Der Text „Warum Demokratie?“ untersucht im Anschluss an die historische Perspektive aus Teil 1 des Buchs D@W (Demokratie@Work) die Bedeutung und die Herausforderungen der Demokratie aus historischer und aktueller Perspektive. Angeregt von Ideen von Fabian Scheidler wird dargestellt, dass die westliche Welt seit dem 15. Jahrhundert überwiegend durch kapitalistische und staatliche Prinzipien sowie durch Ideologien geprägt wurde, die Unterdrückung und Ausbeutung förderten, statt demokratische Werte zu verbreiten. Dieser Kolonialismus endete größtenteils erst nach dem Zweiten Weltkrieg und wurde in den ehemaligen Kolonialmächten kaum aufgearbeitet.
Die Ausbreitung demokratischer Strukturen nach dem Krieg – begleitet vom „Demokratie-Schock“ [*] und wirtschaftlichem Aufschwung – führte in vielen Ländern formal zur Demokratie. Der Zerfall der Sowjetunion und die Liberalisierung Chinas in den 1980iger Jahren verstärkten diesen Trend und befeuerten eine neue Globalisierung. Seitdem hat jedoch ein Umdenken zum Konzept ‚Kapitalismus‘ und ‚Staat‘ begonnen, mit den neuen Paradigmen Nachhaltigkeit und gemeinsame Verantwortung, um die früheren Ideologien zu ersetzen.
Gleichzeitig bestehen weltweit erhebliche Widerstände gegen diese Transformationen, unter anderem durch Kapital- und Machtinteressen, die gegen Demokratie und nachhaltige Visionen wirken, wie sie Anne Applebaum ausführlich schildert. Staaten wie Russland und China entwickeln sich zunehmend autokratisch, und auch in vielen anderen Ländern werden Demokratien durch gezielte Desinformation geschwächt, um den Wandel zu verhindern. Global findet eine immer stärkere Vernetzung von Autokraten statt.
Der Text thematisiert schließlich, dass sich die Idee einer globalen Verantwortung für den Planeten trotz ihres Potenzials noch nicht in der Gesellschaft verankern konnte und dass alte Ideologien weiterbestehen.
Warum also Demokratien? Die Frage geht in die nächste Runde.
[*] Der Ausdruck ‚Demokratie-Schock‘ wurde vom Autor neu gebildet angesichts der historischen Tatsache, dass sich ab den 1920iger Jahren in Europa und Südamerika viele neue, moderne Demokratien gebildet haben; nach dem zweiten Weltkrieg noch verstärkt! Ab den 1990iger Jahren finden sich ebenfalls viele Demokratie-Neubildungen in Afrika und Asien, wenngleich nicht so ausgeprägt (Siehe für Details Kapitel aus dem D@W Buch )
WARUM DEMOKRATIE?
In den Entwürfen zum Buch ‚Demokratie@Work‘ (D@W) wird in diesem Blog versucht, zu beschreiben, was ‚Demokratie‘ ist. Im Einleitungstext ‚Wir sind demokratisch‘ klingt aber schon an, dass eine Demokratie auf diesem Planeten weder selbstverständlich ist noch von allen als ‚erstrebenswerter Zustand‘ angesehen wird. In der Gegenwart des Jahres 2024 kann man sogar den Eindruck gewinnen, dass die noch verbliebenen Demokratien auf dem Planeten aktuell immer mehr unter Druck geraten und in Frage gestellt werden. Deswegen hier eine Zwischenüberlegung: Warum Demokratie?
IMPULS SCHEIDLER
Ein interessanter Impuls für diese Überlegungen kommt von einem Vortrag von Fabian Scheidler, den er am 18.Oktober 2024 als Einführungsvortrag der Labortagung „Künstlerische Lehre und Vermittlung in der Klimakrise“ gehalten hat. [1]
Der Titel selbst wirkt nicht unbedingt so, als ob er uns etwas zum Thema Demokratie sagen kann, und tatsächlich spielt das Thema ‚Demokratie‘ in diesem Vortrag keine zentrale Rolle, aber die Rekonstruktion der letzten Jahrhunderte unter dem Einfluss der westlichen Welt lässt die leitenden Prinzipien dieser westlichen Welt sehr klar hervor treten. Diese Prinzipien hatten nichts mit ‚Demokratie‘ im modernen Sinne zu tun, im Gegenteil. Wir begegnen in der Geschichte seit dem 15.Jahrhundert einer Welt, die von Europäischen politischen Einheiten und Nationen in einer Weise erobert, und blutig ausgebeutet wurde, die eher das krasse Gegenteil von modernen Demokratien darstellten. Später sprach man von diesen Jahrhunderten als der ‚Kolonialzeit‘ und von ‚Kolonien‘. Diese ‚Kolonialgeschichte‘ endete überwiegend erst nach dem zweiten Weltkrieg und sie wurde in fast keinem der ehemaligen Kolonialmächte bis heute ernsthaft aufgearbeitet!
Und es ist diese dunkle und blutige Geschichte der westlichen Welt, auf die jene drei großen Strukturen zutreffen, die Scheidler in seinem Vortrag eindrucksvoll herausarbeitet. (1) Das kapitalistische Prinzip mit dem Grundsatz: Kapital als Selbstzweck, ohne Rücksicht auf den Kontext. (2) Das Staatsprinzip als ‚Macht zum Erobern‘, auch ohne Rücksicht auf Kontexte. (3) Eine jeweils passende ‚Ideologie‘, die all das rechtfertigt, was da geschieht. Mit diesen Prinzipien kann man einige Jahrhunderte der Vorherrschaft des Westens (lange Zeit nur Europa!) in der Welt erklären, samt der damit einhergehenden Unterdrückung vieler Völker (Kolonialismus), und der ungehemmten Ausbeutung der natürlichen Ressourcen.
[1] Fabian Scheidler: Die Klimakrise als Zivilisationskrise, siehe: https://m.youtube.com/watch?v=39aOX-Atiew. TEXT: Der Vortrag schlägt den Bogen von den globalen Krisenprozessen unserer Zeit (Artensterben, Klima, Spaltung zwischen Arm und Reich, Krise der politischen Repräsentation, geopolitischer Umbruch, Krieg in der Ukraine und Nahost) über die Strukturen der globalen Megamaschine (endlose Kapitalakkumulation, militarisierte Staaten, westliche Vorherrschaft, ideologische Macht) über die Grenzen der Naturbeherrschung bis zur Rolle der Kultur und des Theaters in den großen Umbrüchen unserer Zeit. Dabei bezieht er sich auf die Bücher „Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation“ (https://www.megamaschine.org), „Der Stoff, aus dem wir sind. Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen“ (https://fabian-scheidler.de/der-stoff…) und „Das geistige Feld. Essentialien des Theaters“ (https://fabian-scheidler.de/buecher/#…)
DEMOKRATIE SCHOCK
Worüber Scheidler nicht spricht, das ist der ‚Demokratie-Schock‘, der nach dem Ende des zweiten Weltkriegs Europa erfasste und sich im Kontext der De-Kolonisalisierung dann auch weltweit auswirkte. [1] Staaten die zuvor Kolonialmächte oder ‚unterdrückte Länder‘ waren, übernahmen rein formal plötzlich das Format einer ‚Demokratie‘. Dieser Demokratie-Schock ging einher mit dem ‚Kalten Krieg‘ (fast nahtlos nach dem Ende des zweiten Weltkriegs) sowie wirtschaftlichem Aufschwung in einem Teil der Länder.
Das vorläufige Ende des Kalten Krieges mit dem Ende der alten Sowjetunion (ungefähr Ende der 1980iger Jahre) und die vorübergehende Liberalisierung Chinas [2] verstärkte den Demokratie-Schock, und führte die Wirtschaft global zu neuen Höhenflügen.
[2] Unter Deng Xiaoping (1978 – 1989) gab es im Bereich Wirtschaft eine Liberalisierung, die aber keinerlei Entsprechung auf Seiten der Kommunistischen Partei hatte. Mit Beginn des Amtsantritts von Xi Jinping (ab 2012) wurde diese Liberalisierung schrittweise zurück genommen. Die kommunistische Partei übernahm weitgehend die Kontrolle über die Wirtschaft. Siehe zum Einstieg in die Geschichte der Volksrepublik China die Seite https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Volksrepublik_China
TRANSFORMATION WICHTIGER PARADIGMEN – Unvollendet
Neben dem aufbrechenden Demokratieschock und einer beginnenden globalen Wirtschaft begann aber im ‚Denken‘ in mehreren Bereichen — in der Wissenschaft seit ca. 150 Jahren, in Wirtschaft und Gesellschaft seit ca. 60 Jahren ein Prozess, in dem die bisherigen Kategorien Kapital, Staat, Ideologie und Umwelt immer mehr ’neu gedacht‘ wurden.
So wurde (1) das Prinzip des ‚blinden Kapitalismus‘ seit den 1970iger Jahren zumindest im Denken ersetzt durch das Prinzip der ‚Nachhaltigkeit‘. Auf einem endlichen Planeten kann man nicht ‚unendlich‘ konsumieren und verwüsten. (2) Das Staatskonzept ‚Macht zum Erobern‘ wurde sowohl im Denken als auch in der Realität seit dem zweiten Weltkrieg ersetzt durch das Prinzip ‚demokratischer Staat‘. Die jeweils herrschende Macht sollte mehr unter Kontrolle der gesamten Bevölkerung gebracht und mit minimaler ‚Verantwortung für das Ganze‘ ausgestattet werden. Dazu auch die Gründung der ‚Vereinten Nationen‘ als gemeinsame Plattform für alle Völker. (3) Die großen ‚Ideologien der Vergangenheit‘ wurden durch die modernen Naturwissenschaften und die moderne Wissenschaftsphilosophie — zumindest in der Wurzel — ‚in der Wurzel‘ ausgerottet.
GLOBALE WIDERSTÄNDE GEGEN TRANSFORMATIONEN
Bedenkt man, wie stark und mächtig die Interessen des Kapitals sind, wie mächtig lokale Machtinteressen sein können, und wie anspruchsvoll letztlich die Realisierung einer Demokratie ist, so darf es nicht wundern, dass sich weltweit starke Widerstände gegen alle Tendenzen in Richtung mehr Demokratie oder mehr ‚Integration‘ von Wirtschaft und Gesellschaft‘ in das neue Denken geregt haben.
Der Auflösung der Sowjetunion folgte unmittelbar eine ‚Revolution von Innen‘, in der sich eine Machtelite im Umfeld von Putin Russland ‚zurückholte‘ und schrittweise in eine Autokratische Oligarchie zurück verwandelten. [1] Der kurzzeitigen Liberalisierung Chinas folge auch wieder eine zunehmende Autokratisierung mit umfassender Kontrolle aller Bürger. Viele andere Staaten weltweit folgten dem Modell von Autokratien. Die noch vorhandenen Demokratien werden von unterschiedlichen Machtzentren aus zunehmend mit falschen Erzählungen geflutet, deren Ziel darin besteht, Veränderungsvisionen (z.B. Nachhaltigkeit) zu diskreditieren, die den angestammten Interessen widersprechen. Neben den reinen Kapitalinteressen mischen sich zunehmend auch Machtinteressen ein, deren primäres Interesse die ‚Destabilisierung solcher Staaten‘ ist, die mit Demokratie und Nachhaltigkeit autokratische Systeme in Frage stellen.[2]
Die Transformation der ‚alten Ideologien‘ (fast alle Religionen im Kontext von Eroberungen) zu einer neuen globalen Sicht, die den Planeten und das Leben auf dem Planeten als eine dynamische Einheit sieht, für die alle Verantwortung tragen, diese neue Sicht hat sich noch nicht bis in den Alltag ausbreiten können, zumindest nicht in alltagstauglichen Formaten, die jeder versteht. So trifft diese neue Ideologie nicht nur auf ein breites Unverständnis, sondern die alten Ideologien leben weiter, werden weiterhin von Machtinteressen instrumentalisiert, um die eigenen Machtinteressen zu schützen.
[1] Siehe hierzu die umfassende Darstellung von Catherine Belton „Putins Netz“, 2022, HarperCollins Hamburg (Englisch: 2020)
[2] Zu diesem ganzen Komplex eine sehr informative umfassende Darstellung von Anne Applebaum, ihr Buch „Die Achse der Autokraten“, 2024, Siedler Verlag
WARUM DEMOKRATIE(en) ?
Die voranstehende Skizze zum Aufkommen von modernen Demokratien und ihre vielfachen Infragestellungen bis hin zu möglichen Auflösungserscheinungen beantworten die Frage ‚Warum Demokratie(en)‘ noch nicht wirklich. Demokratien erscheinen als ein junges, innovatives Phänomen auf der Bühne der Geschichte, das in den 2020iger Jahren deutlich unter Druck gerät. Ist es wirklich wichtig? Warum genau? Was müssen wir tun, wollen wir die Demokratien auf diesem Planeten erhalten?
Teil 1: Verwaltungen und die Herausforderung von Bürger:innenbeteiligung für Sozial- und Umweltverträglichkeit. Moderation: Prof‘in Dr. Birgit Blättel-Mink, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Dr. Michael Zschiesche, Unabhängiges Institut für Umweltfragen (UFU): Digitalisierung in der Öffentlichkeitsbeteiligung – Stand und Perspektiven
Überleitender Kommentar
Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim Digitalisierung mit Bürger:innenbeteiligung / Bürger:innenbeteiligung mit digitalen Instrumenten
Podiumsdiskussion: Prof‘in Dr. Birgit Blättel-Mink, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Prof. Dr. Jörn Lamla, Universität Kassel, Prof. Dr. Christian Schrader, Hochschule Fulda
Überleitung zu Teil 2
Teil 2: Citizen Science, Sustainability and Digitality Moderation: Prof. Dr. Matthias Söllner, Universität Kassel
Dr. Katrin Vohland, Naturhistorisches Museum Wien Citizen Science and Sustainability – Large expectations and Some Challenges
Prof. Dr. Yen-Chia Hsu, University of Amsterdam Empowering Local Communities Using Artificial Intelligence
Podiumsdiskussion: Prof. Dr. Gerd Döben-Henisch, Frankfurt University of Applied Sciences, Franziska Ohde, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Prof. Dr. Matthias Söllner, Universität Kassel
(Text: Der folgende Text basiert auf den Präsentationsvorlagen der Beiträge 2-4, den Notizen des Autors, sowie ergänzender Recherche im Diskursraum. Die eigenen Notizen waren ursprünglich nicht für ein Protokoll geplant. Weitere Materialien oder Kommentare von anderen Autoren werden als Ergänzungen im Text eingefügt, sofern welche vorliegen).
Teil 1: Verwaltungen und die Herausforderung von Bürger:innenbeteiligung für Sozial- und Umweltverträglichkeit Moderation: Prof‘in Dr. Birgit Blättel-Mink, Goethe-Universität Frankfurt am Main
10:15 Uhr: Dr. Michael Zschiesche, Unabhängiges Institut für Umweltfragen (UFU): Digitalisierung in der Öffentlichkeitsbeteiligung – Stand und Perspektiven
Dr. Michael Zschiesche, Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender des UfU (Unabhängiges Institut für Umweltfragen) [5] , dazu Fachgebietsleiter des Bereichs Umweltrecht & Partizipation, begann die Vortragsreihe. Seine persönliche Geschichte ist mit der Geschichte des UfU engstens verknüpft. Auf der Webseite des UfU heißt es: „Das UfU e.V. ist die erste Gründung eines unabhängigen Instituts für Umweltwissenschaft in den neuen Bundesländern. Schon im November 1989 wurde es von ostdeutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern initiiert. Entscheidender Impuls für diesen Schritt war das Anliegen, bürgernah und zeitkritisch die umweltpolitische Entwicklung in (Ost)Deutschland zu analysieren und zu befördern.“ und es heißt dort weiter „UfU wirkt in der Tradition, die es als Bürgerbewegung in der DDR mit begründet hat. Es stärkt das Engagement der Bürgerinnen und Bürger durch umweltpolitische Aufklärung und Beratung. UfU stößt umweltgerechte Entwicklungen und Prozesse an. Es initiiert und betreut angewandt wissenschaftliche Projekte, Aktionen und Netzwerke, die öffentlich und gesellschaftlich relevant sind, auf Veränderung ökologisch unhaltbarer Zustände drängen und die Beteiligung der Bürger benötigen und fördern. Dabei hilft das UfU, die Kluft zwischen Wissen und Handeln zu verringern, indem es gesellschaftlich notwendige Veränderungen vordenkt. UfU versteht sich als unabhängige Einrichtung mit Anstoß-, Mittler- und Moderationsfunktion. Es führt lokale, regionale, nationale und internationale Projekte durch und beteiligt sich an globalen Netzwerken.“[5]
Dieses programmatische Selbstverständnis des UfU lokalisiert das UfU im Lichte des konzeptuellen Rahmens des NI-IN Projektes ziemlich direkt innerhalb des Bedeutungsraumes des Konzepts „moderierte Form der ‚Partizipation‘ von Bürgern“.
Michael Zschiesche liefert zu Beginn seines Vortrags eine interessante Differenzierung des Partizipationsgedankens: Auf der einen Seite (i) jene bürgerlichen Aktivitäten, die gesetzlich geregelt sind, und bei denen die legalen Entscheider ‚Informationen‘ zur Verfügung stellen und ‚Konsultationen‘ gewähren müsen. Auf der anderen Seite (ii) gibt es jene bürgerlichen Aktivitäten, die nicht gesetzlich geregelt sind, die von den Bürgern direkt ausgehen, und die sich damit ‚von sich aus als Bürger‘ den legalen Entscheidern als Gesprächspartner anbieten.
Michael Zschiese benutze hier das Konzept ‚formell‘ für den Fall (i) und ‚informell‘ für den Fall (ii).
Michael Zschiese beschränkte sich in seinem weiteren Vortrag auf den Fall der ‚formellen‘ Form der Bürger-Partizipation. Die andere Form der ‚informellen‘ Bürger-Partizipation wurde dann im Anschluss von Frank Brettschneider behandelt.
Im historischen Rückblick ist bedeutsam, dass es überhaupt dazu gekommen ist, dass den Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland ergänzend zu dem bestehenden legalen demokratischen Regelwerk ein begrenzter Mitwirkungsraum zugestanden wurde. Diese Ergänzung wird markiert durch die sogenannte Aarhus-Konvention. [6]
Auf der Webseite des UfU heißt es dazu: „Die Aarhus-Konvention ist nach der dänischen Stadt Århus benannt, in der das sogenannte „UNECE Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten“ verabschiedet wurde. Mit der Aarhus-Konvention werden die Rechte auf Information, Beteiligung und Klagemöglichkeiten als Rechte einer jeden Person zum Schutz der Umwelt auch für zukünftige Generationen erstmals im Völkerrecht verankert. Die Konvention beinhaltet die Etablierung von internationalen Mindeststandards für den Zugang zu Umweltinformationen, für die Öffentlichkeitsbeteiligung und für den Zugang zu Gerichtsverfahren. Mit der Konvention wird zudem erstmals völkervertraglich anerkannt, dass es für den Umwelt- und Naturschutz oft vom Staat unabhängige Gruppen, Initiativen und Organisationen braucht. Die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) oder zivilgesellschaftlichen Initiativen treten in Entscheidungs- und Gerichtsverfahren als Stellvertreter für die Umwelt und die Natur auf.“[6]
Dieser Text enthält neben der Hauptbotschaft, dass den Bürgern überhaupt ein Zugang zu Informationen und Gerichten gesetzlich zugestanden wird, zwei Besonderheiten, die sogleich deutliche Begrenzungen markieren: (i) Einzelner Bürger und Verband: Mit einer Präzisierung des Umweltbundesamtes [7] kann zwar der einzelne Bürger sein Recht in Anspruch nehmen, aber nur, sofern er als Individuum betroffen ist. Sind größere Zusammenhänge involviert, die viele Bürger betreffen, dann können nur ‚anerkannte Verbände‘ aktiv werden. (ii) Themenbeschränkung auf Umwelt: Die Erweiterung der Teilhabe (Partizipation) von Bürgern an legalen Entscheidungsprozessen wird thematisch eingeschränkt aufs das Thema ‚Umwelt und Natur‘.
