nicht im Ausdruck selbst liegt, sondern im ‚Innern‘ jener Menschen, die sprachliche Ausdrücke benutzen. Diese ‚an das Innere des Menschen‘ gebundene Bedeutung ist immer in einer Art ‚Schwebezustand‘, der von uns allen erfordert, dass wir uns immer wieder neu ‚vergewissern‘ müssen, was meint denn der andere, wenn er einen bestimmten sprachlichen Ausdruck benutzt.

Man kann diesen ‚permanenten Schwebezustand möglicher Bedeutung‘ als Nachteil ansehen, aber tatsächlich ist gerade diese Eigenschaft unserer Sprache ein unfassbares Plus: auf diese Weise können wir Menschen uns jederzeit jedem neuen Eindruck, jeder neuen Veränderung unserer Umwelt und von uns selbst öffnen und wir können diese Veränderung ‚zur Sprache bringen‘. Dies gibt uns eine Macht, die keinem anderen Lebewesen auf diesem Planeten vor uns in diesem Ausmaß zur Verfügung stand und steht. Dies unterscheidet uns zudem von all den modernen Software-gesteuerten Maschinen, die sich zwar riesige Mengen von Dokumenten einverleiben, indizieren und aufbereiten können. Sie verfügen aber alle nicht über eine ‚Bedeutungsfunktion‘, wie wir Menschen sie besitzen. Ihre sprachlichen Ausdrücke können mittlerweile sehr wortreich und stilistisch beeindruckend sein, aber sie können z.B. niemals entscheiden, ob ein Ausdruck ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ ist. Im Alltag ist genau dies aber wichtig, ja, überlebenswichtig.

Wohl des Volkes konkret

Berücksichtigt man das soeben über Sprache Gesagte, dann solle klar sein, dass ein gewählter Gemeindevertreter, der sich auf das ‚Wohl des Volkes‘ beruft, im Einzelfall immer hinreichend ausführlich ‚erklären‘ muss, was er damit genau meint. Und da er diese Entscheidung ja nicht ‚für sich alleine‘ fällt, sondern als ‚gewählter Vertreter‘ jenes Volkes, von dem alle Macht ausgeht (GG 20.2), muss er letztlich genau ‚dieses Volk selbst‘ ernst nehmen, da nur die Realität dieses Volkes entscheiden kann, ob etwas zutrifft, wie es zutrifft, was es bewirkt und wie man dies bewerten muss. Und in einer Kommune wie 61137 Schöneck mit ca. 12.500 Einwohnern im Dezember 2023 kann man letztlich sogar jeden einzelnen Einwohner benennen, den die Entscheidung betrifft.

Andererseits, selbst ein so kleines ‚Volk‘ wie die ca. 12.500 Einwohner von Schöneck kann bei bestimmten anstehenden Entscheidungen real in viele unterschiedliche Gruppierungen zerfallen, die es im konkreten Fall tatsächlich schwer bis fast praktisch unmöglich machen, ‚ein einziges Wohl’ des Volkes zu bestimmen. Wer von den vielen Gruppierungen hat dann Recht? Wem soll sich der gewählte Vertreter jetzt verpflichtet fühlen? In solchen Situationen müssen die gewählten Vertreter zwar versuchen, durch eine öffentliche transparente Kommunikation heraus zu finden, für welche Position sich mehr ‚Argumente dafür‘ finden lassen, aber in einer ‚pluralen Wertewelt‘ ist dies möglicherweise nicht immer möglich. Entweder bleibt eine endgültige Entscheidung dann offen (was manchmal hilfreich sein kann), oder es wird für eine ‚Minderheitenmeinung‘ plädiert, die nur wenige befriedigt und viele unzufrieden lässt (was sich im Einzelfall im weiteren Verlauf dennoch als positiv-konstruktive erweisen kann).

An der Schwelle zu einer Zukunft, die letztlich niemand wirklich kennen kann, gibt es diese ‚Grauzonen des Wissens‘, für die es keine ‚Patentlösungen‘ gibt; es bleibt immer ein ‚Restrisiko‘.

Tägliche Zeitreise

Aus einer gewissen Distanz heraus bilden die gewählten Vertreter und die Einwohner einer Kommune eine Gemeinschaft, die sich gemeinsam ‚in der Zeit‘ bewegt. In der heutigen Welt benutzen Gesellschaften auf diesem Planeten ‚Kalender‘ und ‚Uhren‘, mittels deren jeder jederzeit ein ‚Datum‘ feststellen kann samt ‚Uhrzeit‘. Dass Datum und Uhrzeit weltweit ‚synchron‘ sind, setzen wir im Alltag stillschweigend voraus, ist aber nur möglich durch einen hohen technischen Aufwand und spezielle Behörden, die nichts anderes tun, als die ‚Zeit weltweit‘ synchron zu halten.

Mit Bezug auf diese vereinbarten Zeitmuster kann man – in der Theorie — zu jedem Zeitpunkt eine ‚Momentaufnahme‘ einer Kommune machen, in Form eines Textes, möglicherweise ergänzt um Fotos, der alles beschreibt, was einer bestimmten Gruppe von Bürgern (z.B. den Gemeindevertretern) als ‚wichtig‘ erscheint.

Nehmen wir an, dass jeden Tag solch ein Bericht erstellt und archiviert wird.

