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DEMOKRATIE – Beispiel einer VERÄNDERUNGSSTRATEGIE. Ein DEMOKRATIE-LABOR für eine KOMMUNE

Letzte Änderung: 18.Dez 2024

Autor: Gerd Doeben-Henisch

(An dieser Stelle Danke an Manfred Klimmeck für seine intensiven, kritischen und konstruktiven Kommentare seit Version 1)

Kontakt:datw@oksimo.org

KONTEXT

Dieser Text gehört zum Thema DEMOKRATIE. Es ist ferner geplant, diesen Teil 1 mit Teil 2 in das Buch D@W zu übernehmen. Siehe dort den Abschnitt „Demokratie@Work: Ein Realexperiment“.)

DEMOKRATIE und VERÄNDERUNGSSTRATEGIE

AUSGANGSLAGE – Wissen ist unumgänglich

Unter dem Obertitel ‚Demokratie‘ geht es zunächst mal um die begriffliche Klärung, was in diesem Text unter ‚Demokratie‘ verstanden wird. Sobald durch diese Klärung hinreichende Klarheit entstanden ist, kann sich angesichts einer realen Situation die Aufgabe stellen, das eine oder andere zu verändern.

In vorausgehenden Überlegungen wie z.B. jene vom 5.Juni 2023 DEMOKRATIE ALS ‚ZWEIGETEILTES EINS‘. SKIZZE und vom 16.April 2024 DEMOKRATIE ALS ‚ZWEIGETEILTES EINS‘.  ERGÄNZUNG: WOLKE DES WISSENS wurden einige Grundelemente thematisiert, die für eine Demokratie wichtig sind. In beiden Texten nahm dabei die Rolle des ‚gemeinsamen Wissens‘ — auch ‚Wolke des Wissens‘ genannt — eine zentrale Stelle ein. Ohne eine aktuelle, zutreffende aktive ‚Wolke des Wissens‘ ist eine moderne Demokratie grundsätzlich nicht möglich.

Letztlich ist es ein ‚gemeinsames Wissen‘, was Bürger und gewählte Vertreter verbindet, wechselseitig inspiriert, Rückhalt gibt, und nicht nur eine gegenwärtige, aktuelle Situation angemessen abbildet, sondern auch notwendige und mögliche Veränderungen sichtbar macht, die aus der von Problemen geladenen Gegenwart in eine — hoffentlich — weniger Problem geladene Zukunft führen kann.

CHRONISCHER MANGEL AN WISSEN

Solch ein ‚gemeinsames Wissen‘ entsteht nicht ‚einfach so‘: es erfordert reale Arbeit mit entsprechendem Zeitbedarf, eingebettet in Kommunikationsprozesse, die geeignet sind, in allen Beteiligten das notwendige Wissen entstehen zu lassen: Recherchieren, klären, diskutieren, Skizzen machen, Schaubilder, Modelle erarbeiten, Abläufe testen, immer hinreichend dokumentieren und vieles mehr gehören dazu.

Jeder der im Berufsleben steht, sei es in Firmen, Verwaltungen, in Behörden oder dergleichen mehr, der weiß, dass eine Sache fast nie funktioniert: zusätzlich zur ’normalen‘ Arbeit sich Zeit zu nehmen, um mit anderen Kollegen und Kolleginnen über mögliche Verbesserungen, über mögliche Alternativen zu den eingefahrenen Abläufen gemeinsam nachzudenken, ohne Druck, mit Freiheit zum Denken, etwas gar experimentell einfach mal auszuprobieren. Die Gegenwart erscheint in der Regel so wichtig, so übermächtig wichtig, dass Gedanken zu möglichen die Zukunft erhaltenden Maßnahmen in der Regel schon im Ansatz unterdrückt werden.