Michael Zschiese referierte dann ausführlich über die weitere Entwicklung dieser anerkannten Formen formeller Bürgerbeteiligungen im Themenfeld Umwelt und Natur. Er verwies dabei auch auf das Web-Portal zu Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) der deutschen Bundesbehörden.[11] Auf diesem Webportal findet sich die Erläuterung, dass „Umweltverträglichkeitsprüfungen … die Umweltauswirkungen von Vorhaben [ermitteln, beschreiben und bewerten]. Sie dienen einer wirksamen Umweltvorsorge. Die Zulassungsbehörden in Deutschland führen UVPs nach einheitlichen Grundsätzen durch. Insbesondere beteiligen sie die Öffentlichkeit.“[11]
Michael Zschiese berichtet dann von verschiedenen wissenschaftlichen Ansätzen, in denen die öffentlich zugänglichen Daten solcher Umweltprüfungsverfahren hinsichtlich der Effektivität dieser Verfahren ausgewertet werden. Siehe dazu beispielhaft [10]. Ein Aspekt bei allen Verfahren, der zunächst nur die ‚Infrastruktur‘ betrifft, ist die ‚Digitalisierung‘. Ihre Verfügbarkeit oder Nicht-Verfügbarkeit kann aber sowohl Inhalt, Schnelligkeit als auch die Qualität der Verfahren deutlich beeinflussen.
In einer abschließenden Bewertung berichtete Michael Zschiese von seinem persönlichen Eindruck, dass die einschlägigen Behörden — auch auf Bundesebene –, ’sehr langsam, halbherzig‘ agieren. Die Behörden wirken hier ‚zurückhaltend‘. Im Fall der Digitalisierung gibt es bislang auch keinen eigenen Bundesbeauftragten.
Überleitender Kommentar
Dieser Kommentar war nicht Bestandteil der Konferenz sondern wird hier in der Besprechung der Konferenz eingefügt.
Wie Michael Zschiese in seinem Vortrag betonte, hatte er sich auf den Aspekt der formellen Bürgerbeteiligung im Feld Umweltschutz und Natur beschränkt. Als Stärke der aktuellen Situation hatte er herausgearbeitet, dass es überhaupt verbindliche gesetzliche Regelungen gibt, wenngleich beschränkt auf nur einige der Themen — Umweltschutz und Natur — , mit denen eine Gesellschaft konfrontiert ist. Ferner wurde deutlich, dass die geltenden Verfahren die verbindliche Einbeziehung von Bürgern letztlich erst in der Offenlegungsphase eines Projektes vorschreiben, und auch hier nicht ‚jedem Bürger einfach so‘ einen potentiellen Klageanspruch über das individuelle Interesse hinaus einräumen, sondern nur anerkannten Verbänden im Kontext Umweltschutz und Naturschutz, die mit Bürgern kooperieren können, aber nicht müssen.
Wie viele reale Beispiele von Bürgerinitiativen zeigen (ein konkretes, mit Dokumentation, siehe hier [13]), ist der Anteil jener Verfahren, die auf diese Weise versuchen, den Bürger zu umgehen, sehr hoch. Wie der nachfolgenden Vortrag von Frank Brettschneider ausführt, liegt er bei ca. 70% der Verfahren. Dort, wo fachkundige Hilfe Bürgerbegehren bzw. Bürgerinitiativen unterstützt, führt dies oft zu langwierigen Gerichtsprozessen, in denen dann die Kommunen immer häufiger verlieren.
Hier können sich einige Fragen stellen: (i) Warum können Kommunen nicht von Anbeginn den Bürgern einer Gemeinde ein mögliches Projekt vorstellen? (ii) Was würde dann mit den Verfahren passieren? Noch grundsätzlicher kann — und muss? — man die Fragen aufwerfen: (iii) warum schränkt der Gesetzgeber (als Vertreter des primären Souveräns) die Themen einer möglichen Beteiligung von vornherein ein? Zudem, (iv) warum baut der Gesetzgeber eine so hohe Hürde auf, dass nur anerkannte Fachverbände eine rechtlich relevante Klage einreichen können? Warum dürfen Bürger sich je nach lokalem Anlass nicht zu informellen Bürgerbewegungen zusammen schließen und als solche ihre Stimme rechts-relevant erheben?
Hier folgt der Vortrag von Frank Brettschneider, der neben dem allgemeinen Aspekt der Bürgerbeteiligung auch den speziellen Punkt ‚Digitalisierung‘ mit einbezieht.
11:00 Uhr: Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim Digitalisierung mit Bürger:innenbeteiligung / Bürger:innenbeteiligung mit digitalen Instrumenten [14]
(Hinweis: der folgende Text kann direkt Bezug nehmen auf die Präsentationsunterlagen von Frank Brettschneider, was jeweils durch einen Hinweis auf die Nummer der Seite angezeigt wird).
In der Terminologie von Michael Zschiese behandelt der Vortrag von Frank Brettschneider den Bereich der ‚informellen Bürgerbeteiligung‘, die vorbereitend, ergänzend und erweiternd zu den formellen Verfahren gesehen werden kann.
Frank Brettschneider lenkt den Blick daher auch auf Aspekte, die innerhalb eines formellen Verfahrens nicht unbedingt eine Rolle spielen müssen, wenngleich sie für die Situation und das Bewusstsein der Bürger von hoher Bedeutung sein können (und eben auch für die empirische Forschung zu Bürgerprozessen).
Eine kleine Sammlung von möglichen Gründen zu Bürgerprotesten gibt einen Hinweis auf die Vielfalt solcher Gründe ( ‚Nimby‘ = Not In My BackYard, Umwelt/Natur, Kosten, unklarer Nutzen, Risiken, Von oben herab, mangelnde Transparenz, … vgl. S.4). Vielfältig sind auch die Themen aus dem Spannungsfeld ‚Digitalisierung‘ (Mangelnde Verfügbarkeit von Breitbandanschlüssen, Ausstattung von Schulen, fehlende digitale Verwaltungsleistungen, Fehlen von kommunalen Strategien, Fehlen von digitalen Services in einer Stadt (‚Smart City‘)… vgl.S.5). Immer mehr öffentliche Agendas unterstreichen einen vielfältigen Handlungsbedarf (z.B. ‚Neue Urbane Agenda‘ der UN 2016 [15], ‚Smart City Agenda‘ des Bundes 2017 [16], ‚Neue Leipzig-Charta‘ 2020 [17]; vgl. S.6).
Dies führt zur Frage, wie denn eine informelle Beteiligung von Bürgern in einem Stadtentwicklungsprozess gestaltet sein könnte, bei dem es um viel mehr als nur Umwelt- und Naturschutz gehen kann und tatsächlich auch geht.
Frank Brettschneider unterscheidet bei einem informellen Bürgerbeteiligungsprozess zwei verschiedene Arten von Projektphasen: (i) Aktivitäten zur ‚Entscheidungsvorbereitung‘ in Form von vielfältigen Beratungen, und (ii) dann die eigentliche ‚Entscheidung‘, die er nicht mehr zur ‚informellen Bürgerbeteiligung‘ zählt sondern zur ‚Direkten Demokratie‘.(Vgl. S.11)
In einer Deutschlandweiten Befragung 2021/2022 wurde herausgefunden, dass „etwa zwei Drittel der Befragten … sich eine Demokratie [wünschen], in der zwar grundsätzlich die gewählten Repräsentant:innen die politischen Entscheidungen treffen, in der sie aber vorher die Bürger:innen anhören und deren Empfehlungen in ihre Überlegungen einbeziehen.“(S.13) Genauer: Bundesebene 58%, Landesebene 65%, Kommunale Ebene 67%. Einen direkt-demokratischen Entscheid befürworteten auf kommunaler Ebene mit jeweils ca. 1/3 der Parteianhänger jener Parteien, deren Einfluss auf Landes- und Bundesebene eher eingeschränkt sind.(vgl. SS.13f)
Als Anforderungen für eine gute dialogische Struktur zeichnen sich folgende Faktoren klar ab (S.15 aus der Präsentation):
Es muss Gestaltungs-Spielräume geben
Frühzeitige Einbeziehung aller Betroffenen
Einbeziehung von unterschiedlichen Interessen und Perspektiven
Aufgeschlossene und wertschätzende Grundhaltung
Professionelle Prozessgestaltung für Fairness und Transparenz; sowie klare Rahmenbedingungen
Die Kommunikation muss verständlich sein
Im Rahmen eines so gearteten dialogischen Raumes kommt es dann — nach Erfahrung — darauf an, eine genaue Analyse der beteiligten Auftraggeber (Stakeholder) vorzunehmen (vgl. S.17), ebenso eine genaue Analyse der involvierten Themenfelder (vgl. SS. 18f).
Ferner ergeben sich aus dem Ansatz, einen guten dialogischen Raum zur Verfügung zu stellen, starke Anforderungen an die Bereitstellung geeigneter kommunikativer Instrumente, die heutzutage weitgehend (oder gar ausschließlich) online realisiert werden könnten und sollten.(vgl. SS. 23f)
Als übergreifendes Konzept eines Projekt- und Kommunikationsmanagements, das diesen Anforderungen Rechnung trägt, verweist Frank Brettschneider den Standard VDI 7001 [18], den er in seinen einzelnen Phasen beispielhaft erläutert.
Aus der Zusammenfassung seien hier zwei Punkte nochmals besonders hervorgehoben: (i) Nicht gleich DIE eine fertige Lösung präsentieren, sondern Lösungsvarianten! (ii) Die Beteiligung verhindert nicht, dass es zu Konflikten kommt. Aber sie erhöht die Chance auf eine tragfähige Lösung. (Vgl. S.27)
11:45 Uhr: Podiumsdiskussion Prof‘in Dr. Birgit Blättel-Mink, Goethe-Universität Frankfurt am Main Prof. Dr. Jörn Lamla, Universität Kassel Prof. Dr. Christian Schrader, Hochschule Fulda: Statement vom 8.Dezember 2022 (Letzte Änderung: 4.Januar 2023)
Überleitung zu Teil 2
Dieser Kommentar war nicht Bestandteil der Konferenz sondern wird hier in der Besprechung der Konferenz eingefügt.
Während im Teil 1 das Thema ‚Partizipation von Bürgern‘ an politischen Entscheidungsprozessen im Zentrum stand, geht es im Teil 2 mehr um die Frage des Verhältnisses zwischen ‚Bürgern und Wissenschaft‘ (vor allem bei Katrin Vohland), und dem Verhältnis zwischen ‚Bürgern in einer Kommune zur Wissenschaft‘ (Hsu). Dies signalisiert einerseits unterschiedliche Akzente sowohl im Thema ‚Bürger und Wissenschaft‘ selbst wie auch im Verhältnis zum Thema ‚Partizipation von Bürgern‘ im Teil 1. Das eher konkrete Beispiel von Yen-Chia Hsu, angereichert mit Elementen des maschinellen Lernens, lässt erahnen, dass mit einer Künstlichen Intelligenz im Format des maschinellen Lernens zusätzliche Herausforderungen auf das Paradigma Bürgerwissenschaft zukommen.
Teil 2: Citizen Science, Sustainability and Digitality Moderation: Prof. Dr. Matthias Söllner, Universität Kassel
13:45 Uhr: Dr. Katrin Vohland, Naturhistorisches Museum Wien Citizen Science and Sustainability – Large expectations and Some Challenges
Katrin Vohland stellte in ihrem Vortrag die Begriffe ‚Bürger‘ (‚citizen‘) und ‚Wissenschaft‘ (’science‘) mit deren Wechselwirkungen ins Zentrum der Betrachtung, ergänzt um den Aspekt der ‚Nachhaltigkeit‘ (’sustainability‘). Im Fall der Wissenschaft ergänzte sie diesen Begriff noch um das Konzept ‚offene Wissenschaft‘ (‚open science‘).
Für das Konzept ‚Nachhaltigkeit‘ verwies sie einerseits auf die 17 Entwicklungsziele (’sustainable development goals (SDGs)‘) der Vereinigten Nation von 2015 [1a,b] und auf eine thematische Kategorisierung des semantischen Raumes von ‚Nachhaltigkeit‘ mit den Bereichen ‚Umwelt‘, ‚Wirtschaft‘, ‚Soziales‘ sowie ‚Kultur‘. Hier fällt der Bereich ‚Kultur‘ sofort auf, da er nicht so oft eigens genannt wird. Sie verweist hier auf eine Arbeit von Loach und Griffiths von 2017 [19], die den Aspekt der Kultur als für die Nachhaltigkeit bedeutsam qualifizieren. Diese nennen insbesondere die Rolle der Museen, was eine Nähe zum Hintergrund von Katrin Vohland mit dem Naturhistorischen Museum Wien aufblitzen lässt.
Für das Konzept ‚Bürgerwissenschaft‘ (‚citizen science‘) mit den beiden Dimensionen ‚Bürger‘ und ‚Wissenschaft‘ führt Katrin Vohland keine spezielle Kriterien ein, anhand deren man diese Begriffe abstrakt eingrenzen könnte, sondern benutzt eine Reihe von Beispielen (bzw. ‚Beispiel-Typen‘ ) an, die als ‚charakteristisch‘ für diese Begrifflichkeit gelten können.
So spricht Katrin Vohland von ‚epistemischer Teilhabe‘, ‚transformativer Teilhabe‘ im Kontext von Nachhaltigkeit, neben ‚einfachen‘ Engagements auch von ‚komplexen‘ Engagements in Form von ‚Ko-Design‘, sowie von unterschiedlichen ‚Bezeichnungen‘ für Bürger, die sich im Kontext von Wissenschaft engagieren.[22] Eine große Variabilität des Konzepts ‚Bürgerwissenschaft‘ wird sichtbar.
In diesem Zusammenhang thematisiert Katrin Vohland auch das Konzept von ‚Offener Wissenschaft‘.[23] – [28] Damit ist primär der Aspekt der ‚Zugänglichkeit‘ gemeint, der sich sowohl auf die ‚Daten‘ bezieht, mit denen Wissenschaft arbeitet, als auch auf das ‚Wissen‘. Diese Zugänglichkeit bildet die Grundlage für alle wissenschaftlichen Überzeugungen. Daten wie auch Wissen müssen — will man Bürger möglichst weitgehend beteiligen — ‚zugänglich‘ sein für alle. Dazu gibt es mehr und mehr normative Vorgaben seitens der EU [28] und einzelner Länder, insbesondere von Österreich. (siehe [26])
Als Expertin speziell für die Rolle naturkundlicher Museen illustriert Katrin Vohland auch die mögliche Rolle von Museen im Kontext von Bürgerwissenschaft [27] und sie schildert anhand von konkreten bürgerwissenschaftlichen Projekten das allgemeine Prozessschema bei bürgerwissenschaftlichen Projekten [u.a. 30]. Diese Prozesse kreisen um die Perspektiven (i) Identifikation des Problems und Festlegung einer Agenda, (ii) Mobilisierung der notwendigen Ressourcen, und (iii) Ermöglichung einer sozio-technischen Ko-Evolution.(SS.34ff in der Präsentation) Neben zahlreichen positiven Aspekten, die im Kontext bürgerwissenschaftlicher Prozesse sichtbar werden, verweist Katrin Vohland aber auch auf noch vorhandenen Schwachstellen. So führt Sie z.B. an (S.37):
Bürgerwissenschaft (BW) gilt oft nicht als ‚repräsentativ‘; BW besitzt keine politische Legitimation; Nur wenige Beispiele existieren für wirkliches Ko-Design.
Die Datenqualität von BW wird oft angezweifelt; in der normalen Wissenschaft wird BW nicht wirklich anerkannt.
Obwohl also BW die Aufmerksamkeit — und sogar das Wissen — für bestimmte Problemstellungen fördern kann, führt dies nicht notwendigerweise zu einer Änderung von Verhaltensweisen oder entsprechenden Aktionen.
14:30 Uhr: Prof. Dr. Yen-Chia Hsu, University of Amsterdam, Empowering Local Communities Using Artificial Intelligence
Die ‚Lerngeschichte‘ von Yen-Chia Hsu lässt erkennen, wie er mit einem Studium der Architektur begonnen hat, von dort durch die intensive Computernutzung in der Architektur uzm Thema ‚berührungsintensives (‚tangible‘) interaktives Design‘ gefunden hat, was ihn dann zum Thema ‚Mensch-Maschine Interaktion‘ geführt hat. Von dort war der Weg dann geebnet zu Themen wie ‚Maschinelles Lernen‘, ‚Computer Sehen‘ (‚Computer Vision‘) und der Einsatz dieser Technologien für eine Unterstützung von Kommunen in ihrem Alltag. Daraus leitet Yen-Chia Hsu seine Forschungsformel ab: „Bürgerwissenchaft und Technologie zu benutzen, um lokale Kommunen zu befähigen, umweltbezogene und soziale Probleme zu adressieren“.(S.2)
Yen-Chia Hsu unterscheidet zwischen einfachen Unterstützungen für Bürger, in denen diese eine vorgegebene App für eine spezielle Datenerfassung benutzen (z.B. zur Klassifikation von Pflanzen und deren Meldung, [31]), und jenen Unterstützungen, in denen Wissenschaftler mit den Bürgern einer Kommune zusammen (‚Ko-Design‘) ein Unterstützungs-System entwickeln.[32, 33] Das grundlegende Schema eines Ko-Designs, so wie es Yen-Chia Hsu benutzt, geht aus von einer gemeinsamen Datenerfassung zu einem Problem, die daraus resultierenden Evidenzen werden den politischen Gremien und den Medien präsentiert, und durch beides wird eine öffentliche Wahrnehmung des Problems erhöht, was wiederum die Motivation für ein Engagement stärken kann.
Für dieses Forschungs- und Handlungsschema stellt Yen-Chia Hsu drei Beispiele vor: Monitoring der Luftqualität (in Pittsburgh)(2015), Monitoring der Geruchsqualität (in Pittsburgh)(2018), Monitoring des Rauches (Pittsburgh)(2020?).
Während das generelle Schema im ersten Moment ‚einfach‘ wirken kann, zeigen die Details dieser Projekte, dass sowohl auf der technischen Seite (Sensoren, Softwareauswertung) wie auch auf der kommunalen Seite (Kommunikation, Kontakte,..) vielfältige Herausforderungen gemeistert werden müssen.
Yen-Chia Hsu fasst die vielfältigen Erfahrungen aus den drei Projekten wie folgt zusammen (vgl. S.31) (siehe auch [35]):
Viele Methoden, die für sich den Anspruch erheben, ‚Ko-Design‘ zu realisieren, sind nicht wirklich Bürger-zentriert. Diese Bürger-Zentriertheit ist aber wichtig, da der lokale Kontext sehr wichtig ist, dieser aber von den Forschern in der Regel kaum verstanden wird.
