Anwendungs Konzept

(Letzte Änderung: 13.September 2022)

KONTEXT

Dieser Beitrag ist teil des übergeordneten Themasa ANWENDUNGEN.

Inhaltsübersicht

  1. Bürger zusammen
  2. Zusammenfinden
  3. Kommunikation
  4. Worüber sprechen wir?
  5. Was trifft zu?
  6. Ausgangslage, ‚geerdet‘
  7. Veränderung
  8. Erste Prognosen
  9. Einschätzungen: Wollen wir das?
  10. Sollten wir etwas tun? Was?
  11. Alternative Szenarien durchspielen
  12. So kann eine Bewegung entstehen
  13. Zusammenfassung
    1. Von der Beobachtung zur Prognose (Schaubild)
    2. Vorwissen (Schaubild)

Bürger zusammen …

Im Verständnis von oksimo.org sind ‚Anwendungen‘ Produktionen von Bürgern, die zusammen versuchen, sich ein Bild von ihrer aktuellen Situation und möglichen Veränderungen zu machen: Was zeichnet unsere Situation aus? Was sind wichtige Faktoren, die die Situation beeinflussen? Worauf läuft das hinaus? Geht es uns in der Zukunft ‚besser‘ oder ’schlechter‘? Wer ist außer mir noch da, mit dem ich reden kann? Muss ich irgendwie aktiv werden? Was sollte ich tun? Mit wem kann ich das tun?

Zusammenfinden …

Was immer jemand tun will, er/sie/x wird andere finden müssen, die mitmachen wollen. Gemeinsamkeit ist die Wurzel jeder möglichen Veränderung. Damit dies geschieht, muss jeder erfindungsreich sein und ein bisschen aktiv werden. oksimo.org ist vielleicht eine solche Möglichkeit, wenn man will.

Kommunikation

Zusammen etwas erreichen, verlangt nach Kommunikation. Wenngleich es viele Möglichkeiten gibt, zu kommunizieren, ist die sprachliche Kommunikation letztlich unser stärkstes Mittel, um uns zu verständigen. Ideal ist, wenn alle Beteiligten die gleiche Sprache sprechen. In einer multikulturellen Gesellschaft ist dies nicht immer ganz einfach, aber letztlich wird man sich auf eine ‚Arbeitssprache‘ einigen müssen, auf die sich alle beziehen können. Am geeignetsten erweist sich hier die jeweilige ‚Muttersprache‘ der Beteiligten, oft auch ‚Alltagssprache‘ oder ’normale Sprache‘ genannt. In der heutigen Welt gibt es zusätzlich viele ‚Spezialsprachen‘, die die Technik und Wissenschaften hervorgebracht haben. Diese verstehen nur entsprechende ‚Spezialisten‘. Um ‚alle im Boot‘ zu haben sollte man auf solche Spezialsprachen zunächst verzichten und die ’normale Sprache‘ als ‚gemeinsame Sprache‘ wählen.[1]

Worüber sprechen wir?

Hat sich also irgendwie eine Gruppe von Menschen gebildet, die den Eindruck gewonnen haben, dass es Aspekte ihrer Welt (ein Thema, ein Problem, …) gibt, die sie gemeinsam haben, die sie ‚mehr als normal‘ beschäftigen, dann besteht die Herausforderung darin, genauer zu klären, was hat es mit diesen Themen auf sich (Wasser, Energie, Wohnen, Ernährung, Mobilität, Arbeit, Gesundheit, …).

Da bislang noch niemand in den Kopf eines anderen hineinschauen kann, wird es eine Phase geben müssen, in der sich alle Beteiligten sprachlich soweit austauschen, bis ihnen gemeinsam klar genug geworden ist, in welcher Lage (IST-Situation) sie sich befinden, welche Veränderungen sich andeuten, und worauf das Ganze hinaus zu laufen scheint. Vermutlich ist es dieser letzte Aspekt ‚Worauf läuft das Ganze hinaus?‘, welcher am meisten elektrisieren kann. Denn wenn z.B. sichtbar würde, dass wir in 1-2 Jahren nicht mehr genug Trinkwasser hätten, dann wäre das maximal katastrophal für alle (Menschen, Pflanzen, Tiere, …). Oder wenn klar würde, dass wir in den nächsten Jahren schlicht ‚zu wenig Energie‘ hätten, und diese dazu noch zu Preisen, die die meisten nicht bezahlen könnten, dann wäre dies genauso verheerend. Usw.