In Kommunen mit ihren Verwaltungen, mit den Gemeindevorständen und den zentralen Gemeindevertretungen ist dies nicht anders. Möglicherweise ist es hier sogar drängender als in anderen Bereichen wie z.B. in der Wirtschaft: wenn sich in der Wirtschaft neue Märkte öffnen, neue Technologien verfügbar werden, neuartige Probleme auftreten, dann können sich im Prinzip — nicht immer ganz einfach — neue Dienstleistungen herausbilden, die sich auf dieses ‚Neue‘ einstellen, können sich neue Produktionsformen oder gar neue Firmen bilden, die sich darauf spezialisieren. Die ‚politischen Kernstrukturen‘ einer Kommune sind per Verfassung in ihrer Struktur und in ihrer Größe ‚festgeschrieben‘: bei 13.000 Einwohner beispielsweise sind nur 37 Gemeindevertreter für die Gemeindevertretung zugelassen. [1] Was immer sonst in solch einer Kommune an Strukturen existiert, es sind diese 37 Bürger, die alle aktuellen und potentiell zukünftigen Prozesse vordenken, bewerten, entscheiden und dann ihre Umsetzung anstoßen und überprüfen müssen. Angesichts der Vielzahl der Probleme einer solchen Kommune heute, dazu die stark gewachsene Komplexität der verschiedenen Sachverhalte, ist es im Normalfall ausgeschlossen, dass diese 37 Bürger — mehrheitlich Ehrenamtliche — über die notwendige Zeit verfügen, sich in alles hinein arbeiten zu können, noch besitzen sie oft die notwendigen Kompetenzen, die es braucht, die anstehenden Aufgaben angemessen zu verstehen.

In dieser Ausgangslage ist es weder möglich, der aktuellen Gegenwart ‚maximal‘ gerecht zu werden, noch den verschiedenen möglichen Zukünften, die sich aus einer Gegenwart ergeben können. Allerdings, wir leben in einer ‚realen‘ Welt mit ‚endlichen Randbedingungen‘. Die Anforderung, in den Lösungen zu gestellten Aufgaben ein ‚Optimum‘ zu erreichen, kann in dieser Welt immer nur eine ‚Annäherung‘ an ein Optimum sein, zumal wir zu einem gegebenen Zeitpunkt die verschiedenen möglichen Zukünfte weitgehend nicht kennen. Wir müssen diese letztlich ‚erraten‘!

[1] Siehe die Hessische Gemeindeordnung (HGO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. März 2005, §38 : https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/jlr-GemOHE2005pP38

NICHT AUFGEBEN

Sich in solch einer Situation mit einem ‚dann ist es halt so‘ von möglichen verbesserten Ansätzen für mögliche Lösungen einfach so zu verabschieden, ist vielleicht nicht die beste Strategie.

Vor allem sollte man sich klar machen, dass diese unbefriedigende Situation nicht dadurch bedingt ist, dass die jeweiligen gewählten Bürger ’schuldhaft ungenügend‘ sind, sondern diese Situation ist so, weil die geltende Verfassung diesen Zustand in einer endlichen Welt erzwingt; wie immer wir es drehen und wenden wollen: 37 gewählte Vertreter werden sich immer in der Situation vorfinden, in der die verfügbaren Mittel vorne und hinten nicht ausreichen werden, egal welche Bürger gewählt werden.

WAS KÖNNEN WIR TUN?

Möchte man zumindest versuchen, etwas zu tun, dann kann man sich die Tatsache zu Nutze machen (siehe Bild ‚Lösungsprozess…‘), dass die gewählten Bürger in der Gemeindevertretung (GV) zwar von der Verfassung autorisiert sind, ‚repräsentativ‘ zu entscheiden (d.h. ohne Rücksicht auf ’spezielle Bedürfnisse von Bürgern‘ nehmen zu müssen), dass sie aber zugleich auch dem ‚Wohl des Volkes‘ verpflichtet sind, und zwar in aller erster Linie, unabhängig von ihrem aktuellen Parteiprogramm! Was aber ist das ‚Wohl des Volkes‘?

