DAS OKSIMO PARADIGMA und Kultur

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
24.Mai 2021 – 25.Mai 2021
URL: oksimo.org
Email: info@oksimo.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@oksimo.org)

Letzte Änderungen (Korrekturen): 26.Mai 2021

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des Themenfeldes BEGRIFFLICHER RAHMEN ZUM OKSIMO PARADIGMA innerhalb des oksimo.org Blogs.

IDEE

In der praktischen Anwendung des oksimo Paradigmas wird ein komplexer begrifflicher Rahmen vorausgesetzt. Ein Aspekt dieses begrifflichen Rahmens ist der Begriff der Kultur. Hier sollen einige grundlegenden Aspekte dieses Begriffs erläutert werden, soweit sie für ds Verständnis des oksimo Pradigmas relevant sind. Diese Überlegungen zum Begriff der Kultur ersetzen keine umfassende, systematische Abhandlung zu diesem Begriff.

Kultur?

Kurz zu sagen, was Kultur ist, ist schwierig, da jeder, der sich hierzu äußern möchte, zu diesem Zeitpunkt Teil einer Kultur ist. Was er immer ER=(er/sie/x) sagen möchte, ER wird dies tun geprägt von dieser Kultur, weil ER garnicht anders kann.

Die einzige Möglichkeit, solche kulturelle Vorprägungen in ihren — möglicherweise einseitigen und möglicherweise schädlichen — Wirkungen zu neutralisieren, besteht darin, diese Vorprägungen als persönliche Voraussetzungen methodisch soweit transparent zu machen, als es einem persönlich gelingt. Meistens braucht man dazu andere Personen, die eine andere kulturelle Prägung besitzen (deswegen ist Diversität von grundlegender Bedeutung), so dass im aktiven Miteinander möglicherweise Unterschiede sichtbar werden, anhand deren man indirekt auf die eigene Besonderheit aufmerksam werden kann. Man selbst ist ohne solche Differenzerfahrung meistens ‚blind‘, weil man an sich selbst so ‚gewöhnt‘ ist, dass einem die eigenen Besonderheiten einfach nicht mehr auffallen, auch wenn man will.

Wenn im Folgenden also von ‚Kultur‘ gesprochen wird, dann notgedrungen aus der Sicht des Autors dieses Textes. Sollte ein Leser das Gefühl haben, dass hier eine Sicht zutage tritt, die von der eigenen Position abweichend ist, dann wäre eine entsprechende Mitteilung an den Autor willkommen. Denn, wie festgestellt, nur in der Erfahrung einer Differenz kann individuelles Erkennen seinen eigenen Standpunkt indirekt, ansatzweise erkennen, um daraus — möglicherweise — Schlüsse zu ziehen, die die eigene Position verändern können.

Kultur heisst ‚Viele‘

Kultur wird hier angenommen als eine Sache, die aus dem ‚Miteinander‚ von Menschen resultiert und die sich in solch einem Miteinander ‚realisiert‘. Eine Ansammlung von Menschen, die weder kooperieren noch kommunizieren ist von daher kultufrei, kulturneutral. Menschen ohne Kultur sind aber eine reine Fiktion. Das schlichte Überleben war schon immer nur möglich in einem Minimum von Miteinander; wer sich diesem Miteinander ‚entzog‘ bzw. dazu ‚unfähig‘ war, war eine unmittelbare Bedrohung für den Rest. Sobald die Anzahl der Mitglieder menschlicher Gruppen zunahm und die Techniken des Überlebens leistungsfähiger wurden, veränderte sich die Wahrnehmung von dem, was Lebensnotwendig ist; veränderten sich die Einschätzungen; veränderten sich die Praktiken bis dahin, dass es in modernen technologischen Gesellschaften mit ‚unübersehbar vielen‘ Mitgliedern schwer bis unmöglich wird, einen ‚Sinn für das Lebensnotwendige‘ zu erhalten. Zu jedem Zeitpunkt gibt es mehr, als der einzelne zum Überleben im engeren Sinne benötigt, und auch die Zuordnung von vorhandenen Produkten und Dienstleistungen zu ihren Urhebern, zu ihren Möglichkeitsbedingungen verschwimmt in vielen Fällen bis zur Unkenntlichkeit. Übrig bleibt das Eingebettetsein in eine Vielheit, mit der der einzelne sprachlich und handlungsmäßig in Verbindung steht.

Kultur ist ’subjektiv verankert‘

Kultur ist von daher — ganz ähnlich der Alltagssprache — kein Gegenstand an sich, sondern eine Vielzahl von Ereignissen und Artefakten, die von Menschen ausgehen und auf Menschen zurückwirken können. Der objekthafte Aspekt von Ereignissen und Artefakten ist im Kontext von Kultur — ähnlich den Lauten oder Schriftzeichen einer Alltagssprache — ‚für sich gesehen‘ unedfiniert, aber im Bewusstsein, im Wissen, in der Erfahrung, in der Praxis von Menschen sind diese objekthaften Aspekte eingebettet in eine Vielzahl von internen Beziehungen — z.T. bewusst, meistens aber, aktuell oder strukturell — unbewusst, durch die sie ihre kulturelle Bedeutung bekommen. Etwas, was wie ein ’normaler Stein‘ aussieht kann im Kontext der Kultur einer Gruppe von Menschen nahezu alles bedeuten. So kann eine bestimmte Form der Verwendung des Steines möglicherweise mit dem Tod bestraft werden, weil dies in dieser Kultur so gesehen wird.