Also, das gemeinsame Sprechen ‚über die aktuelle Situation‘ wird erst dann fruchtbar werden, wenn sich darin ‚Veränderungen‘ erkennen lassen, und über diese Veränderungen dann ‚mögliche Prognosen für die Zukunft‘ ableitbar sind.

Was trifft zu?

Bevor man über eine mögliche Zukunft redet, muss man es erst mal schaffen, sich gemeinsam darüber zu verständigen, wie man dann die ‚gemeinsame Lage‘ sieht. Jeder, der schon mal versucht hat, dies mit anderen zu tun, wird schnell merken, dass dies nicht so einfach ist, wie man sich dies zunächst ausgemalt hat. Unsere natürlich Sprache ist ein wahres ‚Wunderwerkzeug‘, aber man kann mit jedem Werkzeug auch scheitern: man kann z.B. mit einem Hammer ziemlich daneben hauen, mit einem Kugelschreiber unleserlich schreiben, mit einer App ein Chaos anrichten, usw. So können wir mit unserer Sprache anderen ‚wahrheitsgetreu‘ berichten oder sie ‚anlügen‘, ‚Märchen‘ erzählen, einen Krimi schreiben, Gedichte verschenken oder ein Protokoll anfertigen, und vieles mehr. Also, die ‚Worte als solche‘ (die ‚Buchstaben‘ auf dem Papier, der ‚Sprachschall in der Luft‘) sind neutral, aber die ‚Bedeutungen‘, die wir ihnen ‚zuordnen‘, die entsteht in unseren Köpfen, (genauer: in unserem Gehirn), und diese ‚Bedeutungen‘ haben es in sich.

Jeder kennt das Allerweltsbeispiel dass das Wort ‚Bank‘ eine Gelegenheit meinen kann, sich hinzusetzen, oder etwa Geldgeschäfte abzuwickeln. Weniger offensichtlich sind unterschiedliche Bedeutungen, wenn im Alltag die eine von dem ‚Brief gestern‘ spricht, und unterstellt, dass der andere ja weiß, worum es geht, und der andere an eine ‚Rechnung‘ denkt, die gestern kam, sie aber an den Gruß von Familie Otto. Natürlich könnte man nachfragen „Welchen Brief meinst Du?“, dann würde sich die unterschiedliche ‚Bedeutungszuordnung‘ schnell aufklären, aber wenn jeder meint, ‚es sei doch klar‘ und deswegen nicht nachfragt, ist das spätere Erstaunen vorprogrammiert.

Noch schwieriger wird es, wenn wir von der ‚Flasche im Kühlschrank‘ sprechen, sich dort aber mindestens zwei Flaschen befinden. Welche von beiden ist gemeint? Im Alltag entscheiden wir solche Situation anhand von ‚wahrnehmbaren Eigenschaften‘ (Farbe, Form, Aufschrift, …). Wenn aber beide Flachen ‚grün‘ sind und dann auch noch die gleiche Form haben …. dann bleibt nur noch das ‚Hinzeigen‘ mit der Botschaft ‚diese da‘. Dieses einfache Beispiel verdeutlicht, dass unsere Alltagssprache durchgehen mit ‚Allgemeinbegriffen‘ arbeitet, die fallweise durch zusätzliche ‚Eigenschaften‘ ’spezialisiert‘ werden. In Grenzfällen bleibt dann aber bisweilen nur das ‚direkte Zeigen’… oder es lässt sich aktuell nicht entscheiden, was ‚gemeint‘ ist.

