DAS OKSIMO PARADIGMA und ein MINIMAL-MODELL DES PROJEKTMANAGEMENT PARADIGMAS

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
13.Juli 2021 – 13.Juli 2021
URL: oksimo.org
Email: info@oksimo.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch (im Gespräch mit Michael Hefter)

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des Themenfeldes Das Oksimo Paradigma und Projektmanagement des oksimo.org Blogs.

PROJEKTMANAGEMENT – ERSTE ANNÄHERUNGEN

Die nachfolgenden Überlegungen bilden einen Reflex auf intensive Gespräche, die der Autor mit Prof. Dr. Michael Hefter von der Frankfurt University of Applied Sciences geführt hat und noch führt. Es geht um den Versuch, den Prozess des Projektmanagements aus dem Blickwinkel des oksimo Paradigmas zu beleuchten. Diese ersten Texte stellen noch keine vollständige Theorie dar sondern bilden unterschiedliche Annäherungen an das Phänomen.

PM Koordinaten

Die folgenden Gedanken entstammen einem Gespräch, das ich am 13.Juli 2021 mit Prof. Hefter online führen konnte. Dies bedeutet jetzt nicht, dass dies genau seine Gedanken sind, aber dennoch hätte ich dies hier nicht so aufschreiben können, wenn wir dieses Gespräch nicht geführt hätten. Sozusagen ein typischer Fall von ‚Co-Creation‘ (oder ‚Emergenz‘).

BILD: Skizze der wichtigsten Koordinaten für Projektmanagement (Inspiriert durch ein Gespräch mit Prof. Dr. Michael Hefter)

Im Projektmanagement [PM] geht es ganz allgemein darum, anhand von Zielsetzungen — die zu finden und zu bestimmen eine wichtige Teilaufgabe ist — Prozesse zu organisieren, die eine definierte Ausgangslage in einen definierten Zielzustand überführen. Diese Überführung muss normalerweise eine ganze Reihe von Randbedingungen berücksichtigen.

Ferner kann man bei allen Projektbeschreibungen normalerweise unterschiedliche Abstraktionsebenen unterscheiden. Eine typische Unterteilung im Firmenumfeld unterscheidet zwischen der Portfolio Planung (die grundlegenden Unternehmensziele), der Programm Planung (erste Konkretisierungsebene) und dann innerhalb eines Programms viele unterschiedliche konkrete Projekte. Diese Dreiteilung ist ein bisschen willkürlich, hat sich in der Praxis aber offenbar bewährt.

Alle an der Planung beteiligten Akteure in den unterschiedlichsten Kontexten können aber nur dann zu einem gemeinsamen und abgestimmten Handeln zusammenfinden, wenn sie in der Lage sind, eine hinreichend gute Kommunikation umzusetzen. Ohne Kommunikation sind die einzelnen Gehirne isoliert und zu keiner koordinierten Aktion fähig (Ein leitender Manager kann zwar so tun ‚als ob‘, aber die Ergebnisse werden in relativ schnell eines anderen belehren).

Das Hauptproblem jeder Kommunikation ist der hybride Charakter der Kommunikation: nach außen werden zwar Ausdruckselemente benutzt, die objektiv wahrnehmbar sind, aber diese Ausdruckselemente können ihren Zweck nur erfüllen, wenn jeder Kommunikationsteilnehmer über eine erworbene Bedeutungsfunktion verfügt, die Ausdruckselemente mit diversen inneren Zuständen korreliert. Dies kann generell nur partiell gelingen, aber selbst da, wo es normalerweise gelingen könnte, ist hohes Engagement erforderlich, um eine hinreichend gute Korrelation zuwege zu bringen. Die permanente Überprüfung der unterstellten Bedeutung ist daher unverzichtbar.

Aus dieser Grundkonstellation kann man einige Postulate ableiten:

  1. Eine Sprache ist besser als viele Sprachen.
  2. Die normale Sprache des Alltags ist der beste Kandidat.
  3. Ein zusammenhängender Text ist besser als viele verteilte Fragmente.
  4. Ausgangspunkt und Ziel muss erkennbar sein.
  5. Ebenso handelnde Akteure und die benötigten Ressourcen.
  6. Es muss klar sein, welche Veränderungen möglich sind (selbst herbei geführt oder extern erzeugt).
  7. Mögliche Nebenwirkungen und Wechselwirkungen innerhalb des Prozesses sollten ersichtlich sein.
  8. Alle wichtigen Akteure müssen den Text verstehen und ihm zustimmen.
  9. Ein Text, der nach (1) – (8) erstanden ist, kann auch als Vertrag zwischen allen Beteiligten aufgefasst werden.

