Alle Beiträge von Philipp Westermeier

Besprechung Growing Open Science with the Combined Potential of Citizen Science and Auto Science von Sonja Schimmler, Fabian Kirstein, Sebastian Urbanek, Hannes Wünsche und Manfred Hauswirth (S. 1-2)

(Letzte Änderung: 15. Dezember 2022)

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des Review Bereichs von Citizen Science 2.0.

Die AutorInnen dieser Programmschrift1 stellen ihre Konzeption eines auf das Weizenbaum Institut zugeschnittenes „Open Science Portal[s]“ in seinen Grundzügen vor.

Das „Open Science Portal“(OSP) soll auf den Alltag von ForscherInnen zugeschnitten und dabei Disziplinübergreifend einsetzbar sein. Daher soll ein Teil dieses Portals ein „Research Dara Portal“(RDP) sein. Das RDP wird als „central point of a researcher’s daily life“ angesehen und soll plattformübergreifend kompatibel mit gängigen Softwaretools und Datenbanken sein. Mit einer „Researcher’s Identity“soll Datensouveränität und Eigentumsrechte gesichert werden. Die Herausforderung sei es, „to find a good balance between generality and specificality“.
Der andere Teil der Plattform ist als „Citizen Science Portal“(CSP) konzipiert. Dabei soll dieses „das Beste“ aus den Welten Citizen Science und Auto Science zur Anwendung bringen. „Citizen Science promises to entail the individual (scientists and hobby scientists) to help with research[,] Auto Science […] is meant to help analyze research data, e.g., to help publish the data and to help improve its quality, by applying methods from artificial intelligence.“ Die Herausforderungen des CSPs werden dreigeteilt präsentiert. Es seien (i) aktuell „neither a critical mass of hobby scientists, nor people with the „right“ background […] attracted“, (ii) „hobby scientists are mostly involved in a crowdsourcing-fashion, namely to collect and clean data“ und (iii) es werden „new and innovative concepts and methods“ benötigt, um die Vision dieses Portals umsetzen zu können.

REFLEXION

Wie ich den Text verstehe wird hier ein Ansatz vorgesellt, der implizit zwischen WissenschaftlerInnen und BürgerInnen trennt. BürgerInnen als „Hobby WissenschaftlerInnen“ seien ein externer Faktor, der von („echten“) WissenschaftlerInnen eingesetzt werden kann, wenn er denn richtig „funktioniere“. Dass sich diese Institution nach eigenen Angaben an dem „European Open Data Portal“ beteiligt hat, zeigt auch eine Nähe an tendenziell als Top-Down-Institutionen verstehbaren Akteuren.

KOMMENTARE

[1] Schimmler, S., Kirstein, F., Urbanek, S., Wünsche, H., & Hauswirth, M. (2019). Growing Open Science with the Combined Potential of Citizen Science and Auto Science. In Proceedings of the Weizenbaum Conference 2019 „Challenges of Digital Inequality – Digital Education, Digital Work, Digital Life“. Berlin https://doi.org/10.34669/wi.cp/2.26

Besprechung Open Science und Citizen Science als symbiotische Beziehung? von Katrin Vohland und Claudia Göbel[1]

(Letzte Änderung: 15. Dezember 2022)

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des Review Bereichs von Citizen Science 2.0.

In dem überblickshaft verfassten Artikel von Vohland und Göbel[0] werden „Open Science und Citizen Science in der europäischen Wissenschaftspolitik analysiert und zueinander in Beziehung gesetzt“. Ziel ist, überblickshaft „aus dem Praxiskontext der Bürgerwissenschaften heraus Ausgangspunkte für weiterführende Diskussionen mit Vertretern der Wissenschafts- und Technikforschung aufzuzeigen“ sowie „konstruktive Impulse für kritische Reflexionen in diesen Praxiskontext zurück zu spiegeln“ (vgl. 18).

Laut den Autorinnen kann das Bedeutungsfeld um Citizen Science in etwa so beschrieben werden:
Citizen Science und Open Science seien miteinander verwoben, aber trotzdem eigenständige Praktiken.
Citzen Science habe „zwei komplementäre Ursprünge“ (S. 19), der „naturkundlichen Tradition von ehrenamtlichen Forscherinnen und Forschern, deren Daten Eingang in das wissenschaftliche System finden“ (ebd.) und die „Mobilisierung alternativer Formen von Expertise im Kontext von Umweltpolitik“ (ebd.). Damit auch sind auch zwei Interessen angesprochen: Das der „Wissenschafts- und Umweltbildung“ (ebd.) und das der praktischen Wissenschaftspolitik.
Die (europäischen) StakeholderInnen seien einerseits „verschiedenste[…] akademische […] und zivilgesellscahftliche[…] Gruppen, welche Ansätze partizipativer Forschung praktizieren“ (S. 19), Verbände wie die European Sitizen Science Assosiation (ECSA), Europäische Union und natürlich die Universitäten, die zwar nicht explizit im Text erwähnt werden, jedoch implizit innerhalb ihren Diskursräumen (In erster Linie durch Publikationen und Veranstaltungen) Citizen Science thematisieren und zumindest indirekt dadurch fördern bzw. Einfluss nehmen. Damit ordnen die Autorinnen das Thema ‚klassisch‘ im Dreiklang Politik, Wissenschaft und Zivilgeselschaft.[1] Es sei klar als Beteiligung der BürgerInnen am wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn zu bewerten (vgl. 21). [2]
Was nicht explizit erwähnt wird ist die Nähe zwischen BürgerInnen und WissenschaftlerInnen hierbei.
Open Science sei „als Begleiterscheinung der Digitalisierung von Wissenschaft“ (S. 18) zu verstehen, dessen „intuitive umgangssprachliche Ebene – „jeder kann mitmachen, alles liegt vor“ im Sinne von offenem Wissen […] – nicht identisch mit dem technischen Begriff Open Science“ (S. 19) sei, es sei „ein neues Paradigma in der Art, wie Forschung betrieben“ (ebd.) werde. Eine „frühzeitige Öffnung des Forschungsprozesses“ (ebd.) sei zentral für diese „Strategie […], mittels Digitalisierungsmaßnahmen Wissenschaft effizienter zu gestalten“, wobei die „Beteiligung an Forschungs- und Wissenschaftskommunikationsprozessen“ innerhalb dieser Praktik „als wesentlicher Teil“ bewertet werde.
Die (europäischen) StakeholderInnen seien ebenfalls in diesen Dreiklang einordbar, jedoch sind da die damit verbundenen Interessen und damit die Gewichtungen anders gelagert.
Hier ist die Nähe institutionell zwischen den Universitäten und der EU, was man auch dem Verständnis von VertreterInnen der Open Science bzgl. Citizen Science anmerkt. Es gehe um „Fostering and creating incentives for Open Science“(S. 20) , „Bügerwissenschaft [werde] generell als Möglichkeit für die Erschließung zusätzlicher Ressourcen für Forschung gefasst“(ebd.). Die Partizipativen Praktiken sollen „1. Unterstützungsleistungen in der Datenaufnahme“ (ebd.), „2. Unterstützungsleistungen in der Datenanalyse“ (ebd.) sein und zur „3. Wissenschaftsfreundlichkeit und Anregungen aus der Gesellschaft“ (ebd.) beitragen. Dadurch werde automatisch zu „verantwortlicher Forschung“ und erhöhter „gesellschaftlicher Relevanz“ beitragen.[3]

Zusammenfassend könne gesagt werden, Open Science bestehe aus „[g]roße[n] digitale[n] Infrastrukturen“, einem „Publikationswesen“ und „Altmetric“ (die Messung und miteinander ins Verhältnis Setzen von Parametern wie Publikationsrate, Zitationen, ‚Relevanz‘, …) und berufe sich auf (EU-)Werte wie „Open Innovation“ und Open to the World“. Dem gegenüber auch gleichzeitig auch verschränkt steht Citizen Science mit „Gesellschaftliche[r] Inklusion“, „Scientific Citizenship“(nicht näher erläutert) und „Nachhaltigkeit“ für Werte wie „Public Engagement, Responsible Research & Innovation“ und „Transdisziplinäre[r] Forschung“. Open Science wirkt mit „Dateninfrastrukturen“ auf den Citizen Science Kontext, dieser wirkt mit „Gesellscahftliche[r] Relevanz/Innovation“ auf Open Science ein.