Aus diesen einfachen Beispielen kann man aber schon zwei wichtige Grundprinzipien in er Nutzung unserer Alltagssprache herauslesen:

  1. In gemeinsam geteilten Situationen können Gesprächsteilnehmer sich durch Bezug auf die konkreten Eigenschaften einer Situation ‚im Normalfall‘ darüber verständigen, ob die ‚gemeinte Bedeutung‘, die die Teilnehmer mit einem ’sprachlichen Ausdruck‘ verbinden, in der aktuell gegebenen Situation im Rahmen der Alltagswahrnehmung ‚zutreffen‘ oder nicht. Philosophen würden in einer solchen Situation dann vielleicht sogar sagen, dass ein sprachlicher Ausdruck A von den Sprachteilnehmern als ‚wahr‘ bezeichnet wird, wenn jeder für sich zum Urteil kommt, dass die von jedem ‚intendierte Bedeutung B‘ als ‚zutreffend‘ bezeichnet wird. Niemand kann zwar ’sehen‘ welche konkrete Bedeutung B der jeweils andere ‚in seinem Kopf‘ hat, aber er bildet pragmatisch die ‚Deutungshypothese‘, dass der andere wohl die gleiche Bedeutung B ‚im Kopf‘ hat, wie er selbst. Ganz sicher kann er natürlich nicht sein. Folgen weitere Situationen, in denen eine ‚Übereinstimmung‘ durch Bezugnahme auf konkrete Aspekte einer Situation sich ‚wiederholen‘, dann wird sich die Überzeugung bei den meisten verfestigen, dass man das gleiche ‚meine‘.
  2. Fehlt eine gemeinsam geteilte Situation, hat also jeder ’nur‘ seine jeweilige ‚intendierte Bedeutung‘ in seinem Kopf, dann können sprachliche Ausdrücke von einem zum anderen zwar jeweils ‚gelernte Bedeutungen‘ im Kopf der anderen ‚hervorrufen‘, aber keiner der Beteiligten kann zweifelsfrei klären, ob der andere tatsächlich auch die Bedeutung im Kopf hat, wie er/sie/x selbst.

Die Klärung von ‚gemeinten Bedeutungen‘ in den Köpfen der Beteiligten wird umso schwieriger, je ‚abstrakter‘ die Bedeutung eines Wortes ist. ‚Alltagsnahe‘ Begriffe wie ‚Auto‘, ‚Tasse‘, Tisch‘, Haus‘ usw. lassen sich zwar mit Bezug auf eine konkrete Situation meistens soweit klären, dass ein ‚Zutreffen‘ auf eine reale Gegebenheit ‚entscheidbar‘ ist, aber je abstrakter eine Bedeutung wird (‚Sitzgelegenheiten‘, ‚Fahrzeuge‘, ‚Fortbewegungsmittel‘, ‚Trinkgefäße‘, ‚Behälter‘, …) um so aufwendiger kann ein Verständigungsprozess werden. Solange ein Bezug zu einer konkreten Situation hergestellt werden kann (Behälter –> Flaschen –> Wasserflasche –> Wasserflasche im Kühlschrank …) kann es funktionieren, wenn aber sprachliche Ausdrücke benutzt werden, die ‚vom Alltag weiter entfernt‘ sind (‚Liebe‘, ‚Demokratie‘, ‚Landkreis‘, ‚Bevölkerung‘, ‚Sprache‘, ‚Freiheit‘, …) wird es zunehmen schwieriger, diese in der ‚erfahrbaren Realität‘ zu verankern. Jeder mag sich zwar bei solchen sprachlichen Ausdrücken trotzdem ‚irgend etwas‘ noch ‚für sich vorstellen‘, ob diese eigenen Vorstellungen dann aber mit jenen im Kopf eines anderen Menschen ‚irgend etwas‘ gemeinsam haben, das ist eine offene, meist nur aufwendig entscheidbare Frage.[2]

Ausgangslage, ‚geerdet‘

Wenn es eine Gruppe schafft, eine gemeinsame Situation mit Hilfe von normaler Sprache so zu beschreiben, dass alle Beteiligten darin ‚übereinstimmen‘, dass der gemeinsame Text auf die Situation ‚zutrifft‘, dann kann die Gruppe diesen Text als ihre Beschreibung einer ‚Ausgangslage‘ zu einem bestimmten “Zeitpunkt‘ (oder, etwas ungenauer: in einem bestimmten ‚Zeitfenster‘ z.B. 20.8.2022 – 23.8.2022) akzeptieren. Normalerweise bildet solch eine Situationsbeschreibung nur einen Ausschnitt der ganzen Wirklichkeit ab, da man ja nur solche Aspekte beschreiben will, die die Gruppe für ihre Interessen als ‚relevant‘ einstuft. Aufgrund der Übereinkunft, dass der Text der Situationsbeschreibung ‚zutrifft‘, kann man auch etwas ‚blumiger‘ sagen, dass dieser Text ‚geerdet‘ ist; er besitzt eine Verankerung in der gemeinsam erfahrbaren Alltagswelt.[3]