Die hohen Anforderungen an die Nutzung und Analyse von Daten, die bestimmte statistische Anforderungen erfüllen müssen, bevor sie für Handlungen benutzt werden können, frustrieren Bürger und Kommunen. Dazu kommt, dass im Fall von sozialen Auswirkungen der Ergebnisse, dies zusätzliche Spannungen mit den Bürgern erzeugen kann.
Eine besondere Herausforderungen bildet die zeitliche Dimension, die sich oft weit über die Dauer eines Projektes erstrecken kann. Eine kontinuierliche Anpassung der technischen Systeme ist eine Herausforderung. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass Bürger dazu tendieren, die Möglichkeiten eines maschinell-intelligenten Systems entweder zu überschätzen oder zu unterschätzen.
Folgende Gedanken von Yen-Chia Hsu kann man als ‚Empfehlungen für die zukünftige Forschung‘ verstehen (vgl. SS.33ff):
Man sollte die sozialen Wirkungen von technischen Systemen, angereichert mit maschinellem Lernen, auswerten.
Man sollte die Design-Prozesse, durch die lokales Wissen in Funktionen übersetzt wird, dokumentieren.
Lokale Probleme zu Problemen der Umwelt und des Sozialen sollten durch interaktive Anwendungen des maschinellen Lernens dem Verstehen zugänglicher gemacht werden.
Eher speziell empfiehlt er, visuelle Analyse-Werkzeuge, die mit maschinellem Lernen unterstützt werden, dahingehend zu untersuchen, ob und wie sie die gemeinsame Erstellung (‚co-creation‘) von brauchbaren Daten unterstützen und dadurch zugleich die Bürger weiter befähigen (‚empowering them‘).
15:45 Uhr: Podiumsdiskussion Prof. Dr. Gerd Doeben-Henisch, Frankfurt University of Applied Sciences Franziska Ohde, Goethe-Universität Frankfurt am Main Prof. Dr. Matthias Söllner, Universität Kassel
KOMMENTARE
[5] Ein informativer Gesamtüberblick zum UfU findet sich in der Deutschen Wikipedia HIER ( https://de.wikipedia.org/wiki/Unabh%C3%A4ngiges_Institut_f%C3%BCr_Umweltfragen ). Die Homepage des UfU findet sich hier: https://www.ufu.de/ (Zuletzt: 13.Dez.2022). Ein kurzer Überblick zur Geschichte des UfU seit 1989 findet sich hier: https://www.ufu.de/ueber-uns/geschichte/
[6] Aarhus Konvention (https://www.aarhus-konvention.de/aarhus-konvention/): Webseite des UfU zur Erläuterung der wichtigen Aarhus-Konvention „in der das sogenannte UNECE-Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten verabschiedet wurde.“ Dort auch die Aarhus-Änderungsverordnung von 2021: https://www.aarhus-konvention.de/europaeische-union/aarhus-aenderungsverordnung-2021/
[7] Rechtsschutz und Verbandsklage: Informationsseite des Umweltbundesamts: Jede Person, die geltend macht, durch staatliches Handeln in ihren Rechten verletzt zu werden, kann Rechtsschutz in Anspruch nehmen. Gegen eine Behördenentscheidung ist zunächst der Widerspruch bei der Behörde und gegen einen Widerspruchsbescheid die Klage vor den Verwaltungsgerichten zulässig: https://www.umweltbundesamt.de/themen/nachhaltigkeit-strategien-internationales/umweltrecht/rechtsschutz-verbandsklage (Zuletzt: 13.Dezember 2022). Ergänzung während der Corona-Zeit wurde im Mai 2020 Regelungen zu Planungs- und Genehmigungsverfahren in Corona-Zeiten verabschiedet: https://dserver.bundestag.de/btd/19/192/1919214.pdf
[8] Wissenschaftliche Unterstützung des Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten in der 19. Legislaturperiode: Publikation des Umweltbundesamts. Kern der Studie ist ein Monitoring der Umweltverbandsklage von 2017-2020. Damit setzten das Unabhängige Institut für Umweltfragen e. V., Prof. Dr. Schmidt und RA Teßmer die Untersuchungen seit Einführung der Umweltverbandsklage fort. So kann die Entwicklung der Zahl und Erfolgsquote der Umweltverbandsklagen gezeigt werden. Zudem wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen der Dauer von Zulassungsverfahren und dem Wegfall der Präklusion untersucht. Die Studie enthält außerdem mehrere Gutachten, in denen verschiedene Rechtswissenschaftler*innen spezielle Fragen des Umweltrechtsschutzes klärten, RAin Heß z. B. solche zum Rechtsschutz gegen Pläne und Programme und Prof. Dr. Gärditz zur Präklusion: https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/wissenschaftliche-unterstuetzung-des-rechtsschutzes (Zuletzt: 13. Dez. 2022) PDF: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/publikationen/texte_149-2021_wissenschaftliche_unterstuetzung_des_rechtsschutzes_in_umweltangelegenheiten_in_der_19._legislaturperiode_0.pdf
[9] Grundsätzliche Rolle des ‚Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG)‘: Siehe [8] S.29f
[11] UvP Portal des Bundes und der Länder: https://www.uvp-portal.de/ (Zuletzt: 13.Dez. 2022): „Hier finden Sie Informationen zu den Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) der deutschen Bundesbehörden. Umweltverträglichkeitsprüfungen ermitteln, beschreiben und bewerten die Umweltauswirkungen von Vorhaben. Sie dienen einer wirksamen Umweltvorsorge. Die Zulassungsbehörden in Deutschland führen UVPs nach einheitlichen Grundsätzen durch. Insbesondere beteiligen sie die Öffentlichkeit.“
[13] Beispiel einer Bürgerinitiative in einer kleinen Kommune (61137 Schöneck), in der die Gemeindeleitung zunächst versucht hatte, die Ansiedlung eines neuen Rechenzentrums (RZ) ohne die Einbeziehung einer breiten Öffentlichkeit vorzubereiten. Dadurch, dass dann doch immer mehr Informationen ‚durchsickerten‘, kam es zur Entstehung einer recht beeindruckenden Bürgerinitiative (https://www.lebenswertes-schoeneck.de/), die immer mehr Informationsveranstaltungen organisierte, so dass es dann in der offiziellen Offenlegungsphase im November 2022 zu über 700 Einwendungen gegen das Projekt kam, 20 davon von Behörden oder Verbänden. Einige der fachlichen Einwendungen kann man HIER (https://www.lebenswertes-schoeneck.de/Einwendungen/) einsehen.
[14] Universität Hohenheim, Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft, Fruwirthstraße 46, 70599 Stuttgart, (https://komm.uni-hohenheim.de)
[15] UN HABITAT III (siehe: https://unhabitat.org/habitat-iii ).: „Habitat III, the United Nations Conference on Housing and Sustainable Urban Development, took place in Quito, Ecuador, from 17 – 20 October 2016. In resolution 66/207 and in line with the bi-decennial cycle (1976, 1996, and 2016), the United Nations General Assembly decided to convene the Habitat III Conference to reinvigorate the global commitment to sustainable urbanization, to ratify the “New Urban Agenda”, building on the Habitat Agenda of Istanbul in 1996.“ …. „Habitat III was one of the first United Nations global summits after the adoption of the Post-2015 Development Agenda and the Paris Climate Change Agreement. It offered a unique opportunity to discuss the important challenge of how cities, towns, and villages are planned and managed, in order to fulfill their role as drivers of sustainable development, and hence shape the implementation of new global development and climate change goals.“
[16] SMART CITY CHARTA – DIGITALE TRANSFORMATION IN DEN KOMMUNEN NACHHALTIG GESTALTEN (2017), Herausgeber: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Bonn Deichmanns Aue 31–37, 53179 Bonn; Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), Stresemannstraße 128 – 130, 10117 Berlin, URL: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/bauen/wohnen/smart-city-charta-kurzfassung-de-und-en.pdf?__blob=publicationFile&v=4
[17] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (2020): Neue Leipzig-Charta. Die transformative Kraft der Städte für das Gemeinwohl, URL: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/sonderveroeffentlichungen/2021/neue-leipzig-charta-pocket-dl.pdf. Aus der Vorbemerkung: „
Die Neue Leipzig-Charta ist das Leitdokument für eine zeitgemäße Stadtpolitik in Deutschland und Europa. Was sind die Grundprinzipien guter Stadtentwicklung? Wo besteht dringender Handlungsbedarf? Wie lassen sich Krisenfestigkeit und Innovationskraft in den Städten Europas stärken, um aktuelle und zukünftige soziale, wirtschaftliche und ökologische Herausforderungen zu bewältigen? Welche Unterstützung benötigen Kommunen und die Menschen, die in ihnen leben und arbeiten, um ihre Gestaltungs- und Veränderungskraft entfalten zu können – in großen wie in kleinen Städten, im Quartier oder in einer ganzen Stadtregion?“
[18] VDI Standard 7001: Siehe für einen kurzen Überblick Wikipedia DE: VDI 7001 (https://de.wikipedia.org/wiki/VDI_7001). Die VDI-Quelle zu „VDI 7001 Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung bei Planung und Bau von Infrastrukturprojekten“ findet sich hier: https://www.vdi.de/richtlinien/unsere-richtlinien-highlights/vdi-7001. Dort kann man lesen: „Infrastrukturprojekte sorgen in der Öffentlichkeit schon seit Jahrzehnten immer wieder für ausgiebige Diskussionen und teilweise massive Proteste. Wie können die beteiligten Akteure und Ingenieure gemeinsam gesellschaftliche Lösungen für die Umsetzung von längst notwendigen Infrastrukturprojekten der nächsten Jahrzehnte erreichen? Die Richtlinie VDI 7001 gibt Hinweise zur Kommunikation und Bürgerbeteiligung bei der Durchführung von Infrastrukturprojekten unter Berücksichtigung der Leistungsphasen (HOAI) in der Ingenieurplanung.“
[19] Kirsten Loach, Jillian Griffiths, Cultural sustainability as a strategy for the survival of museums and libraries, International Journal of Cultural Policy, Volume 23, 2017 – Issue 2: Cultural Policies for Sustainable Development, Pages 186-198, Published online: 13 Jun 2016 : Abstract „Cultural sustainability has become a growing priority within sustainable development agendas, and is now often depicted as a fourth pillar, equal to social, economic, and environmental concerns. Museums and libraries play a unique role within cultural sustainability by preserving their communities’ heritage. However, sustainability policy and research within these sectors still tends to focus on the social, economic, and environmental pillars. This article provides a critique of sustainability policy and research for museums and libraries. It argues that more explicit coverage of cultural sustainability is required to not only improve the contributions of museums and libraries to cultural sustainability, but also to provide an increased understanding and appreciation of the value of these institutions necessary for their continued survival.“ (URL: https://www.tandfonline.com/journals/gcul20 )
[20] Bürger schaffen Wissen: ( https://www.buergerschaffenwissen.de/ueber-uns ) . Auf der Webseite: „Bürger schaffen Wissen ist die zentrale Plattform für Citizen Science in Deutschland und präsentiert, vernetzt und unterstützt seit November 2013 Citizen-Science-Projekte. Wir als Team von Bürger schaffen Wissen verstehen es als unsere Aufgabe, die Bürgerforschung in Deutschland weiterzuentwickeln, bekannter zu machen und über Projekte zum Mitforschen zu informieren. Die Zusammenarbeit von Wissenschaftsinstitutionen und Bürger*innen unter dem Begriff Citizen Science hat in den letzten Jahren eine große Entwicklung erfahren. Im Zuge dessen spielen Themen wie die Netzwerkentwicklung und unsere Trainingsworkshops, bei denen wir interessierte Akteur*innen einladen, sich in verschiedenen Modulen mit Citizen Science auseinanderzusetzen, in diesem Jahr eine große Rolle für uns und die Community. Bürger schaffen Wissen ist ein Gemeinschaftsprojekt von Wissenschaft im Dialog (gGmbH) und dem Museum für Naturkunde Berlin. Gefördert wird es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).“
[21] Christopher Kullenberg , Dick Kasperowski, What Is Citizen Science? – A Scientometric Meta-Analysis, PLOS ONE, Published: January 14, 2016, https://doi.org/10.1371/journal.pone.0147152. Abstract: Context: „The concept of citizen science (CS) is currently referred to by many actors inside and out-side science and research. Several descriptions of this purportedly new approach of science are often heard in connection with large datasets and the possibilities of mobilizing crowds outside science to assists with observations and classifications. However, other accounts refer to CS as a way of democratizing science, aiding concerned communities in creating data to influence policy and as a way of promoting political decision processes involving environment and health.“ … Results: „Results indicate that there are three main focal points of CS. The largest is composed of research on biology, conservation and ecology, and utilizes CS mainly as a methodology of collecting and classifying data. A second strand of research has emerged through geographic information research, where citizens participate in the collection of geographic data. Thirdly, there is a line of research relating to the social sciences and epidemiology, which studies and facilitates public participation in relation to environmental issues and health. In terms of scientific output, the largest body of articles are to be found in biology and conservation research. In absolute numbers, the amount of publications generated by CS is low (N = 1935), but over the past decade a new and very productive line of CS based on digital platforms has emerged for the collection and classification of data.“
[22] Eitzel, M.V., Cappadonna, J.L., Santos-Lang, C., Duerr, R.E., Virapongse, A., West, S.E., Kyba, C.C.M., Bowser, A., Cooper, C.B., Sforzi, A., Metcalfe, A.N., Harris, E.S., Thiel, M., Haklay, M., Ponciano, L., Roche, J., Ceccaroni, L., Shilling, F.M., Dörler, D., Heigl, F., Kiessling, T., Davis, B.Y. and Jiang, Q., 2017. Citizen Science Terminology Matters: Exploring Key Terms. Citizen Science: Theory and Practice, 2(1), p.1. DOI: http://doi.org/10.5334/cstp.96 Abstract: „Much can be at stake depending on the choice of words used to describe citizen science, because terminology impacts how knowledge is developed. Citizen science is a quickly evolving field that is mobilizing people’s involvement in information development, social action and justice, and large-scale information gathering. Currently, a wide variety of terms and expressions are being used to refer to the concept of ‘citizen science’ and its practitioners. Here, we explore these terms to help provide guidance for the future growth of this field. We do this by reviewing the theoretical, historical, geopolitical, and disciplinary context of citizen science terminology; discussing what citizen science is and reviewing related terms; and providing a collection of potential terms and definitions for ‘citizen science’ and people participating in citizen science projects. This collection of terms was generated primarily from the broad knowledge base and on-the-ground experience of the authors, by recognizing the potential issues associated with various terms. While our examples may not be systematic or exhaustive, they are intended to be suggestive and invitational of future consideration. In our collective experience with citizen science projects, no single term is appropriate for all contexts. In a given citizen science project, we suggest that terms should be chosen carefully and their usage explained; direct communication with participants about how terminology affects them and what they would prefer to be called also should occur. We further recommend that a more systematic study of terminology trends in citizen science be conducted.“
In the section Direction for Future Work the authors write „
Two questions we raise are: 1) “Who gets to decide what people involved in all aspects of citizen science are called, and why?” and 2) “Who gets to decide what science consists of?” We believe that investigation into these questions is important for citizen science to address power imbalances in knowledge production. As we have pointed out in the theoretical background, terminology can have a profound effect on participants and has the power to include or exclude. For example, using terminology that uninten- tionally privileges the project leader may run counter to the democratizing intentions of a citizen science project, could influence how participants feel about the activity, and could affect the knowledge that is produced.“ (p.16)
[23] ECSA – European Citizen Science Association, Auf der Webseite kann man unter ‚Vision and Mission‘ (https://www.ecsa.ngo/about-us/) lesen: „Our vision is that all citizens in Europe are valued and empowered as actors in advancing knowledge and innovation, and thus supporting sustainable development. We want to establish citizen science as a recognized, promoted and funded approach, one that fosters scientific literacy and the democratization of science. Through this, we want to see an increase in the social relevance and sustainable impact of research, and a stronger evidence base for policy processes, in Europe and globally.“
[24] ECSA – European Citizen Science Association, ECSA’s characteristics of citizen science, 2020 ( https://ecsa.citizen-science.net/wp-content/uploads/2020/05/ecsa_characteristics_of_citizen_science_-_v1_final.pdf ). In der Einleitung kann man lesen: „Citizen science is a common name for a wide range of activities and practices. It is possible to understand it by considering the characteristics of those activities and practices, which are described in this document. These are found in different scientific disciplines – from the natural sciences to the social sciences and the humanities – and within each discipline, the interpretation of citizen science can be slightly different. Yet despite these differences, citizen science is an emerging area of research and practice, with evolving standards on which different stakeholders are developing methodologies, theories and techniques. It is, therefore, useful to establish some level of shared understanding, across disciplines and practices, as to what to expect from an activity or a project that is set out to be a citizen science one. There is little doubt that a project with an open call to a wide range of volunteers to take part in either data collection or data analysis of a clearly defined research hypothesis will be recognised as citizen science. However, this is only one type within a large set of activities, practices and forms of participation, resulting in diverging views about what is – and isn’t – citizen science. Because of these differences in disciplinary and cultural contexts, attempting to define a universal set of rules for exclusion or inclusion is difficult, and might even limit the advancement of the field. Instead, this document attempts to represent a wide range of opinions in an inclusive way, to allow for different types of projects and programmes, where context-specific criteria can be set. The characteristics outlined below are based on views expressed by researchers, practitioners, public officials and the wider public. Our aim is to identify the characteristics that should be considered when seƫng such criteria (e.g. a funding scheme), and we call upon readers to determine which subset of these characteristics is relevant to their own specific context and aims.“
[25] Pateman, R.; Tuhkanen, H.; Cinderby, S. Citizen Science and the Sustainable Development Goals in Low and Middle Income Country Cities. Sustainability 2021, 13, 9534. https://doi.org/10.3390/su13179534, Im ‚Abstract‘ kann man lesen: „Progress towards the United Nations’ Sustainable Development Goals (SDGs) is monitored using a set of targets and indicators. Gaps in official datasets have led to calls for the inclusion of data generated through citizen science (CS) and allied approaches. Co-benefits of CS mean these approaches could also contribute to localising, defining, and achieving the SDGs. However, mapping of current and potential contributions is needed, as well as an understanding of the challenges these approaches present. We undertake a semi-systematic review of past and current CS projects and assess them against dimensions of CS—spatial, temporal, thematic, process, and management—and their value for the SDGs set out by Fritz et al. in 2019, focusing on low and middle income country (LMIC) cities as key environments in the battle for sustainability. We conduct interviews with project leaders to further understand the challenges for CS in these contexts. We find opportunities for projects to monitor and achieve a wide range of goals, targets, and indicators. However, we find fewer projects in low income countries when compared with middle income countries. Challenges include balancing local needs with national monitoring requirements and a lack of long-term funding. Support is needed for LMICs to achieve the potential of CS.“