REFLEXION

Im Gespräch mit Gerd Doeben-Henisch über diesen Text hat dieser als Wissenschaftsphilosoph immer wieder die Frage aufgeworfen, welchen Wissenschafts- und vor allem, welchen Theoriebegriff die Autorinnen dieses Textes haben. Das hat mich auch überrascht, denn hier scheint es, als sei die Theorie ein externer Faktor, der nicht notwendig näher zu erläutern sei, was von einem dem Oksimo-Paradigma völlig unterschiedlichem Wissenschaftsbegriff zeugt. Es werden auch Begriffe nicht näher erläutert aber dennoch so angewendet, dass sich darauf berufen werden könnte. Es ist aber auch ein Überblickstext, der nicht das Ziel hat, mehr zu geben als einen groben Überblick. Die einzige theoretische Bezugnahme, die ich finden konnte ist „Cyberscience 2.0“ von Michael Nentwich und René König[4], deren Text nach erster Sichtung interessant scheint für eine eigene Besprechung.
Auf die Werte bezogen ist Oksimo näher an Citizen Science wie an Open Science und kann eher als ein Tool verstanden werden, der Citizen Science Community ein emanzipatorisches Tool zur Verfügung zu stellen, welches sie nicht zu bloßen DatensammlerInnen degradiert. Auf der anderen Seite wird der „Citizen­-Science­-Community selbst eine unzureichende Praxis der Zur­-Verfügung-­Stellung von Daten bescheinigt, insbesondere was den Bereich der Biodiversitätsdaten angeht“ (S. 22), was auf mögliche Spannungen innerhalb dieses gesellscahftlichen Zusammenhängen hinweist und auch durch die Publikation von Quentin Groom et. al.[5] in einem Artikel besprochen werden wird.

KOMMENTARE

[0] Vohland, K., & Göbel, C. (2017). Open Science und Citizen Science als symbiotische Beziehung? Eine Gegenüberstellung von Konzepten. TATuP – Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis / Journal for Technology Assessment in Theory and Practice, 26(1-2), 18-24. https://doi.org/10.14512/tatup.26.1-2.18
[1] Sinn macht es vielleicht mehr, die Ökonomischen Interessen mit ins Boot zu holen, denn dass bei dieser Vielzahl an unbezahlter Arbeit keine Interessen diesbezüglich vorhanden seien scheint mir doch recht unrealistisch.
[2] Durch die enge Verflechtung von Citizens und Science kann dieses aktuelle Bild auch polemisierend mit Ulrich Becks Fahrstuhleffekt die Bezugnahme hergestellt werden, dass dieser spezifische Charakter des Versuchs, die „breite Öffentlichkeit“ (S.20) auf diese Weise in die Wissenschaft einzubeziehen eine Folge der „Bildungsexpansion“ der 80er Jahre sein könnte. Politisches Engagement kann deshalb so ähnlich zu wissenschaftlichem Engagement positionieren, da es eben eine diverse Mischung von HochschulabsolventInnen gibt, die vielleicht heute an Diversität einbüßt bzw. schon eingebüßt hat. Zwar studieren viele Menschen an den Unis, jedoch meist kommen diese Studierenden aus dem Ausland. Die allgemeine „Durchlässigkeit“ und damit die Diversität der Wissenschaften nimmt ab.[2.2]
[2.2] Das hat wohl mit der Digitalisierung zu tun, denn durch diese und die nahezu völlige Verfügbarkeit von Wissen fungieren Universitäten bzw. die „Wissenscahften“ als Autoritäten, und damit greifen wohl klassische Ein- und Abgrenzungsmechanismen.(Quelle?)
[3] Das liest sich schon alles irgendwie seltsam. Zitiert wird die Europäische Kommission mit:
Erster Punkt: „[I]f scientists want to monitor the effects of climate change on local ecosystems, they can use Open Science to engage citizen reporting, and rapidly multiply the data at their disposal.“
Zweiter Punkt: „[J]ust as people offer spare rooms via AirBnB, why shouldn’t they be allowed to offer spare brain power via citizen science?“
Das klingt eher nach der Objektivierung von Menschen, zur Entfremdung der BürgerIn zu einem Subjekt, dass auf der gleichen Stufe wie ein Messinstrument versammelt werden soll. Der Kommissionsbericht ist hier zu finden: http://www.openaccess.gr/sites/openaccess.gr/files/Openinnovation.pdf
[4] Nentwich, Michael; König, René (2012): Cyberscience 2.0 – Research in the Age
of Digital Social Networks. Frankfurt am Main: Campus. Zugriff: https://archive.org/details/cyberscience20re0000nent/page/n3/mode/2up
[5] Groom, Quentin; Weatherdon, Lauren; Geijzendorffer, Ilse R. (2016): Is Citizen Science an Open Science in the Case of Biodiversity Observations? In: Journal of Applied Ecology 54 (2), S. 612-617. https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1365-2664.12767

Besprechung Science and the Citizen von Warren Weaver

Autor: Philipp Westermeier (philipp@oksimo.org)

(Letzte Änderung: 15.12.2022)

Dieser Text ist Teil des Review Bereichs von Citizen Science 2.0.

In Science and the Citizen, einem im Dezember 1957 in „Science“ und „Bulletin of Atomic Science“1 erschienenen Artikel skizziert Warren Weaver sein Verständnis vom Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft, von Wissenschaftler und Bürger.
Weaver steigt ein mit einem Bild einer sich Mitte des 17. Jahrhunderts in einer londoner Taverne treffenden „Gruppe von Gentlemen“(u.a. Robert Boyle und Benjamin Franklin), die sich bei ihren wöchentlichen Treffen über die neuen Entdeckungen der Wissenschaft austauschen. In dieser Gruppe befanden sich „members of the Parliament, critics, civil servants, and pamphleteers“ die jeden Donnerstag zusammentrafen; „[they] [carried] out experiments, […] [ate] and [drank] together, but primarily they met there to discuss science“ (S. 361). Die Industrielle Revolution war noch weit entfernt, Wissenschaft war damals bloßer „intellectual luxury“, doch begründeten diese Treffen nach Weaver die Royal Society, die fast drei Jahrhunderte lang das Zentrum der westlichen Wissenschaften ausmachte.

Weaver zählt alltägliche Geräte auf, wie den Fernseher, das Auto und die elektrische Decke, um auf die weite Verbreitung von Technologien bzw. Praktiken aufmerksam zu machen, die direkt aus bzw. durch wissenschaftliche Erkenntnisse entstanden sind. Unsere Kleidung kommt bspw. Auch nicht (mehr) von den „backs of sheep, but from test tubes“ (362). Er konstatiert: „[W]hen we entered the nucleus of the atom we opened a Pandora’s box of problems of the most complex and formidable kind“ (ebd.). Daraus folgt für Weaver, dass durch diesen Prozess des ‚Fortschritts‘ Schönheit, Bereicherung und „inescapably scienfitic problems“ zusammenkommen – wie die nukleare Selbstzerstörung und die Möglichkeit des Einflusses der Menschen auf ihr Klima – wobei beides für jeden Bürger einer modernen, ‚freien‘ Demokratie gleichermaßen gelte. Daher muss auch jedem Bürger bewusst sein, dass eine Ignoranz bzw. ein Unwissen bzgl. Wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht mehr möglich ist.