Drehbuch Fallbeispiel A, Teil 1

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
12.Juli 2021 – 12.Juli 2021
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Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@oksimo.org)

KONTEXT

Dieser Text ist Teil der Übersicht zur Standardversion-Drehbuch im Themenfeld Oksimo Roadmap Übersicht des oksimo.org Blogs.

FALLBEISPIEL A

Ablauf

  1. Man schreibt einen Text zur Startsituation S1 und einen Text zur Vision V1.
  2. Dann schreibt man nacheinander die verschiedenen Normalsituationen N1 – N7.
  3. Beim Übergang von einer Situation (S1 oder Ni) zu einer Nachfolgesituation Ni+1 fasst oksimo automatisch alle bisherigen Ausdrücke zusammen und zeigt sie an.
  4. Will man einzelne Ausdrücke von der bisherigen Situation für die nächste Situation eliminieren, muss man sie mit einem ‚*‘-Zeichen markieren.
  5. Gewünschte neue Elemente muss man in einem neuen Absatz hinzufügen.
  6. Für jedes Paar von Situationen kann eine Veränderungsregel R automatisch generiert werden:
    1. Für den Wenn-Teil werden alle Elemente der vorausgehenden Situation ohne die neuen Elemente übernommen.
    2. Die Wahrscheinlichkeit wird standardmäßig auf 1.0 gesetzt.
    3. Für den Eplus-Teil werden alle Elemente aus dem Abschnitt mit den neuen Elementen übernommen.
    4. Für den Eminus-Teil werden alle Elemente übernommen, die mit ‚*‘ markiert sind.
  7. Nach der automatischen Generierung einer Veränderungsregel wird diese angezeigt und kann individuell editiert werden.
  8. In der Standard-Einstellung werden alle Wenn-Teile von Regeln überprüft, ob eine vorausgehende Regel eine Teilmengenbeziehung zu einer nachfolgenden Regel enthält. Falls dies der Fall ist, wird dies angezeigt.
  9. Der Text des Drehbuchs kann beliebig oft weiter editiert werden (1) – (5).
  10. Auf Wunsch kann nach der Regelgenerierung eine Simulation durchgeführt werden, um (i) die Korrektheit und Vollständigkeit der Simulation zu testen sowie, um die Erreichung des Ziels zu evaluieren.

Orientierung

Dadurch, dass das Drehbuch als fortlaufender zusammenhängender Text angezeigt wird und bearbeitet werden kann, ist eine Orientierung normalerweise recht einfach.

Für komplexe Texte kann man sich als zusätzliche Hilfe einen Graphen anzeigen lassen, dessen Knoten die Namen von Situationen sind und dessen Kanten die jeweiligen Veränderungsregeln repräsentieren. Dies ist vor allem dann hilfreich, wenn das Drehbuch aufgrund von Optionen mehr als einen Handlungsstrang (mehrere Pfade) zulässt. Im Textmodus lässt sich dies nicht gut darstellen.

OKSIMO ROADMAP – Standardversion – Option: Drehbuch

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
2.Juli 2021 – 12.Juli 2021
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Email: info@oksimo.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@oksimo.org)[*]

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des Themenfeldes Oksimo Roadmap Übersicht des oksimo.org Blogs.

BASIS VERSION

Die Basis Version ist eine reine Konsolen Version. Mit ihr ist es möglich, beliebige Prozesse (und Simulationen) zu beschreiben. In der Praxis zeigt sich aber sehr schnell, dass die Bearbeitung komplexer Beispiele sowohl mühsam ist wie auch für viele Orientierungsprobleme aufwirft: wenn eine Beschreibung viele Zustände umfasst mit vielen Optionen, dann kann man aus Sicht der Konsole schon mal den Überblick verlieren, obgleich die Möglichkeit von Kollektionen von Visionen, Zuständen und Regeln eine sehr gute Hilfe zur Strukturierung komplexer Prozesse bietet.

Verschiedene Design-Experimente haben gezeigt, dass es möglicherweise Alternativen gibt, um die Entwicklung insgesamt zu beschleunigen, indem man vom Regel-Editieren zum Prinzip des Editierens eines Text-orientierten Drehbuchs wechselt, dies ergänzt durch automatische Regel-Generierung wie auch eine automatische Graphen-Generierung.

Dieses alternative Produktions-Design wird im folgenden kurz skizziert und dann anhand kompletter Beispiele illustriert.