Im Abschnitt über ‚Future Directions‘ man kann u.a. lesen: „Finally, we encourage deeper reflection and discussion of challenges in the CS community which was found to be absent from many of the resources found in our literature review. There is a need for CS to be critical and for project leaders to assess and report on successes and failures in terms of data quality, engagement, participant, and stakeholder outcomes, etc. Where these issues were discussed, they were often noted as observations rather than as a result of a more systematic evaluation or study. Rigorous assessment and reflection needs to be built into CS processes so that it involves participants and other stakeholders and allows for open learning to take place within CS projects and in the community as a whole.“
In den ‚Conclusions‘ kann man ergänzend u.a. lesen: „A full understanding of the social and structural barriers to the successful implementation of CS, particularly in the lowest income countries and when working with the most marginalised in society, is required. Effort is also needed to engage LMICs in discussions about the inclusion of CS data in SDG monitoring and to support the successful implementation of CS initiatives. Without understanding and overcoming barriers and providing this support, there is a risk that those who could most benefit from being engaged with these approaches will in fact be excluded.“
[26] Open Science Policy Austria: Österreichische Policy zu Open Science und der European Open Science Cloud(https://www.bmbwf.gv.at/Themen/HS-Uni/Hochschulgovernance/Leitthemen/Digitalisierung/Open-Science/Open-Science-Policy-Austria.html), Auf der Webseite kann man gleich zu Beginn lesen: „Am Mittwoch 23.2.2022 wurde im Zuge eines gemeinsamen Ministerratsvortrages von BMBWF, BMDW und BMK die Open Science Policy Austria beschlossen. Mit diesem Vortrag an den Ministerrat und dieser Open Science Policy Austria bekennt sich Österreich zur Open Science Bewegung und zur European Open Science Cloud (EOSC). Die Vision von Open Science ist es, wissenschaftliche Prozesse offener und effektiver zu gestalten und sowohl wissenschaftliche Exzellenz als auch offene innovative und angewandte Forschung zur Bewältigung aktueller Herausforderungen zu nutzen, die sehr umfassend in den Policies der EU-Kommission und im Rahmenwerk der Globalen Nachhaltigkeitsziele (UN SDGs) dargestellt werden.“
Zum Thema ‚Nachhaltigkeit‘ heißt es u.a.: „Die SDGs sind für die Hochschulen zentrale, globale, internationale und nationale Zielsetzungen. Das Bekenntnis zur verstärkten Verankerung der Nachhaltigkeit an den Universitäten wurde im Jänner 2020 auch von der österreichischen Universitätenkonferenz (Uniko) gewürdigt und im „Manifest für Nachhaltigkeit“ verankert – und zwar für unterschiedlichste Tätigkeitsfelder wie Lehre, Forschung, Wissensaustausch oder Universitätsmanagement sowie dem Dialog mit der Gesellschaft nach außen. „
Zum Thema ‚Forschung‘ heißt es auf der Webseite u.a.: „Forschen bedeutet, systematisch und auf nachvollziehbare, reproduzierbare und kreative Weise neues Wissen und neue Anwendungen zu generieren. Von der Erforschung der Grundlagen der Natur und des menschlichen Zusammenlebens zur modernen Medizin, dem Internet und der Demokratie. Geschichten aus der Forschung sind Erfolgsgeschichten, die Generationen und Staaten verbinden. Forschung ist zudem ein enorm wichtiger Wirtschaftsfaktor.“
Zum Thema ‚Digitalisierung und Forschung‘ heißt es u.a.: „Was die Erfindung des Buchdrucks für die Neuzeit oder die der Dampfmaschine Mitte des 19. Jahrhunderts war, ist im 21. Jahrhundert die digitale Transformation. Sie stellt eine technologische Weiterentwicklung dar, die das bisherige wirtschaftliche, politische, soziale, gesellschaftliche und auch wissenschaftliche Gefüge auf den Kopf stellt. Das bringt Chancen und Herausforderungen mit sich, die neue Handlungsspielräume eröffnen und zugleich aber auch strukturelle Veränderungsprozesse notwendig machen.“
Zum thema ‚KI und Digitalisierung‘ finden sich u.a. folgende Aussagen: „Weil Künstliche Intelligenz (KI) sowohl als Teil der Digitalisierung, als auch eigenständig betrachtet werden kann, sind die grundsätzlichen Ausführungen zu Digitalsierung der Lehre, Digitalisierung in der Forschung, Open Science und Digitalisierung in der Hochschulverwaltung auch entsprechend auf Veränderungen durch den Einsatz von KI andwendbar. Das gilt besonders für die Herausforderung für Hochschulen, digitale Grundkompetenzen, fachspezifisches Know How und den kritisch-reflexiven Umgang mit KI entsprechend zu vermitteln. „
Zum Thema ‚KI‘ heißt es: „Unter Künstlicher Intelligenz versteht das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) Systeme mit einem intelligenten (selbstlernendem) Verhalten, die ihre Umgebung analysieren und mit einem gewissen Grad an Autonomie handeln.“
Zum Thema ‚Open Science‘ heißt es u.a.: „Unter Open Science versteht man die freie Zugänglichkeit, Nutzbarmachung und Weiterverarbeitbarkeit von wissenschaftlichen Erkenntnisse und Forschungsdaten. In Zeiten des globalen digitalen Wandels ist das eine wichtige Voraussetzung zur Gewährleistung der verfassungsmäßig garantierten Freiheit der Wissenschaft. Österreich nimmt dabei eine wichtige Vorreiterrolle ein. Im Zeitalter der Digitalisierung – in dem die meisten wissenschaftlichen Publikationen primär elektronisch verfügbar sind – stellt sich beim Gedanken einer Offenen Wissenschaft (Open Science) die Frage nach der erweiterten bis schrankenlosen Zugänglichkeit wissenschaftlicher Informationen (Open Access) und ihren dahinterliegenden Daten (Open [Research] Data). Zu Open Science zählen aber auch noch andere Aspekte wie beispielsweise:
Open Source / Open Methods, also die Zugänglichkeit des Quellcodes und der Forschungsmethoden
Open Infrastructures, die Zugänglichkeit von Forschungsinfrastrukturen
Open Evaluation, die Zugänglichmachung von Evaluierungen
Citizen Science, also die Beteiligung von Bürger/innen in wissenschaftlicher Forschung oder auch
Open Education (u.a. der Einsatz von offenen Bildungsressourcen (Open Educational Resources, OER) im Kontext von Digitalisierung von Studium und Lehre). Damit ist die Zugänglichmachung von Lehr- und Lernmaterialen unter freien Lizenzen gemeint.
In der Zusammenfassung kann man lesen: „In this document the NHMW rolls out in which areas the museum already contributes and can contribute to implement Open Science in its processes and products, which resources are necessary, and which already have been aquired, mainly in the form of third party funded projects. The key contribution is linked to its global responsibility regarding the collections. Objects from various disciplines from all over the world are hosted in the museum. Not only their conservation and their exploration/research („Beforschung”) belongs to the duties of the NHMW but also increasing their accessibility for research and education. The digital transformation not only requires new standards, workflows, and skills but also offers opportunities to link the collection with data from areas far beyond the museum, being it Earth observation, health, or nature based solutions. Some of these changes can be managed internally or with the support of projects. For a sustainable transition, additional resources are necessary as the basis of the NHMW are still the physical objects in the collections which have to be maintained in a responsible manner for the next centuries – in any case longer than the lifespan of a hard disk.“
[28] EU: The EU’s open science policy (https://research-and-innovation.ec.europa.eu/strategy/strategy-2020-2024/our-digital-future/open-science_en).
Auf der Webseite wird ‚Offene Wissenschaft‘ wie folgt definiert: „An approach to the scientific process that focuses on spreading knowledge as soon as it is available using digital and collaborative technology. Expert groups, publications, news and events.“
Zur europäischen ‚Offene Wissenschaft Vorgehensweise‘ kann man lesen: „Open science is a policy priority for the European Commission and the standard method of working under its research and innovation funding programmes as it improves the quality, efficiency and responsiveness of research. When researchers share knowledge and data as early as possible in the research process with all relevant actors it helps diffuse the latest knowledge. And when partners from across academia, industry, public authorities and citizen groups are invited to participate in the research and innovation process, creativity and trust in science increases. That is why the Commission requires beneficiaries of research and innovation funding to make their publications available in open access and make their data as open as possible and as closed as necessary. It recognises and rewards the participation of citizens and end users.“
[29] Katrin Vohland, Anne Land-Zandstra, Luigi Ceccaroni, Rob Lemmens, Josep Perelló, Marisa Ponti, Roeland Samson, Katherin Wagenknecht (Eds), The Science of Citizen Science (https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/978-3-030-58278-4.pdf?pdf=button), Springer, https://doi.org/10.1007/978-3-030-58278-4. This book is an open access publication.
Dieses Buch behandelt das Phänomen ‚Citizens Science‘ in großer Breite.
[30] Henry Sauermann, Katrin Vohland, Vyron Antoniou, Bálint Balázs, Claudia Göbel, Kostas Karatzas, Peter Mooney, Josep Perelló, Marisa Pontik, Roeland Samsonl, Silvia Winter, Citizen science and sustainability transitions, Elsevieer, Research Policy 49 (2020) 103978, Open Access Journal, https://doi.org/10.1016/j.respol.2020.103978
Im ‚Abstract‘ kann man Lesen: „Citizen Science (CS) projects involve members of the general public as active participants in research. While some advocates hope that CS can increase scientific knowledge production (“productivity view”), others emphasize that it may bridge a perceived gap between science and the broader society (“democratization view”). We discuss how an integration of both views can allow Citizen Science to support complex sustainability transitions in areas such as renewable energy, public health, or environmental conservation. We first identify three pathways through which such impacts can occur: (1) Problem identification and agenda setting; (2) Resource mobilization; and (3) Facilitating socio-technical co-evolution. To realize this potential, however, CS needs to address important challenges that emerge especially in the context of sustainability transitions: Increasing the diversity, level, and intensity of participation; addressing the social as well as technical nature of sustainability problems; and reducing tensions between CS and the traditional institution of academic science. Grounded in a review of academic literature and policy reports as well as a broad range of case examples, this article contributes to scholarship on science, innovation, and sustainability transitions. We also offer insights for actors involved in initiating or institutionalizing Citizen Science efforts, including project organizers, funding agencies, and policy makers.“
[31] Pl@ntNet is a citizen science project available as an app that helps you identify plants thanks to your pictures (https://plantnet.org/en/)
Im ‚abstract‘ kann man lesen: „Urban air pollution has been linked to various human health considerations, including cardiopulmonary diseases. Communities who suffer from poor air quality often rely on experts to identify pollution sources due to the lack of accessible tools. Taking this into account, we developed Smell Pittsburgh, a system that enables community members to report odors and track where these odors are frequently concentrated. All smell report data are publicly accessible online. These reports are also sent to the local health department and visualized on a map along with air quality data from monitoring stations. This visualization provides a comprehensive overview of the local pollution landscape. Additionally, with these reports and air quality data, we developed a model to predict upcoming smell events and send push notifications to inform communities. Our evaluation of this system demonstrates that engaging residents in documenting their experiences with pollution odors can help identify local air pollution patterns, and can empower communities to advocate for better air quality.“
[33] Yen-Chia Hsu, Illah Nourbakhsh, “When Human-Computer Interaction Meets Community Citizen Science“,Communications of the ACM, February 2020, Vol. 63 No. 2, Pages 31-34, 10.1145/3376892, https://cacm.acm.org/magazines/2020/2/242344-when-human-computer-interaction-meets-community-citizen-science/fulltext
In der Einleitung kann man lesen: „HUMAN-COMPUTER INTERACTION (HCI) studies the design and use of interfaces and interactive systems. HCI has been adopted successfully in modern commercial products. Recently, its use for promoting social good and pursuing sustainability—known as sustainable HCI—has begun to receive wide attention.4 Conventionally, scientists and decision-makers apply top-down approaches to lead research activities that engage lay people in facilitating sustainability, such as saving energy. We introduce an alternative framework, Community Citizen Science (CCS), to closely connect research and social issues by empowering communities to produce scientific knowledge, represent their needs, address their concerns, and advocate for impact. CCS advances the current science-oriented concept to a deeper level that aims to sustain community engagement when researchers are no longer involved after the intervention of interactive systems.“
[34] Yen-Chia Hsu, Ting-Hao (Kenneth) Huang, Ting-Yao Hu, Paul Dille, Sean Prendi, Ryan Hoffman, Anastasia Tsuhlares, Jessica Pachuta, Randy Sargent, Illah Nourbakhsh1, Project RISE: Recognizing Industrial Smoke Emissions, https://arxiv.org/pdf/2005.06111.pdf
Im ‚abstract‘ kann man lesen: „Industrial smoke emissions pose a significant concern to human health. Prior works have shown that using Computer Vision (CV) techniques to identify smoke as visual evidence can influence the attitude of regulators and empower citizens to pursue environmental justice. However, existing datasets are not of sufficient quality nor quantity to train the robust CV models needed to support air quality advocacy. We introduce RISE, the first large-scale video dataset for Recognizing Industrial Smoke Emissions. We adopted a citizen science approach to collaborate with local community members to annotate whether a video clip has smoke emissions. Our dataset contains 12,567 clips from 19 distinct views from cameras that monitored three industrial facilities. These daytime clips span 30 days over two years, including all four seasons. We ran experiments using deep neural networks to establish a strong performance baseline and reveal smoke recognition challenges. Our survey study discussed community feedback, and our data analysis displayed opportunities for integrating citizen scientists and crowd workers into the application of Artificial Intelligence for Social Impact.“
Unter der Überschrift ‚The Bigger Picture‘ kann man lesen: „Artificial intelligence (AI) is increasingly used to analyze large amounts of data in various practices, such as object recognition. We are specifically interested in using AI-powered systems to engage local communities in developing plans or solutions for pressing societal and environmental concerns. Such local contexts often involve multiple stakeholders with different and even contradictory agendas, resulting in mismatched expectations of the behaviors and desired outcomes of these systems. There is a need to investigate whether AI models and pipelines can work as expected in different contexts through co-creation and field deployment. Based on case studies in co-creating AI-powered systems with local people, we explain challenges that require more attention and provide viable paths to bridge AI research with citizen needs. We advocate for developing new collaboration approaches and mindsets that are needed to co-create AI-powered systems in multi-stakeholder contexts to address local concerns“
In der ‚Zusammenfassung‘ kann man lesen: „Artificial intelligence (AI) applications can profoundly affect society. Recently, there has been extensive interest in studying how scientists design AI systems for general tasks. However, it remains an open question as to whether the AI systems developed in this way can work as expected in different regional contexts while simultaneously empowering local people. How can scientists co-create AI systems with local communities to address regional concerns? This article contributes new perspectives in this underexplored direction at the intersection of data science, AI, citizen science, and human-computer interaction. Through case studies, we discuss challenges in co-designing AI systems with local people, collecting and explaining community data using AI, and adapting AI systems to long-term social change. We also consolidate insights into bridging AI research and citizen needs, including evaluating the social impact of AI, curating community datasets for AI development, and building AI pipelines to explain data patterns to laypeople.“
Im folgenden handelt es sich um einen Bericht und einen Kommentar zu einer Konferenz. Dieser Bericht repräsentiert eine Einzelmeinung. Sollten sich weitere Beteiligte explizit äußern, so könnte man den Bericht und den Kommentar entsprechend erweitern.
Teil 1: Verwaltungen und die Herausforderung von Bürger:innenbeteiligung für Sozial- und Umweltverträglichkeit. Moderation: Prof‘in Dr. Birgit Blättel-Mink, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Dr. Michael Zschiesche, Unabhängiges Institut für Umweltfragen (UFU): Digitalisierung in der Öffentlichkeitsbeteiligung – Stand und Perspektiven
Überleitender Kommentar
Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim Digitalisierung mit Bürger:innenbeteiligung / Bürger:innenbeteiligung mit digitalen Instrumenten
Podiumsdiskussion: Prof‘in Dr. Birgit Blättel-Mink, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Prof. Dr. Jörn Lamla, Universität Kassel, Prof. Dr. Christian Schrader, Hochschule Fulda
Überleitung zu Teil 2
Teil 2: Citizen Science, Sustainability and Digitality Moderation: Prof. Dr. Matthias Söllner, Universität Kassel
Dr. Katrin Vohland, Naturhistorisches Museum Wien Citizen Science and Sustainability – Large expectations and Some Challenges
Prof. Dr. Yen-Chia Hsu, University of Amsterdam Empowering Local Communities Using Artificial Intelligence
Podiumsdiskussion: Prof. Dr. Gerd Döben-Henisch, Frankfurt University of Applied Sciences, Franziska Ohde, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Prof. Dr. Matthias Söllner, Universität Kassel
Wie man aus der Programmankündigung ersehen kann, wurde diese Konferenz organisiert von der Projektgruppe „Nachhaltige Intelligenz – Intelligente Nachhaltigkeit [NI-IN]“ des Zentrums für verantwortungsbewusste Digitalisierung (ZEVEDI). Es war die zweite Konferenz, die von dieser Forschungsgruppe organisiert worden ist. Der Autor dieses Textes ist Mitglied dieser Projektgruppe.
I. EINLEITUNG
Begrifflicher Kontext
Wie man aus dem Projektthema der NI-IN Projektgruppe ersehen kann, Enthält die Aufgabenstellung ein ‚Oberthema‘ mit „Nachhaltiger Intelligenz – Intelligenter Nachhaltigkeit“ und dazu eine Reihe von ‚Teilaspekten‘, die sich diesem Oberthema zuordnen lassen. Das Konferenzthema „Partizipation und Nachhaltigkeit in der Digitalität“ kommt dabei mit diesem Wortlaut weder im Oberthema der Projektaufgabenstellung explizit vor noch in den aufgezählten Teilaspekten. Dies hat seinen Grund darin, dass während der Forschungsarbeit seit Juli 2021 die nicht ganz einfachen Begriffsfelder schrittweise analysiert worden sind und aufgrund dieser Analyse verschiedene strukturelle Bedeutungsfelder mit wichtigen strukturellen Beziehungen sichtbar geworden sind. Eine grobe Skizze der analysierten Begriffen mit Bedeutungsfeldern könnte man so umschreiben (Sicht des Autors; in den Augen der anderen Projektmitgliedern möglicherweise anders akzentuiert):
Schon die beiden Leitbegriffe ‚Nachhaltigkeit‘ und ‚Intelligenz‘ lassen sich ‚jeder für sich‘ nicht so ohne weiteres analysieren. Noch gewagter wird es, wenn man das ‚Zusammenspiel‘ betrachten will. Liebhaber der ‚klaren Verhältnisse‘ dürften an dieser Stelle dahin tendieren, die ‚Büchse der Pandora‘ erst gar nicht zu öffnen. Leidenschaftliche Forscher mit eingebauter Neugier und ein gewisser Risikobereitschaft fühlen sich aber vielleicht ‚angelockt‘. Fakt ist, dass die Projektgruppe versucht hat, sich diesem konzeptuellen ‚Dickicht‘ ein wenig zu nähern. Aufgrund der disziplinären Vielfalt der Projektgruppe gab es viele interessante Perspektiven, die zueinander finden mussten. Solch ein ‚zueinander finden‘, das zudem idealerweise in dem heute so modischen Format der ‚Transdisziplinarität‘ stattfinden sollte, braucht allerdings naturgemäß erheblich mehr Zeit, als wenn nur Fachkollegen einen Austausch pflegen. Im heutigen Professorendasein ist angesichts der vielfältigen Verpflichtungen Zeit aber Mangelware. Die Suche war somit von Beginn her endlich dimensioniert.