Veränderungen

Die Beschreibung eines Augenblicks — oder eines begrenzten Zeitraums — mag im Detail aufschlussreich sein, aber ‚für sich genommen‘ ist jede Momentaufnahme ’statisch‘. Anders gesagt „Es tut sich nichts“. Nur mit Blick auf einen Moment, einen Augenblick, auf ein JETZT, ist unsere Erkenntnis über die uns umgebenden Welt (und wie Menschen gehören dazu) sehr eingeschränkt.

Spannend wird es erst, wenn wir mehrere Augenblicke beschreiben, die ‚zeitlich‘ aufeinander folgen. Eben war es trocken, jetzt regnet es. Eben führte mein Fußballverein 2:0, jetzt steht es plötzlich 2:2. Noch vor einer Woche war die Wiese grün und saftig, jetzt ist alles gelb, vertrocknet. Vor einem Jahr war der Pegel des Brunnes noch bei Marke -3 m, dieses Jahr ist er plötzlich bei -5 m …. Es sind diese Veränderungen im Alltag, die mögliche Hinweise auf Faktoren liefern können, die auf unsere Situation ‚einwirken‘ und sie ‚verändern‘.[4]

Allerdings, Veränderungen werden nur dann sichtbar, wenn wir unsere Beschreibungen ‚erden‘, sie möglichst ’nah am beobachtbaren Alltag‘ orientieren. Wenn eine Gruppe schreibt „Am 2.August 2022 ist die Wiese vom Acker Müller in XYZ grün“ mit der Bemerkung, wir haben sie gesehen und fotografiert, und diese Gruppe schreibt zu einem späteren Zeitpunkt „Am 20.August 2022 ist die Wiese vom Acker Müller in XYZ vertrocknet“ ebenfalls mit der Bemerkung, wir haben sie gesehen und fotografiert, dann sind dies nicht nur ‚irgendwie zwei sprachliche Ausdrücke‘, sondern diese sprachlichen Ausdrücke ‚repräsentieren‘ für alle Beteiligten sprachliche Bedeutungen in den Köpfen der Mitglieder der Gruppe, die berichten, dass diese sprachlichen Bedeutungen in ihrer wahrnehmbaren Umgebung zutreffen. Und da die Bedeutung vom Ausdruck am 2.August anders ist als die Bedeutung vom 20.August liegt hier eine Veränderung vor.

Aufgrund unseres Alltagswissens wissen wir, dass die Pflanzen einer Wiese Wasser benötigen und genau dieses Wasser bei hohen Temperaturen ohne Regen knapp wird; man könnte die Situationsbeschreibung daher beispielsweise auch so erweitern, dass man sagt:

Situation 1:

Am 2.August 2022 ist die Wiese vom Acker Müller in XYZ grün.

Die Sonne scheint mehr als 8 Stunden pro Tag.

Die Temperaturen liegen über 33 Grad.

Es regnet nicht.

Situation 2:

Seit dem 2.August hat es nicht geregnet.

Die Temperaturen lagen die ganze Zeit bei über 30 Grad.

Am 20.August 2022 ist die Wiese vom Acker Müller in XYZ vertrocknet.

Bei dieser Sachlage gibt es als ‚Neuigkeit‘, dass die Wiese jetzt vertrocknet ist während sonst anderen Faktoren (Temperatur, Regen) ‚gleich‘ geblieben sind.

Daraus lässt sich auf eine erste einfache Weise die Hypothese formulieren, dass eine grüne Wiese, bei gleichbleibend hohen Temperaturen über 30 Grad und ohne Regen vertrocknet.

Eine solche einfache Hypothese wird niemanden besonders beeindrucken, aber dieses einfache Beispiel macht dennoch das allgemeine Schema sichtbar, wie wir aufgrund von Veränderungen im Alltag — falls wir sie wahrnehmen! — auf Zusammenhänge aufmerksam werden können, die uns sonst möglicherweise entgehen, und es sind gerade solche Veränderungen, die Hinweise auf solche Faktoren liefern können, die auf eine aktuelle Situation einwirken.