Da kein einzelner Mensch in einer Demokratie beanspruchen kann, es alleine bessere zu wissen als alle anderen, spielen also ‚die Anderen‘ eine wichtige Rolle. Da es in einer ‚endlichen Welt‘ nicht möglich ist, immer ‚alle anderen‘ einzubeziehen, braucht man eine ‚pragmatische Lösung‘ durch die zumindest die Möglichkeit besteht, ’so viele wie möglich, die wollen‘, in den Prozess einer ‚Lösungssuche‘ zu einer ‚Menge von Aufgaben‘ einzubeziehen (siehe BILD).

BILD : Lösungsprozess mit Erweiterungsmöglichkeiten. Dies ist wie folgt zu verstehen: Im ‚Normalfall‘ tagt die Gemeindevertretung (GV, Standard), behandelt ihre Aufgabenstellung und beschließt Lösungen. Es steht der Gemeindevertretung aber frei, den Prozess ihrer ‚Lösungssuche‘ freiwillig zu erweitern, indem sie Erweiterte Sitzungen vereinbart, in denen sowohl die offizielle Gemeindevertretung (GV, Standard) sich engagiert, wie auch Bürger, die an der Lösungssuche mitwirken wollen (GV, Experimentell). Dies werden immer nur einige wenige Bürger sein (GV, experimentell, partiell). Solche ‚optional erweiterte‘ Sitzungen sind natürlich in mehrfachem Sinne ‚Risiko behaftet‘, bieten allerdings auch eventuell eine ‚Vergrößerung des Lösungspotentials‘. Ein noch anderer Ansatz besteht darin, dass die Bürger selbst eine ‚Simulierte Gemeindevertreter Sitzung‘ organisieren, bei der die ‚echten‘ Gemeindevertreter wie alle anderen auch als Bürger teilnehmen können (GV, Experimentell, partiell). Diese ‚optionalen Sitzungen‘ haben keinerlei verbindlichen Charakter für die Lösungen der normalen Gemeindevertretung. Wenn in diesen optionalen Sitzungen Lösungen entstehen, die von einer Mehrheit als ‚gut‘ betrachtet werden, kann die normale GV entscheiden, ob sie diese übernimmt.

Es ist den gewählten Bürgern — den Gemeindevertretern — frei gestellt, ob sie sich auf solche ‚erweiterten Lösungs-Such-Modelle‘ einlassen wollen oder nicht. Es ist einer GV freigestellt, ihre ‚Lösungsprozesse‘ so zu öffnen, dass möglichst viele Bürger auf unterschiedlichste Weise so teilnehmen können, dass in konkreter Interaktion mit den interessierten Bürgern eine möglichst große Bandbreite dessen sichtbar wird, was für die Lösung der Aufgabe wichtig ist bzw. sein kann. Letztlich muss auch dann die GV entscheiden, aber die Entscheidungsbasis kann auf Erweiterung des Verfahrens der Lösungs-Suche erheblich differenzierter ausfallen und mit mehr Qualität angereichert sein.

EINE STRATEGIE DER VERÄNDERUNG ?

Will die GV ihren Prozess der Lösungs-Suche erweitern, dann muss man natürlich vorab die Frage beantworten, wie denn überhaupt ein ‚besseres Verfahren‘ der Entscheidungsfindung aussehen könnte, damit man aktuelle Entscheidungsprozesse verbessern kann.

Gleichzeitig wird man davon ausgehen müssen, dass man nicht einen ‚laufenden Betrieb‘ einfach mal so ‚umbaut‘. Dadurch würden die normalen Prozesse empfindlich gestört; ein zu großes Risiko.

Ein erprobtes Veränderungsmodell wäre hier die Einführung einer parallelen ‚experimentellen Struktur‘, in der man versucht, alle wichtigen Anforderungen einer realen Gemeindevertretung aufzugreifen, mit allen realen Daten, unter Beachtung der offiziellen ‚Regeln‘ der Verfassung, die aber im Falle von Fehlern kein Unheil anrichten würde, im Gegenteil: alle Beteiligten würden aus Fehlern sehr viel Lernen können! Solch eine parallele experimentelle Struktur könnte eben ein ‚Demokratie Labor‘ sein, das solche Experimente erlaubt.

