UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
8.Aug 2021 – 6.Januar 2022
URL: oksimo.org
Email: info@oksimo.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@oksimo.org)
KONTEXT
Dieser Text ist Teil des BEGRIFFLICHEN RAHMENS ZUM OKSIMO PARADIGMA innerhalb des oksimo.org Blogs.
IDEE
Wie im Abschnitt DER OKSIMO WISSENSRAUM ALS DYNAMISCHER GRAPH auf der Startseite oksimo.org beschrieben wird, soll das zum oksimo Paradigma gehörige Wissen in Form eines dynamischen Wissensgraphen aufgebaut werden: Man startet mit möglichst wenig Einstiegspunkten (‚Wurzelknoten‘), und führt von diesen schrittweise in die zugehörigen nachgeordneten begrifflichen Räume. Natürlich kann es zu Querverweisen oder auch Rückverweisen kommen. Die minimale Logik eines solchen Wissensgraphen besteht darin, dass es keinen Wissensknoten ‚einfach so‘ geben darf: jeder Wissensknoten bedarf eines Vorgängers (ausgenommen die Wurzelknoten), und jeder Wissensknoten im Graphen erbt das ‚Wissen seiner Vorgänge‘, seinen ‚Kontext‘.
Im Fall des Themenknotens Demokratie ist der zugehörige Wissensraum aus heutiger Sicht (= 2021) ziemlich groß. In der zeitlichen Dimension kann man mindestens bis ins klassische Griechenland zurück schauen, also ca. 2500, oder weiter. Ein Blick auf konkrete Beispiele von Systemen, die mehr oder weniger dem ‚Ideal‘ einer Demokratie nahe kommen, wird viele Beispiele finden. In der begrifflichen Dimension, die sich über die verschiedenen konkreten Systeme aufspannen lässt, findet sich eine große Palette von Sichtweisen, die sich aus verschiedenen kulturellen Kontexten wie auch unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen herleiten: Staatsrechtler, Soziologen, Kulturanthropologen, Politikwissenschaftler, Historiker, …. wer Halt in den Verfassungstexten sucht, der wird im Prozess der Interpretation angesichts dieser großen Vielfalt an Meinungen schnell zum Stillstand kommen: Was ist es denn nun, was eine ‚Demokratie‘ auszeichnet?
Hier, im oksimo.org Blog geht es zudem nicht um die alles umfassende Theorie, sondern um die Frage, ob und wie das oksimo Paradigma einen Beitrag dazu leisten kann, dass das, was ‚Demokratie‘ genannt wird, konstruktiv unterstützt wird. Also, wir wollen uns nicht unbedingt mit dem ‚ganz Großen und Ganzen‘ beschäftigen, andererseits brauchen wir eine begriffliche Fassung, die von den meisten als das akzeptiert wird, was ‚wir‘ (= wer genau? Die Welt? Europa? Deutschland? Wer in Deutschland? …) unter ‚Demokratie‘ verstehen wollen.
Um die Diskussion im Beginnen ‚anfassbar‘ zu machen, soll der Phänomenbereich auf Deutschland und die aktuelle Deutsche Verfassung eingegrenzt werden. Möglicherweise ist diese nicht ideal, aber das ist die, die wir zur Zeit haben, und ob sie ideal oder nicht ideal ist, kann man nur sagen, wenn man sowohl die aktuelle Verfassung kennt als auch mögliche Alternativen, die man dann vergleichend abwägen kann.
Im Folgenden sollen in loser Folge Themen, Problemstellungen, Sichten genannt werden, die alle irgendwie mit dem Konzept und der Idee von Deutschland als Demokratie zu tun haben, anhand deren man versuchen kann, schrittweise eine gemeinsame Meinung zu entwickeln.
OFFENE THEMENLISTE [1]
- ‚Gehacktes Parlament‘: Ein Parlament gilt als gehackt [2], wenn die gewählten Abgeordneten ihre Autonomie dazu benutzen, die Interessen vorwiegend — oder ausschließlich — in den Dienst von ganz von speziellen Interessengruppen zu stellen, gegen die Interessen der Allgemeinheit und gegen den Geist einer nachhaltigen Politik.
- ‚Gehackte Finanzwirtschaft‘: die Finanzwirtschaft ist ursprünglich ein Teil der sogenannten ‚Realwirtschaft‘. Wenn sich eine Finanzwirtschaft regulativ immer mehr von der Realwirtschaft und einer demokratischen Kontrolle abgekoppelt hat, dann kann sie ganze Volkswirtschaften — oder gar die Weltwirtschaft — so massiv beeinflussen, dass die Realwirtschaft und die Politik eines Landes zum bloßen Spielball dieser Interessen werden.