OPTION DREHBUCH

BILD: Skizze des neuen Drehbuch-Modus. (1) Im Editier-Modus kann man die Texte für die einzelnen Szenen direkt eingeben. Parallel werden die dazu passenden Regel automatisch erzeugt, die man aber noch selbst weiter editieren kann. Ebenso wird parallel automatisch ein Übersichtsgraph erzeugt. (2) Im Simulationsmodus werden die aktuellen Szenen angezeigt, dazu die aktive Regel(n), sowie die Position im Übersichtsgraph.

Ausgangspunkt:

Alle Fenster sind leer.

Drehbuch Fenster

Schalter für Start-Szenen (S0) oder normale Szenen (S) oder für Visionen (V). Es kann mehrere Startszenen und Visionen geben

Regel Fenster

Werden automatisch generiert und können dann editiert werden.

Graph Fenster

Werden automatisch generiert.

Klickt man im Editiermodus auf einen Knoten in dem Graph-Fenster, dann wird die entsprechende Szene mit der zugehörigen Regel im Fenster angezeigt.

BEISPIELE

  1. Drehbuch Fallbeispiel A, Teil 1 (Letzte Änderung: 12.Juli 2021)

ANMERKUNGEN

[*] Bei diesem Text gehen implizit viele Gedanken von verschiedensten Personen mit ein, mit denen ich gesprochen habe. In diesem Fall von Philipp Westermeier, Athene Sorokowski und Tobias Schmitt.

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG – Bedeutung

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
4.Juli 2021 – 5.Juli 2021
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Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@oksimo.org)

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des Themas die strukturellen Eigenschaften der oksimo Sprache im oksimo.org Blog.

BEDEUTUNG

Welche Disziplin?

Bei der Frage, welche wissenschaftliche Disziplin denn zuständig sei für die Frage was ‚Bedeutung‘ im Kontext von Sprache sei/ ist, gibt es keine klare Antwort. Es gibt viele Disziplinen, die sich mit dieser Thematik beschäftigen: Allgemeine Sprachwissenschaft, Linguistik, Sprachpsychologie, Sprachphilosophie, Semiotik, Neurolinguistik, um nur einige der Anwärter für die Zuständigkeit zu nennen. Im Folgenden gehe ich nicht explizit auf diese Disziplinen ein sondern bechränke mich auf die Beschreibung einer Grundperspektive, die sich für mich nach mehreren Jahrzehnten multidisziplinärer Arbeit als besonders hilfreich heraus kristallisieret hat. Es eine Art begrifflicher Rahmen mit einer gewissen Konsistenz.

Begrifflicher Rahmen

BILD: Begrifflicher Rahmen zur Einordnung des Begriffs Bedeutung im Kontext des oksimo Paradigmas

Im oksimo Paradigma wird angenommen, dass die externen Ausdrücke einer normalen Sprache Lext — gesprochen oder geschrieben — einem entsprechenden internen Ausdruckssystem Lint korrespondieren. Diese internen Ausdrücke lassen sich mit möglichen internen kognitiven Sachverhalten sehr flexibel assoziieren. Die Beziehung zwischen den Ausdrücken Lint einer internen Sprache und selektierten internen kognitiven Sachverhalten kann man mathematisch als eine Abbildungsbeziehung sehen, etwa wie folgt:

μ : Lint <—> Kognition

Das Zeichen ‚μ‘ steht dann für ‚meaning‘ = ‚Bedeutung‘ und ist der Name für diese Abbildungsbeziehung, innerhalb deren kognitive Elemente Ausdrucks-Elemente ‚ Lint zugeordnet werden. So kann der Ausdruck z.B. lauten ‚Tasse‘ und über die Bedeutungsfunktion wird der Ausdruck solchen Wissenselementen zugeordnet, die aus der Wahrnehmung und dem Gebrauch eines Gegenstandes resultieren, von dem wir gelernt haben, diesen Gegenstand mit dem Ausdruck ‚Tasse‘ zu verknüpfen. Da die Alltagssituationen, in denen ein Akteur einen Sachverhalt samt den zugehörigen sprachlichen Ausdrücken kennen lernt, sehr vielfältig sein können, können die Bedeutungen zwischen verschiedenen Akteuren stark variieren. Bedeutung ist also kein ‚Gegenstand‘, sondern Bedeutung ist ein Beziehungsfeld, innerhalb dessen Ausdrücke auf etwas anderes verweisen und dieses andere steht nicht für sich alleine, sondern ist wissensmäßig/ kognitiv mit dem Ausdruck verbunden.[2] Ohne solch eine gewusste Beziehung ist irgendein Gegenstand keine Bedeutung und irgendein Ausdruck hat keine Beziehung zu irgendwas. Dieses Bedeutungsbeziehung existiert nur in unserem internen Wissen, muss gelernt werden, ist von daher dynamisch, adaptiv, offen, kontinuierlich veränderbar.

