DEMOKRATIE ALS ‚ZWEIGETEILTES EINS‘. Skizze

(Letzte Änderung: 5.Juni 2023, 17:00h)

Kontext

Dieser Text gehört zum Thema ‚Demokratie‘.

DEMOKRATIE ALS ‚ZWEIGETEILTES EINS‘

Zielsetzung

Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist zwar vereinbart, dass und wie Bürger als politische Vertreter der anderen Bürger auf den unterschiedlichen organisatorischen Ebenen gewählt werden können, aber die Transparenz des Wissens und der notwendigen Präferenzen, die als Grundlage allen Handelns angenommen werden müssen, wird nicht eigens beschrieben oder gar geregelt.

In historischer und systematischer Sicht will sich eine ‚Demokratie‘ von einer ‚Autokratie‘ dadurch abgrenzen, dass in der Demokratie im Prinzip alle Bürger beteiligt werden können. Bei einer Einwohnerzahl von ca. 84 Mio in Deutschland im Jahr 2022 ist eine direkte Beteiligung aller aber praktisch unmöglich. Man muss also einen Weg finden, dass eine kleine aber arbeitsfähige Teilmenge der Bürger das ‚Kerngeschäft‘ von politischer Willensbildung in Form von Leitung von Verwaltungen und Verabschiedung neuer Gesetze wahrnimmt. Wie immer man die Gestaltung dieser ‚politisch bevorzugten Teilmenge‘ von allen anderen vornimmt, man muss dabei berücksichtigen, dass die aktive Teilmenge während der offiziellen ‚Amtszeit‘ nicht ‚losgelöst‘ von allen anderen Bürgern agiert, da ansonsten die Nähe zu einer ‚Autokratie‘ formal bis zu einem gewissen Grad besteht.

Neben dem rein formalen Aspekt einer möglichen Nähe zur ‚Autokratie‘ spielt aber in einer ‚dynamischen komplexen Welt‘ ein anderer Gesichtspunkt eine viel entscheidendere und geradezu fundamentale Rolle: die Meisterung komplexer dynamische gesellschaftlicher Prozesse, dazu oft ausgespannt auf viele Jahre oder gar Jahrzehnte.

Implizite Anforderungen aus dem Ziel

Die Umsetzung des übergreifenden Ziels verlangt — nach heutigem Wissensstand — von einem politischen System mindestens die folgenden Eigenschaften/ Fähigkeiten:

  1. Ein angemessenes Wissen eingebettet in angemessene Erfahrungen, um Komplexität bewältigen zu können.
  2. Eine Kontinuität innerhalb von Entscheidungsräumen, die lang genug sind, um die wichtigen Entwicklungen über längere Zeiträume angemessen managen zu können.
  3. Eine umfassende Transparenz gegenüber allen Bürgern zur Ermöglichung von Vertrauen.
  4. Eine umfassende Vielfalt, um eine zu große Einengung der Perspektiven zu verhindern.
  5. Eine Sicherung von notwendigen Qualitätsstandards, um riskante und das Gemeinwohl gefährdende ‚Schnellschüsse‘ zu verhindern.
  6. Hinreichende Infrastrukturen, um die Punkte (1) – (5) umsetzen zu können.

Notwendige Nachhaltige Wissensstrukturen

Die bloße Verfügbarkeit von vielfältigem Wissen alleine reicht — nach heutigem Wissensstand — aber nicht aus, um einen gemeinsamen Wissensraum zu gestalten, der für alle Bürger (und damit auch für die politisch aktive Kerngruppe) ein transparentes, empirische belastbares und zukunftsfähiges Wissen anbietet. Folgende Anforderungen müssten erfüllt werden:

Wissensform Nachhaltige Theorie

Die vielen einzelnen Fragmente von Wissen können nur dann belastbare Voraussagen für eine nachhaltige Zukunft ermöglichen, wenn die Gesamtheit der Wissensfragmente das ‚Schema einer fiktiven (und dann auch empirischen) nachhaltigen Theorie erfüllen. Die dazu notwendige Struktur ist im nachfolgenden Schaubild angedeutet.