- ‚Gehackte Infrastrukturen‘: Es gibt wichtige Strukturen, die dem Erhalt und dem Wohlergehen einer ganzen Gesellschaft dienen (Wasser, Energie, Wohnen, Landwirtschaft, Gesundheit, Verkehr, …). Wenn die Erhaltung und der Betrieb dieser Infrastrukturen von staatlichen Behörden an private Betreiber ohne wirkliche Qualitätskontrolle abgegeben werden, dann degenerieren diese Leistungen dauerhaft und können eine Gesellschaft von innen zerstören.
- ‚Erstarrtes Bildungssystem‘: in einer sich dynamisch verändernden Welt mit einer immer stärker ausdifferenzierten Wirtschaft und immer stärkeren Einwirkungen des Menschen auf das System Erde und sein Biom kommt dem Wissen in den Köpfen der Menschen eine strategische Schlüsselrolle zu: wenn eine Bevölkerung sich selbst, ihr eigenes System und ihre Umwelt nicht mehr hinreichend versteht, dann zerstört sich das System von selbst. Wenn die Kulturtechniken, die dazu beitragen sollen, dass ein hinreichend angemessenes Wissen in allen Köpfen verfügbar ist, für diese Aufgabe nicht mehr geeignet erscheinen, dann ist das Bildungssystem erstarrt und damit eine große Gefahr für eine nachhaltige Zukunft.
- ‚Erstarrte Verwaltungen‘: Verwaltungen sind dazu da, dass das politische System seine politischen Zielvorgaben in einer komplexen Gesellschaft so umsetzen kann, dass die Ziele optimal zur Wirkung kommen. Wenn Verwaltungen aufgrund ihrer ‚Beschaffenheit‘ dazu wenig oder gar immer weniger in der Lage sind, dann bedrohen sie direkt den Fortbestand der Gesellschaft.
- ‚Entfremdete Macht‘: Für alle gesellschaftliche Prozesse in einer ‚Demokratie ist es wichtig, dass die gemeinsam vereinbarten Ziele angemessen verwirklicht werden (dazu gehören auch Auffassungen von Menschenrechten, die hinreichend gewahrt sein sollen). Dazu bedarf es einer demokratisch legitimierte Macht. Wenn eine Macht nicht demokratisch legitimiert ist — entweder weil das demokratische System in sich gestört ist oder weil sie direkt von speziellen Interessengruppen gespeist wird — es meintendann können allgemeine und nachhaltige Ziele sehr schnell überlagert werden von speziellen Zielen, die nur einigen Menschen dienen und/ oder die nicht besonders nachhaltig sind.
- ‚Zersplitterte Öffentlichkeit‘: Eine Demokratie benötigt für eine qualitativ gute Meinungsbildung eine funktionierende Öffentlichkeit, in der hinreichend viele tragfähige Meinungen und Erkenntnisse für prinzipiell alle in verständlicher Form verfügbar sind. Falls nicht, kann sich in einer Demokratie kein wirklich qualitativ guter Konsens ausbilden.
- ‚Herausfiltern von Qualität‘: In allen Bereichen der Gesellschaft, ganz speziell in der Politik, braucht es auf allen Ebenen Gremien, die Ziele zusammenführen und in nachhaltige Prozesse umformen. Damit solche Prozesse eine hinreichende Qualität besitzen, bedarf es hinreichend vieler Kompetenzen in solchen Gremien. Wenn solche Gremien tendenziell Kompetenzen ausklammern, Diversität klein halten, dann kann sich dies unmittelbar auch auf die Qualität auswirken; sie wird dann immer schlechter.
- ‚Der ausgesperrte Bürger‘: In der deutschen Demokratie hat die Verfassung das Instrument der politischen Parteien eingeführt, damit die Vielfalt der Erfahrungen und Meinungen der Bürger sich über politischen Parteien eine Stimme verschaffen kann, die dann in Gestalt von gewählten Abgeordneten in die Parlamente getragen werden. Wenn nun eine politische Partei sich aber nur als ‚Wahlverein‘ für Abgeordnete versteht, die dann als Gewählte ‚abgekoppelt von den Bürgern‘ ihre privaten Interessen verwirklichen, dann ist der Bürger real von dem politischen Geschehen ausgeschlossen. Es gibt keine weitere von der Verfassung unterstütze Möglichkeit, sich als Bürger substantiell Gehör zu verschaffen. Wenn man bedenkt, dass z.B. die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ca. 0,0008% der Erfahrungen vertreten, die in der Gesamtheit der Bürger verfügbar ist, dann ist die weitgehende Ausklammerung der Bürger rein Wissenstechnisch sehr fraglich; der ‚Geist einer Demokratie‘ verlangt möglicherweise radikal andere Konzepte.