Empirisch – Subjektiv – Abstrakt

Sachverhalte, die zwischen verschiedenen Akteuren entweder gegeben sind oder sich ereignen können, so, dass sich die verschiedenen Akteure einigermaßen darüber einigen können, ob diese Sachverhalte vorliegen oder nicht, werden hier als empirisch aufweisbar oder objektiv angenommen.

Sachverhalte, die nur als interner Zustand in einem Akteur gegeben sind, werden hier als nicht empirisch bzw. als subjektiv angenommen.

Die Wahrnehmung einer Tasse als solche ist primär subjektiv, aber, insofern diese Tasse tatsächlich auch als empirisches Objekt existieren kann, auf die sich auch ein anderer Akteur beziehen kann, handelt es sich um einen subjektiven inneren Zustand, der mit einem empirischen Außenereignis korreliert. Diesen Sachverhalt kann man sich auch dadurch klar machen, dass sämtliche körper-externen Ereignisse — und auch alle Körperereignisse außerhalb des Gehirns — für das Gehirn als solches nicht existieren, es sei denn, es gibt eine Signalkette über Sensoren (Augen, Ohren, Tastsinn, …) über Nervenleitungen zum Gehirn, wo diese Signalmengen auf unterschiedliche Weise verarbeitet werden.[1] Es ist dann Sache des Gehirns, was es aus diesen Signalen macht. Dass wir ständig das Gefühl haben, mitten in einer dreidimensionalen Körperwelt zu leben, ist ausschließlich eine Rechenleistung des Gehirns, das uns aus den vielen Millionen Einzelsignalen das Modell einer virtuellen Welt errechnet, die wir als die reale Welt nehmen, obwohl es nur die Welt in unserem Kopf ist.

Die Beziehung zwischen innerer virtueller Welt und empirischer Körperwelt ‚da draußen‘ ist also schon im Ansatz nicht ganz einfach. Die Vielseitigkeit unserer normalen Sprache fügt dieser Beziehung noch viele weitere Akzente hinzu.

Ein Aspekt ist die Abstraktion. Unser Gehirn verarbeitet die hereinkommenden sensorischen Signale schon auf sehr früher Stufe zu abstrakten kumulierenden Prototypen von sensorischen Ereignissen, die sich beliebig weiter verallgemeinern lassen. Die normale Sprache benutzt daher überwiegend Allgemeinbegriffe (Haus, Tasse, Hund, Baum, …), die sich auf diese abstrakten kumulierenden Prototypen beziehen. Ein Ausdruck wie ‚Gibst Du mir mal die Tasse‘ ist von daher rein sprachlich extrem vieldeutig, da der Allgemeinbegriff ‚Tasse‘ hunderte, tausende von verschiedene konkrete Objekte meinen kann. Das ist im Prinzip sehr ökonomisch: mit einem Wort kann man tausende von verschiedene Objekte bezeichnen. Welches Objekt konkret gemeint ist, muss dann jeweils die jeweilige Redesituation entscheiden. Wenn sich auf dem Tisch nur ein einziger Gegenstand befindet, auf den Eigenschaften des Ausdrucks ‚Tasse‘ zutreffen, dann ist klar, welcher Gegenstand gemeint ist. Sollten mehrere Gegenstände auf dem Tisch sein, die alle ‚irgendwie‘ eine Tasse sein könnten, dann müsste man auf solche Eigenschaften abheben, die der eine intendierte Gegenstand anders hat als die anderen. So könnte eine Tasse rot sein, alle anderen nicht, oder größer, oder kleiner, voll oder nicht voll usw. Wären alle von ihren Eigenschaften her ununterscheidbar, dann bleibt nur noch das Hinzeigen auf den Ort des Gegenstandes, da räumliche Objekte in der Alltagswelt einzigartig sind: In der alltäglichen Körperwelt kann sich auf dem gleichen Platz immer nur ein Gegenstand befinden, nicht zugleich auch ein anderer.[3]