Erste Prognosen

Also, eine Beschreibung einer Situation für einen bestimmten Zeitraum zu erstellen, in dem sich — aus Sicht der Beobachter — nichts Nennenswertes verändert hat, die von allen Beteiligten als ‚zutreffend‘ bezeichnet wird, ist nicht selbstverständlich, aber führt uns für das Verstehen einer möglichen Zukunft noch nicht sehr weit.

Gibt es hingegen mehrere solche ‚zutreffenden‘ Situationsbeschreibung aus verschiedenen — zeitlich aufeinander folgenden — Situationen, und man entdeckt zwischen diesen Beschreibungen ‚Veränderungen‘, dann können diese Veränderungen Anhaltspunkte für Veränderungen in der beobachteten — als real unterstellten — Situation sein.

Schließt man sich der Sichtweise des späten Karl Popper an (siehe [4.1], [4.2]) und tut das, was eigentlich jeder im Alltag tut, nämlich zu ‚vermuten‘, dass diese beobachteten Veränderungen mögliche ‚Hinweise auf mögliche realen Faktoren‘ sein können, deren reale Wirkungen sich im Format dieser beobachteten Veränderungen manifestieren. Solche Vermutungen kann man dann in Form einer ‚Hypothese‘ formulieren, die dann den Ausgangspunkt für eine ‚Prognose‘ bilden kann.

Wenn ich — siehe den vorausgehenden Abschnitt — beobachte, dass eine grüne Wiese nach einer bestimmten Zeit ohne Regen und unter hohen Temperaturen verwelkt, gelb wird, abstirbt, dann kann ich per ‚Vermutung‘ [5] einen Zusammenhang herstellen zwischen den Phänomenen ‚Kein Regen‘ und ‚Temperaturen über 30 Grad‘ einerseits und dem Phänomen ‚Wiese verwelkt‘ andererseits. Salopp formuliert: „Wenn eine grüne Wiese über x Tage kein Regen bekommt und über y Tage über 30 Grad Temperatur herrscht, dann wird die Wiese verwelken.“ Verwendet man diese Vermutung dann aktiv als ‚Hypothese‘, dann kann man die ‚Prognose‘ wagen, dass jede grüne Wiese unter den genannten Bedingungen verwelken wird.

Wenn man dann aufgrund anderer zutreffender Beschreibungen zusätzlich weiß, dass die Temperaturen in einer bestimmten Region über viele Monate sehr hoch sein werden und dass es zusätzlich fast keinen Regen geben wird, dann kann man diese Informationen mit der neuen Hypothese verknüpfen und voraussagen, dass alle grünen Wiesen in der besagten Region verwelken werden. Bauern mit Viehhaltung verlieren dadurch die Möglichkeit, über die Wiesen Futter für den Winter zu gewinnen und zu speichern. Dies vermindert das verfügbare Futter und zwingt den Bauer, stattdessen woanders die entsprechende Menge von Futter zu kaufen (falls es überhaupt genügend gibt!). Dies wiederum erhöht seine ‚Produktionskosten‘ für Milch.

Man kann erkennen, dass (i) zutreffende Beobachtungen, festgehalten in Texten, dazu (ii) Erkenntnisse von Veränderungen im Beobachtungszeitraum, zu (iii) Vermutungen führen können, die Hypothesen ermöglichen, mit denen man (iv) erste Prognosen wagen kann, die eine erste grobe Orientierung über eine mögliche nahe Zukunft liefern können. Die Frage ist, ob die Bauern der betroffenen Region dann überhaupt so schnell reagieren können.

Einschätzungen: Wollen wir das?

Verfügt man über Prognosen, die einen Blick in eine mögliche Zukunft — oder gar in viele alternative mögliche Zukünfte — erlauben, dann können sich alle, die von dieser möglichen Zukunft betroffen sind, darüber Gedanken machen, was sie von dieser sich andeutenden Zukunft halten. Erscheint die sich andeutende Zukunft ‚positiv‘ (in welchem Sinne positiv?) oder ’negativ‘ (in welchem Sinne negativ?)? Alle Betroffenen können sich dann Gedanken machen, ob sie auf diese Perspektive reagieren wollen, und wenn ja: wie. Sich wegducken, nichts tun, kann in vielen Fällen verheerend sein. Wenn sich z.B. anhand der verfügbaren Daten andeutet, dass eine große Stadt in Deutschland (eigentlich nicht nur eine große Stadt) in nur wenigen Jahren (3-5?) 70% (oder gar mehr) weniger Trinkwasser haben wird als 2022, dann würde das auf eine kommende Katastrophe hindeuten.