Konzept Intelligenz
Das Konzept Intelligenz ist bis heute weder im Bereich der biologischen Systeme noch im Bereich der nicht-biologischen Systeme, hier den Maschinen, hinreichend erklärt. Dies ist sehr misslich.
Während die Wissenschaften in den letzten 120 Jahren für biologische Systeme erste Konzepte entwickelt haben, die über alle biologische Systeme hinweg empirische anwendbar sind wie auch begrenzte Vergleiche zwischen biologischen Systeme hinsichtlich von definierten Intelligenzeigenschaften zulassen, kann man dies für die maschinellen Systeme nicht behaupten. Hier gibt es weder einen einheitlichen Intelligenzbegriff noch lassen die verschiedenen Begriffe einen einheitlichen Vergleich über alle Systeme hinweg zu. Die maschinellen Intelligenzbegriffe sind sehr speziell. Ein Vergleich zwischen biologischer und maschineller Intelligenz ist von daher in der Regel nicht einfach möglich.
Erschwerend kommt hinzu, dass nahezu alle Intelligenzbegriffe — für biologische wie auch maschinelle Systeme — Eigenschaften ‚individueller‘ Systeme beschreiben, niemals ‚kollektive Intelligenzleistungen‘! Im Falle von biologischen Systemen, die überwiegend in Populationen bzw. hochspezialisierten ‚Gesellschaften‘ auftreten, nützen diese individuellen Intelligenzbegriffe wenig. Eine irgendwie bizarre Situation: angekommen im ‚Anthropozän‘ in einer sogenannten ‚Wissenschaftsgesellschaft‘ weiß der Mensch bislang nicht so recht, was es mit seiner ‚Kollektiven Intelligenz‘ auf sich hat. Ein interessanter Ausgangspunkt auf dem Weg in eine unbekannte Zukunft.
Andererseits haben führende Forscher der maschinellen Intelligenz mittlerweile erkannt, dass maschinelle Intelligenz in der Zukunft nur dann für die menschliche Population von Nutzen sein kann, wenn besser verstanden wird, was genau diese kollektive menschliche Intelligenz ist, und wie in diesem — bislang noch wenig erforschten — Raum kollektiver Intelligenz maschinelle Intelligenz von Nutzen sein kann, um eine globale nachhaltige Biosphäre mit den Menschen als Teil davon zu ermöglichen. [3]
In diesem Zusammenhang muss man auch nochmals darauf hinweisen, dass das neue Konzept ‚Digitalität‘ in den Gesellschaftswissenschaften sich großer Beliebtheit erfreut, dass es aber in seinem Gehalt schwer bis gar nicht erläutert werden kann. Naheliegend ist, dass man die ‚Bedeutung‘ des Konzepts ‚Digitalität‘ im Interaktionsfeld von menschlicher Gesellschaft und jener ‚Technologie‘ ansiedelt, die oft ‚digitale Technologie‘ genannt wird. Der Begriff der ‚digitalen Technologie‘ ist aber ebenfalls ein ‚Bedeutungsmonster‘, da hier zunächst mal alles drunter fällt, was irgendwie in Beziehung gesetzt werden kann zu einer ‚Hardware‘, in der ‚digitale Baueinheiten‘ benutzt werden. Das reicht dann von einfachsten ‚Chips‘ zu komplexen Chips mit unterschiedlichsten Funktionalitäten, die in mehr oder weniger komplexen größeren Einheiten ‚verbaut‘ sind: diverse Maschinen, Maschinenaggregationen, Computernetzwerke, komplexe Rechenzentren, Fahrzeugen, Schiffen, Flugzeuge, Gebäude, medizinische Geräte, Waffensysteme, Gebrauchsgegenstände und vieles mehr. Jedes dieser technische System beinhaltet unterschiedlich Algorithmen von bis zu vielen Millionen Zeilen Code, die unfassbar viele verschiedene ‚Verhaltensweisen‘ dieser technische Systeme ermöglichen. Ein Versuch, die Vielzahl dieser Systeme — sowohl bzgl. der Hardware wie auch bzgl. der Software und dann auch bzgl. der daraus resultierenden Verhaltensdynamik — in ihrer Gesamtheit zu beschreiben ist schon im Ansatz gnadenlos zum Scheitern verurteilt. Dieses ‚Mega-Bedeutungsmonster‘ mit einem Konzept wie ‚Digitalität‘ ‚einzufangen‘, ihm dadurch seine ‚Ungeheuerlichkeit‘ zu nehmen, ist psychologisch verständlich, gaukelt aber eine Klarheit und Einfachheit vor, die es real schlicht nicht gibt. Tatsächlich haben wir als Gesellschaft ein akutes Problem, das sich durch ’schöne Worte‘ allein nicht befrieden lässt.
Konzept Nachhaltigkeit
Eine Analyse des Bedeutungsraumes des Konzepts ‚Nachhaltigkeit‘ ist — falls man den Vergleich überhaupt wagen will — um Dimensionen schwieriger als der Bedeutungsraum zum Konzept ‚Intelligenz‘.
Eine mögliche Strategie der ‚Begrenzung‘ des Bedeutungsraums ist der Blick auf die Konferenzen und Dokumente der Vereinten Nationen seit ca. den 1980iger Jahren, ein Ansatz, den die Projektgruppe zunächst gewählt hatte.
Am ‚populärsten‘ sind die 17 Entwicklungsziele der Agenda 2030. [1a,b] Wie aber schon mehrfach beobachtet, ist die Bedeutungsfestlegung der einzelnen Entwicklungsziele eher schwierig; ihre Beziehungen untereinander zeigen viele Konflikte; der tatsächliche Bezug zum Konzept ‚Nachhaltigkeit‘ ist nicht ganz klar: welche Art von Nachhaltigkeit ist gemein?
Folgt man der Entwicklung des UN-Konzepts zur ‚Nachhaltigkeit‘ rückwärts zu den ‚Anfängen‘, dann stößt man auf den sogenannten ‚Brundtland Report‘ von 1987. In ihm ringen die Verfasser um die grundlegende Idee, was Nachhaltigkeit bedeuten kann. [2]
Im Brundtland Report steht der Mensch im Zentrum der Überlegungen: letztlich ist es das ‚Verhalten‘ der Menschen, das ‚Auswirkungen‘ auf den Planet Erde wie auch auf die gesamte ‚Biosphäre‘ hat, von der die Menschen einen kleinen Teil bilden. Und beim Menschen wird das Verhalten entscheidend von seinem ‚Wissen‘ im allgemeinsten Sinne geprägt. Wissen kann ein differenziertes Verhalten ermöglichen, ob dies aber tatsächlich geschieht und wie genau, das entscheiden dann die aktuellen Emotionen mit all ihren Facetten.
Für das Konzept des Wissens ist zu beachten, dass es für eine minimale Beschäftigung mit einer möglichen Zukunft unabdingbar ist, dass das verfügbare Wissen sich in einem Zustand befindet, der nachvollziehbare und belastbare ‚Prognosen‘ möglich macht, andernfalls paralysiert sich das Wissen selbst: die Menschen taumeln dann gleichsam ‚in einer Wolke von Möglichkeiten‘ dahin, ohne klare Ziele, ohne brauchbare Abstimmungen.
Das einzige Format in der bisherigen Kulturgeschichte der Menschheit, das über diese Eigenschaft ’nachvollziehbarer und belastbarer Prognosen‘ bietet, ist das Konzept der ‚empirischen Wissenschaften‘.[4]
Kontext Gesellschaft
Die abstrakten Konzepte ‚Intelligenz‘ und ‚Nachhaltigkeit‘ können auf bestimmte ‚Strukturen‘ hindeuten, die ‚Realisierung‘ dieser Strukturen findet aber in konkreten gesellschaftlichen Systemen statt, deren Realitäten letztlich festlegen, was wie wann und wo real stattfinden kann.
Autoritäre Gesellschaftssysteme bieten andere Realisierungsbedingungen als ‚demokratisch verfasste‘ Systeme. ‚Verfassungen‘ präzisieren die ‚Rahmenbedingungen‘ für mögliches ‚legales Handeln‘ weiter, dazu Verfassungsorgane, eine Vielzahl von Verwaltungseinheiten, und vieles mehr . Die entsprechenden Text-Dokumente beschreiben mit mehr oder weniger ‚abstrakten Konzepten‘, was möglicherweise ‚konkret‘ stattfinden kann/ sollte oder auch nicht.
Eigentlich ist die Gesamtheit der Akteure einer Gesellschaft, die Gesamtheit der Bürger, der grundlegende ‚Souverän‘ für all diese ‚Festlegungen‘. Sobald aber dieser primäre Souverän dieses ‚System von Regeln‘ verabschiedet hat, hat er sich quasi ’selbst verpflichtet‘ und ist fortan auf diese Weise ein ‚kontrollierter primärer Souverän‘, dessen ‚Macht‘ — der regelbasierten Intention nach — nur noch innerhalb der vereinbarten Regeln wirksam werden sollte.
Ein fundamentales Charakteristikum einer regelbasierten Machtausübung — zumindest wie sie in Deutschland verstanden und praktiziert wird — besteht darin, dass der Bürger als Entscheider — ausgenommen von politischen Wahlen — praktisch eliminiert ist. Was immer ein Bürger fühlt, denkt, tut, es hat keinen offiziellen Einfluss mehr auf die ‚legalen Entscheider‘ auf allen Ebenen.
Im Idealfall sind die ‚legalen Entscheider‘ (i) offen für die Bedürfnisse der Bürger, für die Notwendigkeiten der Gestaltung von Kommunen, Landkreise usw., sie besitzen (ii) hinreichende Kompetenzen, um die jeweiligen Situationen angemessen beurteilen zu können, und (iii) sie sind fähig, in den vielfältigen Gremien Emotionen beiseite zu lassen und entscheiden nach dem verfügbaren Wissen. Falls diese Forderungen nicht angemessen erfüllt werden, hat die Gesellschaft beliebig viele Probleme.
Ohne Bezugnahme auf viele hier relevante Details kann man mit Sicherheit voraussagen, dass eine Nichterfüllung der Anforderungen (i) – (iii) — nennen wir diese Anforderungsliste das ‚Legalistische Entscheider Profil‘ — sich unmittelbar auf den Zustand einer ‚legal regulierten Gesellschaft‘ auswirken wird. So können z.B. aktuell gegebene Problemstellungen zu wenig erkannt werden, dementsprechend werden sie nicht bearbeitet, und können frühestens im zeitlichen Takt der ‚politischen Wahlen‘ neu angestoßen werden; und dann ist nicht sicher, dass die neu Gewählten die ungelösten Probleme dann aufgreifen werden. Für Problemstellungen mit einer Wirkgeschichte von vielen Jahren erscheint die Lage sogar tendenziell hoffnungslos.
Wer mit der Brille dieser kurzen Bemerkungen auf die aktuelle Situation der Bundesrepublik Deutschland schaut, und die lange Liste ungelöster Probleme der letzten Jahre anschaut, der kann möglicherweise den Eindruck gewinnen, dass …
Partizipation
Mit Blick auf das ‚legalistische Entscheider Profil‘ kann man — unter Berücksichtigung der Erfahrung von ca. 77 Jahren demokratische Gesellschaft in Deutschland — feststellen, dass keine der drei Anforderungen voll erfüllt wird. Eher muss man sagen, dass alle drei Anforderungen vielfach nicht erfüllt werden. Diese Nichterfüllung liegt nicht daran, dass die legalen Entscheider möglicherweise ‚unlautere Absichten‘ verfolgen (was im Einzelfall natürlich nicht ausgeschlossen werden kann und auch schon nachgewiesen wurde), sondern daran, dass die zahlenmäßig verschwindet geringe Menge der legalen Entscheider verglichen mit der ungeheure Menge der Bürger und der unfassbar vielen komplexen Problemstellungen objektiv nicht in der Lage ist, die Anforderungen (i) – (iii) auch nur annähernd zu erfüllen, selbst wenn die legalen Entscheider es ernsthaft wollten.
In dieser Situation bieten sich viele Antworten an. Die Skala reicht von ‚totaler Abschaffung dieses Systems‘ bis hin zu unterschiedlich moderierten Formen der ‚Partizipation‘ der Bürger.
Während die ‚totale Abschaffung‘ kurzfristig ein ‚relatives Übel‘ beseitigen würde (was möglicherweise aber gar nicht so rein ‚Übel‘ ist, wie man es unterstellt), würden wir uns im nächsten Moment im ‚totalen Chaos‘ wiederfinden, in dem eher nichts mehr gehen würde. Komplexität löst man nicht durch grobe Vereinfachungen.
Im Falle der Aktivierung von ‚unterschiedlich moderierten Formen der Partizipation‘ würde das System der ‚legalen Entscheider‘ im Prinzip erhalten bleiben, die einzelnen Anforderungen des ‚legalistischen Entscheider Profils‘ könnten aber deutlich besser als ohne Partizipation erfüllt werden.
An dieser Stelle setzt die Konferenz ein. Siehe dazu Teil 2:
[3] Michael L. Littman, Ifeoma Ajunwa, Guy Berger, Craig Boutilier, Morgan Currie, Finale Doshi-Velez, Gillian Hadfield, Michael C. Horowitz, Charles Isbell, Hiroaki Kitano, Karen Levy, Terah Lyons, Melanie Mitchell, Julie Shah, Steven Sloman, Shannon Vallor, and Toby Walsh. “Gathering Strength, Gathering Storms: The One Hundred Year Study on Artificial Intelligence (AI100) 2021 Study Panel Report.” Stanford University, Stanford, CA, September 2021. Doc: http://ai100.stanford.edu/2021-report.
[4] Neben der ‚empirischen Wissenschaft‘ selbst, die in Europa grob im 16.Jahrhundert begann, gibt es auch von Anfang an eine philosophische Beschäftigung mit dem Thema, das gegen Ende des 19.Jahrhunderts, Anfang des 20.Jahrhunderts unter der Bezeichnung ‚Wissenschafts-Philosophie‘ bekannt wurde (in Deutschland auch gerne ‚Wissenschaftstheorie‘ genannt).
Diese LEHR-Anwendung ist Teil des Themas Anwendungen.
Zum Konzept ‚Citizen Science für Nachhaltigkeit‘
Nach 5 Semestern Vorlauf unter dem Titel ‚Kommunalplanung & Gamification. Labor für mehr Bürgerbeteiligung‘ hat das Dozenten-Team Gerd Doeben-Henisch, Hans-Jürgen Schmitz und Tobias Schmitt von der Frankfurt University of Applied Sciences (FUAS) im Wintersemester 2022/23 die Lehrveranstaltung umbenannt in ‚Citizen Science für Nachhaltige Entwicklung‘. Dies erfolgte unter dem Einfluss einer intensiven Beschäftigung mit dem Thema ‚Nachhaltigkeit‘ und dem Wechselspiel mit der gesellschaftlichen Situation unter besonderer Berücksichtigung einer zunehmenden Digitalisierung gepaart mit einem stärker werdenden Einfluß von ‚Maschineller Intelligenz‘.[0]
Anwendungsperspektive
(Letzte Änderung: 2.Februar 2023)
Das Modul ‚Citizen Science für Nachhaltigkeit‘ versucht, aktuelle Strömungen der Weltgesellschaft aufzugreifen, und sie für eine Lehrveranstaltung nutzbar zu machen.
Für eine erste Orientierung sind die folgenden Begriffe von zentraler Bedeutung: ‚Nachhaltigkeit‘, ‚Empirische Theorie‘, ‚Nachhaltige Empirische Theorie‘, ‚Spiel‘ sowie ‚Citizen Science‘ (Bürgerwissenschaft).
Diese Themen werden in experimenteller Weise auf regionale Szenarien projiziert.
Nachhaltigkeit
Der Begriff der ‚Nachhaltigkeit‘ hat nicht zuletzt durch eine Serie von Konferenzen der Vereinten Nationen eine größere Bekanntheit bekommen. Am Beginn dieser Konferenzserie steht der — mittlerweile berühmte — ‚Brundtland Report‘ von 1987.[1] Im Brundtland Report hat eine internationale Kommission unter Leitung der damaligen Ministerpräsidentin Brundtland von Norwegen herausgearbeitet, unter welchen Bedingungen die Menschheit besser erkennen kann, wie eine mögliche zukünftige Welt aussehen müsste, die für alle Menschen lebenswert ist. Ein zentraler Punkt war darin, dass für die Klärung einer ‚Zukunft für alle‘ tatsächlich auch ‚alle Menschen‘ (die Bürger, Citizens) einbezogen werden müssen, da das vielfältige Wissen in der kleinen Schar der ‚institutionellen Experten‘ nicht ausreichend abgebildet wird. Hier liegt auch die Wurzel der Bedeutung des Begriffs ‚Diversity‘ (Vielfalt).[2]
Neben der ‚Diversity‘ (Vielfalt) erfordert ein ’nachhaltiges Denken‘ aber auch die Schlüsselkompetenz, auf der Basis des aktuellen Wissens ‚Voraussagen‘ (‚Prognosen‘) generieren zu können, anhand deren die Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Stück weit in die ‚Zukunft‘ ‚voraus denken‘ können. Eine ‚mögliche Zukunft‘ existiert ja nicht als ein ‚Gegenstand‘, sondern nur in ‚unserem Denken‘ als ‚Möglichkeit‘. Denkerische Möglichkeiten sind mehr oder weniger vage, d.h. die ‚voraus gedachte Zukunft‘ muss durch den Gang der Ereignisse ‚bestätigt werden‘. ‚Vorausgesagte’/ ‚prognostizierte’/ ‚erhoffte‘ Zukunft ist daher immer mit einer gewissen ‚Unsicherheit‘ verknüpft.
(Nachhaltige) Empirische Theorie
Wenn man sich die Frage stellt, wie genau man sich das ‚Generieren einer Voraussage‘ vorzustellen hat, dann wird man auf das Konzept der modernen ‚Wissenschaft‘ verwiesen, das historisch in der Entwicklung der ‚empirischen Wissenschaft‘ gründet. Neben der ‚empirischen Wissenschaft‘ selbst, die in Europa grob im 16.Jahrhundert begann, gibt es auch von Anfang an eine philosophische Beschäftigung mit dem Thema, das gegen Ende des 19.Jahrhunderts, Anfang des 20.Jahrhunderts unter der Bezeichnung ‚Wissenschafts-Philosophie‘ bekannt wurde (in Deutschland auch gerne ‚Wissenschaftstheorie‘ genannt).
Von den vielen Namen, die hier zu nennen wären, gilt Karl Popper (1902 – 1994) als einer der populärsten Vertreter, wenngleich er von dem ‚Main Stream‘ in Wissenschaftsphilosophie deutlich abweicht. Besonders interessant ist sein ‚Spätwerk‘.[3],[4]. Einige Analysen zu Popper von Gerd Doeben-Henisch und dem Konzept einer empirischen Theorie finden sich in [5a-e].