Da unser Gehirn beliebige Abstraktionen ausbilden kann, also nicht nur ausgehend vom sinnlichen Ereignissen, sondern auch von schon gegebenen Abstraktionen, kann die Ermittlung der beteiligten Eigenschaften schwierig werden. So können wir z.B. die Gegenstände in einem Zimmer einigermaßen einzelnen aufzählen (z.B. in einer Inventarliste), und dann können wir versuchen, die Inventarlisten von von mehreren Zimmern einer Wohnung dahingehend zu verallgemeinern, dass wir Klassen von Gegenständen bilden. Also Raum 1 hat einen Stuhl mit Tisch und eine Tischlampe; Raum 2 hat ein Bett mit kleiner Kommode und Nachttischlampe; Raum 3 hat einen Herd, einen Kühlschrank und ein Waschbecken … Raum 1 könnte als ein Arbeitszimmer deklariert werden, Raum 2 als ein Schlafzimmer und Raum 3 als eine Küche. Gäbe es jetzt Beschreibungen von verschiedenen Wohnungen, dann wäre die Frage, ob sich die Bezeichnungen Arbeitszimmer, Schlafzimmer und Küche unterscheiden könnten: Welche anderen Möbel würde man in anderen Wohnungen in den einzelnen Räumen finden? Was passiert, wenn man Arbeiten und Schlafen oder Arbeiten und Kochen verbindet?

Man erahnt, wie die Beschreibung unserer Welt mit Hilfe der Sprache eine ambivalente Angelegenheit ist: einerseits ermöglicht die Sprache uns beeindruckende Beschreibungs- und damit Strukturierungsleistungen, die innerhalb einer Kommunikation komplexe Koordinierungsleistungen erlauben. Zugleich besteht aber allgegenwärtig die Gefahr, dass wir uns durch die großen Interpretationsspielräume individuell Vorstellungen von dem Gemeinten machen, die mit dem, was der Autor tatsächlich gemeint hat, nicht völlig übereinstimmen; schlimmstenfalls verstehen wir genau das Gegenteil von dem, was der andere hat sagen wollen.

Natürliche Intelligenz

Im Zeitalter der künstlichen Intelligenz kann man beobachten, dass wir real in Gefahr sind, die ungeheure Kraft der natürlichen Intelligenz menschlicher Gehirne, wie sie sich im Medium der normalen Sprache Ausdruck verleihen kann, mehr und mehr aus dem Blick zu verlieren. Die Einschränkung von künstlicher Intelligenz auf formale Sprachen und formale Strukturen ist viel gravierender, als die meisten es zur Zeit wahrhaben wollen.

Das oksimo Paradigma geht einen anderen Weg. Hier darf die volle Bandbreite der natürlichen Sprache benutzt werden, was nur möglich ist, weil die volle Breite der natürlichen Intelligenz von menschlichen Akteuren eingebracht werden darf; keine künstliche Beschränkung auf Formalismen, die das menschliche Denken künstlich — und unnatürlich — einschränken.

EINFACHE BEISPIELE

Um anzudeuten, was es bedeutet, die volle Bandbreite der natürlichen Intelligenz in Verbindung mit normaler Sprache nutzen zu können, hier ein paar einfache Beispiele.[4]

Im Rahmen der drei Dimensionen Ausgangslage, Ziel und Weg gibt es eine nahezu beliebige Vielfalt, die alle dem Format eines Prozesses folgen.

Ausgangslagen

Hier einige Beispiele:

(1) S = {In dem Ort X gibt es keinen natürlichen Treffpunkt für die Bürger. Der Ort entsozialisiert seine Bürger. Dies ist schlecht für ein gemeinsames demokratisches Bewusstsein}

In diesem Text kommen abstrakte Begriffe vor wie z.B. ‚entsozialisiert‘ und ‚demokratisches Bewusstsein‘. In der Alltagssprache ist so etwas zulässig. Es liegt dann in der Verantwortung der Beteiligten, diese Begriffe soweit zu konkretisieren (zu ‚operationalisieren‚), so dass alle Beteiligten verstehen, was sie damit meinen. Zu sagen, dass es etwas nicht gibt macht im Alltag Sinn, wenn man das, dessen Fehlen man konstatiert, aus anderen Zusammenhängen schon kennt.

(2) S = {Im Ort X ist die Bürgerbeteiligung an der lokalen Politik nahezu Null. Die Bürger wissen kaum, was die lokalen politischen Gremien so tun. Die Bürger wissen kaum, wie sie Zugang zu den lokalen politischen Prozessen finden können}

Der abstrakte Leitbegriff Bürgerbeteiligung muss soweit konkretisiert werden, dass klar ist, welche konkreten Tätigkeiten möglich wären und was der einzelne tun kann, um sich dabei zu beteiligen.

(3) S = {Der deutsche Bundestag verkörpert das Prinzip einer repräsentativen Demokratie. Die einzelnen Abgeordneten können zwischen den Wahlen machen was sie wollen, solange sie die Mehrheit haben. Die einen schreiben Gesetze für die Finanzindustrie. Andere dienen der Agrarindustrie. Wieder andere verhindern wirksame Maßnahmen gegen organisierte Kriminalität}


Diese sehr abstrakten Aussagen, hinter denen sich viele komplexe Prozesse verbergen, soweit konkretisieren zu können, dass sie sich anhand von konkreten Akteuren und Prozessen ausweisen lassen, ist eine schwierige Aufgabe. Dennoch müsste sie geleistet werden, soll Deutschland nicht in eine vollständige strukturelle Korruption abgleiten.