Diejenigen Bürger in einer Gesellschaft, die eine empirisch begründbare nachhaltige Theorie mit möglichen Prognosen formulieren wollen, müssen kenntlich machen, auf welche ‚Ausgangssituation‘ sie sich beziehen wollen, welche ‚Veränderungen‘ sie hinsichtlich der Ausgangssituation für ‚möglich‘ halten, und welche ‚Folgezustände‘ sich dadurch wirksam ergeben können. Um aus der Vielzahl der möglichen Alternativen jene auszuzeichnen, die die Gesellschaft aufgrund ihrer ‚Präferenzen (Werte)‘ ‚bevorzugt‘, müssen diese angewendeten Präferenzen transparent gemacht werden. Generell muss auch für die Art und Weise, wie angenommene Veränderung auf eine gegebene Situation angewendet werden soll, vollständig beschrieben werden (‚Folgerungsbegriff‘), um Transparenz — und damit Vertrauen — zu ermöglichen.

Der Begriff der ‚Theorie‘ ist einer der wichtigsten theoretischen Begriffe einer ‚rationalen Kultur‘ und beschreibt die minimalem Strukturen, die erfüllt werden müssen, um die Vielfalt des Wissens in belastbare Prognosen und damit Planungen für eine nachhaltige Zukunft nutzbar zu machen.

Kommunikations- und Handlungsform ‚Kollektive Intelligenz‘

Das Schema einer nachhaltigen Theorie, das soeben beschrieben wurde, kommt aber erst dann voll zum Tragen, wenn man die Gesamtheit aller Bürger — mit dem politischen Kern als Teilmenge — begreift als eine einzige große Intelligenz, die sich durch umfassende Kommunikation und Interaktion realisiert.

Dies setzt aber einen ‚Wissensraum‘ voraus, zu dem alle Zugang haben, der von allen mitgestaltet wird, und dessen ‚Grundelemente‘ solche nachhaltigen Theorien sind, die sich auf Anforderungen in Simulationen verwandeln können und die auch beliebig miteinander auf Anforderung zu einer größeren Theorie ‚vereinigt‘ werden können.[3]

Im Rahmen einer kollektiven Intelligenz behalten zwar die gewählten Vertreter die besondere Funktion, letztlich die gesetzesrelevanten und für die Verwaltungen maßgeblichen Entscheidungen zu fällen, doch der Weg zu diesen Entscheidung wäre eingebunden in den gemeinsamen Wissensraum der Bevölkerung sowie in die hier stattfindenden Kommunikationsprozesse. Eine Entscheidung ohne eine ausreichende Basis in dem gemeinsamen Wissensraum müsste allerdings als ein ‚Ausnahmevotum‘ immer möglich sein. ‚Innovationen‘ sind ihrer Natur nach zu Beginn immer ‚Minderheitsmeinungen‘. Diese generell auszuschließen würde die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft erheblich behindern. Auf der anderen Seite würden im neuen Theorie-basierten Wissensraum viele komplexe Prozesse abgebildet werden können, die sich per se einer einfachen Lösung entziehen.

Langfristige Perspektiven

Mit der Einigung auf die Nutzung von Wissen im Format empirisch begründbarer nachhaltiger Theorien, eingelagert in einen für alle zugänglichen Wissensraum, wäre die Behandlung von zeitlich ausgreifenden Prozessen zumindest im Prinzip jederzeit möglich; auch die Untersuchung von ‚Wechselwirkungen‘ zwischen den verschiedenen Faktoren in verschiedenen Prozessen

ANMERKUNGEN

[1] Nach der Pressemitteilung des statistischen Bundesamtes vom 29.Januar 2023 (URL: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/01/PD23_026_124.html ) hatte Deutschland zum Jahresende 2022 mindestens 84,3 Millionen Einwohner.

[2] Die Anzahl der Abgeordneten des 20.Bundestags beträgt ab 26.Oktober 2021 laut Wikipedia ‚736‘.(URL: https://de.wikipedia.org/wiki/20._Deutscher_Bundestag ). Die Zahl der Abgeordneten entspricht damit nur 0,0008% der gesamten Einwohner (wobei allerdings nicht alle ‚Einwohner‘ auch ‚Bürger‘ sind!)

[3] Einen ersten Hinweis darauf, wie solch ein gemeinsamer Wissensraum aussehen könnte, bietet die Wikipedia Enzyklopädie, wenngleich die heutige Wikipedia noch weit davon entfernt ist, nachhaltige Theorien als Bausteine zu besitzen.