Demokratie und Wissenschaft sind wohl ineinander verflochten, ob das auch für Bürger und Wissenschaftler gilt, ist nicht ganz so einfach zu klären. Was sich für die Wissenschaft ergibt ist, für Weaver, das Rekrutieren und Ausbilden von genug ‚Scientists‘ (Im deutschen Hochschulsystem wären das die MINT-Fächer) und gleichzeitig die Sichterstellung des „recruitment and training of enough good philosophers, businessmen, poets, doctors, musicologists, lawyers, theologians, etc.“, was wohl nicht zwangsläufig zusammenfallen muss.
Denn wenn wir unseren Horizont nicht erweitern, Wissenschaft nicht nur um ihrer Möglichkeiten zur Technisierung und Optimierung willens zu betrachten, sondern auch die „deeper aspects“ in den Blick nehmen; „[…] its capacity to release the mind from its ancient restraints, its ability to deepen our appreciation of the orderly beauty of nature, the essential and underlying humbleness of its position, the emphasis it places upon clarity and honesty of thinking, the richness of the partnership which it offers to the arts and to moral philosophy“(363), scheitern wir auch an der Demokratie. Er stellt die Fragen: „Who, in a democracy, really makes the decisions; and how can the decisions, in a modern scientific world, be made wisely and decently unless the public does have some real understanding of science?“(ebd.).
Für ihn ist Wissenschaft das, was Wissenschaftler machen. Wissenschaftler seien auch nur ‚ganz normale’ Menschen, durchschnittlich aber „tend to be pretty bright, and a very few of them are so exceedingly bright that they must be called geniuses“.

Denn worin die Wissenschaft gut ist, ist die Bearbeitung relativ ‚simpler‘ Probleme, physikalisch/chemischer Art. Sobald es aber um die (zu der Zeit neuen) Problemstellungen der Biologie, des Sozialen, Politische oder der Ethik geht, würden diese Beschreibungsmethoden an der erhöhten Komplexität der Phänomene scheitern.
Jedoch macht die Wissenschaft auch aus, dass immer komplexere Probleme mit immer komplexeren Problemlösungsstrategien bewältigt werden, dessen Kern das ist, was unserer Spezies den Namen Sapiens verliehen hat. Das was Wissenschaftsfähig macht, was (wissenschaftlich generierte) Fakten akzeptierbar macht, sei das zum autoritären Wissensumgang gegenläufige, also logische Präzision, persönliche Ehrlichkeit, offene Haltung, Fokus und Liebe zur Wahrheit (vgl. 363-365).
Weil das so ist, müssen Wissenschaftler immer wieder als normal gedacht werden, was laut Weaver nicht gegeben sei. Er attestiert „an uncomfrotable relation to science“, die vor und nach der der Wissenschaft auch immer anhaftenden Technisierung entsteht.
Die große Herausforderung, die Weaver am Ende an seine Leserschaft adressiert, ist der Fakt, dass der Bürger die Wissenschaft fürchtet, wo er sie verstehen sollte und dass die Wissenschaft nicht richtig über ihr tun aufklärt, obwohl das, Sir Edward V. Appleton zitierend zu ihrem gesellschaftlichen Auftrag gehört. Zwar gibt es diese Aufklärungen, Oppenheimer zitierend, über die Unvollständigkeit theoretischer Konstruktionen, jedoch auf der anderen Seite diesen Aberglauben in der Bevölkerung, die Wissenschaft könne alle Probleme lösen.

Struktur, Methode und Akteure der Wissenschaft

Weavers Wissenschaftsverständnis kann als Zwei-Ebenen-Prozessmodell verstanden werden. Die entwicklungsgeschichtliche, langfristige Prozessebene beginnt um den 15. Juli 1662, als der Royal Society Club den damaligen Forschungsstand wöchentlich in einer Taverne bespricht. Die Ebene der wissenschaftlichen Praxis – „analyzing nature“(S. 363) – besteht aus einem kleinteiligen, iterativen Prozess, „of designing experiments to lear the facts, of formulating general rules for describing nature’s uniformities, of dreaming up possible new and even more general rules, and then testing by experiment to see if the rules are valid“(ebd.).
Dialektisch kann beides in der Zusammenschau begriffen werden, „[s]tep by step and accumulatively“ (S. 363), „[o]ne stubborn and complicated problem after another has given way before the evolving techniques of science“ (S. 364).
Die WissenschaftlerInnen, welche diesen Prozess vorantreiben, sind nach Weaver vielleicht etwas „heller“, etwas interessierter an der Welt an sich und an der Lösung von Problemen die durch ihre jeweiligen Beschreibungsapparate, mit denen sie versuchen die Welt zu verstehen, entstehen. Jedoch sei der einzig große Unterschied zwischen ihnen und den „durchschnittlichen BürgerInnen“ der einer „intellectual inheritance, transmitted to them in their education as scientists, from the centuries of tradition about the scientific method and the scientific attitude toward the world“ (ebd.).
Ein Problem zwischen WissenschaftlerIn und BürgerIn besteht eben nur deshalb, weil BürgerIn „tends to fear science; when [s]he should learn about it“ (S. 365), und WissenschaftlerIn nach Sir Edward V. Appleton ihre „Mission“ nicht annehmen würde, dafür bereit zu sein, „to leave his[/her] laboratory to act as a guide“ (vgl. ebd.).

Der wissenschaftliche Prozess hat daher Erfolg, da er es schafft, einen dem Menschen eigenen Prozess der Einsicht so zu professionalisieren, dass extrem einfache Gesetze herausgearbeitet werden können, die in ihrer Zusammensetzung dann ein enormes Erklärungs- und Anwendungspotenzial aufweisen (vgl. 363-364). Diese Gesetze bauen aufeinander auf, das Komplexe baut auf dem Einfachen auf. Die moderne Physik legt den Grundstein der modernen Chemie, diese legt den Grundstein der modernen Biologie, welche wiederum den Grundstein der modernen Psychologie und Ökonomie legt. Jedoch nicht wie eine Pyramide. Es wird bei zunehmender Komplexität der Phänomene auch der Prozess komplizierter und langwieriger. Dort wo der Reduktionismus mehr oder weniger funktioniert, in der Physik oder der Chemie kommt man in der Biologie oder Verhaltensforschung nicht mehr weiter. Es stellen sich neue Herausforderungen wie Beobachtungsverfahren für Phänomene, die aus der Gleichzeitigkeit von Komplexität entstehen.

Reflexion

+++ In Bearbeitung +++

Kommentare

1 Warren Weaver, Science and the Citizens, Bulletion of the Atomic Scientists, 1957, Vol 13, pp. 361-365.

BUCH: CITIZEN SCIENCE – Bedeutungsanalyse

(Letzte Änderung: 15. Dezember 2022)

KONTEXT

Dieses Buchprojekt ist Teil der Bücherprojekte von oksimo.R.

ARBEITSWEISE

Ausgehend von Warren Weavers Artikel „Science and the Citizen“ wird der wissenschaftliche Diskurs ausgehend der 2000er Jahre überblickshaft dargestellt und mit Weaver verglichen.

Leitfragen sind:
„Welches Wissenschaftsverständnis prägt den Citizenscience-Diskurs und wo wird das sichtbar?“
„Wer hat Welche Interessen und gestaltet dadurch Wie den Citizenscience-Diskurs?“
„Welche zentralen Faktoren beeinflussen neben den Akteursinteressen den Citizenscience-Diskurs?“

KAPITEL(ENTWURF)

Bisherige Fakten und Reflexionen.