Ein erstes Konzept

für die konkrete Ausgestaltung eines Demokratie-Labors für die Realisierung einer experimentellen Gemeindevertretung (GV, Experimentell, partiell) findet sich im folgenden Beitrag: https://www.oksimo.org/2024/12/02/demokratie-labor-beispiel/

DEMOKRATIE – Organisation von Wissen

(Letzter Eintrag: 7.Oktober 2024)

Autor: Gerd Doeben-Henisch

Kontakt: info@oksimo.org

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des Themas ‚Demokratie @ Work‘ im Rahmen des Themas ‚Demokratie‘.

ORGANISATION VON WISSEN

Nachdem die vorausgehenden Worte versucht haben zu erklären, warum es in einer Kommune im Umfeld der Gemeindevertreter ein Wissensproblem gibt – nicht notwendigerweise individuell bedingt, aber eben strukturell! –, soll hier jetzt dargelegt werden, wie man dieses strukturelle Wissensproblem auf praktischer Ebene vielleicht minimieren kann.

Handelnde Akteure

Dazu müssen wir uns bewusst machen, wer genau die ‚handelnden Akteure‘ sind, und was sind die Kontextbedingungen, unter denen sie handeln.

Wenn wir von einer demokratischen Gemeinde ausgehen, dann stehen die ‚gewählten Gemeindevertreter‘ im Zentrum, aber auch alle ‚wahlberechtigten Bürger‘, ja, letztlich alle ‚Einwohner‘, von denen viele nicht Wahlberechtigt sind (Kinder, Jugendliche, Menschen aus anderen Ländern).

Laut dem Grundgesetz (GG) sind die gewählten Gemeindevertreter nur ihrem ‚Gewissen‘ und dem ‚Wohl des Volkes‘ verpflichtet. Dies bedeutet, bei ihren politischen Entscheidungen sind sie formal nicht verpflichtet, immer zuerst Bürger bzw. Einwohner zu befragen.

Andererseits steht das ‚Wohl des Volkes‘ an zentraler Stelle. Der Begriff ‚Wohl des Volkes‘ wird dabei im Grundgesetz (GG) nicht explizit definiert. In den GG-Artikeln wie z.B. 14, 20, 28, 56, 64, 87109 und 140 werden Kontexte genannt, die für das Wohl des Volkes als wichtig erscheinen. Dennoch kann man nicht sagen, dass mit diesen Kontextualisierungen die Bedeutung von ‚Wohl des Volkes‘ klar umrissen sei. Was letztlich auch verständlich ist, da ja das Gesamt einer Bevölkerung und eines Staates samt seiner Einbettung in eine dynamische Welt nicht nur sehr komplex ist, sondern sich auch beständig verändert. Eine fest verdrahtete Definition, die Anspruch auf alle Details erhebt, wäre vor diesem Hintergrund wenig hilfreich.

Medium Sprache

Unter dem Einfluss einer umfassenden ‚Digitalisierung‘ und vielfachen ‚Formalisierung‘ unserer Lebensabläufe tendieren wir heute gerne dazu, ‚Formulierungen als solche‘ sehr hoch zu bewerten, sie ‚absolut‘ zu setzen. Schon eine kurze Besinnung auf das tatsächliche Funktionieren unserer Sprache im Alltag reicht aber aus, um zu verstehen, dass die ‚Bedeutung sprachlicher Ausdrücke‘ eben nicht im Ausdruck selbst liegt, sondern im ‚Innern‘ jener Menschen, die sprachliche Ausdrücke benutzen. Diese ‚an das Innere des Menschen‘ gebundene Bedeutung ist immer in einer Art ‚Schwebezustand‘, der von uns allen erfordert, dass wir uns immer wieder neu ‚vergewissern‘ müssen, was meint denn der andere, wenn er einen bestimmten sprachlichen Ausdruck benutzt.