Im Kern leistet eine empirische Theorie genau das, was man von ihr erwartet: Wenn eine Gruppe von Experten (Bürgern (Citizens)) in einem bestimmten Zeitraum in einem bestimmten Raumgebiet Beobachtungen (Messungen) vorgenommen haben, dann kann es passieren, dass sie in der Menge der Beobachtungen typische Muster (Beziehungen) identifizieren können, die sich als ‚Veränderungen‘ interpretieren lassen. Wenn solche entdeckten ‚Veränderungs-Muster‘ stabil genug sind, kann man mit diesen ‚Voraussagen’/ ‚Prognosen generieren. Diese Voraussagen müssen nach einem bestimmten transparenten Schema erfolgen. Bis zu einem gewissen Grad kann man solche Veränderungs-Muster dann auch auf die erfolgten Prognosen selbst wieder anwenden. Eine solche wiederholte Anwendung von Veränderungs-Mustern nennt man dann eine ‚Simulation.‘
Im Kontext der Nachhaltigkeit ist solch eine empirische Theorie von unschätzbarem Wert, befähigt sie doch die Bürger, zumindest eine dunkle Ahnung von der herannahenden Zukunft zu gewinnen. Allerdings, was eine empirische Theorie nicht leisten kann: sie sagt den Bürgern nicht, welche der vielen erkennbaren Möglichkeiten nun ‚erstrebenswert‘ ist und welche nicht. An dieser Stelle sind die Bürger herausgefordert, miteinander zu klären, welche der erkennbaren prognostizierten möglichen Zukünfte für sie ‚erstrebenswert‘ sind.[6]
Diese Kombination von ‚empirischer Theorie‘ und zusätzlicher Qualifikation von ‚erstrebenswerten Prognosen‘ soll hier ‚Nachhaltige Empirische Theorie‘ genannt werden.
Spiel(en) als Modell einer nachhaltigen Empirischen Theorie
Wer den Überlegungen zu ‚Nachhaltigkeit‘ und ‚Empirischer Theorie‘ soweit gefolgt ist, und wer jemals in seinem Leben ‚gespielt‘ hat, der wird sofort verstehen, dass ‚ein Spiel spielen‘ nichts anderes ist, als eine ’nachhaltige empirische Theorie‘ beispielhaft zu praktizieren. Dies sei hier kurz verdeutlicht. (Siehe auch: [11])
Als Ausgangslage (IST-Situation) dienen einer empirischen Theorie empirische Daten aus einem empirischen Szenario. Im Fall eines Spiels kann dies auch ein reales Szenario sein (Übungsplatz, Fußballplatz,…), es kann aber auch ein ‚Spielbrett‘ mit ‚Spielmaterial‘ sein, oder eine Menge von Karten, oder …
Als Veränderungsregel dienen in einer empirischen Theorie ‚Gesetze‚, die sprachliche Beschreibungen von Formen von Veränderungen darstellen, die bei der Erforschung von realen Szenarien gefunden wurden. Im Spiel sind dies die Spielregeln, die festlegen, wie man eine vorgegebene Spielsituation verändern darf.
Die ‚Anwendung von Gesetzen‘ im Rahmen einer empirischen Theorie wird durch spezielle ‚Anwendungsvorschriften geregelt, zu der auch ein ‚logisches Folgerungsverfahren‚ gehört. Im Rahmen eines Spiels wird die Anwendung der Spielregeln im Spiel in einer Spielanleitung geregelt. Diese legt fest, wann man welche Regel wie anwenden darf, um eine aktuelle Spielsituation verändern zu dürfen.
Während im Fall einer empirischen Theorie der ‚zeitliche Ablauf‘ durch die ‚empirische Realität‘ selbst geregelt ist (die empirische Welt verändert sich unabhängig von der Theorie von alleine), muss im Fall eines Spiels ein zeitlicher Ablauf künstlich hergestellt werden. Normalerweise geschieht dies durch Spielrunden, in denen alle beteiligten Akteure (die Spieler) durch Befolgung der Spielregeln im Sinne der Spielanleitung geordnet handeln. Aufgrund der Anwendung der Spielregeln wird eine neue Anordnung von Spielmaterial auf dem Spielbrett erzeugt. Dadurch entsteht eine ‚Folge von aufeinander folgenden Spielsituationen‚, die den Spielverlauf verkörpern. Ein Spielverlauf entspricht im Kontext einer Theorie einer Simulation (= eine wiederholte Anwendung der Gesetze).
Während in einer normalen empirischen Theorie nur ‚mögliche Prognosen‘ generiert werden können ohne ‚Bewertungen‘, können Bürger mit Hilfe von möglichen Prognosen versuchen, diese zu bewerten im Sinne von ‚eher vermeiden‘ oder ‚eher anstreben‘. In dem Moment, wo Bürger eine solche ‚Klassifikation‘ von ‚möglichen prognostizierten Zukünften‘ vornehmen, versuchen sie, sich für ein nachhaltiges Verhalten zu entscheiden. In einem ‚Spiel‘ liegt genau das vor: Neben Startsituation, Spielregeln und Spielanleitung sind bestimmte ‚mögliche Zukünfte‘ als ‚Gewinnsituation‘ ausgezeichnet. Insofern eignet sich das Spielformat hervorragend zur Simulation von Nachhaltigkeitskonzepten.
Citizen Science (Bürgerwissenschaft)
Bleibt noch kurz zu erläutern, warum der Begriff ‚Citizen Science (Bürgerwissenschaft)‘ in diesem Kontext benutzt wird. Wie schon die Erläuterungen zum Begriff ‚Nachhaltigkeit‘ anklingen lassen, ist Nachhaltigkeit nur einlösbar, wenn ‚alle‘ Bürger mit ihren Erfahrungen und Wünschen beteiligt werden. Diese Beteiligung muss zusätzlich verknüpft sein mit der Anforderung, aus dem Wissen der Gegenwart ‚begründete Prognosen‘ ‚generieren zu können‘. Dies führt zum Konzept der empirischen Wissenschaft, das um die Dimension ‚Bewertung‘ ergänzt wird. Diese Kombination legt nahe, den Begriff der ‚Bürgerwissenschaft (Citizen Science)‘ neu zu prägen.
Von diesem umfassenden Konzept einer modernen Bürgerwissenschaft muss man jenes Konzept von Citizen Science abgrenzen, in dem die etablierten wissenschaftlichen Disziplinen sich der ‚Bürger‘ bedienen, um ihre Daten besser sammeln zu können.[7],[8]
Anwendung in einem Semesterkonzept
Es fragt sich, wie sich die zuvor eingeführten Konzepte ‚Nachhaltigkeit‘, ‚Empirische Theorie‘, ‚Nachhaltige Empirische Theorie‘, ‚Spiel‘ sowie ‚Citizen Science‘ (Bürgerwissenschaft) im Rahmen eines interdisziplinären Semesterprojekts praktisch nutzen lassen.[10]
Möglicher Semesteraufbau
Ein Semesteraufbau kann etwa wie folgt aussehen (Angenommen werden 8 Sitzungen mit jeweils zwei Doppelstunden):
Bekanntwerden mit einem Thema (Sitzung 1)
Vertraut werden mit dem Konzept ‚Theorie im Spielformat‚(Sitzung 2-3)
Anwendung des Konzepts Spiel auf das eigene Thema (Sitzung 4-6)
Testen des eigenen Spielentwurfs mit Hilfe anderer Teams (Sitzung 7)
Bericht von den Ergebnissen mit Dokumentation des Spiels (Sitzung 8)
Überlegungen für eine mögliche Ausführung
In einem Kurs zur Nachhaltigkeit, in dem Teams lernen sollen, wie sie gemeinsam ein Thema nachhaltig angehen können, kommt es nicht darauf an, einen umfassenden Wissensstand zu entwickeln — was aufgrund der begrenzten Ressource Zeit praktisch nicht möglich ist — , sondern zu üben, wie ein Thema im Sinne der Nachhaltigkeit für einen nachhaltigen Handlungsprozess ‚aufgearbeitet‘ werden kann.
Dazu muss man sich klar machen, dass für ein nachhaltiges Verhalten folgende Schlüsselaufgaben gelöst werden müssen:
Das Team muss sich einigen, in welchem räumlichen Bereich (Global, Kontinental, …) und für welchen Zeitraum es das vorgegebene Thema bearbeiten möchte.
Das Team muss sich einigen, welche Ausgangslage (Startsituation) es für seine Analyse annehmen will.
Das Team, muss sich einigen, welche Zielsituation es am Ende der gesetzten Zeitspanne ansetzen möchte.
Das Team muss sich einigen, welche Art von Veränderungen es für seine Analyse akzeptiert.
Das Team muss plausibel machen können, wie die angenommenen Veränderungen die Ausgangslage schrittweise in die Zielsituation überführt/ transformieren.
…. und Umsetzung in ein Spiel
Für die Umsetzung von aktuellem Wissen in ein Spiel empfiehlt sich dann ein inkrementelles Ausarbeiten. Man beginnt mit einem möglichst einfachen Szenario, das alle Elemente enthält: Ausgangslage, Spielregeln, Spielanleitung und ‚Gewinnkriterien‘ (= Ziel). Dann probiert man aus, wie diese Version Nr.0 funktioniert. Wenn man dann noch Zeit ‚übrig‘ hat und über weitere Informationen zum Thema verfügt, kann man diese erste Version Nr.0 erweitern zu Version 1. Und dies immer weiter, bis die verfügbare Zeit aufgebraucht ist.
Für potentielle ‚Spieler‘ des Spiels spielt es natürlich auch eine Rolle, ob das Spiel irgendwie ‚Spaß‘ macht, über ein Minimum an ‚Spannung‘ verfügt, und — natürlich — auch die Besonderheit des Themas erkenne lässt; letzteres verkörpert den Aspekt des Lernens.
… und Testen
Für ein entwickelndes Team ist es wichtig, ein Feedback von ‚Anwendern‘ (Bürgern) zu bekommen. Im Idealfall schafft ein Team bis zur Sitzung 7 die Erstellung eines ersten spielbaren Prototyps ihres Spiels. Dann kann das Entwicklerteam sein Spiel von den anderen Teams testen lassen. Reicht die Zeit nicht aus, dann sollte mindestens ein ausgearbeitetes Konzept vorliegen, anhand dessen man abschätzen kann, wie das Spiel funktionieren würde. Dann würden die anderen Teams dieses Konzept bewerten. Mit solch einer qualifizierten Rückmeldung von ‚Anwendern‘ kann das Entwicklerteam sein Konzept/ sein Spiele-Prototyp weiter verbessern.
… Form einer Prüfung
In der Prüfung stellt das Team sein Spielkonzept vor und berichtet von seinem Lernprozess. Dazu gehört wesentlich ein Aufweis, wie die vorgegebene Problemsituation mit dem Spielkonzept und dem realisierten Spiel zusammen hängt.
[2] Der Aspekt ‚Diversity‘ spiel außerdem seit ca. 3.5 Milliarden Jahre eine fundamentaler Rolle bei der Entwicklung des Lebens auf dem Planet Erde.
[3] Karl Popper, „A World of Propensities“,(1988) sowie „Towards an Evolutionary Theory of Knowledge“, (1989) in: Karl Popper, „A World of Propensities“, Thoemmes Press, Bristol, (1990, repr. 1995)
[4] Karl Popper, „All Life is Problem Solving“, Artikel, ursprünglich ein Vortrag 1991 auf Deutsch, erstmalig publiziert in dem Buch (auf Deutsch) „Alles Leben ist Problemlösen“ (1994), dann in dem Buch (auf Englisch) „All Life is Problem Solving“, 1999, Routledge, Taylor & Francis Group, London – New York
[6] Im Jahr 2022 gilt es z.B. als erstrebenswert, die allgemeine Erhöhung der Erderwärmung unter 1.5 oC zu halten, oder die Biodiversität zu schützen, oder …
[7] Aya H.Kimura and Abby Kinchy (2016), Citizen Science: Probing the Virtues and Contexts of Participatory Research. In: Engaging Science, Technology, and Society 2 (2016), 331-361, DOI:10.17351/ests2016.099 (Den Hinweis auf diesen Artikel bekam ich von Athene Sorokowski)
[8] Warren Weaver, Science and the Citizens, Bulletin of the Atomic Scientists, 1957, Vol 13, pp.361-365. (Den Hinweis auf diesen Artikel bekam ich von Philipp Westermeier) Warren Weaver — einer der führenden Wissenschaftspromotoren in den USA der 50iger Jahre — hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Ursprünge der modernen Wissenschaft in einer quasi ‚Bürgerbewegung‘ im England des 16.Jahrhunderts zu finden sind. Die Aktivitäten dieser Bürgerbewegung führte dann zur späteren ‚Royal Society‘, gegründet 1660 in London; mittlerweile ist diese die älteste wissenschaftliche Gesellschaft der Welt. Weaver macht weiterhin darauf aufmerksam, dass wir in der Gegenwart eine ‚Entfremdung‘ zwischen den sich immer mehr vereinzelnden wissenschaftlichen Disziplinen (man spricht sogar schon von ‚Wissenschafts-Silos‘) und den Bürgern einer Gesellschaft feststellen kann. Eine lebendige Demokratie braucht aber eine lebendige interaktive Beziehung zwischen den Bürgern und der Wissenschaft. Dies erfordert neue Kommunikations- und Wissensformen.
[11] Hinweis auf eine Strukturelle Äquivalenz zwischen den Konzepten ‚Nachhaltige Empirische Theorie‘, ‚Spiel‘, und ‚Theaterstück‘ von Gerd Doeben-Henisch, 2023, NACHHALTIGE EMPIRISCHE THEORIE – VERSCHIEDENE FORMATE: THEORIE – SPIEL – THEATERSTÜCK, URL: https://www.oksimo.org/2022/12/14/nachhaltige-empirische-theorie-verschiedene-formate/ .
In vorangegangenen Blogeinträgen über das Konzept der Empirischen Theorie [ET], insbesondere im Kontext von Karl Popper (z.B. Popper und die Empirische Theorie. Ein konzeptionelles Experiment) wurde untersucht, ob und wie diese Konzepte mit der Idee eines Entwicklungsprozesses zusammengeführt werden können (z.B. Eine Empirische Theorie als Entwicklungsprozess). Ein weiterer Aspekt ist die Idee der „nachhaltigen Entwicklung“, wie sie durch den sogenannten Brundtland-Bericht [1] im Jahr 1987 geprägt wurde, der die Grundlage für die Rio-Konferenz „Earth Summit“ der Vereinten Nationen im Jahr 1992 bildete [2], die nach mehreren weiteren UN-Konferenzen bis 2015 mit der „Agenda 2030“ endete, die 17 „Sustainable Development Goals“ (SDGs) propagiert. [3]
‚Nachhaltigkeit‘ hängt von der Fähigkeit ab, ‚qualifizierte Abschätzungen über mögliche zukünftige Zustände‘ treffen zu können. Dies wiederum setzt qualifiziertes Wissen über die ‚Vergangenheit‘ und die ‚Gegenwart‘ voraus. Insbesondere sollte dieses Wissen jene Arten von ‚elaborierten Veränderungen‘ im Ablauf von Ereignissen enthalten, die als ‚Muster möglicher Veränderungen‘ interpretiert und genutzt werden können und von einer beobachteten Situation zu einer weiteren beobachtbaren Situation führen. Von hier aus vermittelt der folgende Text einige weitere Ideen.
Im vorausgehenden Themenknoten „KM:MI – Philosophie & Informatik – oksimo und Nachhaltigkeit“ wurde in einem Überblick ein möglicher Zusammenhang zwischen dem Begriff der ’nachhaltigen Entwicklung‘ und dem Begriff der ‚kollektiven Mensch:Maschine Intelligenz [KM:MI]‘ aufgezeigt. Zusätzlich wurde mit dem oksimo-Paradigma ein konkretes Beispiel für eine KM:MI-Konstellation formuliert. In diesem Post sollen beispielhaft einige Anwendungsbereiche angedeutet werden, auf die sich das oksimo-Paradigma anwenden lässt. Die Betonung lieg auf ‚einige‘, da das oksimo-Paradigma eine generelles Konzept ist, das sich überall einsetzen lässt, wo Menschen versuchen, gemeinsam einen Prozess zu untersuchen.
NACHHALTIGE ENTWICKLUNGSZIELE DER UN 2015
Die UN Konferenz 2015 hat mit der Agenda 2030 einen Aktionsplan beschlossen: „Diese Agenda ist ein Aktionsplan für die Menschen, den Planeten und den Wohlstand.“[1b] Das Jahr 2015 bildet den Ausgangspunkt , das Ziel wird umfangreich umschrieben und dann mit 17 Entwicklungszielen konkretisiert.
Ziel 1: Armut in allen ihren Formen und überall beenden
Ziel 2: Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern
Ziel 3: Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern
Ziel 4: Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern
Ziel 5: Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen
Ziel 6: Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten
Ziel 7: Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle sichern
Ziel 8: Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle för- dern
Ziel 9: Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen
Ziel 10: Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern
Ziel 11: Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten
Ziel 12: Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen
Ziel 13: Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen
Ziel 14: Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen
Ziel 15: Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation beenden und umkehren und dem Ver- lust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen
Ziel 16: Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen
Ziel 17: Umsetzungsmittel stärken und die Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben erfüllen
Diese Ziele sind – das liegt in der Natur von ‚Zielformulierungen‘ — notgedrungen ein wenig vage. Es wird also vom jeweiligen Leser abhängen, welche konkreten Vorstellungen er genau mit jedem Ziel verknüpft. Im Folgenden sollen diese 17 nachhaltigen Entwicklungsziele am Beispiel der geplanten oksimo Simulation für den Main-Kinzig Kreis (MKK) versuchsweise konkretisiert werden.
Dabei zeigt sich schon im Vorfeld, dass diese 17 Entwicklungsziele einen fundamentalen Faktor ausgeklammert haben, ohne den kein einziges der Ziele sinnvoll planbar und realisierbar ist: der demographische Faktor. Jedes Ziel setzt hinreichend gute Kenntnisse sowohl der aktuellen ‚Menge‘ der Menschen in den jeweiligen Regionen (und global!) voraus, als auch deren ‚Zusammensetzung‘ wie auch deren ‚Dynamik‘.
Wenn beispielsweise die schiere Anzahl der Menschen so groß wäre, dass die verfügbaren Ressourcen allein schon für die Ernährung nicht ausreichen würden (mögliche Verbesserungen in einer möglichen Zukunft bilden eine Unbekannte), dann wäre schon die Anzahl der Menschen in einer Region ein Problem. Nationalstaatliche Grenzen würden Lösungen zusätzlich behindern.
Wenn die Zusammensetzung so wäre, dass entweder eine völlige ‚Überalterung‘ droht oder — nicht weniger schwierig — eine Welle von jungen Menschen, ohne dass genügende Chancen bestehen z.B. für Ausbildung, Arbeit und Wohnen, dann wären diese Alarmzeichen für eine wahrscheinlich schlechte Zukunft.
Wenn die Dynamik einen extremen Anstieg der Anzahl oder umgekehrt, eine extreme Abnahme signalisieren würde, dann wäre ebenfalls eine positive nachhaltige Entwicklung möglicherweise gefährdet.
Welches der 17 Entwicklungsziele also umgesetzt werden soll, man muss es in engem Kontakt mit dem demographischen Faktor bedenken. Natürlich gibt es auch Wechselbeziehungen zwischen den 17 Entwicklungszielen selbst. So kann z.B. Ziel 1 Armut das Ziel 2 Hunger bedingen. Daraus folgt eine massive Bedrohung von Ziel 3 Gesundheit. Das Ziel 4 Bildung könnte möglicherweise Lösungen für die Ziele 1-3 ermöglichen.