KOMMENTARE

[1] Weaver, Warren: Science and the Citizen, Bulletin of Atomic Science, Dezember 1957.
[2] Vohland, Katrin. Göbel, Claudia: Opencience und Citizen Science als symbiotische Beziehung? 2017, https://www.tatup.de/index.php/tatup/article/view/21.
[3] Schimmler, Sonja. Kirstein, Fabian. Urbanek, Sebastian. Wünsche, Hannes. Hauswirth, Manfred: GROWING OPEN SCIENCE WITH THE COMBINED POTENTIAL OF COTOZEN SCIENCE AND AUTO SCIENCE, 2019, https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/62624.
Der Kommissionsbericht ist hier zu finden: http://www.openaccess.gr/sites/openaccess.gr/files/Openinnovation.pdf
[4] Nentwich, Michael; König, René (2012): Cyberscience 2.0 – Research in the Age
of Digital Social Networks. Frankfurt am Main: Campus. Zugriff: https://archive.org/details/cyberscience20re0000nent/page/n3/mode/2up
[5] Groom, Quentin; Weatherdon, Lauren; Geijzendorffer, Ilse R. (2016): Is Citizen Science an Open Science in the Case of Biodiversity Observations? In: Journal of Applied Ecology 54 (2), S. 612-617. https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1365-2664.12767

Oksimo Meets Hobbes

OKSIMO – UNIVERSELLE PROZESS PLANUNG
Veröffentlicht: 04. Juli 2022 – 04. Juli 2022
Email: info@oksimo.org

Autor: Philipp Westermeier

Thomas Hobbes wurde 1588 geboren und veröffentlichte in einer Zeit, in welcher das krisengebeutelte England vor einem Bürgerkrieg stand seinen berühmten Leviathan. In diesem Blog wird sich mit Hobbes vier Jahre später erschienenen Schrift „De corpore“ auseinander gesetzt. Es werden die einzelnen Abschnitte (zusammengefasst) dargestellt und Kapitelweise besprochen.

De Corpore, 1655

Teil 1 – Logik

Kapitel 1 – Von der Philosophie (S. 5-13)

1 – Eingangs beschrieb Hobbes den Zustand der Philosophie seiner Zeit, die er von der „natürliche[n] Vernunft, jedem Menschen eingeboren“ unterscheidet. Der Unterschiede bestehe darin, dass „jeder einzelne […] bis zu irgendeinem Ziele und in irgendwelchen Dingen Erwägungen an[stelle]; sobald es aber einer langen Kette von Vernunftgründen bedarf, entgleisen die meisten oder schweifen ab, weil die richtige Methode“ fehle. Zwar sei „derjenige Teil der Philosophie, der von den Größen und Figuren handelt, vortrefflich ausgebildet“, doch bei anderen Teilen der Disziplin sah er sich in der Pflicht, „die wenigen ersten Elemente der gesamten Philosophie […] zu entwickeln.

2 – Hobbes definierte: „Philosophie ist die rationelle Erkenntnis der Wirkungen oder Erscheinungen aus ihren bekannten Ursachen oder erzeugenden Gründen und umgekehrt der möglichen erzeugenden Gründe aus den bekannten Wirkungen“. Jedoch seien (1) „Sinneswahrnemung und Gedächtnis […] [die] nicht durch rationelles Schließen erworben“ wurden und (2) „Erfahrung“, also der „praktische[] Verstand“ keine Philosophie. Rationelle Erkenntnis sei Berechnung, und gehe „auf zwei Geistesoperationen zurück: Addition und Subtraktion“.

3 – Hobbes beschrieb, dass sich Körper nach ihrem Erkennen nacheinander im Geist durch Operationen aus ihren darin erkannten Eigenschaften zusammensetzen und schrieb schließend:
„Man darf also nicht meinen, daß das eigentliche Rechnen nur bei Zahlen stattfindet, als ob der Mensch von den übrigen Lebewesen (wie nach den Berichten Pythagoras angenommen hat) allein durch die Fähigkeit des Zählens unterschieden wäre; denn auch Größen, Körper, Bewegungen, Zeiten, Qualitäten, Handlungen, Begriffe, Verhältnisse, Sätze und Worte (worin jegliche Art Philosophie enthalten ist) können addiert und subtrahiert werden. Wenn wir aber hinzufügen oder wegnehmen, d.h. aufeinander beziehen, so nennen wir dies »denken«, griechisch logizesthai, das also berechnen oder rationell erkennen bedeutet.“

4 – „Wirkungen und Erscheinungen sind Fähigkeiten oder Vermögen der Körper, durch die wir sie voneinander unterscheiden, d.h. erkennen, daß der eine dem andern gleich oder ungleich, ähnlich oder unähnlich ist; […] [d]aher ist jene Bewegungsfähigkeit, die den Lebewesen eigentümlich ist, die Eigenschaft, durch die wir ihn von anderen Körpern unterscheiden.“

5 – Die Methode, „[w]ie die Erkenntnis der Wirkung aus der Erkenntnis des erzeugenden Grundes gewonnen werden kann“ läge darin, seine Eigenschaften zu erkennen. Am Beispiel eines Kreises zeigt er, wenn Punkt und Eigenschaften des Kreises (konstanter Radius) gegeben seien, wird aus diesem ‚automatisch‘ ein Kreis ‚zusammengesetzt‘.

6 – „Die größte Bedeutung der Philosophie liegt nun darin, daß wir die vorausgeschauten Wirkungen zu unserm Vorteil nutzen und auf Grund unserer Erkenntnis nach Maß unserer Kräfte und unserer Tüchtigkeit absichtlich zur Förderung des menschlichen Lebens herbeiführen können. Denn die bloße Überwindung von Schwierigkeiten oder Entdeckungen verborgener Wahrheiten sind nicht so großer Mühe, wie sie für die Philosophie aufzuwenden ist, wert; und vollends brauchte niemand seine Weisheit anderen mitzuteilen, wofern er damit weiter nichts zu erreichen hofft. Wissenschaft dient nur der Macht! Die Theorie (die in der Geometrie der Weg der Forschung ist) dient nur der Konstruktion! Und alle Spekulation geht am Ende auf eine Handlung oder Leistung aus.“

7 – Den Nutzen der Philosophie sah Hobbes vor allem in der „mögliche[n] Förderung des menschlichen Geschlechts durch sie […] und [in der] Lebensweise derer, die ihrer sich erfreuen“. Technischer Fortschitt und in dessen Konsequenz ein erhöhter Lebensstandard lassen den Nutzen der Philosophie erkennen, derjenige der „Moralphilosophie und Gesellschaftslehre läßt sich nicht sowohl aus den Vorteilen, die wir durch sie, als vielmehr aus den Nachteilen, die wir durch ihre Unkenntnis haben, abschätzen“. Den Nachteilen des Technischen Forschritts, deren „Wurzel aller Nachteile und allen Unglücks der Krieg sei, da „aus ihm […] Mord, Verwüstung und Mangel an allen Dingen“ entspränge, könnte durch „die wahren Gesetze des bürgerlichen Lebens“, deren Erkenntnis die Moralphilosophie sei, vorschub geleistet werden. Da diesen einschlägigen Philosophen jedoch „genaue und feste Angaben der Grundsätze“ jener Philosophie fehlten, sei es bis zu deren Ergründung „unnütz, in Einzelfällen zu gebieten und verbieten“.