- …
DISKURS -Fallweise
Es folgen hier in loser Folge Besprechungen von Artikeln, die das Thema im Sinne von oksimo beleuchten können. Das Format dieser Besprechungen kann eher ‚einfach‘ sein oder ’sehr anspruchsvoll’…
- Anmerkungen zu Wolfgang Schäuble „Das Prinzip der Repräsentation“ (Letzte Änderung 3.Juli 2021)
- Wie belastbar ist die Demokratie – Vorländer, FAZ, 9.Aug.2021, S.6 (Letzte Änderung: 12.Aug 2021; mit Herausarbeitung der speziellen oksimo Perspektive)
- OKSIMO PARADIGMA und DEMOKRATIE – Das V-dem Forschungsinstitut für Demokratie (Letzte Änderung: 28.August 2021)
- SUSTAINABLE DEMOCRACIES (Letzte Änderung: 23.Sept. 2021) /* In dem korrespondierenden Blog uffmm.org gibt es einen Beitrag vom 28.August 2021, der einen Zusammenhang skizziert zwischen der Idee von ’nachhaltigen Demokratien‘ (’sustainable democracies‘) und dem oksimo Paradigma. */
- BEDROHUNG VON DEMOKRATIEN DURCH MENTALEN VIRUS (Letzte Änderung: 14.Okt.2021)
ANMERKUNGEN
[1] Diese Liste enthält — noch nicht — Tatsachenbehauptungen, wie einzelne Leser zu verstehen meinten, sondern enthält Kurzbeschreibung von Phänomenen, die im Kontext von einer Demokratie wie Deutschland auftreten können. Falls sie auftreten, ist dies für die Demokratie mehr oder weniger schädlich. Allerdings kann der Autor dieses Textes sagen, dass er zu all diesen Phänomenen jeweils mindestens eine, meistens sogar mehrere, Dokumentationen gelesen hat, wodurch er überhaupt erst auf die Idee kam, diese Phänomene anzusprechen. Es wird Teil der weiteren Arbeit sein, diese Dokumentationen nach und nach einzuarbeiten. Zur Erinnerung: es geht hier nicht um Schwarzmalerei als solche oder ungute Stimmungsmache oder dergleichen sondern darum, dass sich Bürger aufgrund klarer Erkenntnisse von Fehlfunktionen in die Lage versetzen können, durch ihr Handeln den Fortbestand der Demokratie zu sichern bzw. die gemeinsame Demokratie dadurch vielleicht sogar zu verbessern. Ohne ausreichend gebildete und engagierte Bürger kann es keine Demokratie geben.
[2] Die Eigenschaft ‚gehackt‚ kommt ursprünglich aus dem Bereich der Computer-Software. Computer-Software besteht aus Unmengen von Befehlen, die mit Daten operieren können. Im Normalfall soll ein Computerprogramm ganz bestimmte Aufgaben erfüllen. Ein ‚Missbrauch‘ von Computerprogrammen kann in mehrfacher Form vorliegen:
- Der Einsatz eines Programms wird von anderen Personen mit beeinflusst, die dazu nicht vorgesehene sind; sie nutzen das Programm dann für ihre eigenen Zwecke. Solche Personen kann man allgemein als ‚Hacker‘ bezeichnen. Sie durchbrechen einen intendierten Verwendungszusammenhang.
- Hacker können such aber auch Zugang zum Programmcode selbst verschaffen und dort die Anordnung der Befehle und Daten abändern. Das kann dann bewirken, dass das Programm dann ‚äußerlich‘ noch so arbeitet, wie gedacht, aber im einzelnen Dinge bewirkt, die so nicht vorgesehene waren.
Wenn man Gesellschaft im allgemeinen und Kultur speziell als ein System von Regeln versteht, dann liegt es nahe, den Begriff des ‚Hackens‘ auch auf diese Regelsysteme zu übertragen. Einer, der dies ausgiebig gemacht hat, ist Bruce Schneier. Auf einer RSA Konferenz im Jahr 2020 hat er einen interessanten Vortrag gehalten zum Thema ‚Hacking Society‚. Anhand konkreter Beispiele zeigt er, wie man soziale (auch kulturelle) Systeme ‚hacken‘ kann. Ein prominentes Beispiel in seinem Vortrag ist das Finanzsystem, das von unterschiedlichen Gruppierungen ‚gehackt‘ wurde und damit seiner eigentlichen Bestimmung entfremdet wird. In diesem erweiterten Sinne wird der Begriff ‚gehackt‘ in der hier vorliegenden Verfassung benutzt.
[3] Bruce Schneier: https://www.schneier.com
[4] Bruce Schneier, 2020, RSA Konferenz, Hacking Society: https://www.youtube.com/watch?v=NVGtfVj_9Y0