Man kann diesen ‚permanenten Schwebezustand möglicher Bedeutung‘ als Nachteil ansehen, aber tatsächlich ist gerade diese Eigenschaft unserer Sprache ein unfassbares Plus: auf diese Weise können wir Menschen uns jederzeit jedem neuen Eindruck, jeder neuen Veränderung unserer Umwelt und von uns selbst öffnen und wir können diese Veränderung ‚zur Sprache bringen‘. Dies gibt uns eine Macht, die keinem anderen Lebewesen auf diesem Planeten vor uns in diesem Ausmaß zur Verfügung stand und steht. Dies unterscheidet uns zudem von all den modernen Software-gesteuerten Maschinen, die sich zwar riesige Mengen von Dokumenten einverleiben, indizieren und aufbereiten können. Sie verfügen aber alle nicht über eine ‚Bedeutungsfunktion‘, wie wir Menschen sie besitzen. Ihre sprachlichen Ausdrücke können mittlerweile sehr wortreich und stilistisch beeindruckend sein, aber sie können z.B. niemals entscheiden, ob ein Ausdruck ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ ist. Im Alltag ist genau dies aber wichtig, ja, überlebenswichtig.

Wohl des Volkes konkret

Berücksichtigt man das soeben über Sprache Gesagte, dann solle klar sein, dass ein gewählter Gemeindevertreter, der sich auf das ‚Wohl des Volkes‘ beruft, im Einzelfall immer hinreichend ausführlich ‚erklären‘ muss, was er damit genau meint. Und da er diese Entscheidung ja nicht ‚für sich alleine‘ fällt, sondern als ‚gewählter Vertreter‘ jenes Volkes, von dem alle Macht ausgeht (GG 20.2), muss er letztlich genau ‚dieses Volk selbst‘ ernst nehmen, da nur die Realität dieses Volkes entscheiden kann, ob etwas zutrifft, wie es zutrifft, was es bewirkt und wie man dies bewerten muss. Und in einer Kommune wie 61137 Schöneck mit ca. 12.500 Einwohnern im Dezember 2023 kann man letztlich sogar jeden einzelnen Einwohner benennen, den die Entscheidung betrifft.

Andererseits, selbst ein so kleines ‚Volk‘ wie die ca. 12.500 Einwohner von Schöneck kann bei bestimmten anstehenden Entscheidungen real in viele unterschiedliche Gruppierungen zerfallen, die es im konkreten Fall tatsächlich schwer bis fast praktisch unmöglich machen, ‚ein einziges Wohl’ des Volkes zu bestimmen. Wer von den vielen Gruppierungen hat dann Recht? Wem soll sich der gewählte Vertreter jetzt verpflichtet fühlen? In solchen Situationen müssen die gewählten Vertreter zwar versuchen, durch eine öffentliche transparente Kommunikation heraus zu finden, für welche Position sich mehr ‚Argumente dafür‘ finden lassen, aber in einer ‚pluralen Wertewelt‘ ist dies möglicherweise nicht immer möglich. Entweder bleibt eine endgültige Entscheidung dann offen (was manchmal hilfreich sein kann), oder es wird für eine ‚Minderheitenmeinung‘ plädiert, die nur wenige befriedigt und viele unzufrieden lässt (was sich im Einzelfall im weiteren Verlauf dennoch als positiv-konstruktive erweisen kann).

An der Schwelle zu einer Zukunft, die letztlich niemand wirklich kennen kann, gibt es diese ‚Grauzonen des Wissens‘, für die es keine ‚Patentlösungen‘ gibt; es bleibt immer ein ‚Restrisiko‘.