8 – Aus dem im zweiten Abschnitt definierten Philosophiebegriff leitete Hobbes ab: „Der Gegenstand oder die Materie der Philosophie, die sie behandelt, ist jeglicher Körper, dessen Erzeugung wir begrifflich erfassen und den wir mit Rücksicht hierauf mit andern Körpern vergleichen können; oder auch, bei dem Zusammensetzung und Auflösung statt hat; d.h. jeder Körper, von dessen Erzeugung und Eigenschaften wir Kenntnis haben.“
Wozu die Philosophie also nichts sagen könne seien „Attribute[] Gottes, des Ewigen, Unerschaffenen, nicht zu Erfassenden, in welchem nichts zusammengesetzt, nichts geteilt und nichts von Entstehung erkannt werden kann“, schließe „all[] jene[] Dinge[] aus, die man weder für Körper noch für Affektionen von Körpern hält; weil es auch bei ihnen keine Zusammensetzung oder Teilung, ebensowenig wie ein Mehr so ein Weniger, d.h. wissenschaftliche Berechnung gibt“, „schließt weiter die Geschichte sowohl der Natur als auch der Politik aus“, da sie sich „nicht auf wissenschaftliche Berechnung […] gründet“ sowie „ferner jegliches Wissen […], das aus göttlicher Eingebung oder Offenbarung stammt“. „Sie schließt ferner nicht nur jede falsche, sondern auch jede nicht gut begründete Lehre aus; denn was durch richtiges Schließen erkannt ist, kann weder falsch noch zweifelhaft sein; daher scheiden auch die Astrologie, wie sie heutzutage im Schwange ist, und ähnliche prophetische Künste aus.“

9 – Für Hobbes war klar: „Die Philosophie zerfällt in zwei Hauptteile[,] […] in „die Natur- und die Staatsphilosophie“. mit jeweils zwei „zwei Abteilungen“. Die Naturphilosophie umfasse „die Dinge, die, weil Werk der Natur selbst, als natürlich bezeichnet werden; die andere die Dinge, die durch menschlichen Willen, durch Abkommen und Verträge der Menschen zustande gekommen sind“ sei Aufgabe der Staatsphilosophie, gegliedert in die, „die von den Anlagen und den Sitten handelt, als Ethik, die andere, die auf Erkenntnis der bürgerlichen Pflichten geht, als Politik oder einfach als Philosophie vom Staate“.

10 – Das Kapitel abschließend schrieb Hobbes; „daß ich hier nur die Grundlagen derjenigen Wissenschaft darbieten werde, welche aus den erzeugenden Ursachen die Wirkungen oder umgekehrt aus den erkannten Wirkungen die erzeugenden Ursachen eines Dinges erforschen will. Darum mögen diejenigen, die nach anderer Philosophie verlangen, sich mahnen lassen, sie anderswoher zu holen.“

Was heißt das für Oksimo?

Vieles hier dargestellte scheint erst mal nichts mit Oksimo zu tun zu haben. Jedoch trügt der Schein. Mithilfe Oksimos, wie auch mithilfe eines modernen Staats, kooperieren Menschen. In beiden Fällen ist die philosophische Methode des rationalen schließens erforderlich. In der historischen Entwicklung war es das rationale Schließen, welches Menschen überhaupt ermöglichte, gültige Verträge (Wenn-Dann) zu verfassen und einzuhalten (oder auch zu bewusst zu brechen). Diese Methode passt fast deckungsgleich auf die Funktionsweise Oksimos:
Es werden Zustände beschrieben (‚Körper generiert‘) und dann aufgrund von ‚Eigenschaften‘ (‚Gerd ist hungrig‘-> ‚hunger‘ -> Gerd geht zur Kantine‘) Zustandsabfolgen generiert, die hinzukommen oder abgezogen werden können. Die Methode Oksimo ist das, was die Philosoph:innen bisher nur durch hartes und aufwändiges Training erreichten: stringentes Folgern.
Oksimo ermöglicht nun, dass nicht nur Zahlen oder Variablen Bestandteil mathematischer Operationen sein können, sondern auch Aussagesätze (‚Gerd ist hungrig‘, ‚Philipp ist hungrig‘, ‚Athene ist hungrig‘ -> ‚hunger‘-> ‚Gerd, Philipp, Athene gehen zur Kantine‘). Oksimo ermöglicht es nun also, komplexe gedankliche Zusammenhänge wie Nachhaltigkeit, Klimakatastrophe oder soziale Ungleichheit wie mathematische Probleme zu behandeln.

Quellen
1 https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Hobbes
2 http://www.zeno.org/Philosophie/M/Hobbes,+Thomas/Grundz%C3%BCge+der+Philosophie/Lehre+vom+K%C3%B6rper/1.+Teil.+Logik/1.+Von+der+Philosophie

Nachhaltige Angewandte Empirische Theorien [NAET]. Grundlagen (Übersetzung)

eJournal: uffmm.org
ISSN 2567-6458, 14.April 2022 – 14.April 2022 (Stand der Übersetzung: 18.April 2022)
Email: info@uffmm.org
Author Writing: Gerd Doeben-Henisch (Übersetzer: Philipp Westermeier)
Authors in Discourse: Gerd Doeben-Henisch & Philipp Westermeier
Email: gerd@doeben-henisch.de

— In Bearbeitung !! — (Stand 18. April 2022)

BLOG-KONTEXT

Dieser Post ist eine Übersetzung des Blogeintrags Sustainable Applied Empiric Theories in der Rubrik Philosophy of Science des uffmm blogs von Gerd Doeben-Henisch, übersetzt durch Philipp Westermeier.

Vorwort

In vorangegangenen Blogeinträgen über das Konzept der Empirischen Theorie [ET], insbesondere im Kontext von Karl Popper (z.B. Popper und die Empirische Theorie. Ein konzeptionelles Experiment) wurde untersucht, ob und wie diese Konzepte mit der Idee eines Entwicklungsprozesses zusammengeführt werden können (z.B. Eine Empirische Theorie als Entwicklungsprozess). Ein weiterer Aspekt ist die Idee der „nachhaltigen Entwicklung“, wie sie durch den sogenannten Brundtland-Bericht [1] im Jahr 1987 geprägt wurde, der die Grundlage für die Rio-Konferenz „Earth Summit“ der Vereinten Nationen im Jahr 1992 bildete [2], die nach mehreren weiteren UN-Konferenzen bis 2015 mit der „Agenda 2030“ endete, die 17 „Sustainable Development Goals“ (SDGs) propagiert. [3]

‚Nachhaltigkeit‘ hängt von der Fähigkeit ab, ‚qualifizierte Abschätzungen über mögliche zukünftige Zustände‘ treffen zu können. Dies wiederum setzt qualifiziertes Wissen über die ‚Vergangenheit‘ und die ‚Gegenwart‘ voraus. Insbesondere sollte dieses Wissen jene Arten von ‚elaborierten Veränderungen‘ im Ablauf von Ereignissen enthalten, die als ‚Muster möglicher Veränderungen‘ interpretiert und genutzt werden können und von einer beobachteten Situation zu einer weiteren beobachtbaren Situation führen. Von hier aus vermittelt der folgende Text einige weitere Ideen.

NAET Grundlagen

Diese Abbildung zeigt drei verschiedene Ebenen bei der Konstruktion einer angewandten empirischen Theorie: (i) Auf einer ‚Metaebene‘ kommunizieren einige natürlichen Experten, beobachten Teile der empirischen Umwelt und versuchen, diese Ideen mit einigen symbolischen Ausdrücken einer gemeinsamen natürlichen Sprache zu beschreiben. (ii) Der Inhalt dieser Aktivitäten auf der Metaebene erzeugt drei Arten von Texten auf der ‚Objektebene‘: (a) Ein Text beschreibt die aktuell beobachtbare Situation mit dessen interessanten Eigenschaften; (b) ein anderer Text beschreibt die Anforderungen an eine gewünschte Situation in der Beschreibung eines zukünftigen Zustands; (c) ein weiterer Text beschreibt eine Sammlung von ‚Veränderungsregeln‘ möglicher Aktionen, von denen angenommen wird, dass sie eine gegebene Situation in eine neue Situation umwandeln können. (iii) Auf einer dritten Ebene, der ‚philosophischen Ebene‘, kann man Fragen zu den ‚Bedingungen‘ aller auf der Metaebene verwendeten Elemente stellen.