Kultur und Sprache

Auch wenn Kultur mehr ist als Sprache, gibt es keine Kultur ohne Sprache. Sprache ist das primäre Medium, indem sich ein ‚Miteinander‘ ‚aufbauen‘ kann, das zu einem gemeinsamen ‚Verständnis‚ und zu gemeinsamen ‚Handeln‚ führen kann. Da Sprache kein festes Objekt ist, das man vorzeigen kann, sondern aus einer Vielzahl von Sprachmanifestationen besteht, die von einzelnen Menschen ausgehen, die in unterschiedlichen Kontexten stattfinden, ist das ‚Erlernen‚ von Sprache ein kontinuierlicher Prozess der Aneignung, der grundlegend hypothetisch ist: Wenn jemand einen ‚Ausdruck‘ X benutzt, ist es immer eine Frage, ob damit die ‚Sache‚ Y gemeint ist, die in der aktuellen Wahrnehmung ‚verfügbar‚ ist oder ob es nur um ein gedanklich Mögliches geht, das aus Erinnerungen erwächst oder aus gedanklichen Operationen. Diese prinzipielle Unsicherheit resultiert aus dem inneren Charakter jeglicher Bedeutungszuordnung, die durch reale Kontexte zwar abgemildert, aber nie vollständig aufgehoben werden kann.

Manifeste Regeln

Das Verhalten (inklusive der sprachlichen Kommunikation) von Menschen ist grundsätzlich regelhaft. Zwar ist der Mensch grundlegend frei unterschiedliche Verhaltensweisen zu wählen, im Miteinander aber ist es wichtig, dass man sich auf Dauer und in wichtigen Abläufen so verhält, dass der andere eine Erwartung ausbilden kann, was man in bestimmten Situationen tun wird. Solche verläßlichen Verhaltensweisen ermöglichen letztlich jede Art von Planung. Die Übernahme von Regeln stellt per se keine Aufhebung von Freiheit dar, da man sich ja mit dem anderen verabreden kann, bestimmte Verhaltensweisen wieder zu ändern. Dass solche Veränderungen Konflikte hervorrufen können, stellt die grundsätzliche Freiheit nicht in Frage. Sie macht allerdings deutlich, dass vereinbarte Regeln nicht neutral sind, sondern Teil eines umfassenderen Kontextes, der mit einer Vielfalt von Interessen, Emotionen, Werten usw. verknüpft sein kann. Ein Recht auf Wassernutzung z.B. das von großen Konzernen gegen den Willen der Bewohner eines Gebietes einseitig beansprucht wird, ist eines von vielen Beispielen.

Regeln, Rollen, Verfahren …

Im Alltag verfolgen wir nicht eine Regel alleine, sondern ganz viele. Und diese Regeln sind nicht unstrukturiert, sondern auf vielfache Weise gruppiert. Nahezu jede Situation, in der Menschen etwas miteinander tun (sich treffen, einkaufen, Behörden, Lernen, Sport, …), ist mit Regeln verknüpft. Dazu kommt z.B. dass es typische Rollen gibt, die Personen einnehmen; das Befolgen von für diese Rollen typische Regeln (Schaffner, Polizist, Arzt, Notar, …) wird erwartet und ist meistens sogar durch entsprechende Texte fixiert. Weiterhin haben Menschen tendenziell mehr als eine Rolle: {Bürgerin, Frau, Mutter, soziale Netze, Verein, Unternehmerin, ….}, {Bürger, Mann, Freund, Schachclub Vorsitzender, Lehrer, Parteimitglied, …}. Diese Rollen koexistieren miteinander und ergeben ein gewisses kulturelles Erscheinungsbild eines Menschen. Zugleich prägen diese Rollen das Selbstverständnis eines Menschen, stecken Erfahrungsräume ab, usw. Man kann solche Rollen auch als Protokolle verstehen, die komplexe Verhaltensweisen definieren. Auf einer nächsten Stufe finden sich Institutionen, in denen viele Menschen nach einem Protokoll der Institution ihre Rollen definieren und sowohl einzeln wie auch als Mitglieder der Institution praktizieren.

Kultur als ‚Betriebssystem‘ einer Gesellschaft?

Macht man sich bewusst, dass Menschen als einzelne wie auch als spezifische Gruppe in einer Gesellschaft eine Vielzahl von Regeln, Rollen und übergeordneten Verfahren befolgen, dann kann man schon die Frage stellen, ob nicht die Gesamtheit dieser Regeln nicht nur das charakterisieren, was wir Kultur nennen, sondern dass dann auch die Kultur letztlich das Betriebssystem repräsentiert, durch das festgelegt wird, wie eine Gesellschaft funktioniert.

Kultur ermöglicht somit ein Erwartungsmanagement, das in geordnete Abläufe (Prozesse) münden kann, Kultur bietet aber auch in ihrer manifesten Realität einen Referenzpunkt, um neue Erfahrungen, neue Überlegungen im Vergleich zum Bekannten zu reflektieren, zu bewerten, abzuschätzen und eventuell dann kontrolliert auszuprobieren. Ohne einen klaren Referenzpunkt ist es schwer bis unmöglich, Neues zu identifizieren, um es gezielt auszuprobieren. Um Überleben zu können, braucht aber jede Gesellschaft eine Kultur (ein Betriebssystem), das an seinen Rändern kontrollierte Experimente ermöglicht! Ein solches Verhalten, aus kontrollierten Experimenten neue — hoffentlich brauchbare — Erkenntnisse zu gewinnen, nennt man auch Lernen.