Es liegt also nahe, die 17 Ziele — samt Ziel 0 Demographie — in ihrem Wechselspiel zu betrachten. Am Beispiel der geplanten MKK-oksimo Simulation soll dies versucht werden-
ANMERKUNGEN
wkp := Wikipedia
[1] Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung 2015 in wkp-de: https://de.wikipedia.org/wiki/Weltgipfel_f%C3%BCr_nachhaltige_Entwicklung_2015
Fragt man nach dem Rahmen, in dem das oksimo Paradigma zu verorten ist, dann gab es in der Entstehungszeit des Konzeptes viele unterschiedliche Antworten. Nach und nach schälten sich dann aber die ’nachhaltigen Prozesse‘ als Bezugspunkt heraus. Nachhaltige Prozesse waren schon länger im Visier der Evolutionsbiologie, speziell auch der Ökologie, und dann — ab einer UN Konferenz 1992 [0] — auch im Kontext gesellschaftlicher Prozesse. Seitdem zeigt sich immer mehr, dass ein Denken mit dem Konzept ’nachhaltiger Prozess‘ zu einem Schlüsselkonzept unserer Zeit wird: jeder einzelne ist ein Prozess; die Gesellschaft besteht aus einer Vielzahl von Prozessen; die ganze Biosphäre ist ein Prozess, ja, unser Heimatplanet, die Erde samt Sonnensystem und der Milchstraßen-Galaxie, dies sind alles Prozesse, die wechselwirken, und die Wirkungen erzeugen.[2], [2a,b]
Für das oksimo Paradigma von besonderer Bedeutung ist die Perspektive, dass die treibende Kraft in den gesellschaftlichen Prozessen der Mensch ist, sowohl als ‚Verursacher‘ wie auch als ‚Betroffener‘. Sein Verhalten wird durch den jeweiligen Kontext beeinflusst, primär aber von seinem ‚Verstehen‘ der Welt und seinem individuellen wie auch gemeinschaftlichem Verhalten. Die rasant ansteigende Komplexität seiner Welt macht es für den Menschen immer schwerer, sich zu einem angemessenen gemeinsamem Verhalten zusammen zu finden.[12]
OKSIMO UND NACHHALTIGKEIT
ANGENOMMENER KONTEXT ZUM OKSIMO-PARADIGMA
Natur
Nimmt man die Perspektive der ’nachhaltigen Entwicklung‘ ein, dann führen einen die Analysen über kurz oder lang zur Realität der Weltprozesse, die wir schlicht als ‚Natur‘ bezeichnen. Natur ist in diesem Text eine Art Sammelbegriff für alles, was wir vorfinden, bevor es das biologische Leben auf der Erde gab, und was sich weiterhin als eine Art ‚Gegenüber‘ zum biologischen Lebens darstellt.
Biologisches (resilientes) Leben
Mit der Entstehung des Lebens auf dem Planet Erde begann ein Prozess, den wir als ‚biologische Evolution‘ bezeichnen: ein bislang andauernder Prozess von Entstehen, Verändern und Vergehen von Lebensformen, die als Populationen vorkommen, die sich fortpflanzen können, und die über die Zeit artenspezifische Überlebensstrategien erkennen lassen. Solche in der Zeit überlebensfähige Systeme nennt man ‚resiliente Systeme‘.[3],[3a]
Kultur und Gesellschaft
Der Begriff der (biologischen) Population wird hier beschränkt auf jene Menge von biologischen Individuen, die sich durch eine gemeinsame Fortpflanzungsfähigkeit auszeichnen. In dem Maße, wie solche Populationen über einen Verhaltensraum verfügen, innerhalb dessen sie aufgrund von äußeren Ereignissen neue Verhaltensweisen ausbilden können, die untereinander imitiert, nachgeahmt und modifiziert werden können, die dann sogar von den Jüngeren über die Älteren (z.B. Müttern) wieder über die Jüngeren weiter gegeben werden können, in dem Maße wird hier von den Grundelementen von ‚Kultur‘ gesprochen. [1] Die verschiedenen Verhaltenselemente können grundsätzlich in verschiedene ‚Gesamtformate‘ eingebracht werden (‚Patriarchat‘ [4], ‚Matriarchat‘ [5], ‚Autoritär‘, ‚Kollegial‘, …). Diese Gesamtformate charakterisieren dann unterschiedliche ‚Gesellschaften‘.
Vernetzte Lernende Semiotische Triaden
Die Überschrift klingt nicht sehr lesefreundlich … aber es geht um einen Sachverhalt, der sich aus mehreren Faktoren zusammensetzt, wobei jeder beteiligte Faktor auf komplexe dynamische Sachverhalte verweist, die miteinander in Wechselwirkung stehen.
Im Zentrum des Begriffs stehen ’semiotische Akteure‘ [6a], [6b], wie es Menschen z.B. sind. Ein semiotischer Akteur ist in der Lage mittels ’sprachlicher Ausdrücke‘ — gesprochen und geschrieben, zusätzlich unterstützt durch Gesten — bestimmte ‚Bedeutungsinhalte‘ zu ‚kodieren‘ und dieser Ausdrücke an andere semiotischen Akteure zu übermitteln. Sofern alle Beteiligten eine hinreichend ‚ähnliche Kodierung‘ benutzen, können auf diese Weise — unterschiedlich gut — Gedanken, Emotionen, Pläne usw. ausgetauscht werden. In gegeben Situationen kann man den ‚Erfolg der Kommunikation‘ meist direkt anhand des stimulierten Verhaltens ‚überprüfen‘. Ein semiotischer Akteur kann solch eine Kommunikation aber nur realisieren, weil er drei Faktoren miteinander verknüpfen kann: (i) Der ‚Innenbereich‘ eines Akteurs (vor allem sein Gehirn mit den diversen Zuständen) [7ab]; (ii) Eine ‚Umgebung‘, die auf den semiotischen Akteur einwirkt bzw. z.T. vom semiotischen Akteur auch ‚verändert‘ werden kann (der eigene Körper ist für andere semiotische Akteure auch ein Teil der Umgebung!)[7a,b]; (iii) Die ‚Ausdrücke‘ eines Zeichensystems als Teil einer ‚Sprache‘. Ein semiotischer Akteur transformiert die Eindrücke der Umgebung in ein ‚inneres Modell‘ [8], das keine 1-zu-1 Abbildung darstellt und kann dann ‚intern‘ Aspekte von inneren Modellen in sprachliche Ausdrücke ‚abbilden (= kodieren)‘. Die internen Modelle der einzelnen Akteure unterscheiden sich in der Regel. Durch ‚Lernprozesse‘ erwirbt ein semiotischer Akteur sowohl sein ‚Weltwissen‘ wie auch die Zuordnung von Weltwissen und sprachlichen Ausdrücken. [9] Mit Blick auf die genannten drei Faktoren und das Lernen soll hier von einer ‚lernenden semiotischen Triade‘ [LST] gesprochen werden. Im Normalfall sind semiotische Triaden im Lernen zugleich ‚vernetzt‘, d.h. die Zuordnung von sprachlichen Ausdrücken zu Situationsmerkmalen — und damit verbundenen inneren Zuständen wie Emotionen, Gefühle, Stimmungen usw. — geschieht nicht in Isolation sondern in Gegenwart von anderen lernenden semiotischen Triaden. Insofern bilden lernende semiotische Triaden ein ‚Netzwerk‘ als ‚vernetzte lernende semiotische Triaden‘ [VLST].[10]
Will man also menschliche Gesellschaften verstehen, muss man immer die Realität der vernetzten lernenden semiotischen Triaden im Blick haben, ansonsten kann man gesellschaftliche Phänomene nicht zufriedenstellend erklären.
Kollektive Mensch:Maschine Intelligenz [KM:MI]
Interessanterweise gibt es bis heute keine allgemein akzeptierte und hinreichend aussagekräftige Theorie der menschlichen ‚Intelligenz‘, sehr wohl aber partielle Modelle, die einige Phänomene ganz gut beschreiben. Die Intelligenz wird im menschlichen Gehirn verortet, das eine ‚Arbeitsgemeinschaft‘ mit dem ganzen restlichen Körper bildet.
Zusätzlich gibt es seit ca. 75 Jahren einen neuen Typ von Maschinen [11], die man mit Texten füttern kann, die unterschiedlichste ‚Kommandos‘ enthalten, die man als Einheit ‚Algorithmus‘ oder ‚Programm‘ oder ganz allgemein als ‚Software‘ bezeichnet. Diese Kommandos repräsentieren eine Menge von Ausdrücken, die zu einer Sprache gehören, die man ‚Programmiersprache‘ nennt. 2022 gibt es mehr als 100 verschiedene Programmiersprachen. Maschinen, die man mit Texten von solchen Programmiersprachen ‚füttern‘ kann (man nennt dies meistens ‚Programmieren‘), können je nach Beschaffenheit der Maschine — man nennt eine programmierbare Maschine auch ‚Computer‘ und das Material des Computers ‚Hardware‘ — führt die ‚Ausführung‘ der Kommandos zu unterschiedlichen Maschinenzuständen, die sich dann unterschiedlich ’nach außen‘ auswirken können (Steuerung anderer Maschinen, Ausgabe von Bildern, Tönen, Sensitiv für Eingaben über eine Tastatur, für Signale von Sensoren usw.). Man unterscheidet grob rein ‚deterministische‘ Programme und solche die ’nicht-deterministisch‘ sind, weil sie entweder mit ‚Zufallszahlen‘ arbeiten oder im begrenzten Umfang ‚Lernen‘ können. Es hat sich eingebürgert, dass man von Programmen, die lernen können, sagt, sie seien ‚intelligent‘. Aber auch in diesem Fall gibt es bis heute keine allgemein akzeptierte Definition von ‚maschineller‘ Intelligenz.
Natürlich wäre es interessant, wenn programmierbare lernfähige Maschinen dem Menschen helfen könnten, alleine und in Gemeinschaft mit anderen die Prozesse der Gesellschaft in Wechselwirkung mit den anderen Prozessen so weit zu verstehen, dass man irgendwie Nachhaltig sein könnte, um auch noch in einer der vielen möglichen Zukünfte leben zu können. Dazu bräuchte man minimal eine einheitlichen Konzeption von Intelligenz auf Seiten des Menschen, auf Seiten der Maschine, und dann für eine ‚kollektive Mensch:Maschine Intelligenz‘.
DAS OKSIMO PARADIGMA UND SOFTWARE
Vor dem geschilderten angenommenen Kontext des oksimo Paradigmas sollen hier kurz einige Eigenschaften des oksimo Paradigmas und der Software beschrieben werden.
Oksimo Software
Text, Simulator, Ausgangslage, Ziele, Drehbuch
Der Unterschied zwischen dem Begriff des ‚Paradigmas‘ und dem Begriff der ‚Software‘ liegt darin, dass die oksimo ‚Software‘ der konkrete Text ist, der einem Computer ‚übergeben‘ wird, der diesen Text dann mit einer bestimmten Software genannt ‚Simulator‘ bearbeitet. Eine Hauptfunktion dieses Simulators besteht darin, den eingegebenen Text als ‚Simulation‘ zu zeigen: ausgehend von einer ‚Ausgangssituation‘ wird gezeigt, wie sich diese Ausgangslage mittels eingegebener ‚Veränderungsregeln‘ (die letztlich ein ‚Drehbuch‘ realisieren) schrittweise in einen ‚Zielzustand‘ verwandelt. Ob und wenn ja, in welchem Umfang, der Zielzustand erreicht wird, hängt letztlich vom Drehbuch ab.
Oksimo Paradigma
Handlungsraum
Gibt es eine oksimo Software, dann eröffnet diese Software ihren potentiellen Anwendern (Benutzern) einen oksimo-spezifischen ‚Handlungsraum‘. Damit ist gemeint, dass der Anwender in ‚Interaktion‘ mit der oksimo Software bestimmte Handlungen vornehmen kann. Die mögliche Beschaffenheit dieses ‚oksimo typischen‘ Handlungsraum definiert das ‚oksimo Paradigma‘.
Alltagssprache, Weltweit
Im Fall der Erstellung einer oksimo Software muss der Anwender ausschließlich ‚Alltagssprache‘ benutzen (z.B. ‚Deutsch‘, ‚Englisch‘, ‚Italienisch‘, …, ‚Russisch‘, … ‚Arabisch‘, … ‚Chinesisch‘, …’Zulu‘, “Xhosa‘, ‚Afrikaans‘, …). Eine Alltagssprache enthält alles, worüber Menschen sprechen können. Dies hat zur Folge, dass im Prinzip jeder Mensch ‚ohne spezielles Vorwissen‘ die oksimo Software benutzen kann. Man kann solch einen Text mit Alltagssprache ‚alleine‘ erstellen oder ‚zusammen mit anderen‘, als Gruppe, als Team, überall verteilt, nur durch das World Wide Web [WWW] (auch über mobile Endgeräte) verbunden.
Alltag, Zahlen, Mathematik
Durch die Benutzung der Alltagssprache ist das oksimo Paradigma mitten im ‚Alltag eingebettet‘. Alles kann zur Sprache kommen, was Menschen beschäftigt, in Form eines Textes, als Drehbuch, natürlich auch mit Zahlen (quantitativen Angaben), da Alltagssprache beliebig viel ‚Mathematik‘ zulässt.
Komplexe Dynamik sichtbar und erlebbar machen
Durch diese Offenheit des oksimo Paradigmas für die Breite des Alltags kann der Alltag nicht nur ‚zur Sprache‘ kommen, sondern durch die Anordnung des Alltags als ‚Drehbuch‘ (aktuelle Ausgangslage, mögliche Veränderungen, anvisierte Ziele, …) kann man auch die ‚im Alltag (implizit) wirkende Dynamik‘ sichtbar machen. Diese Alltagsdynamik kann sehr wohl ‚komplex‘ sein, so komplex, dass ein Anwender diese Komplexität ohne die Aufbereitung als eine oksimo Simulation normalerweise gar nicht erkennen, geschweige den ‚verstehen‘ kann. Das Verstehen ist im Fall einer Simulation auch meistens mit verschiedenen Emotionen begleitet, insbesondere dann, wenn man ein Drehbuch gemeinsam mit anderen erstellt bzw. als Simulation anschaut.
Multiple dynamische Ziele
Ein wichtiger Aspekt der Alltagsdynamik sind die — ausgesprochenen und unausgesprochenen — ‚Ziele‘, die in Akteuren wirksam sind. Solche Ziele können sich ‚ergänzen‘, können aber auch ‚gegensätzlich‘ sein; vor allem, sie können sich auch ‚jederzeit ändern‘. In der Zeit sind Ziele ‚kurzfristig‘ oder ‚langfristig‘. Von der ‚Gewichtung‘ her ’nicht so wichtig‘ oder ’sehr wichtig‘. Im oksimo Paradigma kann man solche Ziele direkt abbilden; man schreibt sie einfach auf, und dann wird während einer Simulation beständig überprüft, ob und wenn ja, wieweit, diese Ziele eingelöst werden. Dies erhöht die Transparenz der Alltagsdynamik erheblich. Als einzelner wird man kontinuierlich damit konfrontiert, dass die eigenen Ziele ’nicht alleine‘ sind und dass ihre Erreichung möglicherweise Kompromisse bzw. ‚Zielmodifikationen‘ verlangen wird.
Prognosen, Wahrscheinlichkeiten, Vielfalt
Liegt ein Drehbuch vor mit Ausgangslage, Zielen, und vorgeschlagenen Maßnahmen, dann kann man die in der Simulation sichtbar werdenden Folgezuständen auch als ‚Prognosen‘ verstehen: Wenn Du mit dieser Ausgangslage und diesen Maßnahmen arbeitest, dann wird solch ein bestimmter Folgezustand auftreten! Und da wir wissen, dass im Alltag die Dinge sich nicht immer genau so oder vielleicht überhaupt nicht ereignen, wie wir uns das gedacht haben, sondern oft ‚ganz anders‘, gibt es in oksimo die Möglichkeit, jede einzelne Maßnahme mit einer ‚Wahrscheinlichkeit‘ zu verknüpfen (z.B. in 4 von 5 Fällen geschieht A, es kann aber auch B in 5-4 vielen Fällen auftreten). Während im ‚realen Alltag‘ tatsächlich immer wieder etwas passieren kann, was man ‚in keiner Weise auf dem Plan hatte‘, ist die Ereignisbreite eines oksimo Drehbuchs an das verfügbare Wissen der Akteure gebunden. Man kann dies ein wenig dadurch verbessern, dass man möglichst unterschiedliche Akteure zusammenbringt, und/oder dadurch, dass man ‚Daten aus der realen Welt‘ über geeignete Sensoren in ein Drehbuch einbettet (integriert).
Geworden, Vielfalt, Lernen
Zu einem bestimmten Zeitpunkt ist jeder Akteur ein ‚Gewordener‘. Damit ist der Akteur nicht ‚unbestimmt‘, sondern ein ‚konkretes Etwas‘. Dieses konkrete Etwas ist eng verflochten mit jenem Alltag, in dem es geworden ist. Der betreffende Akteur kann durch diese konkrete Einbindung mit der Welt kommunizieren, interagieren, und die Welt im Lichte seines Gewordenenseins sehr spezifisch ‚verstehen‘. Da jeder ‚gewordene Akteur‘ per se ‚dynamisch‘ ist, weil er ‚altern‘ und ‚lernen‘ kann, wird es für sein Weltverständnis wichtig sein, dass er seinen Alltag und seinen Umgang mit dem Alltag immer wieder ändert, um sein ‚Lernen‘ lebendig zu halten. Vielfalt durch andere Menschen, andere Kontexte, durch ‚Experimente‘ und ‚Spielen‘ sind hier wichtige Zutaten für ein lebenslanges Lernen. Das oksimo Paradigma bietet hierfür gute Voraussetzungen: Alle Elemente eines Drehbuchs sind variabel; sie können jederzeit geändert und erweitert werden. Innerhalb einer Gruppe kann man Vielfalt erleben (wenn man sie zulässt :-)). Durch Einbeziehung von ‚Real-Welt-Daten‘ kann man die Vielfalt real erhöhen. So kann man sich vor allzu einfachen Weltbildern schützen.
Die ganze Welt neu miteinander denken
Wenn ein einzelner Akteur, eine ganze Gruppe, lokal oder verteilt über die ganze Welt, mit der oksimo Software im Format des oksimo Paradigmas arbeitet, dann gelingt dies unter Benutzung eines Browsers im World Wide Web von überall gemeinsam an Drehbüchern zu arbeiten. Und wenn man Leserechte erteilt, dann kann jeder sie lesen. Man kann ein Drehbuch auch als HTML-Seite formatiert direkt auf einem beliebigen Webserver platzieren (ähnlich wie bei Wikipedia), dann können alle mitlesen. Und wer diese Webseiten dann liest, kann sie auf Wunsch auch wieder in eine oksimo Simulation verwandeln … und sie als Simulation erleben. Da es in oksimo kein Problem ist, beliebig viele einzelne Simulationen (Drehbücher) auf ‚Knopfdruck‘ zu einer einzigen Simulation zu vereinigen, kann man sofort sehen, was passiert, wenn man diese neue Gesamt-Simulation ablaufen lässt: Sind die einzelnen Simulationen in der vereinigten Simulation ohne jeden Zusammenhang? Ergänzen sie sich? Entstehen Konflikte? Regen sie zum Weiterdenken an? Was ist mit der Vielfalt der Ziele? Sind die OK? Kann man da etwas ändern? Ist ein interessantes Ziel wahrscheinlich? Muss man das Problem doch ganz neu, ganz anders denken? usw. Mit oksimo kann die ganze Welt neu miteinander reden, miteinander Dinge erleben, miteinander neu denken, in Zusammenhängen, in Prozessen.