Sollten wir etwas tun? Was?

Schafft es eine Gruppe von Menschen, über erste Beobachtungen, Veränderungsfeststellungen, Hypothesen und Prognosen soweit zu kommen, dass sich bei ihr der Eindruck verfestigt, dass sie als Gruppe etwas tun sollte, dann stellt sich natürlich immer die Frage, was man denn tun sollte und was man denn von dem ‚gesollt Gewollten‘ tatsächlich auch tun kann. Hier einige Ansatzpunkte, an denen man anknüpfen kann/ sollte:

  1. In der Regel stellen sich im Bereich der Berichte oft viele Fragen zu den verfügbaren Beschreibungen. Die Daten von Behörden können ‚fragmentarisch‘ sein, nicht wirklich ‚transparent‘, ‚veraltet‘, oder gar ‚lückenhaft‘. Wichtige unterstützende Gesetze ‚fehlen gänzlich‘ oder passen nicht wirklich zum Problem.
  2. Verfügbare politische Programme oder Planungsdokumente von Landkreisen, Regierungsbezirken, Landesministerien, einschlägigen Behörden fehlen oder sind unvollständig oder bieten keine klaren, belastbaren Prognosen.
  3. Die verschiedenen politischen Ebenen und Behörden können wenig koordiniert sein.
  4. Bekannte Ergebnisse aus den Wissenschaften werden zu wenig berücksichtigt.
  5. Die Bedürfnisse von Bürgern vor Ort finden zu wenig Beachtung.
  6. Wichtige gesellschaftliche Bereiche (Landwirtschaft, Gesundheit, Bildung, Handwerk und Industrie, usw.) werden zu wenig berücksichtigt.
  7. Die Vernetzung der unterschiedlichen Faktoren ist zu wenig erkennbar, wird zu wenig in Rechnung gestellt.

Vor diesem Hintergrund könnte es sinnvoll sein, die allgemeine Datenbasis durch direkte Interaktion mit den verantwortlichen Stellen zu verbessern; diese dann öffentlich für alle verfügbar zu machen; und über eine bessere Vernetzung der Faktoren und bessere Prognosen für alle Betroffene wichtige Zukunftsszenarien herzustellen, anhand deren alle Betroffenen eine bessere Einschätzung gewinnen können als bisher.

Alternative Szenarien durchspielen

Vielleicht erkennt der Leser anhand dieser Überlegungen, dass die Fähigkeit, mit allen relevanten Daten und Faktoren solche Hypothesen/ Prognosen bilden zu können, dass wahrscheinliche Zukunftsszenarien sichtbar werden, der Schlüssel ist für einen verantwortlichen Umgang mit der Zukunft.

Wer es mit Nachhaltigkeit ernst meint, der wird um die Möglichkeit und Fähigkeit nicht herumkommen, belastbare Zukunftsszenarien hochrechnen zu können. Diese werden aus verschiedenen Gründen niemals eine ‚exakte Voraussage‘ sein können, aber als ‚Hilfsmittel des gemeinsamen Nachdenkens‘ über eine nachhaltige Zukunft sind sie alternativlos.

So kann eine Bewegung entstehen

Wenn es einer Gruppe von Menschen — oder vielen, die sich vernetzen — gelingt, öffentlich belastbare Daten und Hypothesen für eine bestimmte Region zusammen zu tragen, so dass jeder nachvollziehen kann, wie diese Daten zustande kommen, so kann dies sehr wohl die ‚Keimzelle‘ für eine Bewegung von Bürgern werden, die zusammen mit anderen ihre Erfahrungen und ihr Wissen für das gemeinsame Ganze einbringen möchten.