Dann könnte man anschließend in bestimmten periodischen Abständen (jeden 7.Tag, alle vier Wochen, …) den Bericht von diesem Datum herausfischen, sie hintereinander neu anordnen, und man hätte — wie in einem ‚Zeitraffer‘ — die verschiedenen Zustände der Gemeinde als eine Abfolge, wo man beobachten könnte, ob sich zwischen zwei Zeitpunkten etwas verändert hat, und was.

Nehmen wir beispielsweise an, der jeweilige Zustandsbericht würde auch den ‚täglichen Wasserverbrauch‘ der Gemeinde protokollieren. Und im Fall von Schöneck würde auch noch unterschieden zwischen dem Wasser aus den eigenen drei Brunnen und jenem Wasser, das extern vom Netz der Kreis-Wasserwerke bezogen wird. Dann könnten die Beobachter der Veränderungen zwischen den einzelnen Berichten gut erkennen, dass z.B. die Wasserentnahme aus den eigenen Brunnen ‚schwankt‘, aber niemals mehr als ca. 20% des Gesamtverbrauchs ausmacht. Wäre solch eine Beobachtung ‚beunruhigend‘? Kann man davon ausgehen, dass die Wasserversorgung ‚gesichert‘ ist? Gibt es irgendwelche Umstände, die darauf hindeuten, dass sich an der Verfügbarkeit des Wassers etwas ändern könnte?

Die Einführung von ‚Zeit‘ ermöglicht die Erfassung von ‚Veränderungen in der Zeit‘, und diese wiederum liefern mögliche Ansatzpunkte, darüber nachzudenken, ob ‚alles so weiter geht‘ oder ob es Sachverhalte im Kontext der Gemeinde gibt, die auf mögliche Veränderungen hindeuten, mit denen sich eine Gemeinde beschäftigen sollte.

Minimierung des ‚Restrisikos‘

Da sich jede Gemeinde kontinuierlich auf einer ‚Zeitreise‘ befindet, die bei geeigneter ‚Beobachtung‘ reale ‚Veränderungen‘ sichtbar machen kann, empfiehlt es sich für die Gemeindevertreter, die dem ‚Wohl des Volkes‘ dienen wollen, sich mit all jenen Veränderungen zu beschäftigen, die in und mit ihrer Kommune stattfinden.

Wie sich am Beispiel des für alle ‚lebenswichtigen Wassers‘ andeutet, ist die Verfügbarkeit von Wasser nicht in allen Fällen und ‚nicht für alle Zeit‘ gesichert. Die Ingenieure dieser Welt sprechen in solch einem Fall von einem ‚Risiko‘. Und jeder Ingenieure wird immer versuchen, ein Risiko durch geeignete Maßnahmen zu minimieren. Angenommen, ein Ingenieur findet Maßnahmen, die als relativ sicher gelten, und diese lassen erwarten, dass ca. 80% eines erkannten Risikos als ‚abgedeckt‘ erscheinen, dann bleiben noch 20% eines erkannten Risikos als ‚Restrisiko‘. Auch dieses Restrisiko sollten ‚verschwinden‘, was aber nicht immer gelingt. Ganz radikal betrachtet, leben wir in einer Welt und unter Umständen, die eine vollständige Eliminierung von Risiko ausschließt. Wenn wir sehr gut sind, dann können wir das Risiko ‚möglichst klein‘ halten, aber ganz eliminieren können wir es in dieser konkreten Welt nie.

Gemeinsames Vorgehen

Falls sich hinreichend viele Gemeindevertreter und Bürger darauf einigen können, dass sie sich alle gemeinsam auf einer ‚Zeitreise‘ befinden, die auf vielfache Weise mit ‚Restrisiken‘ durchsetzt ist, dann könnte die Einsicht wachsen, dass man um einer gemeinsamen Zukunft willen, Wege finden sollte, wie man das verfügbare Wissen so organisiert, dass die Gemeinde sich eine ‚möglichst gute Entscheidungsbasis‘ sichert.

Zur Grundeinsicht gehört, dass die gewählten Vertreter ‚trotz repräsentativer Demokratie‘ sich bewusst sind, dass ihr eigenes Wissen bei weitem nicht ausreicht, um allen Herausforderungen optimal zu begegnen. Und den Bürgern sollte ebenfalls klar sein, dass eine Haltung ‘das machen die da oben’ heute keineswegs mehr angemessen ist. ‚Die da oben‘, das sind die gewählten Gemeindevertreter, die aus freien Stück und ehrenamtlich ein Teil ihrer Lebenskraft der Gemeinde widmen und sie alleine können niemals alle diese neuen Herausforderungen optimal stemmen.

Und – ein Gedanke, der vielleicht bislang noch ein wenig ‚zu leise‘ ist – das ‚Wissen‘, um das es geht, um möglichst gute Wege in eine vielfach unbekannte ‚Zukunft‘ auszuloten, dieses Wissen ist zu jedem Zeitpunkt normalerweise erst einmal gar nicht vorhanden! Tun sich schon viele Menschen schwer, die bisherige ‚Geschichte‘ ihres Lebensweges zusammen mit all den anderen angemessen vor Augen zuführen, so stellt ein ‚Wissen um eine mögliche Zukunft‘ zusätzliche neue Herausforderungen. Wie schon zuvor angedeutet, reicht es nicht aus, zu wissen, was war dann und dann dort und dort. Man muss zusätzlich ‚erkennen‘, welche Arten von Veränderungen sind bislang aufgetreten, und welche von diesen Veränderungen lassen ein ‚Muster‘ erkennen, eine ‚Regelhaftigkeit‘, Formen von ‚Wahrscheinlichkeiten‘?