Tägliche Zeitreise

Aus einer gewissen Distanz heraus bilden die gewählten Vertreter und die Einwohner einer Kommune eine Gemeinschaft, die sich gemeinsam ‚in der Zeit‘ bewegt. In der heutigen Welt benutzen Gesellschaften auf diesem Planeten ‚Kalender‘ und ‚Uhren‘, mittels deren jeder jederzeit ein ‚Datum‘ feststellen kann samt ‚Uhrzeit‘. Dass Datum und Uhrzeit weltweit ‚synchron‘ sind, setzen wir im Alltag stillschweigend voraus, ist aber nur möglich durch einen hohen technischen Aufwand und spezielle Behörden, die nichts anderes tun, als die ‚Zeit weltweit‘ synchron zu halten.

Mit Bezug auf diese vereinbarten Zeitmuster kann man – in der Theorie — zu jedem Zeitpunkt eine ‚Momentaufnahme‘ einer Kommune machen, in Form eines Textes, möglicherweise ergänzt um Fotos, der alles beschreibt, was einer bestimmten Gruppe von Bürgern (z.B. den Gemeindevertretern) als ‚wichtig‘ erscheint.

Nehmen wir an, dass jeden Tag solch ein Bericht erstellt und archiviert wird.

Dann könnte man anschließend in bestimmten periodischen Abständen (jeden 7.Tag, alle vier Wochen, …) den Bericht von diesem Datum herausfischen, sie hintereinander neu anordnen, und man hätte — wie in einem ‚Zeitraffer‘ — die verschiedenen Zustände der Gemeinde als eine Abfolge, wo man beobachten könnte, ob sich zwischen zwei Zeitpunkten etwas verändert hat, und was.

Nehmen wir beispielsweise an, der jeweilige Zustandsbericht würde auch den ‚täglichen Wasserverbrauch‘ der Gemeinde protokollieren. Und im Fall von Schöneck würde auch noch unterschieden zwischen dem Wasser aus den eigenen drei Brunnen und jenem Wasser, das extern vom Netz der Kreis-Wasserwerke bezogen wird. Dann könnten die Beobachter der Veränderungen zwischen den einzelnen Berichten gut erkennen, dass z.B. die Wasserentnahme aus den eigenen Brunnen ‚schwankt‘, aber niemals mehr als ca. 20% des Gesamtverbrauchs ausmacht. Wäre solch eine Beobachtung ‚beunruhigend‘? Kann man davon ausgehen, dass die Wasserversorgung ‚gesichert‘ ist? Gibt es irgendwelche Umstände, die darauf hindeuten, dass sich an der Verfügbarkeit des Wassers etwas ändern könnte?

Die Einführung von ‚Zeit‘ ermöglicht die Erfassung von ‚Veränderungen in der Zeit‘, und diese wiederum liefern mögliche Ansatzpunkte, darüber nachzudenken, ob ‚alles so weiter geht‘ oder ob es Sachverhalte im Kontext der Gemeinde gibt, die auf mögliche Veränderungen hindeuten, mit denen sich eine Gemeinde beschäftigen sollte.

Minimierung des ‚Restrisikos‘

Da sich jede Gemeinde kontinuierlich auf einer ‚Zeitreise‘ befindet, die bei geeigneter ‚Beobachtung‘ reale ‚Veränderungen‘ sichtbar machen kann, empfiehlt es sich für die Gemeindevertreter, die dem ‚Wohl des Volkes‘ dienen wollen, sich mit all jenen Veränderungen zu beschäftigen, die in und mit ihrer Kommune stattfinden.