Analog zu Wikipedia, und doch darüber hinausgehend, können Bürger von überall her Wissens-Fragmente als Theorie-Fragmente beisteuern, die sich beliebig simulieren und beliebig zu größeren Fragmenten vereinigen lassen…. und so entsteht oksipedia.org: das Wissen von allen, als ein riesiges Netzwerk von Teil-Theorien, die dann doch als eine Theorie funktionieren können.[6]

ZUSAMMENFASSUNG

Skizze des Ablaufmodells von der zutreffenden Beobachtung über Veränderungen, Hypothesen, dann Prognosen zu einem möglichen zukünftigen Szenario. Daran anknüpfend die Frage: wollen wir das? Wenn wir das nicht wollen, dann haben wir hier die Gelegenheit zum zielgerichteten politischen Handeln…

Am Beispiel grüner Wiesen im Vogelsberg, die nach einer gewissen Zeit verwelken und schließlich verdorren, kann man durchspielen, dass begleitende Faktoren, wie mangelnder Regen und hohe Temperaturen, als Ursachen hypothetisch angenommen werden können. Mit diesen Hypothesen könnte man dann Prognosen wagen, die für alle Bauern mit grünen Wiesen voraussagen, dass und ab wann sie für ihre Tiere Futter hinzukaufen müssten (falls es überhaupt woanders Futter gibt, und zu welchen Preisen?), dazu aufwendig Wasser besorgen müssten (woher?), um die Tiere am Leben zu erhalten. Mit den vertrockneten Wiesen eines Jahres würde ca. 50% des gesamten Futters ausfallen, was dann im Winter fehlt. Wo soll das dann herkommen, und zu welchem Preis?

Vorwissen

Beim Durchlaufen des Wissensprozesses von der Beobachtung über Veränderungen zu Hypothesen und Prognosen kann jeder feststellen, dass in allen Phasen das mit hineinspielt, was oft ‚Vorwissen‘ genannt wird: all das, was wir bis zum Beobachtungszeitpunkt und während der Hypothesenbildung schon alles ‚wissen‘. Im Fall des Wassers gibt es z.B, mehr oder weniger klare ‚Vorstellungen‘ darüber, wie das ‚Klima‘ zusammenhängt mit Temperaturen und Niederschlägen, diese wiederum irgendwie mit Oberflächengewässern, Versickerungen im Boden, Grundwasser, Quellen und Brunnen. ‚Irgendwie‘. Dann haben wir Vorstellungen darüber, wie Wälder, Felder, Wiesen, Tiere und Menschen Zugang zu Wasser haben. ‚Irgendwie‘. Dann wissen wir — irgendwie — wie Landwirtschaft Wasser nutzt, die privaten Haushalte, die verschiedenen Gewerbe, die Industrie, hier speziell die Energieerzeuger…. Vorwissen ist im Alltag überlebensnotwendig. Leider kann es auch ‚falsch‘ sein; schwierig wird es, wenn das Vorwissen die Form des ‚Vor-Urteils‘ hat; dann will man in der Regel nicht wirklich wissen, sondern sich vor Wissen ’schützen’…

Ausgehend von dem vorausgehenden Wiesen-Beispiel: Würde wir aufgrund unseres ‚Vorwissens‘ weitere Faktoren in diese Überlegungen einbeziehen, wie z.B. das Versiegen vieler Quellen und Brunnen im Vogelsberg, die dazu führen, dass die Bauern ihr Vieh nicht mehr normal tränken können, dann müsste man sich zusätzlich fragen, warum z.B. eine Stadt wie Frankfurt durch ihre langjährige Wasserentnahme im Vogelsberg dort das Wasser verschwinden lässt, selbst aber bislang nichts tut, um Wasser zu sparen. In wenigen Jahren wird es auch für Frankfurt kein Trinkwasser mehr geben, und was dann?

KOMMENTARE

[1] WISSENSCHAFTSPHILOSOPHIE: Wissenschaftsphilosophisch setzt jede ‚Spezialsprache‘ die normale Sprache als ‚Meta-Sprache‘ voraus. Die scheinbare ‚Beschränkung‘ auf die Normalsprache ist daher nicht wirklich eine Beschränkung. Jede Spezialsprache ist hingegen eine Beschränkung. Wurde eine Spezialsprache als Erweiterung der Normalsprache eingeführt, gehört sie letztlich auch zur Normalsprache. In der Praxis des Sprachgebrauchs behält man aber meistens die Abgrenzung einer Spezialsprache zu allen anderen Sprachen bei.