Um so etwas zu erkennen, reicht es nicht aus, dass man ‚ab und zu‘ mal in die Geschichte schaut oder dass ‚der eine oder die andere‘ sich gelegentlich mal damit beschäftigt. Solch ein Wissen kann nur entstehen, wenn es einen echten ‚Plan‘ gibt, den alle kennen, und wo die Gemeinschaft gemeinsam ‚festgelegt‘ hat, wie sie ihren Plan im Alltagsgeschäft umsetzt. Zudem muss dieser Plan samt allen Erkenntnissen jederzeit allen’ zugänglich’ sein. Er muss für alle ‚verständlich‘ sein und es muss klar sein, wie man seine eigene Meinung, seine ‚eigene Erfahrung‘ jederzeit dazu ‚mit einbringen‘ kann. Und, ja, dies alles muss so sein, dass sich letztlich jeder ‚gehört‘ fühlt, und dass die ‚Vielfalt der Meinungen‘ systematisch aufgegriffen und ‚bewertet‘ wird.

oksimo.R – ERKLÄRUNGS-BOX: Welt, Raum, Zeit

Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@oksimo.org)

(Letzte Änderung: 24.November 2022 – 25.November 2022, 09:55h)

KONTEXT

Dieser Text ist Teil der einführenden Beispiele des Buchprojektes „oksimo.R – Editor und Simulator für Theorien“. Dieser Teil ist eine Erklärungsbox im Anschluss an das Beispiel „Essen gehen. Teil 1+2“ dar.

INHALT

Im Beispiel (Teil 1+2) wird schon ein wenig die Besonderheiten eines ‚oksimo.R Textes‘ sichtbar. Diese beziehen sich auf Aspekte des Raumes und der Zeit in unserer sprachlichen Kommunikation mit Texten. Dazu hier erste Kommentare. Mehr später in der abschließenden theoretischen Gesamtdarstellung.

Welt, Raum, Zeit

In unserem Alltag setzen wir — normalerweise — die Existenz einer Körperwelt voraus, zu der auch unser eigener Körper gehört. Wir wissen von dieser — zum Gehirn — externen Körperwelt nur etwas über die Sinnesorgane unseres Körpers und insoweit, als unser Gehirn diese Signale der Sinnesorgane — im Kontext vieler anderer Signale vom eigenen Körper –, zu unterschiedlichen internen Ereignis-Strukturen ‚verarbeitet‘. Vorstellungen von sogenannten ‚Gegenständen‘ wie Tassen, Stühle, Tische, Autos, auch Tiere und andere Menschen, sind solche ‚Verarbeitungsprodukte‘; die ‚auslösenden Dinge der externen Körperwelt‘ selbst können wir niemals direkt wahrnehmen. Unser Gehirn erzeugt eine ‚virtuelle Welt‘ in unserem Kopf, die für uns aber die ‚primäre reale Welt‘ ist. Als Kind lernt man mühsam zu unterscheiden zwischen ‚bloßen Vorstellungen (in unserem Kopf)‘ und solchen Vorstellungen, die auch mit unmittelbarer sinnlicher Wahrnehmung ‚korrespondieren‘ und sich zusätzlich mit vielerlei ‚konkreten (= sinnlichen)‘ Eigenschaften verknüpfen. Wenn ein Kind seinen Spielzeug-Teddybär in der ‚roten Kiste‘ sucht und er ist nicht da, dann ist dies eine der vielen Erfahrungen zum Thema, dass die ‚Vorstellung im Kopf‘ nicht automatisch gleich gesetzt werden sollte mit einer ‚realen Sachlage‘.

Wenn unser Gehirn in engster Kooperation mit unserem Körper kontinuierlich eine ‚virtuelle Welt‘ der ‚angenommenen externen realen Welt‘ generiert, dann ist es schon eine interessante Frage, welche der vielen Eigenschaften der realen Welt (die wir nur aufgrund von ‚Erfahrungen‘ und ‚wissenschaftlichen Rekonstruktionen‘ kennen), sich denn in den virtuellen Modellen des Gehirns wiederfinden? Noch spannender wird die Frage, wenn wir auf die ’sprachliche Kommunikation zwischen Menschen‘ schauen: es ist eine Sache, dass unser Gehirn uns mit virtuellen Konstrukten (Vorstellungen) ‚befüllt‘, es ist eine ganz andere Frage, welche dieser Vorstellungen sich zwischen Gehirnen (Menschen) mittels Sprache kommunizieren lassen.