NAET Dynamische Räume

In dieser Abbildung wird in einen Prozess ‚hineingezoomt‘, der durch eine Objektebene einer NAET beschrieben wird. Der ‚gegebene Zustand‘ einer konkreten NAET beschreibt einen Teil der empirischen Umwelt, die als solche eine gewisse ‚Dynamik‘ aufweist, zusätzlich können auch einzelne Akteure als Teile der Umwelt beschreiben werden. Jeder Akteur hat seine eigene Dynamik und kann, isoliert betrachtet, durch seine Handlungen eine Menge von Zuständen erzeugen. ‚Potenziell‘ fast nicht-abzählbar viele mögliche Folgerungen sind möglich. Somit ist jeder Akteur mit einem ‚Raum möglicher Folgerungen‘ verbunden, welcher ‚potentieller individueller Realisierungsraum‘ [PIR] genannt wird. In der Realität muss jeder Akteur ständig ‚entscheiden‘, welche konkrete Fortsetzung aus den vielen möglichen Fortsetzungen ausgewählt werden soll. So wird der große Raum in einen einzigen Prozess umgewandelt, der nur einen Pfad im PIR darstellt. Fragt man nach den ‚Faktoren‘, die den Auswahlprozess beeinflussen, so kann man viele Arten von Faktoren feststellen. Neben den internen Faktoren gibt es die ‚Umwelt als solche‘: Kein Wasser zum Trinken; kein Essen zum Essen; tödliche Kriminelle um dich herum … das würde jedes Kind daran hindern, die Optionen zu wählen, die hilfreich wären. Im Bereich der ‚internen Zustände‘ gibt es ein gewisses Maß an ‚Erfahrung‘, das bestimmte Arten von ‚Wissen‘ ermöglicht, die der Bezugspunkt für mögliche Entscheidungen sind. Wenn diese Erfahrung zu gering ist, wenn das Wissen falsch ist, besteht keine Chance, eine gute Auswahl zu treffen. Und vieles mehr…

NAET Multiple Theorien

Diese Abbildung zeigt wieder die Metaebene. In der Regel wird mehr als eine Theorie verfasst. Meistens befassen sich diese Theorien mit verschiedenen Aspekten der empirischen Realität. Da die Realität als solche ‚eine‘ ist, wäre es hilfreich, ‚alle verschiedenen speziellen Ansichten zu vereinheitlichen‘. In einer NEAT-ähnlichen Theorie, wie sie hier beschrieben wird, ist dies recht einfach: man muss nur jede Art von Text als die ‚gegebene Situation‘, die ‚gewünschte Situation‘ sowie die ‚Veränderungsregeln‘ vereinheitlichen, um eine neue ‚einheitliche‘ Theorie zu erhalten.

Kommentare

[1] Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, https://sustainabledevelopment.un.org/content/documents/5987our-common-future.pdf, Zugriff: 10/04/2022

[2] Bericht der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung, https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N92/836/55/PDF/N9283655.pdf, Zugriff am: 10/04/2022

[3] Vereinte Nationen, https://sdgs.un.org/goals, Zugriff am 10/04/2022

Ausgangslage: Oksimo – Soziologie

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
31.Jan.2022 – 14.Feb. 2022
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Wissensbaum

Auf dieser Seite wird das Intro zu Soziologie und Oksimoparadigma gestartet.
Der übergeordnete Themenknoten Kollektive Mensch:Maschine Intelligenz [KM:MI] hat seinen Wurzelknoten im oksimo.org Blog.

Positionierung

Um eine (soziologische) Analyse durchzuführen, müssen erstmal einige theoretische Rahmen gesteckt werden. Dieser Text ist stark durch philosophischen Strömungen des Materialismus, Funktionalismus, des radikalen Konstruktivismus, der Phänomenologie und der (kybernetischen) Systemtheorie beeinflusst. Weil ich davon ausgehe, dass „alles“ konstruiert ist, weil „alles“ in diesem Text sprachlich gefasst wird, beginne ich an den radikalen Anfängen unseres eigenen Erkennens; dem Messen und Ordnen.

Zuerst wird der Begriff der Welt geklärt, anschließend mit funktionalen Systematisierungen zu Informationstransfer weiterentwickelt. An anderer Stelle dieses Blogs geht es um die Bedingungen der Hervorbringung von Bedeutung. Hier geht es um das Grundgerüst meines kognitiven Modells, welches ich auf mein Themengebiet „Oksimo und Soziologie“ anwenden möchte.

Vorwort zur Ordnung

Jedes Wort dieses Artikels ist das Ergebnis und die Methode von Konstruktionen. Die Aussagen, die in diesem Text stehen, sind Konstruktionen. Es kann in diesem sowie in jedem anderen Text keine Aussage über etwas anderes als Konstruktionen getroffen werden. Dies gilt für jede (soziologische) Theorie. Die Konstruktionen, die in diesem Text beschrieben werden, sind von der momentanen körperlichen Verfassung und der Konstruktionsfähigkeit des Autors abhängig. Werkzeugeigenschaften des Texts, des wissenschaftlichen Theorierahmens sowie des raum-zeitlichen Umweltkontexts, in dem der konstruierende Körper existiert, abhängig.

Ich gehe im allgemeinen von 4 Welten aus, der nicht-beschreibbaren Welt außerhalb von mir, von der ich nur 2(+1) Sachen mit Gewissheit weiß: Ich bin in dieser Welt und diese Welt ist so beschaffen, dass ich sie ordnen kann. Dass es mehr als ein Ordnungssystem gibt kann mir zwar sagen, dass ich nicht alleine ordne, dass es, da es andere Ordnungssysteme gibt, auch andere wie mich gibt, jedoch ist das kein notwendiger Schluss. Denn mein Ordnungssystem vergisst auch Dinge. Auch wenn ich ein Ordnungssystem vergesse, bleibt, solange ich lebe mindestens etwas, das wahrnimmt, ordnet, sich adaptiert. Ich bin, daher denke ich. Diese Aussagen, das was ich jetzt tue, ist mir nur dadurch möglich, dass ich die Verarbeitung der „Welt da draußen“ in einer bestimmten, hochgradig professionalisierten, kulturell vermittelten Art und Weise darstelle, re≤∞-rekonstruiere und in Symboik codiere.

Die Idee der Welten

Um meiner Sprache eine gedankliche Form, eine Richtung und eine Bedeutung zu geben, brauche ich System der Informationsstrukturierung. Ich entscheide mich für den Begriff Welt. Eine Welt ist eine Struktur zur Datenspeicherung und Datenspeicherung von Mess- und Ordnungsdaten. Ich beziehe mich in diesem Text auf die inneren und äußeren Welten des Homo Sapiens. Neben den eben erwähnten Eigenschaften einer Welt kommen weitere hinzu. Eine Welt hat ein der Welt typisches Messverfahren zur Datenerhebung und -strukturierung. So kann eine Welt Daten aus einer anderen erheben, aber nur durch das nachträgliche Ein-Ordnen in das eigene Ordnungssystem auswerten. Keine Welt kann in eine andere Welt blicken.

Abgesehen von Welt 0, die „reale Welt da draußen“ kann ich über jede Welt sprachliche Aussagen treffen. Ich kann zwar Welt 0 sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen, erkennen, … , jedoch nicht benennen, was ich nur mit dem Wiederhall dieser Welt tun kann. Und aus dem Wiederhall werden zwei Welten, zwei dynamische Ordnungsstrukturen. Diese sind durch eine dritte Welt abstrahierbar und durch eine vierte Welt symbolisierbar.