ANMERKUNGEN
wkp := Wikipedia
[0] UN 1992: Agenda 21: https://www.un.org/depts/german/conf/agenda21/agenda_21.pdf
[1] Siehe herzu z.B. die Position von Jablonka & Lamb: https://www.cognitiveagent.org/2022/01/16/kultur-bei-nicht-menschen-evolution-in-vier-dimensionen-nachhall-zu-jablonka-lamb-2017-2005/
[2] Theoretical Ecology in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Theoretical_ecology
//* Theoretische Ökologie ist das Ergebnis einer Suche nach geeigneten formalen Konzepten, um die Vielfalt der Phänomene im Bereich Ökologie angemessen beschreiben zu können. Ein prominentes Beispiel in diesem Konzeptualisierungsversuch ist die Position von Ulanowicz [2a,b,c], der versucht hat, die Vielfalt durch Anwendung von thermodynamischen Konzepten zu fassen. Ein geniales Konzept zwischen ‚mechanistischem‘ und ’stochastischem‘ Denken. Was u.a. kaum bis gar nicht von ihm berücksichtigt wird, das ist der autopoietische Charakter aller biologischen Systeme, angereichert um vernetzte lernende semiotischen Triaden (siehe im Text). *//
[2a] Robert E.Ulanowicz in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Robert_Ulanowicz
[2b] Robert E.Ulanowicz, (1986), Growth and Development – Ecosystems phenomenology, Springer (originally toExcel)
[2c] Robert E.Ulanowicz, (1997), Ecology: The Ascendant Perspective, Columbia University Press
[3] Resilience in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Resilience
//* Das Konzept ‚resilientes System‘ kommt — ähnlich wie das im Text ebenfalls benutze Konzept ‚Bedeutung‘ und ‚Semantik‘ — in einer Vielzahl von Disziplinen vor, und zwar ohne wirkliche Integration in ein Konzept. *//
[3b] Das Auftreten ‚biologischer Systeme‘ ist aber nicht so zu verstehen, dass das ‚Biologische‘ damit vollständig getrennt wäre von voraus bestehenden ‚Natur‘. Die primären biologische Lebensformen waren Einzeller, die aus einer Vielzahl von Molekülen bestehen, diese wiederum aus Atomen, diese wiederum … dies heißt, dass das der ‚reale Stoff‘ einer Zelle ’naturhaft‘ ist und die Eigenheiten dieses realen Stoffs beibehält. Eine Zelle repräsentiert allerdings eine ‚Organisationsform‘ der einzelnen Elemente, die es als solche ‚Organisationsform‘ vorher noch nicht gab. Aufgrund dieser neuartigen Organisationsform besitzt eine biologische Zelle eine Fülle von ’neuartigen Verhaltensweisen‘, die einen ’spezifisch Handlungsraum‘ ermöglichen, der sich — zwar in engster Verbindung mit den realen Bestandteilen, aber doch klar verschieden von ihnen — über Interaktionen mit der Natur und dem Biologischen die Realität der Welt verändert.
[4] Patriarchat in der wkp-de: https://de.wikipedia.org/wiki/Patriarchat_(Soziologie)
[5] Matriarchat in der wkp-de: https://de.wikipedia.org/wiki/Matriarchat
[6a] Semiotik in der wkp-de: https://de.wikipedia.org/wiki/Semiotik
[6b] Semiotics in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Semiotics
[7a] Jakob Johann von Uexküll in wkp-de: https://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_Johann_von_Uexk%C3%BCll
[7b] Jakob Johann von Uexküll in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Jakob_Johann_von_Uexk%C3%BCll
[8] Mental Model in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Mental_model
[9] Der Begriff der ‚Bedeutung‘ wird traditionellerweise der Perspektive der Semantik zugewiesen als einem Teilaspekt von Sprache. Bislang gibt es eine Vielzahl von Disziplinen, die sich unter dem Oberthema ‚Semantik‘ mit dem Phänomen der Bedeutung beschäftigen, allerdings fehlt noch eine einheitliche Theorie. Zum Einstieg in die Vielfalt siehe den Begriff ‚semantics‚ in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Semantics
[10] Der Begriff der ‚vernetzten lernenden semiotischen Triade‘ fasst auf einer abstrakten Ebene verschiedene Phänomenbereiche zusammen, die funktional miteinander verbunden sind. Gleichzeitig sind die verschiedenen Phänomenbereiche aber auch ‚eigenständig‘ und folgen ihren phänomen-spezifischen Gesetzen! So unterliegt die ‚Außenwelt‘, die über Wahrnehmung und weiteren Interaktionen in Wechselwirkung mit dem Körper und dem Innenbereich eines semiotischen Akteurs steht, vielfachen Dynamiken, die ihrer ‚eigenen Logik‘ folgen. Eine semiotischer Akteur hebt diese Eigenlogik der Außenwelt nicht auf, sondern nutzt sie im Rahmen der Triade auf eigene Weise, sofern die Eigengesetzlichkeit der Außenwelt dies zulässt. Dies gelingt nur deswegen, weil die Dynamik der Außenwelt sehr viele ‚Freiheitsgrade‘ umfasst, die Varianten zulassen (z.B. ein ‚Stein‘ ist ein Stein, aber je nach räumlicher Lage ist er fest verkeilt mit seiner Umgebung oder als losgelöstes Stück im Raum bedingt bewegbar oder modifizierbar. Auf jeden Fall ist er für einen semiotischen Akteur begrenz nutzbar.).
[11] Computer, hier ‚Digital Computer‘, siehe wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Computer
[12] Döben-Henisch, G., (2006), Reinforcing the global heartbeat: Introducing the planet earth simulator project In M. Faßler & C. Terkowsky (Eds.), URBAN FICTIONS. Die Zukunft des Städtischen. München, Germany: Wilhelm Fink Verlag, 2006, pp.251-263
Bei der theoretischen Erörterung, wie man das oksimo Paradigma theoretisch (und praktisch) einordnen kann/ muss, stellt sich natürlich die Frage, „Von welchem Standpunkt aus?“.
Wie aus der Übersicht ersichtlich, werden bislang genannt ‚Kulturanthropologie‘, ‚Soziologie‘ sowie ‚Philosophie und Informatik‘. In diesem Themenknoten geht es speziell um die Perspektive der ‚Philosophie‘ und der ‚Informatik‘.
Die philosophische Perspektive bietet sich an, weil damhttps://www.oksimo.org/2021/07/28/oksimo-weltmodell/it von vornherein nichts ausgegrenzt werden soll; alles was zum Phänomen gehört, soll prinzipiell Gegenstand der Erörterung werden können. Um sich nicht in der Unbestimmtheit des Allgemeinen zu verlieren, kann und muss eine philosophische Erörterung sich phasenweise dennoch konkretisieren.
Die Perspektive der Informatik hingegen ist von einem bestimmten Zielobjekt her gebunden: Im Fokus der Perspektive der Informatik stehen ‚berechenbare Prozesse‘ mit all dem, was dazu gehört (z.B. die notwendige Hardware, Software, theoretische Modelle, Anwendungsszenarien, und vieles mehr).
Durch die spezifische Bindung der Perspektive der Informatik werden tendenziell viele Aspekte des Kontextes gar nicht oder nur sehr kursorisch behandelt. Dies erschwert ein volles Verständnis der berechenbaren Prozesse; eine umfassende Einordnung des Phänomens berechenbare Prozesse in das Gesamt der Lebensprozesse ist nicht wirklich möglich.
Hier kann die philosophische Betrachtungsweise helfen. Ausgehend von dem speziellen Phänomen ‚berechenbare Prozesse‘ kann das philosophische Denken durch Aktivierung einer transdisziplinären Metaebene diese Phänomene der berechenbaren Prozesse in Beziehung setzen zu anderen Phänomenbereichen und auf diese Weise die mögliche Rolle der berechenbaren Prozesse im Kontext ‚des Ganzen‘ ansatzweise sichtbar machen.
INHALTE
Reale Modellierungsbeispiele zu diesen theoretischen Überlegungen finden sich hier.
DAS OKSIMO PARADIGMA, NACHHALTIGES WISSEN und WELTMODELL
Der Kern des oksimo Paradigmas besteht aus Software, die es den Benutzern — vorzugsweise größeren Gruppen — erlaubt, miteinander auf neue Weise zu kommunizieren und und zu denken, und zwar so, dass man die mögliche Nachhaltigkeit dabei — fast spielerisch — ausloten kann.
Das Entscheidende ist hierbei also nicht die Software als solche, sondern es sind diese oksimo spezifischen Handlungsräume und die darin agierenden Anwender (Bürger, Jugendliche, …), die das manifestieren, was mit oksimo Paradigma gemeint ist: ein neues, oksimo spezifisches Miteinander von Menschen. Würde man die einzelnen Komponenten aus diesem oksimo Paradigma isoliert betrachten, dann würde man die Sache selbst gerade nicht sehen; sie wäre unsichtbar. Es ist die Wechselwirkung von allen Komponenten, die das Neue möglich macht.
Es geht also im Kern um menschliche Akteure zusammen mit ihren konkreten Lebensbereichen, es geht um die sprachliche Kommunikation in den Sprachen des Alltags, und es geht um um die verschiedenen Bilder der Welt, die im Medium der Kommunikation aus den Gehirnen aller Beteiligten im gemeinsamen Tun sichtbar gemacht werden können. Die ‚Bilder der Welt‘, die jeder mit sich herumträgt, sind Sinnbilder (Metaphern) für ein vielfältiges, komplexes Wissen, was jeder einzelne durch seine individuellen Lernprozesse in sich ansammeln kann. Welches Wissen das ist, wie es zustande kommt, darüber entscheidet zu einem hohen Grad einerseits die konkrete Umwelt (was gibt es, was darf man, was kann man,…) und die Dynamik des einzelnen selbst (was will man, welche Interessen, welche Lernaktivitäten, …).
Letztendlich ist jedes Verhalten mehr oder weniger vom verfügbaren Wissen — bewusst, aber noch mehr unbewusst — bestimmt. Verhalten kann die Umgebung verändern, kann Reaktionen auslösen, bestimmt mit, was man wo wie erfahren kann. Beobachtbares Verhalten ist somit nur die Außenseite einer inneren Dynamik, die im Kern von verfügbaren Wissensbeständen und Wissensdynamiken getragen wird.
Vor diesem Hintergrund muss man das oksimo Paradigma sehen als eine ganzheitliche Herangehensweise an das Phänomen gemeinsamen Handelns unter expliziter Einbeziehung der ermöglichenden und treibenden Wissensbestände und Motive! Aber mehr noch, es wird nicht nur das verfügbare Wissen über Gestern oder jetzt berücksichtigt, sondern es wird explizit auch danach gefragt, wie sich die Beteiligten mögliche zukünftige Situationen vorstellen können, und mehr noch, welche konkreten Wege sie sich von der Gegenwart in die Zukunft vorstellen können. Es wird also ganz bewusst die gesamte mögliche Bandbreite des Wissens herausgefordert, durch die man gemeinsam mögliche Wege in eine mögliche Zukunft auslotet.
Für die in solch einem oksimo Paradigma beteiligten menschlichen Akteure ist dies das Maximum an Wissen und daran geknüpftes Verhalten, was für die konkret Beteiligten möglich ist. Da aber alle Menschen im Prinzip im Sinne des oksimo Paradigmas kooperieren können, kann so das Wissen aller Menschen im Prinzip sichtbar gemacht werden. Das oksimo Paradigma bietet dazu die einfache Möglichkeit, alle Wissensentwürfe per Knopfdruck zu einem einzigen Entwurf zu vereinigen: damit lässt sich sofort ermitteln, ob und wie die verschiedenen Sichten zusammenwirken: Sind sie unabhängig voneinander? Ergänzen sie sich? Treten direkte Konflikte auf? Weil man dies direkt sehen kann, und zwar jeder, kann man sich den Dingen stellen, kann man solche Dinge zur Sprache bringen und hat damit eine Chance, sie zu klären.
Natürlich kann man ergänzend auch noch beliebig viel künstliche Intelligenz zum Einsatz bringen, um jene Möglichkeitsräume ausloten zu lassen, die für das menschliche Gehirn schlicht zu groß sind.
Heutzutage ist das Wort Nachhaltig sehr prominent, und man hat den Eindruck, seine gesellschaftliche Bedeutung nimmt beständig weiter zu.
Beschränkte sich der ursprüngliche Gebrauch des Wortes ’nachhaltig‘ auf die Verfügbarkeit bestimmter Ressourcen (z.B. Wald) über einen längeren Zeitraum [4], so wird der Begriff mittlerweile immer mehr auf alles angewendet, dessen Bestand in der Zeit von Interesse ist (Wald, Wasser, Rohstoffe, Biodiversität, menschenfreundliche Klimaszenarien, …). [5] Im Katalog der 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinigten Nationen [1] spiegelt sich dies ein wenig wieder: es werden viele Aspekte aufgezählt, die in der erfahrbaren Welt als wichtig angesehen werden, aber es gibt keine wirklich kohärente Ideen, die alles miteinander in eine begreifbare Beziehung setzt. Dies wird insbesondere am Entwicklungsziel 4 (SDG 4,sustainable development goal) deutlich: Es wird nicht die generelle Rolle von Wissen für den Fortbestand einer Gesellschaft und ihrer Lebenswelt betrachtet, sondern nur der Bereich der schulischen Bildung, und dies wiederum nur verpackt in traditionelle didaktische Begriffe, die die eigentliche Rolle und Dynamik von Wissen eher verdecken als fördern.[2], [3]
Tatsächlich ist es aber so, dass alle nachhaltigen Entwicklungsziele entscheidend von dem jeweils verfügbaren Wissen abhängen. Ohne das geeignete Wissen ist ein zielgerichtetes nachhaltiges Handeln nicht möglich.
Teilt man diese Einschätzung, dann stellt sich unmittelbar die Frage, wie es denn zu einem nachhaltigen Wissen in allen Bereichen kommen kann.
Aus Sicht des oksimo Paradigmas lautet die Antwort, dass möglichst viele Menschen im Sinne des oksimo Paradigmas ihr Wissen teilen und gemeinsam weiter entwickeln sollten. Nur so wäre ein Optimum an nachhaltigem Wissen möglich, das alle Ressourcen ausschöpft, die wir heute kennen (einschließlich aller Formen von künstlicher Intelligenz).
An dieser Stelle kann man vom Begriff des nachhaltigen Wissens auch eine direkte Beziehung herstellen zu einem anderen fundamentalen Begriff, der für die Nachhaltigkeit des gesamten biologischen Lebens auf der Erde zentral ist: Diversität, und zwar nicht irgendeine Diversität, sondern eine dynamische Diversität, die ihre Vielfalt in einer sich verändernden Umgebung dadurch erhält, das sie sich selbst beständig erneuert. Maturana und Varela hatten für dieses Phänomen 1972 den Begriff der Autopoiese eingeführt. [7], [8] In diesem Text hier wird der Begriff aber in einem leicht verallgemeinerten Sinne benutzt, dass nicht ein einzelnes System betrachtet wird, sondern die Gesamtheit biologischen Lebensformen — hier abgekürzt BIOM –, die auf einem sich beständig ändernden Planeten befinden (die Erde), und die ihr Überleben nur dadurch bewirken konnten, dass die Lebensformen sowohl einzeln wie auch im Zusammenwirken in der Lage waren, ihre eigenen Strukturen immer wieder zu ändern. Dies wiederum war nur möglich, weil biologische Lebensformen ihre Struktur aufgrund von dynamischen Bauanleitungen immer wieder neu und dabei auch immer wieder ganz anders ausformen konnten. Dabei war es von fundamentaler Bedeutung, dass die individuellen Baupläne untereinander ausgetauscht und vermischt werden konnten. So gesehen gleicht das BIOM einem gigantischen Informationsraum (= Wissensraum), der durch kontinuierlichen Austausch und kontinuierliches Ausprobieren immer gerade so viele neue Varianten von Bauplänen zur Verfügung hatte, wie sie für die sich verändernden Anforderungen des Planeten Erde notwendig waren. Diversität ist in diesem Kontext also eine schiere Überlebensnotwendigkeit, und nicht einfach nur die Diversität zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern eine sich kontinuierlich verändernde Diversität. Geschwindigkeit der Veränderung und Umfang der Vielfalt spielen dabei eine wichtige Rolle.
Handelte es sich bei den biologischen Lebensformen zunächst nur um ein strukturelles Wissen, das nur durch die Reproduktionsprozesse verändert werden konnte, gibt es spätestens seit dem Auftreten des homo sapiens auch ein prozedurales Wissen in den neuronalen Strukturen der Lebewesen, das sich aktuell ereignen und ausformen kann. Zudem verfügt der homo sapiens über die fundamentale Fähigkeit, innere wissensrelevante Gehirnzustände mittels äußerlich wahrnehmbaren Kommunikationsereignissen zu korrelieren, um damit partiell wissensbasierte Kooperationen aufzubauen. Die dynamische Vielfalt der Baupläne kann jetzt ergänzt werden durch die dynamische Vielfalt gehirnbasierter Wissensstrukturen, die um ein Vielfaches schneller und um ein Vielfaches genauer sind als das vorausgehende rein strukturelle Wissen.
Aus systemtheoretischer Sicht hat das BIOM mit diesen neuen Wissensformen einen entscheidenden Sprung tun können, um seine Anpassungsfähigkeit und damit seine potentielle Nachhaltigkeit zu erhöhen. Schaut man sich jedoch die gegenwärtige Situation an, dann kann man nicht nur Beispiele finden, die diese neue Fähigkeit positiv aufscheinen lassen; man kann genauso gut auch Beispiele finden — und diese scheinen sich zu mehren — dass die Population der Menschen an diesen ihren eigenen Möglichkeiten zu scheitern droht, da sie diese unglaubliche Fähigkeit immer weniger gemeinsam nutzt.
Das oksimo Paradigma ist ein neuer Versuch, diese mögliche gemeinsame Nutzung zu verbessern.
ANMERKUNGEN
[1] UN 17 development goals (SDGs): https://sdgs.un.org/goals
[2]UN, SDG4 : https://www.un.org/sustainabledevelopment/education/; UN, QUALITY EDUCATION : WHY IT MATTERS: https://www.un.org/sustainabledevelopment/wp-content/uploads/2017/02/4_Why-It-Matters-2020.pdf
[3] UN, SDG4, Bücher: https://www.un.org/sustainabledevelopment/sdgbookclub-4archive/; https://www.un.org/sustainabledevelopment/sdgbookclub/blog/
[4] Nachhaltigkeit, Wikipedia [DE]: https://de.wikipedia.org/wiki/Nachhaltigkeit
[5] Sustainability, Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Sustainability
[6] Gerd Doeben-Henisch, 2021, THE OKSIMO PARADIGM An Introduction (Version 2), https://www.oksimo.org/wp-content/uploads/2021/08/oksimo-v1-part1-v2.pdf
[7] Autopoiesis, Wikipedia [DE]: https://de.wikipedia.org/wiki/Autopoiesis; und in Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Autopoiesis
[8] Humberto Maturana und Francisco Varela, 1972, Autopoiesis and Cognition: The Realization of the Living: https://en.wikipedia.org/wiki/Autopoiesis_and_Cognition:_The_Realization_of_the_Living