Wie sich am Beispiel des für alle ‚lebenswichtigen Wassers‘ andeutet, ist die Verfügbarkeit von Wasser nicht in allen Fällen und ‚nicht für alle Zeit‘ gesichert. Die Ingenieure dieser Welt sprechen in solch einem Fall von einem ‚Risiko‘. Und jeder Ingenieure wird immer versuchen, ein Risiko durch geeignete Maßnahmen zu minimieren. Angenommen, ein Ingenieur findet Maßnahmen, die als relativ sicher gelten, und diese lassen erwarten, dass ca. 80% eines erkannten Risikos als ‚abgedeckt‘ erscheinen, dann bleiben noch 20% eines erkannten Risikos als ‚Restrisiko‘. Auch dieses Restrisiko sollten ‚verschwinden‘, was aber nicht immer gelingt. Ganz radikal betrachtet, leben wir in einer Welt und unter Umständen, die eine vollständige Eliminierung von Risiko ausschließt. Wenn wir sehr gut sind, dann können wir das Risiko ‚möglichst klein‘ halten, aber ganz eliminieren können wir es in dieser konkreten Welt nie.

Gemeinsames Vorgehen

Falls sich hinreichend viele Gemeindevertreter und Bürger darauf einigen können, dass sie sich alle gemeinsam auf einer ‚Zeitreise‘ befinden, die auf vielfache Weise mit ‚Restrisiken‘ durchsetzt ist, dann könnte die Einsicht wachsen, dass man um einer gemeinsamen Zukunft willen, Wege finden sollte, wie man das verfügbare Wissen so organisiert, dass die Gemeinde sich eine ‚möglichst gute Entscheidungsbasis‘ sichert.

Zur Grundeinsicht gehört, dass die gewählten Vertreter ‚trotz repräsentativer Demokratie‘ sich bewusst sind, dass ihr eigenes Wissen bei weitem nicht ausreicht, um allen Herausforderungen optimal zu begegnen. Und den Bürgern sollte ebenfalls klar sein, dass eine Haltung ‘das machen die da oben’ heute keineswegs mehr angemessen ist. ‚Die da oben‘, das sind die gewählten Gemeindevertreter, die aus freien Stück und ehrenamtlich ein Teil ihrer Lebenskraft der Gemeinde widmen und sie alleine können niemals alle diese neuen Herausforderungen optimal stemmen.

Und – ein Gedanke, der vielleicht bislang noch ein wenig ‚zu leise‘ ist – das ‚Wissen‘, um das es geht, um möglichst gute Wege in eine vielfach unbekannte ‚Zukunft‘ auszuloten, dieses Wissen ist zu jedem Zeitpunkt normalerweise erst einmal gar nicht vorhanden! Tun sich schon viele Menschen schwer, die bisherige ‚Geschichte‘ ihres Lebensweges zusammen mit all den anderen angemessen vor Augen zuführen, so stellt ein ‚Wissen um eine mögliche Zukunft‘ zusätzliche neue Herausforderungen. Wie schon zuvor angedeutet, reicht es nicht aus, zu wissen, was war dann und dann dort und dort. Man muss zusätzlich ‚erkennen‘, welche Arten von Veränderungen sind bislang aufgetreten, und welche von diesen Veränderungen lassen ein ‚Muster‘ erkennen, eine ‚Regelhaftigkeit‘, Formen von ‚Wahrscheinlichkeiten‘?

Um so etwas zu erkennen, reicht es nicht aus, dass man ‚ab und zu‘ mal in die Geschichte schaut oder dass ‚der eine oder die andere‘ sich gelegentlich mal damit beschäftigt. Solch ein Wissen kann nur entstehen, wenn es einen echten ‚Plan‘ gibt, den alle kennen, und wo die Gemeinschaft gemeinsam ‚festgelegt‘ hat, wie sie ihren Plan im Alltagsgeschäft umsetzt. Zudem muss dieser Plan samt allen Erkenntnissen jederzeit allen’ zugänglich’ sein. Er muss für alle ‚verständlich‘ sein und es muss klar sein, wie man seine eigene Meinung, seine ‚eigene Erfahrung‘ jederzeit dazu ‚mit einbringen‘ kann. Und, ja, dies alles muss so sein, dass sich letztlich jeder ‚gehört‘ fühlt, und dass die ‚Vielfalt der Meinungen‘ systematisch aufgegriffen und ‚bewertet‘ wird.