(4) S = {Die Uhr zeigt 12:30. Gerd verspürt ein Hungergefühl}

Während die Angabe der Uhrzeit für alle Beteiligten im Prinzip als empirisches Phänomen wahrgenommen werden kann, ist die Aussage über das Hungergefühl vom Akteur Gerd eine Aussage über einen inneren Zustand des Akteurs Gerd, von dem eigentllich nur der Akteur Gerd selbst etwas wissen kann. Der Ausdruck „Gerd verspürt ein Hungergefühl“ kann also auf eine Selbstaussage zurück gehen oder ist eine Fremdaussage, in der eine Vermutung über den inneren Zustand eines anderen Akteurs ausgedrückt wird.

(5) S = {Menschen haben Stoffwechselprozesse, die Energie verbrauchen. Ab einem bestimmten Punkt kann sich der Energieverbauch als subjektives Hungergefühl äußern. Der Akteur Gerd ist ein Mensch}

Im oksimo Paradigma kann man die Beschreibung einer Ausgangslage auf viele verschiedene Texte verteilen. So könnte man zu Text (4) noch Text (5) verfasst haben, in dem ein bestimmtes Wissen über Menschen ausgedrückt wird. Dieser Text (5) enthält viele Begriffe, für die man ein spezielles Fachwissen benötigt, um sie wirklich verstehen zu können. Wenn man allerdings ‚weiß‘, dass der Akteur ‚Gerd‘ ein ‚Mensch‘ ist, dann kann man den Akteur Gerd mit diesem allgemeinen Wissen über Menschen in Verbindung bringen (nicht zuletzt auch deshalb, weil man selbst ein Mensch ist und Hungergefühle kennt). Dieses Hintergrundwissen ermöglicht dann die Generierung einer Hypothese über das mögliche Hungergefühl des Akteurs ‚Gerd‘.

Visionen (Ziele)

Neben einer gewählten Ausgangslage braucht es im oksimo Paradigma auch Visionen von möglichen Zielen: wo will man hin? Ohne explizite Visionen steht alles still, dreht sich alles im Kreis, gerät ein System in eine Abwärtsspirale. Wie aber kann man sinnvolle Ziele beschreiben?

Da Zukunft grundsätzlich kein normales Objekt weder der Wahrnehmung noch des Denkens ist, sondern ausschließlich in Form von Arbeitshypothesen existieren kann, als Ergebnis von Hochrechnungen, ist der Status einer zukünftigen Situation immer hochgradig unsicher. Ohne eine Vision geht gar nichts; mit einer Vision kann etwas gehen, aber die Qualität einer Vision ist wichtig! Aus Unsinn kann nur Unsinn und Niedergang folgen. Was aber sind die Kriterien von Sinn?

Auf jeden Fall kann eine Vision nur einen Zustand in einer möglichen Zukunft meinen, der so noch nicht eingetreten ist, von dem man aber — aus welchen Gründen auch immer — annimmt, dass er möglich und wünschenswert ist. Wie beschreibt man Zukunft?

(V1) Im Fall der Ausgangslage (1) könnte eine mögliche Vision etwa so aussehen: V = {Im Ort X gibt es einen natürlichen Treffpunkt für die Bürger. Dort entstehen spontan viele soziale Kontakte. Dies ist für ein gemeinsames demokratisches Bewusstsein eine gute Voraussetzung}

(V2) V = {Im Ort X ist die Bürgerbeteiligung an der lokalen Politik sehr lebhaft. Die Bürger wissen immer mehr, was die lokalen politischen Gremien so tun. Die Bürger wissen immer besser, wie sie Zugang zu den lokalen politischen Prozessen finden können}

