
Letzte Änderung: 13.März 2025
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Kontakt: datw@oksimo.org
KONTEXT
Dieser Text gehört zum Thema DEMOKRATIE.
VORBEMERKUNG
Der nachfolgende Text ist ein Widerhall von vielen mehrstündigen Gesprächen zwischen Gerd Doeben-Henisch und Bettina Pfeifer, die im Vorfeld einer Ausstellung der Künstlerin Bettina Pfeifer stattgefunden haben.
Er, Philosoph und Wissenschaftler, sie Künstlerin. Der Philosoph und Wissenschaftler hatte Zeit seines Lebens immer – trotz vielfacher Faszination — Probleme mit der darstellenden Kunst gehabt. Die Künstlerin erlebte all die Jahre intensive Dialoge zur Kunst aus der Sicht der Wissenschaft durch ihren Ehemann. Wie ein roter Faden zog sich durch all die Gespräche die Frage,“Wo treffen sich Philosophie, Wissenschaft und Kunst?“
Es war dann das Thema der Ausstellung „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, welches zu Überlegungen führte, in denen sich der Philosoph und Wissenschaftler der Kunst – vermittelt durch die Künstlerin Bettina Pfeifer – auf neue Weise nähern konnte.
Es zeigte sich, dass der gemeinsame Ort jenes ‚Ringen um die Demokratie‘ ist, der kontinuierliche Kampf um das angemessene ‚Bild vom Menschen‘.
Die Werke von der Künstlerin Bettina Pfeifer kann man in der Ausstellung anschauen. Die Gedanken des Philosophen und Wissenschaftlers kann man im nachfolgenden Text nachlesen.

Collage von Werken aus der Ausstellung (Von Bettina Pfeifer genehmigt)
MENSCHENWÜRDE UNANTASTBAR ? Ein Dialog zwischen Kunst – Philosophie und Wissenschaft
Vision: Würde des Menschen
Das Leitthema „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ verweist auf den Art.1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom Mai 1949. Dieser Grundsatz bindet alle staatliche Gewalt und verweist ausdrücklich auf die ‚Menschenrechte‘ als „Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“.
Wie kann eine Künstlerin ein solch großes Thema als Leitthema für die Ausstellung ihrer Werke wählen? Ist das nicht irgendwie ‚übergriffig‘, wie heute so oft und gerne formuliert wird? Welches ‚Selbstverständnis‘ von ‚Künstlerin sein‘ — und damit auch von ‚Kunst‘ — kommt hier zum Ausdruck?
Visionen brauchen Menschen
Um die zuletzt gestellten Fragen beantworten zu können, müssen wir eine kleine ‚Reise in die Vergangenheit‘ unternehmen. ‚Worte mit Bedeutung‘ gibt es niemals isoliert, sondern sie benötigen immer ‚Menschen‘, die sie aussprechen, aufschreiben, weil es Dinge gibt, die sie ‚im Innern bewegen‘. Das ‚Erleben von Welt‘ ist der Boden, auf dem Vorstellungen, Gedanken, Pläne wachsen können.
Das Grauen des Krieges
Die Worte von der ‚Unantastbarkeit der Würde des Menschen‘ strahlen eine große Aura aus, etwas sehr Grundsätzliches, etwas, was selbst im normalen Alltag von Menschen weitgehend nur eine ‚Annäherung‘ bleiben kann, ein ‚Richtungsschild‘ für jeden.
Und so erscheinen die großen Worte von der ‚Unantastbarkeit der Würde des Menschen‘ wie ein ‚Widerhall‘ von etwas Tiefgreifendem, was die Seelen vieler Menschen erschüttert haben muss. Und so verwundert es nicht, dass die großen Worte des Art.1 des Grundgesetzes zurück verweisen auf die ‚Allgemeine Erklärung der Menschenrechte‘ vom Dezember 1948, verkündet von den ‚Vereinten Nationen‘, die im Januar 1942 unter dem Eindruck des großen Krieges gegründet wurden, und sich dann nach und nach immer weiter verstärkt haben.