Das ‚Raum-Zeit-Problem‘ haben bisher sehr viele Philosophen und Wissenschaftler thematisiert. Einer der prominentesten Vertreter, der die Diskussion im europäischen Denken zu Beginn stark beeinflusst hatte, ist sicher Immanuel Kant, der mit seinem Buch „Kritik der reinen Vernunft“ 1781 (1787 2.Auflage) heraus zu arbeiten versuchte, dass die Vorstellungen von ‚Raum‘ und ‚Zeit‘ in unserem menschlichen Denken so angelegt sind, dass wir Gegenständliches immer als ‚Teil eines Raumes‘ ‚vorstellen‘ und ‚denken‘; Entsprechendes nahm er auch für die Vorstellung der Zeit an. Genauere Analysen dieses seines Standpunkts sind aus vielerlei Gründen schwierig. Für die folgenden Überlegungen kann man sich durch die Position Kants dahingehend ’sensibilisieren‘ lassen, dass sowohl in unserem ’normalen Wahrnehmen und Denken‘ wie auch dann speziell in unserer sprachlichen Kommunikation mit Eigenschaften zu rechnen ist, die mit Vorstellungen von Raum und Zeit zu tun haben.

oksimo.R Text als eine ‚Menge‘

Wenn wir der Frage nachgehen wollen, ob und wie sich ‚Vorstellungen von Raum und Zeit‘ innerhalb der normalen sprachlichen Kommunikation bemerkbar machen, empfiehlt es sich vielleicht mit dem Format von oksimo.R Texten zu beginnen, da diese dem Schreiber und Leser ‚weniger Freiräume‘ geben als ein ’normaler‘ deutscher Text.[1]

Die Eigenart von oksimo.R Texten lässt sich relativ einfach beschreiben:

  1. Ein oksimo.R Text ist eine ‚Menge‘ (‚Ansammlung‘) von ’sprachlichen Ausdrücken‘ einer ’normalen Sprache‘ (z.B. Deutsch, Englisch, Russisch, Spanisch, …)
  2. Als ‚Teil der Menge Text‘ ist jeder sprachlicher Ausdruck ein ‚Element‘ der Menge Text.
  3. Die ‚Anordnung‘ dieser Elemente im Text folgt keiner bestimmten Struktur. Dies bedeutet, die ‚Abfolge‘ der Elemente in der geschriebenen Form besitzt keine eigene Bedeutung. Wie in einer üblichen Menge des mathematischen Konzepts einer Menge können die Elemente untereinander ‚umgruppiert‘ werden, ohne dass sich dadurch ein oksimo.R Text ‚verändert‘.
  4. Die Elemente einer ‚Menge oksimo.R Text‘ haben als solche keine spezifische Bedeutung. Eine ‚Bedeutung‘ kommt den Elementen eines oksimo.R Textes nur zu, wenn die Schreiber-Leser von oksimo.R Texten die Sprache dieser Elemente (z.B. Deutsch) kennen und kraft ihrer Sprachkompetenz den Elementen ‚vereinbarte Bedeutungen‘ zuordnen. Diese Bedeutung existiert aber ausschließlich ‚in den Köpfen‘ der Schreiber-Leser, nicht explizit im Text selbst.

Mit diesen ersten Beobachtungen zur Eigenart von oksimo.R Texten kann man einen ersten Vergleich zu Texten einer normalen Sprache (hier: Deutsch) vornehmen.

Normaler Text, keine bloße Menge

Wenn wir den Text einer normalen Sprache (hier: Deutsch) betrachten, dann verknüpfen wir beim Lesen die geschriebenen Ausdrücke ‚automatisch‘ (spontan, …) mit unterschiedlichen ‚(sprachlich induzierten) Bedeutungen‘. Diese sind einerseits stark abhängig von der ‚individuellen Lerngeschichte‘ mit spezifischen ‚individuellen Voraussetzungen‘, andererseits aber auch von den ‚kulturellen Muster der gesellschaftlichen Umgebung‘, innerhalb deren ein Mensch seine Sprachkompetenz erwirbt/ aufbaut/ entwickelt.

Während die sprachlichen Ausdrücke als solche keinerlei bestimmte ‚Ordnung‘ induzieren, können aber die ‚zugeschalteten‘ sprachlichen Bedeutungsstrukturen durch die in ihnen enthaltenen sachlichen Strukturen mit ihren gelernten Eigenschaften unterschiedliche ‚Beziehungen‘ artikulieren, die wechselseitig aufeinander verweisen. Wenn also beispielsweise von einer ‚Tasse auf einem Tisch‘ die Rede ist, dann impliziert dies eine ‚räumliche Struktur‘ mit einer ’steht-auf-Beziehung‘ bzw. ‚befindet-sich-darunter‘ Beziehung. Außerdem ‚weiß‘ der Schreiber-Leser eines Textes, dass normalerweise eine Tasse nicht auf einem Tisch steht, sondern nur dann, wenn jemand die Tasse explizit dahin gestellt hat. Eine Abfolge von Ausdrücken wie ‚Gerd stellte die Tasse auf den Tisch. Als Peter hereinkommt sieht er, dass eine Tasse auf dem Tisch steht‘ erscheint dann ’normal/ üblich/ gewohnt‘. Würde im Text aber stehen ‚Als Peter hereinkommt sieht er, dass eine Tasse auf dem Tisch steht. Gerd stellte die Tasse auf den Tisch‘, dann würde ein normaler Leser stutzen und sich fragen, was der Text sagen will: Die Tasse steht auf dem Tisch und dann erst wird sie auf den Tisch gestellt?