(V3) V = {Die einzelnen Abgeordneten des Deutschan Bundestages, die zur Regierungskoalition gehören, arbeiten gegenüber der Öffentlichkeit maximal transparent. Das notwendige Expertenwissen wird über öffentlich zugängliche Plattformen allgemein verständlich dargestellt. Abstimmungen folgen strikt den zuletzt öffentlich ausgearbeiteten Texten. Alle Maßnahmen werden vor der Verabschiedung immer auf mögliche Nebenwirkungen und auf mögliche Umsetzungsanforderungen kritisch überprüft, mindestens von den möglichen Betroffenen selbst. Jeder Bürger hat im Prinzip die Möglichkeit, seine Meinung direkt einzubringen. Der Mißbrauch des Parlaments für einzelne Lobbygruppen ist nicht möglich}. Eine solche Vision ist ‚mehr als Nichts‘, verlangt aber natürlich im Detail viele Klärungen: sie ist letztlich hochkomplex, und selbst wenn Transparenz und Mitsprache real möglich sein sollte, haben alle notwendigen Entscheidungen immer einen ganze Palette von Optionen. Diese zu ausführbaren Beschlüssen zusammen zu führen, verlangt weit reichende Fachkompetenzen, deren Verfügbarkeit weder garantiert ist, noch ist es immer klar, welchen ‚Wert‘ ein verfübares Wissen hat: die ‚herrschende Meinung‘, der sogenannte ‚Mainstream‘, ist meistens in vielen Bereichen falsch. Dagegen eine ‚abweichende Meinung‘ zu vertreten ist niemals einfach.

(V4) V = {Gerd ist nicht hungrig}. Die Beschreibung der Abwesenheit eines subjektiven Zustands, der als unangenehm empfunden werden kann, ist klar. Wie diese Vision eingelöst werden kann, erlaubt viele verschiedene Wege, die nur im Zielzustand übereinstimmen.

NACHBEMERKUNG

Die vorausgehenden Gedanken können nur die Grundidee von ‚Bedeutung‘ im Kontext von Ausgangslagen und Visionen andeuten. In der realen Welt, im realen Leben, das wir nachhaltig erhalten wollen, wird es letztlich immer nur darauf ankommen, ob wir uns über Sachverhalte soweit verständigen können, dass wir zu gemeinsamen Handlungen finden können, die zu eben jenen nachhaltigen Zuständen für uns alle führen. Da niemand heute über das notwendige und beste Wissen für das Morgen verfügt, bleiben immer viele Spielräume in den Optionen. Fehler sind grundsätzlich nicht vermeidbar; aber, vielleicht lernen wir daraus. Menschen verfügen grundsätzlich über eine Lernfähigkeit.

ANMERKUNGEN

[1] Die Details dieser Verarbeitung sind Gegenstand der Gehirnwissenschaft in Zusammenarbeit mit der Psychologie, oft auch Neuropsychologie genannt.

[2] Im Grenzfall kann ein Ausdruck auch auf einen Ausdruck verweisen — sogar ‚auf sich selbst‘ — , da Ausdrücke als geäußerte Ausdrücke auch zu Gegenständen werden, auf die man sich beziehen kann.

[3] In der Quantenmechanik gilt all dies natürlich nicht. Deswegen hat die Quantenmechanik auch ein nicht geringes Problem, einen Zusammenhang herzustellen zwischen der allgemeinen Theorie von Wahrscheinlichkeitsräumen und einer einzigen konkreten Welt.

[4] Viel mehr Beispiele findet man in den anderen Posts dieses Blogs.

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG – Verneinung-Negation

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
4.Juli 2021 – 4.Juli 2021
URL: oksimo.org
Email: info@oksimo.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@oksimo.org)

KONTEXT

Dieser Text ist Teil des Themas die strukturellen Eigenschaften der oksimo Sprache im oksimo.org Blog.

VERNEINUNG/ NEGATION

In der Standard-Version der modernen formalen Logik ist es möglich, mit Hilfe eines definierten Folgerungsbegriffs ⊦ aus einer Menge von Ausdrücken S, die als wahr gelten, einen anderen Ausdruck A abzuleiten, der auch als wahr gilt; solch einen abgeleiteten wahren Ausdruck nennt man dann ein Theorem.

Da die Standard -Version des Folgerungsbegriffs u.a. einen Negations-Operator ‚¬‘ umfasst, kann man mit dem Standard-Folgerungsbegriff sowohl Ausdrücke ‚A‘ wie auch ‚¬A‘ benutzen und gegebenenfalls ableiten. Allerdings gibt es ein Meta-Axiom das besagt, dass eine Menge von wahren Aussagen konsistent und volltändig sein muss, damit der klassische Folgerungsbegriff funktioniert. ‚Vollständig‘ besagt, dass alle wahren Sätzen in den Annahmen und möglichen Folgerungen vorkommen können und ‚konsistent‘ besagt, dass nicht zugleich die Aussage ‚A‘ und die Verneinung der Aussage ‚A‘, also ‚¬A‘, vorkommen darf. Wäre dies der Fall, also aus einer Menge von wahren Aussagen S würde ‚A ∧ ¬A‘ gefolgert werden können, dann wäre die Menge S inkonsistent (widersprüchlich), damit wäre der klassische Folgerungsbegriff außer Kraft gesetzt. Wenn ‚S ⊦ A ∧ ¬A‘ möglich ist, dann kann aus S alles abgeleitet werden, dann ist die klassische Logik nicht mehr anwendbar.