Aus der Erschütterung von Menschen folgt normalerweise nicht, dass sie sich zusammentun, dass sie eine ‚Vision‘ von einer ’neuen Situation entwickeln‘, noch dass sie dies in einen gemeinsamen Text verwandeln, den sie dann zum Leitthema ihres Handelns machen. Aber in diesem Fall kam 1948 die Verkündigung der Vision als ‚Allgemeine Erklärung der Menschenrechte‘ zustande, und nicht nur das, viele Staaten haben sich dieser Erklärung nach und nach angeschlossen. Sie haben sich vertraglich verpflichtet, diese ‚Allgemeine Erklärung der Menschenrechte‘ für ihre eigene Verfassung als bindend zu erklären.
Vision und Wirklichkeit
Die Geschichte der Menschheit kennt viele ‚Visionen von einem besseren Leben‘, kennt viele ‚Leitbilder‘, ‚Regeln für ein besseres Leben‘, aber diese Geschichte weiß auch um die ‚Schwäche‘ der großen Worte, ihr ‚Verlöschen‘ angesichts eines Alltags, der Menschen in seinen Bann zieht und die ‚Bedeutung hinter den großen Worten‘ abschwächt, verblassen lässt, diese Bedeutungen mit anderen Erfahrungen ‚vermengt‘, bis von den großen Worten nur noch ihre ‚Hüllen‘ übrig bleiben, die ’nackten Buchstaben‘.
So erging es auch den großen Worten aus der Erklärung der Menschenrechte.[1]
Nicht alle Staaten haben diese Erklärung für ihre Verfassung übernommen, z.B. auch nicht die USA und Kanada, obwohl diese den Vereinten Nationen damals angehört haben. Ebenso kommt das Wort ‚Menschenwürde‘ in den Verfassungen von England und Frankreich nicht vor. In den 1990iger Jahren lehnte es die Richterschaft von Portugal, Spanien und Italien ab, in der Rechtsprechung den Begriff ‚Menschenwürde‘ zu benutzen, da dieser Begriff ‚zu vage sei‘. In internationalen Beziehungen kam es dann immer häufiger vor, dass die Formulierung der Menschenrecht von nicht-europäischen Staaten als ‚kulturabhängig‘ abgelehnt wurden. Und das deutliche Erstarken von ‚autokratischen Systemen‘ in den letzten Jahren entzieht den großen Worten der Menschenrechte letztlich jene Grundlagen, die für die Verwirklichung von Menschenrechte die lebenswichtige Voraussetzungen bieten.[2]
[1] Siehe dazu das kenntnisreiche Buch von Paul Tiedemann, „Was ist Menschenwürde? Eine Einführung“, 2. aktualisierte Aufl., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2014 (Paul Tiedemann ist ein Richter und promovierter Philosoph). Dazu gibt es auch eine 9-teilige Besprechung des Buches von Gerd Doeben-Henisch: WAS IST MENSCHENWÜRDE? – Überlegungen im Umfeld des Buches von Paul Tiedemann, 2015)
[2] Sehr aufschlussreich dazu das Buch Anne Applebaum, „Die Achse der Autokratien. Korruption, Kontrolle, Propaganda: Wie Diktatoren sich gegenseitig an der Macht halten“, Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer, Siedler Verlag, München, 2024.