Dieses einfache Beispiel demonstriert neben einer ‚impliziten Raumstruktur‘ außerdem auch eine ‚implizite zeitliche Struktur: In der Alltagserfahrung, eingebettet in eine externe Körperwelt, ist es normal, dass sich Eigenschaften — und damit eine ganze Situation — ändern können. Diese Änderungen ereignen sich aber nicht (!) in der sinnlichen Wahrnehmung (die Gegenwart als solche ist ‚absolut‘), sondern erschließen sich erst in der ’nachgeordneten Verarbeitung‘ durch das Gehirn, das in der Lage ist, Teilaspekte einer aktuellen sinnlichen Wahrnehmung so ‚abzuspeichern‘ (ein höchst komplexes neuronales Geschehen), dass es diese ‚gespeicherten Strukturen‘ wieder ‚erinnern‘ (ebenfalls ein höchst komplexes neuronales Geschehen) und zusätzlich mit ‚anderen Erinnerungsinhalten‘ so ‚vergleichen‘ kann (ebenfalls ein höchst komplexes neuronales Geschehen), dass unser Gehirn dadurch sowohl eine ‚Abfolge‘ rekonstruieren wie auch mögliche ‚Änderungen zwischen einzelnen Elementen der Abfolge‘ ‚identifizieren‘ kann. Aufgrund dieses hochkomplexen Mechanismus kann das Gehirn die ‚Absolutheit der Gegenwart‘ durch ‚Erinnern und Vergleichen‘ aufbrechen, überwinden.

Ein ’normaler Text‘ hat noch viele weitere besondere Eigenschaften. Hier ist zunächst nur mal wichtig, dass man sieht, dass es die Dimension der ’sprachlichen Bedeutung‘ ist, die ‚in‘ einem menschlichen Schreiber-Leser lokalisiert ist, durch die eine Menge von sprachlichen Ausdrücken ein komplexes ‚Netzwerk von Eigenschaften‘ induzieren kann, die ihre ‚eigene sprachlich induzierte Logik‘ haben.

Sprachliche Kommunikation

Wiederum, es soll hier nicht das gesamte Spektrum der möglichen Eigenschaften von ’sprachlicher Kommunikation‘ beschrieben werden — ein ‚Meer‘ von Artikeln und Bücher wäre hier zu zitieren –, sondern es sollen nur ein paar Aspekte thematisiert werden, die sich aus den bisherigen Überlegungen zu Texten nahelegen.

Wenn die bisherige ‚Arbeitshypothese zur sprachlichen Bedeutung‘ stimmt, dann haben geschriebene sprachliche Ausdrücke die Funktion, ‚zwischen zwei Gehirnen‘ als ein ‚Medium‘ zu funktionieren, das geeignet ist, aus den ’sprachlichen Ausdrücken‘ sogenannte ‚Zeichen‘ zu machen. [2] Ein Zeichen ist ein sinnlich wahrnehmbares Material, das von den ‚Zeichenbenutzern‘ in Beziehung gesetzt werden kann zu einem ‚vereinbarten Raum von Zeichenbedeutungen‘. Diese vereinbarten Zeichenbedeutungen sind zwar als solche ‚im Kopf‘ der jeweiligen Zeichenbenutzer lokalisiert, haben aber die Besonderheit, dass die verschiedene Zeichenbenutzer durch gemeinsames ‚Training‘ ‚gelernt‘ haben, welche ’sinnlich wahrnehmbaren Gegebenheiten der externen Körperwelt‘ mit bestimmtem Zeichen(material) verknüpft werden sollen. Sofern eine solche ‚Koordinierung‘ von Zeichen(material) und Zeichen-Bedeutung gelingt (alle Kinder dieser Welt praktizieren diese Form von Training beim spontanen Sprachen Lernen), kann ein einzelner Zeichenbenutzer bestimmte ‚Elemente seines Bedeutungsraumes‘ mittels Praktizierung bestimmter Zeichenverbindungen einem anderen trainierten Zeichenbenutzer ‚andeuten‘. Durch ein ‚Hin und Her‘ von Aussagen, Fragen, eventuell auch deutenden Gesten in einer realen Situation, lässt sich dann — für gewöhnlich — eine gewisse ‚Verständigung‘ herstellen. Je komplexer die Sachverhalte sind, je weiter man von einer konkreten Situation entfernt ist, um so schwieriger wird es, das ‚Gemeinte‘ hinreichend klar zu ‚vermitteln‘.

Was heißt all dies konkret?

Dazu betrachten wir weitere Beispiele realisiert mit oksimo.R Texten.

KOMMENTARE

[1] Auch im Bereich der ’normalen‘ Deutschen Texte gibt es eine große Vielfalt von Texten, die sehr spezielle Anforderungen an das ‚Ausfüllen‘ stellen.

[2] Es gibt im akademischen Bereich zahlreiche Disziplinen, die sich mehr oder weniger ‚allgemein‘ mit Eigenschaften von ’normalen‘ Sprachen und Kommunikation mit normalen Sprachen beschäftigen. Jene Disziplin, die das eigentlich am ‚allgemeinsten‘ tut, die ‚Semiotik‘, führt aber bis heute weltweit eher ein ‚Schattendasein‘ neben den ‚etablierten‘ anderen Disziplinen. Auch hier gibt es eine Unzahl von Artikeln und Büchern zum Thema.