[2] FORMALE SPRACHEN: Um den Verwicklungen normal sprachlicher Bedeutungen zu entgehen, begannen die moderne Logik und Mathematik zum Ende des 19.Jahrhunderts — und im Gefolge davon auch wissenschaftliche Disziplinen — sogenannte ‚formale Sprachen‘ zu benutzen. In einer formalen Sprache lassen sich die ‚formalen Ausrücke‘ ‚rein formal‘, ohne Bezug auf eine konkrete Bedeutung, so konstruieren, dass ‚in den meisten Fällen‘ ‚entscheidbar‘ ist, ob der Ausdruck ein ‚zulässiger Ausdruck‘ in der formalen Sprache ist. In komplexen Fällen (die entstehen im Bereich des Formalen sehr schnell), ist dies aber ohne Zuhilfenahme eines Hilfsmittels (z.B. Computer) rein praktisch kaum entscheidbar (bzw. theoretisch sogar teilweise ‚unentscheidbar‘). Möchte man auch im Zusammenhang von formalen Sprachen Bedeutungen verwenden, wie wir sie im Kontext der normalen Sprache kennen, dann müssen solche ‚Bedeutungszuordnungen‘ separat, extra vorgenommen werden. Sieht man von ‚Pseudo-Bedeutungszuordnungen‘ ab, die wiederum aus formalen Konstrukten bestehen, muss eine Bedeutungszuordnung zur ‚realen Alltagswelt‘ mit Hilfe von normaler Sprache in eigenen Prozessen ‚hergestellt‘ werden. Dies ist sehr aufwendig und führt bei ‚anspruchsvollen‘ empirischen Theorien (wie z.B. der Physik) genauso zu Bedeutungsproblemen wie in der Normalsprache.

[3] MESSEN: Neben den alltäglichen Verfahren, wie man sich darauf einigt, ob eine Aussage in der aktuellen Situation ‚zutrifft‘ oder nicht, gibt es auch solche Verfahren, die wir als ‚Messen‘ kennen. Für diese Messverfahren hat man besondere Vereinbarungen getroffen. Sei X die Sache/ Eigenschaft, die ‚gemessen‘ werden soll, dann braucht man beim offiziellen Messen eine ’speziell vereinbarten Referenzsachverhalt‘ Y, so dass man X mit Y ‚vergleichen‘ kann. Zusätzlich ist festgelegt, wie man die Vergleichsoperation konkret vornehmen muss. Bekannt sind z.B. das Längenmaß ‚Meter [m]‘ (X ist 3 m lang), das ‚Kilogramm [kg]‘ (X wiegt 3.3 kg), usw. Diese vereinbarten Maße sind mittlerweile weltweit vereinbart. In jedem Land gibt es dazu eine Behörde, die über die Korrektheit der Referenzsachverhalte wacht. In Deutschland ist dies die Physikalisch-Technische Bundesanstalt: https://www.ptb.de/cms/ .

[4] Der Rückschluss von einzelnen Ereignissen auf eine ‚verborgene Gruppe von wirkenden Faktoren‘ wird ausdrücklich in einigen Arbeiten des späten Karl Popper diskutiert. Siehe [4.1], [4.2]

[4.1] Gerd Doeben-Henisch, 2022, „(SPÄTER) POPPER – WISSENSCHAFT – PHILOSOPHIE – OKSIMO-DISKURSRAUM„, , URL: https://www.cognitiveagent.org/2022/02/22/popper-wissenschaft-philosophie-oksimo-paradigma/

[4.2] Gerd Doeben-Henisch, 2022, „POPPER: FRÜH – MITTEL – SPÄT. Empirische Theorie„, URL: https://www.cognitiveagent.org/2022/03/13/popper-frueh-mittel-spaet-empirische-theorie/

[5] VERMUTUNGEN erscheinen hier als ‚kreative Akte‘ unseres Denkens, das im Gehirn stattfindet. Kreative Akte sind schwer planbar, kaum voraussagbar, aber sie bilden den Ausgangspunkt für mögliche wichtige neue Erkenntnisse.

[6] VISION: Unter der Rubrik ‚Vision‘ gibt es eine erste Beschreibung einer oksipedia.org-Vision; dies ist sicher noch nicht die letzte Version. Möglicherweise muss der ‚Entwicklungsprozess‘ von oksimo.org noch eine Weile voranschreiten, bis die Vision hinrechend greifbar wird.