Die Grundlage dieser Konzeption haben Gerd Doeben-Henisch und ich bei unserem Meeting am 08.02.22 im INM erarbeitet. Meinen Vorschlag, als grundlegende Theoriebildungsmethodik ein „Weltenmodell“ zu entwickeln, traf bei ihm einen Nerv. Zusammen haben wir über ein intrapsychisches, dynamisches, nicht-lineares Akteursmodell debattiert, in welchem billiarden parallele Datenverarbeitungsprozesse in diesen 4 Welten stattfinden. Messprozesse (Datengenerierung) und Markierungsprozesse (Datenverwaltung) erzeugen schließlich außerhalb der Welten „Spuren“, auf die sich diese Welten berufen können. Spuren sind einerseits Optimierungsverfahren des Datentransfers zwischen den Welten wie auch Hemmnisse bei notwendiger Neuanpassung. Spuren hemmen die kognitive Flexibilität aber beschleunigen und optimieren die Datenverarbeitungsprozesse eines Akteurs (Hier: Homo Sapiens).

  1. Die Welt auf die der Körper reagiert.
    Messung 1
  2. Die Welt, in dem der Wiederhall der ersten Welt aufgenommen und vorsortiert wird (Erste Folgerungen werden abgeleitet).
    a. Spuren zwischen 1 und Messung 2, die dem Körper als Markierungen dazu dienen, effizienter auf oft wiederkehrende Folgerungen zu reagieren.
    Messung 2
  3. Die Welt, die auf den Wiederhall mit einem Wiederhall reagiert (Reflexionen der Aussagen und dessen Bedingungen werden abgeleitet).
    Messung 3
  4. Die Welt, in welcher ein Wiederhall zu einer Abstraktion wird. (Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden geordnet und u.a. in verallgemeinerte Regelmäßigkeiten übersetzt).
    b. Spuren zwischen 3 und Messung 4, die zu Erinnerungen und Identität werden, Überzeugungen über Aussagen der Welten, die bei nicht zu starker Abweichung der erhobenen Daten keinen Überprüfungsprozess benötigen.
    Messung 4
  5. Die Welt, in der die Abstraktion zum Symbol wird (Die Codierung und das Framing der Abstraktionen, Synthese aus Welt 1-3 sowie reziprok gekoppelt sein an diese).
    

Die meisten dieser informativen Teilbereiche I-III kann der Homo Sapiens sprachlich eindeutig abstrahieren. Wobei die Qualität und Diversität der sprachlichen Abstraktion von dem schon Vorhandenen abhängt. Jede Aussage, die ein Homo Sapiens sprachlich tätigen kann, hat also folgende Anteile:


I. Prozessiver Informationsanteil
Aussagen über Objekte und Relationen
II. Reflexiv prozessiver Informationsanteil
Reflexive Aussagen über Objekte und Relationen
III. Semantischer Informationsanteil
Implizite oder explizite Aussagen über die Bedeutung einer Information
III. Virtueller Informationsanteil
Aussagen über bzw. angewendet als Abstraktionen sowie deren Repräsentationen

Mit anderen Worten: Mithilfe dieser Informationsanteile kann der Homo Sapiens Aussagen über die Verfasstheit seines genetischen Codes in Wechselwirkung zu seiner Umwelt eindeutig vornehmen. Die Exaktheit der Aussagen hängt unter anderem vom Vokabular und der Anwendungssituation(en) ab. Der virtuelle Informationsanteil ist das alleinige Charakteristikum der Sprache des Homo Sapiens.

Soziologie und Oksimoparadigma

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WISSENSBAUM

Auf dieser Seite wird der Themenknoten Kollektive Mensch:Maschine Intelligenz [KM:MI] aus der Sicht der Soziologie gestartet. Wurzelknoten ist der oksimo.org Blog.

Themen

In diesem Bereich werden wichtige Aspekte des Oksimo-Paradigmas anhand soziologischer Theorien analysiert.

  1. Ausgangslage: Oksimo – Soziologie (Stand: 31. Januar 2022)
  2. (Oksimo-)Infrastruktur (In Bearbeitung)

Soziales Milieu

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
03. August 2021 – 03. August 2021
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Autor:
Philipp Westermeier (philipp@oksimo.org)

Kontext

Dieser Blogeintrag bildet einige wichtige Hintergrundinformationen zu Das Oksimo Paradgima und Desintegrationsprozesse ab. Er dient dazu, eine soziologische Begriffsübersicht im Oksimo-Blog herzustellen.

Stefan Hradil

Ein soziales Milieu wird als „eine sozialstrukturelle Gruppe gleichgesinnter Menschen [beschrieben], die ähnliche Werthaltungen, Lebensführungen, Beziehungen zu Mitmenschen und Mentalitäten aufweisen. Die Mitglieder eines sozialen Milieus haben oft ein gemeinsames (materielles, kulturelles, soziales) Umfeld. Sie sehen, interpretieren und gestalten es in ähnlicher Weise. Kleinere Milieus (z. B. Organisations-, Stadtviertel- oder Berufsmilieus) haben durch ein gewisses Wir-Gefühl und verstärkte Binnenkontakte einen engeren Zusammenhalt als größere“(S. 319).
In Abgrenzung zum „vor allem auf äußerlich beobachtbare Verhaltensroutinen“ bezogenen Begriff des Lebensstils, bezeichnet der Milieubegriff „psychologisch ‚tief‘ verankerte und vergleichsweise beständige Werthaltungen und Grundeinstellungen von Menschen“.
Anders als die Annahme, „dass Selbstdefinition, Denken und Verhalten“ von „Klassen- und Schichtzugehörigkeit geprägt sind“, denkt der Milieu-Begriff das „alltägliche Handeln der Menschen immer weniger vom Ressourcenbesitz als von Ressourcenverwendung geprägt“.
Die in den 1980er Jahren von „Praktikern aus Schule, Marketing und Politik“ angestoßenen Perspektivwechsel konstatieren, dass die Milieuzugehörigkeit weder determiniert, noch frei wählbar sei und „bis zu einem gewissen Grade eine Frage des Alters, des Geburtszeitraums (Kohorte), der Lebensform (Haushaltszusammensetzung, Kinderzahl), der Lebensphase, des Geschlechts und der Bildung“ sei (vgl. ebd.).
Neben diesen eher strukturellen, äußeren Umgebungsfaktoren wirkten weiterhin „ökonomische und berufliche Faktoren“. Gegenüber dem Lebensstil sei die Milieuzugehörigkeit schwieriger zu wechseln, aber in Krisen oder dem knüpfen neuer Kontakte möglich. „Soziale Milieus sind als vieldimensionale, ganzheitliche Phänomene“ zu verstehen und „lassen sich überwiegend bestimmten sozialen Schichten zuordnen. Jede soziale Schicht besteht jedoch aus mehreren sozialen Mileus“ (S. 319).

Ein weiterer Aspekt bzgl. sozialer Milieus ist ihr „historisch gewachsen“ sein. „Sie sind in vielen kulturellen Produkten verankert“, gleichzeitig „als Teilkulturen von Gesellschaften in Sozialisationsprozessen“ verstanden. Allgemein „historisch stabil“, wandelt sich jedoch eine Milieustruktur in „Gesellschaften langsam, u. a. wegen der Veränderung von Lebensbedingungen und sozialer Lagen“. Aktuell scheint es, dass „Traditionelle Milieus schrumpfen“, denn .“sie weisen Werthaltungen auf, die ein Leben in Gemeinschaft und das Befolgen verpflichtender Normen obenan stellen“, was bei Heitmeyer / Imbusch als „Werteverfall“ beschrieben wird. ‚Moderne’/’post-Moderne‘, ein „individualisiertes und selbstbezügliches Leben“ betonende Milieus dagegen wachsen, welche sich langfristig zu pluralisieren scheinen (vgl. S. 322). „Milieutypologien gelten in diesem Zusammenhang als wichtige Ergänzungen zu Schicht- bzw. Klassenmodellen“ (ebd.).