Weiterlesen

Empfohlen wird als nächstes der Abschnitt über zeitliche Markierungen in einer Theorie: HIER.

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG – Zeit & Erinnerung

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
31.Mai 2021 – 31.Mai 2021
URL: oksimo.org
Email: info@oksimo.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@oksimo.org)

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des Themas die strukturellen Eigenschaften der oksimo Sprache im oksimo.org Blog.

STRUKTURELLE EIGENSCHAFTEN VON OKSIMO – Zeit & Erinnerung

In einem vorausgehenden Post wurde schon einiges Grundsätzliches zur Zeit gesagt, wie wir Zeit erleben und wie wir Zeit sichtbar machen können.

Die Grundidee dort ist, dass wir Menschen Zeit anhand von Veränderungen und im Vergleich von Veränderungen wahrnehmen können. Dies lässt sich im Rahmen des oksimo Paradigmas leicht darstellen, da die Basis der Prozessbeschreibung innerhalb des oksimo Paradigmas die Konstruktion einer Abfolge von Zustandsbeschreibungen ist, wo jeweils die Nachfolgesituation S‘ zu einer aktuellen Situation S sich in mindestens einer Eigenschaft unterscheidet.

In diesem Post geht es um den Aspekt, dass man sich im normalen Alltag auf verschiedene Weise unterschiedliche Aspekte merken kann, in dem man sich eine Notiz macht, oder man bestimmte Ereignisse protokolliert oder man Messwerte sammelt und dergleichen mehr.

Auf der Basis solcher Merkzettel, Notizen, Tagebücher, Berichte, Datenprotokolle usw. kann man dann weiterführende Überlegungen anstellen.

Ein berühmtes Beispiel, wie man durch richtige Notizen zu einem neuen Verständnis der Sternbewegungen gekommen ist, ist die Geschichte zur Entstehung des Heliozentrisches Weltbildes [3]. Neben neuen alternativen Konzepten, wie man das Ganze neu denken könne, waren es vor allem die Jahrzehntelangen Beobachtungen der Sternenbewegungen, die zunächst Tycho Brahe ( 1546 — 1601) [1] anstellte und dann in Weiterführung Johannes Kepler ( 1571jul. — 1630greg.) [2]. Diese Aufzeichnungen boten dem menschlichen Denken die Möglichkeit, vergangene Ereignisse fest zu halten um sich dann mit Hilfe dieser Aufzeichnungen mögliche Zusammenhänge bewusst zu machen.

In dem folgenden einfachen Beispiel soll demonstriert werden, wie man im oksimo Paradigma bestimmte Ereignisse notieren kann, um dann später eine Entscheidung zu fällen, die sich von diesen Notizen abhängig macht.

Im gewählten Beispiel ist der Ausgangspunkt ein einfacher Würfel, der entweder ‚1‘ oder ‚2‘ oder gar nichts würfelt. Ein Beobachter achtet nur darauf, ob eine ‚1‘ gewürfelt wird, und, falls ja, wird das Auftreten einer ‚1‘ gezählt. Im Beispiel heißt dies zu Beginn „Notiz zu 1: 0“. Und jedes mal, wenn ein ‚1‘-Ereignis beobachtet wird, wird die Notiz ‚hochgezählt‘: „Notiz zu 1: 0“, „Notiz zu 1: 1“, … Bei Erreichung der Notiz „Notiz zu 1: 2“ wird gestoppt und von Spieler A wird gesagt, er habe gewonnen „GEWONNEN A“.

So einfach dieses Beispiel ist, es zeigt, wie man im Prinzip beliebige Ereignisse notieren kann, von denen man dann andere Ereignisse abhängig machen kann. Dies ist eine rudimentäre Form von erfahrungsabhängigem Verhalten.

In der Darstellung wird hier zwischen zwei Darstellungsformen unterschieden: Im Bild 1 wird gezeigt, wie man nur die möglichen Zustände darstellt, die im Prozess vorkommen können/ sollen.

Im Bild 2 werden die Zustände ergänzt um die Darstellung der benutzten Veränderungs-Regeln. Hat man Veränderungsregeln formuliert, dann reicht ein Startzustand aus, um den ganzen Prozesse generieren zu können.

BILD 1: Übersicht über den Prozess, der beschrieben werden soll. Es werden nur die Zustände angezeigt. In einem anderen Bild werden diese Zustände um die Regeln ergänzt, die die Zustände ausgehend von einem Anfangszustand erzeugen.

BILD 2: Die zuvor skizzierten Zustände hier ergänzt um Regeln, die diese Zustände möglich machen.

PROTOKOLL EINER SIMULATION

VIDEO

VIDEO: Erläutert das Thema Zeit und Erinnern. Beim Anschauen beachten: mit Bild-im-Bild kann man die Größe des Bildes frei wählen!

QUELLENNACHWEISE

[1] Tycho Brahe, Wikipedia [DE]: https://de.wikipedia.org/wiki/Tycho_Brahe

[2] Johannes Kepler, Wikipedia [DE]: https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Kepler

[3] Heliozentrisches Weltbild, Wikipedia [DE]: https://de.wikipedia.org/wiki/Heliozentrisches_Weltbild

UNIVERSELLE PROZESSE PLANEN – Andere Sprache

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
11.Mai 2021-11.Mai 2021
URL: oksimo.org
Email: info@oksimo.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch, gerd@oksimo.org

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des Themas UNIVERSELLE PROZESSE PLANEN – Wie geht das? im oksimo.org Blog.