Menschen als Wunder …
Was am Beispiel der großen Worte der Menschenrechte deutlich wird, ist der Sachverhalt, dass der einzige Ort, wo solche großen Worte entstehen können, der Mensch ist: ohne Menschen gibt es keine Worte, noch mehr: ohne Menschen gibt es keine ‚Worte mit Bedeutung‘, welche als ‚Botschaften‘ zwischen den Herzen der Menschen hin und her fliegen können, um ‚Kunde‘ zu bringen von dem, was das ‚Innere eines Menschen‘ bewegt. Seitdem es ‚Leben‘ auf diesem Planeten gibt — immerhin seit ca. 3.5 Mrd Jahren! — gab es noch nie eine Lebensform, welche dies in solch einer Ausprägung vermocht hat, wie wir — als die Lebensform ‚Homo sapiens‘ — es können. Uns gibt es aber auch erst seit ca. 300.000 Jahre auf diesem Planeten. [3]
[3] Wer sich täglich stundenlang mit Worten von ‚Künstlicher Intelligenz (KI)‘ ‚bespaßen‘ lässt, sollte sich klar machen, dass diese Worte von Computerprogrammen bereit gestellt werden, die Menschen erschaffen und trainiert haben, und dass die Worte des Programms nahezu allesamt aus den Texten von Menschen genommen wurden. Wir bewundern also ‚unser Spiegelbild‘. Welch bizarre Situation.
Kunst als ‚Hervorbringung von …‘
Die Erforschung der Geschichte von Menschen wird von vielen Disziplinen unterstützt. Ein großer Befund schält sich heraus: Menschen werden mindestens seit 30 – 40 tausend Jahren begleitet von Gegenständen, die nicht direkt einer ’nützlichen Tätigkeit‘ zuzuordnen sind. Sie ’stehen für sich‘, aber in einer Weise, die ‚andeutet‘, dass sie für die Menschen jeweils doch eine ‚Bedeutung‘ haben. Das ‚Dingliche des Objekts‘ steht nicht ‚für sich alleine‘ sondern erscheint als ‚Teil des Bedeutungsfeldes‘ der jeweiligen Menschen. Alle Bedeutungsfelder gründen im ‚Innern eines Menschen‘ und sie werden um so ‚gewichtiger‘ je mehr Menschen diese Bedeutung teilen. Geteilte Bedeutungen ermöglichen ‚Gemeinschaft‘.
Vielleicht macht es Sinn, die Wurzeln von dem, was wir ‚Kunst‘ nennen, in diesen Kontext zu verlagern, wo Menschen ihr Leben, ihren Alltag sich selbst unter den Bedingungen ihres Inneren eine Form verleihen, die ‚aufmerken‘ lässt, die ‚verbinden‘ kann, die ein ’neues Sprechen‘ ermöglicht über etwas, das vorher so nicht da war.
Im ‚künstlerischen Schaffen‘ kann eine ‚Wirklichkeit‘ erfahrbar werden, die allen Beteiligten eine ‚Hand reicht‘, um ‚mehr‘ sehen zu können.
In einer Ausstellung: man kann sich damit begnügen, diese Objekte einfach nur anzuschauen, in Ruhe, einfach so. Man kann diese Objekte aber auch als ‚Werke‘ verstehen, als ‚Ausdruck‘ einer Künstlerin, für die sich jedes Werk mit einer Wolke von Eindrücken und Gefühlen verbindet, spezifischen Situationen oder gar längeren Prozessen, ganzen Geschichten, Dramen, Leiden aber auch sehr Schönem.
Die große Vision von der ‚Unantastbarkeit der Menschenwürde‘ entstand bei der Künstlerin Bettina Pfeifer durch die ‚Betroffenheit‘ von Menschen angesichts der Welt um sie herum. Im Erlebnis von Kunst, im Erlebnis von Menschen, die ‚lebendig empfinden‘ und ihr Inneres mit anderen teilen, kann immer wieder eine neue, eine kraftvolle Vision von dem entstehen, was ‚Leben‘ für uns und die ‚Welt um uns herum‘ sein kann, sein sollte.
Für die Ausstellung von Bettina Pfeifer im Schloß Philippsruhe in Hanau : Vielleicht nehmen Sie sich ein wenig Zeit, gehen in diese Ausstellung; sie besitzt eine große Dichte. Lassen Sie sich ‚beschenken‘ … und schenken Sie der Künstlerin vielleicht etwas zurück: Aufmerksamkeit 🙂