Weiterführende Literatur

Beck, U. (1986). Risikogesellschaft, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
P. Bourdieu, P. (1982). Die feinen Unterschiede, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Hradil, S. (1987). Sozialstrukturanalyse in einer fortgeschrittenen Gesellschaft, Opladen: Leske+Budrich.
Hradil, S. (1992). Alte Begriffe und neue Strukturen. Die Milieu-, Subkultur- und Lebensstilforschung der 80er Jahre. In: S. Hradil (Hg.): Zwischen Bewußtsein und Sein. Die Vermittlung „objektiver“ Lebensbedingungen und „subjektiver“ Lebensweisen, Opladen: Leske+Budrich (S. 15-56).
Müller, H. P. (2013). Werte, Milieus und Lebensstile. Zum Kulturwandel unserer Gesellschaft. In: S. Hradil (Hg.): Deutsche Verhältnisse. Eine Sozialkunde, Frankfurt: Campus (S. 185-207).
Otte, G. (2004). Sozialstrukturanalysen mit Lebensstilen. Eine Studie zur theoretischen und methodischen Neuorientierung der Lebensstilforschung, Wiesbaden: VS Verlag.
Schulze, G. (1992). Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt a. M.: Campus.
[Sinus-Institut: https://www.sinus-institut.de/sinus-milieus/sinus-milieus-deutschland.]
Vester, M., Oerzten, P. v., Geilling, H., Herrmann, T. & Müller, D. (2001): Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und Ausgrenzung, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Vögele, W., Bremer, H. & Vester, M. (Hg.) (2002): Soziale Milieus und Kirche, Würzburg: Ergon.

Literatur

Hradil, Stefan (2018): Milieu, soziales, in: Kopp, Johannes/ Steinbach, Anja (Hrsg.): Grundbegriffe der Soziologie, Wiesbaden, S. 319-322.

Soziale Schichten

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
03. August 2021 – 03. August 2021
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Autor:
Philipp Westermeier (philipp@oksimo.org)

Kontext

Dieser Blogeintrag bildet einige wichtige Hintergrundinformationen zu Das Oksimo Paradgima und Desintegrationsprozesse ab. Er dient dazu, eine soziologische Begriffsübersicht im Oksimo-Blog herzustellen.

Reinhard Pollak

Zwar fehle dem Begriff der Schicht eine „allgemein anerkannte Definition“, Reinhard Pollak jedoch beschreibt eine soziale Schicht als vertikal angeordnete „Gruppe[n] innerhalb einer Gesellschaft, deren Mitglieder jeweils bestimmte Schicht konstituierende Merkmale (oder eine Kombination davon) gemeinsam haben“. Der Begriff soziale Klasse sei „im weiteren Sinne konzeptionell“ mit dem Begriff der sozialen Klasse abgedeckt, wobei sich beide Begriffe an „sozio-ökonomischen Gegebenheiten“ orientieren, Schicht jedoch „insbesondere an Merkmalen des Berufs […] und der Bildung“ (vgl. S. 393).
Als „Gegenmodell zu einer Klasseneinteilung“ ist das Ziel des Schichtbegriffs, „ein möglichst akkurates deskriptives Bild einer (vertikal) organisierten) Gesellschaft [zu] ermöglichen“, wobei „potenzielle Erklärungen für die beschriebenen Ungleichheiten“ nicht vorkämen. Soziale Schichten „per se auch keine Interessengemeinschaft“ obwohl sie durch „gleiche Lebenslagen“ gekenzeichnet werden, aus welchen sich keine „Schichtkonflikte“ zwingend ergeben müssen. Schichtgrenzen seien durch die Feststellung „hoher Werte in einer Schichtdimension“ wie Einkommen oder Bildung ziehbar (vgl. ebd.).

Historische Bedeutung(en)

Der Schichtbegriff, als „Abgrenzung von den marxistischen Klassenansätzen bzw. Klassenanalysen“ (S. 343), ist seit Mitte des letzten Jahrhunderts ein wichtiger, soziologischer Grundbegriff. Dieser habe eine „geringe theoretische Fundierung“, welche durch die Komination eines „oft nur deskriptiven Charakters“ Ralf Dahrendorf, einen Schichttheoretiker, dazu bringt, ihm in der Soziologie eine „relativ untergeordnete Bedeutung gegenüber […] der sozialen Klasse“ einzuräumen. Theodor Geiger unterschied „insgesamt fünft ‚Hauptmassen‘, auch wenn das Leben sich in ‚tausend Zwischenformen‘ verspiel[e]“. Diese seien „die kapitalistische Schicht, der ‚alte Mittelstand‘, Tagewerker für eigene Rechnung, Lohn- und Gehaltsbezieher höherer Qualifikation sowie Lohn- und Gehaltsbezieher niedrigerer Qualifikation“. Es gibt in diesem Kontext weiterhin die „These der ’nivellierten Mittelstandsgesellschaft‘, welche „relativ einheitliche Lebensverähltnisse beschreibt und keine nennenswerten Klassen- und Schichtunterschiede mehr feststellen kann“, wobei diese „empirisch nicht haltbar“ war und bspw. durch die feinere „Bolt’sche Zwiebel“ abgelöst wurde. Ralf Dahrendorf beschreibt 1966 „die unterschiedlichen Mentalitäten“ als Ordnungsprinzip einer Bevölkerung, welche durch Geißler 2011 aktualisiert wurde.
Die Schichtungsmodelle seien Beschreibungen, deren „Kriterien für die jeweiligen Schichtzuordnungen“ von den Beschreibenden selbst kommen, wobei „heutzutage“ empirisch „subjektive Selbstzuordnungen“ verbreiteter seien (vgl. ebd).
Dies sei weiterhin interessanter, da es „ganz offensichtlich“ ein „weitverbreitetes Verständnis für gesellschaftliche Hierarchieordnungen“ in einer Bevölkerung gäbe, in welche sich „Menschen trotz unklarer Schichtränder einordnen können“ (S. 394f).
Das Problem der Selbstzuordnung in Schichtmodelle: Es ist unklar, inwieweit die Selbstzuordnung in eine Schicht bzgl. empirischer Größen wie Bildung oder Lebensstil von ebendieser abhängt und lässt die Gefahr von Zirkelschlüssen bestehen, was ihren Deskriptiven Charakter zwar bewahrt, ihren „analytischen Nutzen […] jedoch begrenzt“. (vgl. S. 395).

Weiterführende Literatur

Bolte, K. M., Kappe, D. & Neidhardt. F. (1967). Soziale Schichtung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Bolte, K. M. (Hg.). Deutsche Gesellschaft im Wandel (S. 233-351). Opladen: Leske.
Dahrendorf, R. (1966). Gesellschaft und Demokratie in Deutschland. München: Piper.
Dahrendorf, R. (2009) (zuerst 1968). Gibt es noch Klassen? Die Begriffe der sozialen Schicht und sozialen Klasse in der Sozialanalyse der Gegenwart, in H. Solga, J. Powell, & P. A. Berger (Hg.), Soziale Ungleichheit. Klassische Texte zur Sozialstrukturanalyse (S. 207-219). Frankfurt a. M.: Campus.
Geiger, Theodor (1987) (zuerst 1932): Die soziale Schichtung des deutschen Volkes. Stuttgart: Enke.
Geißler, R. (2011). Die Sozialstruktur Deutschlands. Zur gesellschaftlichen Entwicklung mit einer Bilanz zur Vereinigung. 6. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag.
Schelsky, H. (1965) (zuerst 1953). Auf der Suche nach Wirklichkeit. Düsseldorf: Diederichs

Literatur

Pollak, Reinhard (2018): Schicht, soziale, in: Kopp, Johannes/ Steinbach, Anja (Hrsg.): Grundbegriffe der Soziologie, Wiesbaden, S. 393-395.