UNIVERSELLE PROZESSE PLANEN – Andere Sprache

Oksimo ermöglicht grundsätzlich die Benutzung jeder normalen Sprache. Im Detail kann diese Aussage aktuell noch nicht für alle Sprachen eingelöst werden, weil man dann das Programm auch für spezielle Zeichensätze einrichten müsste. Dies ist ein rein praktisches Problem, da wir zur Zeit erst das Gesamtprogramm zu Ende programmieren, bevor wir die Zeichensätze vervollständigen.

Trotzdem hier ein einfaches Beispiel mit Englischer Sprache. Es ist strukturell eine Kopie von dem Programm zur Nutzung von Zeit in oksimo. In einem weiteren Post werden wir diese Englische Version mit der Deutschen Version zu einer Simulation zusammenführen (‚to merge‘).

BILD: Die ganze Geschichte als Kreislauf, Sprache: Englisch (EN)

Das PDF enthält:

  1. Titel
  2. Die Grafik
  3. Regeldokument
  4. Startzustand
  5. Protokoll der ersten Simulation (Option 8) mit Angabe aller Regeln; speichern mit ‚Shift+S‘
  6. Protokoll der zweiten Simulation (Option 10) nur mit Angabe der erreichten Zustände; Ausgabe als Text mit ‚Shift+T‘

UNIVERSELLE PROZESSE PLANEN – Zeit

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
5.Mai 2021-5.Mai 2021
URL: oksimo.org
Email: info@oksimo.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch, gerd@oksimo.org

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des Themas UNIVERSELLE PROZESSE PLANEN – Wie geht das? im oksimo.org Blog.

UNIVERSELLE PROZESSE PLANEN – Zeit

Wenn wir von ‚Prozessen‘ sprechen, dann dann schwingt in diesem Begriff unausweichlich das Moment ‚Zeit‘ mit: Worte wie ‚Anfang‘ und ‚Ende‘, ‚vorher‘ und ’nachher‘, ‚früher‘ oder “später‘, ‚Dauer‘ leuchten auf und verweisen auf unsere Alltagserfahrung, in der das Moment ‚Zeit‘ ein ständiger Begleiter ist.

Von Heute Rückwärts

Im Jahr 2021 denkt natürlich jeder bei dem Begriff ‚Zeit‘ sogleich an ‚Uhren‘, jene Maschinen, die in gleichmäßigen Abständen Signale senden, und diese Signale sind unterschiedlich ‚formatiert‘: Es gibt ‚Sekunden‘, ‚Minuten‘, ‚Stunden‘, ‚Tage‘; es gibt ‚Datumsformate‘, ‚Kalenderformate‘ und vieles mehr.

Weniger bewusst ist den meisten dabei, dass hinter den einzelnen Uhren heutzutage eine komplexe, weltumspannende Technologie der Zeitmessung und der Zeitkoordination steht. In immer komplexeren Verfahren wird die kleinste Grundeinheit der technisch messbaren und erzeugbaren Zeit ermittelt und ebenso gibt es immer aufwendigere Verfahren, wie die Milliarden von einzelnen Uhren weltweit durch eine technisch sehr aufwendige ‚Koordinierung‘ in einen annähernd homogenen Zeitraum abgebildet werden.

Eine Zeit ohne Uhren können sich die meisten daher kaum noch vorstellen. Und doch kann man von modernen Uhren erst ab ca. der Mitte des 14.Jahrhunderts mit den aufkommenden Räderuhren mit Hemmung sprechen.

In früheren Zeiten konnte man sich an der Bewegung von Gestirnen (Sonne, Mond) oder ganzen Sternbildern orientieren, mit Hilfe des Sonnenstands Sonnen- oder Schatten-Uhren anlegen oder auch z.B. Wasseruhren.

Was in all diesen Beispielen gemeinsam ist, das ist das Phänomen der Veränderung, das sich der Wahrnehmung und dem Verstehen des Menschen darbietet. Veränderung ist das Grundmoment jeden Zeitbegriffs.

Ur-Phänomen Veränderung

Das Phänomen der Veränderung verweist aber auf ein ‚Messgerät der besonderen Art‘: es sind nämliche biologische Systeme der Lebensform mit Namen ‚homo sapiens‘, die über die Fähigkeit verfügen, Veränderungen wahrnehmen zu können! Eine ‚Veränderung‘ ist ja kein messbares Grundphänomen wie ‚Gewicht‘, ‚Ausdehnung‘, ‚Temperatur‘ usw., sondern das Konzept ‚Veränderung‘ repräsentiert eine Beziehung zwischen zwei Ereignissen, die zeitlich hintereinander vorkommen. Der subjektive Begriff der Veränderung setzt einen objektiven Prozess voraus, in dem unterscheidbare Zustände sich abwechseln. Dieser vorausgesetzte objektive Begriff von unterscheidbaren Zuständen, die ’nacheinander‘ auftreten, konstituiert einen objektiven Zeitbegriff, dem ein subjektiver Zeitbegriff korrespondiert, der an die neuronalen Prozesse des Gehirns in einem homo sapiens geknüpft sind.

Was immer objektiv an möglichen Abfolgen von Zuständen stattfindet, ein biologisches System wie der homo sapiens kann diese Abfolgen nur wahrnehmen und dann möglicherweise weiter verarbeiten, wenn sein Körper, hier speziell sein Gehirn, in der Lage ist, empirische Eigenschaften der jeweiligen Umgebung (hier: Situation) durch neuronale Prozesse (i) zu erfassen und (ii) so zu bearbeiten, dass solche abstrakte Repräsentationen von Eigenschaften und deren statischen (=strukturellen) wie auch dynamischen Beziehungen neuronal (= intern) repräsentiert werden können. Diese neuronalen Repräsentationen müssen zudem (iii) hinreichend funktional mit den externen objektiven Eigenschaften und Beziehungen korrelieren, da ansonsten ein (iv) Verhalten des Organismus in der objektiven Welt die Erhaltung des Organismus gefährden würde.So gesehen muss man also als eine wichtige Funktion eines biologischen Systems die zeitkonforme Übersetzung von Situationseigenschaften in interne (neuronale) Repräsentationen annehmen, so dass ein der Situation angepasstes nachhaltiges Verhalten möglich ist.

Gehirn als Zeit-Sichtbarmachungs-Maschine

Wie wir heute wissen (siehe z.B. [2a,b], [3]), löst das Gehirn diese Aufgabe dadurch, dass es die verschiedenen Wahrnehmungskanäle (Sehen, Hören, …) in einem zeitlichen Rahmen von ca. 50 – 800 Millisekunden ‚zwischenspeichert‚ (‚puffert‚), so dass die jeweiligen Erregungszustände ‚ausgewertet‘ werden können, bevor sie über Interaktion mit verschiedenen Bereichen im sogenannten ‚Gedächtnis‘ entweder kurzfristig ‚bewusst‘ oder als ‚Gedächtnisinhalte‘ abgespeichert werden. Durch diesen ‚Trick‘ des ‚Zwischenspeicherns‘ zerlegt das Gehirn den ‚Strom der Ereignisse‘ in ‚Zeitscheiben‚, die auch als solche — auf stark modifizierte Weise — abgespeichert werden können. Dies bedeutet, das Gehirn löst die wahrnehmbare Abfolge auf in unterscheidbare Einheiten, die dann sowohl untereinander wie auch jeweils mit der aktuellen Zeitscheibe verglichen werden können. Hier wird die psychologisch bekannte Wahrnehmung von ‚vorher’/’nachher‘ und ‚gleichzeitig‘ grundgelegt.

An der Wurzel des Zeitbegriffs, über den wir Menschen ‚als Menschen‘ verfügen, weil unser Gehirn so ausgelegt ist, ist daher die Fähigkeit, die Abfolge der Ereignisse ‚um uns herum‘ als gleichzeitig oder als vorher/nachher klassifizieren zu können.

ZEITLICHE STRUKTUREN MIT OKSIMO

Bild: Einfacher Tagesablauf (Vision/ Ziel wurde hier ausgelassen).

Oben ein Schaubild zum Gesamtablauf und darunter ein PDF-Dokument zum Anschauen oder Download mit allen Zuständen, Visionen und Regeln als Text. Dazu auch das Regeldokument, in dem alle benutzten Regeln zusammengefasst worden sind, die für die Simulation benutzt wurden. Dazu Protokollausdruck der Simulation sowohl im Präsentations-Modus wie auch im Entwickler-Modus.

Kommentar zum Programm

In der zuvor skizzierten Theorie wird darauf abgehoben, dass sich Zeit an Veränderungen festmacht und diese wiederum resultieren aus einer Abfolge von unterscheidbaren Zuständen, die vom Gehirn mit Hilfe des Körpers wahrgenommen und verarbeitet werden können.

In dem kleinen Programm werden stichwortartig einzelne Situationen angedeutet, die durch Regeln verbunden sind, die Eigenschaften einer Situation entfernen und neue Eigenschaften hinzufügen. Dadurch entsteht eine ‚Kette‘ (Sequenz, Folge, …) von einfachen Situationen. Diese einfache Folge lässt sich beliebig differenzieren. Schon dieses einfache Beispiel wiederholt sich beliebig oft, sofern man keine Änderungen im Ablauf einbaut, was im normalen Leben leicht passieren kann.

QUELLEN

[1] Wikipedia [DE]: Uhren, https://de.wikipedia.org/wiki/Uhr

[2a] Bernard J. Bars and Gage Nicole M., 2010, COGNITION, BRAIN, AND CONSCIOUSNESS. Introduction to Cognitive Neuroscience. Elsevier- Academic Press, Amsterdam – Boston – Heilberg et al., 2nd edition

[2b] Nicole M. Gage and Bernard J. Baars, 2018, Fundamentals of Cognitive Neuroscience: A Beginner’s Guid. Academic Press – Elsevier, London- Oxford – San Diego – Cambridge (MA), 2nd edition

[3] Stuart K. Card, Thomas P. Moran, and Allen Newell, 1983, The Psychology of Human-Computer Interaction. Lawrence Erlbaum Associates, Inc.,Mahwah (NJ), 1st edition