Zu diesem Thema gibt es eine riesige Diskussion verbunden mit Vorschlägen für alternative Folgerungsbegriffe. Dies soll hier nicht weiter vertieft werden.

Im oksimo Paradigma liegen die Dinge anders. Im oksimo Paradigma gibt es auch einen Folgerungsbegriff, der durch den Simulator repräsentiert wird, dieser Simulator repräsentiert aber einen zusammengesetzten Folgerungsbegriff, dessen unterschiedlichen Folgerungs-Formate selektiv genutzt werden können, z.B.

(0) S,V ⊩ ∑ R V‘ //* Aus einer Menge von Ausdrücken S und einer Menge von Ausdrücken V kann mit Hilfe von Veränderungsregeln R eine veränderte Menge von Ausdrücken V‘ abgeleitet werden. *//

(1) S ⊩ ∑ R S‘ //* Aus einer Menge von Ausdrücken S kann mit Hilfe von Veränderungsregeln R eine veränderte Menge von Ausdrücken S‘ abgeleitet werden. *//

(2) S ⊩ ∑ V %Goal //* Aus einer Menge von Ausdrücken S kann mit Hilfe von einer Menge von Ausdrücken V der Grad des Enthaltenseins — in % — von V in S abgeleitet werden. *//

Während der klassische Folgerungsbegriff jedem einzelnen Ausdruck einen Wahrheitswert (wahr, falsch) zuordnet und damit ‚rechnet‘, betrachtet der oksimo Folgerungsbegriff immer nur Mengen von Ausdrücken ohne spezifischen Wahrheitswert, und diese Mengen von Ausdrücken können entweder in ihrer Zusammensetzung verändert werden (Ausdrücke hinzufügen oder wegnehmen) oder aber es können Mengenrelationen wie z.B. das ‚Enthaltensein‘ der Elemente einer Menge in einer anderen Menge erfasst werden. Auf diese Weise kann es im Rahmen des oksimo Folgerungsbegriffs keinen klassischen Widerspruch geben, da es keine individuelle Wahrheit oder Falschheit gibt.

Damit ist aber noch nicht alles gesagt.

Tatsächlich kann man im oksimo Paradigma sehr wohl mit Verneinungen arbeiten.

Wie kann dies gehen?

Dazu muss man verstehen, dass das oksimo Paradigma sich gegenüber der modernen formalen Logik in mindestens dreifacher Weise unterscheidet: (1) Man braucht keine spezielle formale Sprache; jede Alltagssprache (Normalsprache) L reicht aus; (2) Zum Folgern zwischen Ausdrucksmengen benötigt man keine Wahrheit; (3) Jeder Ausdruck kann für einen menschlichen Benutzer, der die gewählte Sprache L versteht, eine Bedeutung besitzen. Dies beinhaltet u.a. ‚Wahrheit/ Falschheit‘, ‚Verneinung‘ und vieles mehr.

Wenn wir also eine Ausdrucksmenge S = {Gerd ist hungrig} haben (nur einen Ausdruck!), dann kann man innerhalb des oksimo Paradigmas mit der Veränderungsregel R = <Gerd ist hungrig},1.0,Eplus={Gerd ist nicht hungrig}, Eminus={Gerd ist hungrig}> den Nachfolgezustand S‘ = {Gerd ist nicht hungrig} ableiten. Ob dieser Nachfolgezustand S‘ relativ zum Vorgängerzustand S ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ ist oder irgendeine Bedeutung besitzt, entscheidet der Benutzer des Systems. Ein Beobachter von Gerd kann ja gesehen haben, dass Gerd inzwischen etwas gegessen hat und deshalb jetzt nicht mehr hungrig ist. Falls jemand neugierig ist und wissen will, wie es dazu kam, dass Gerd nicht mehr hungrig ist, kann man im oksimo Paradigma eine ganze Geschichte erzählen (Siehe das ausführlichere Beispiel hier).

Anmerkungen zu Wolfgang Schäuble „Das Prinzip der Repräsentation“

UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG
2.Juli 2021 – 3.Juli 2021
URL: oksimo.org
Email: info@oksimo.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@oksimo.org)

KONTEXT

Dieser Text ist ein Diskussionsbeitrag zum Artikel DAS OKSIMO PARADIGMA UND KOMMUNEN – Bürgerbeteiligung und Politische Parteien des Themenbereichs UNIVERSELLE PROZESSE PLANEN – Aus Sicht der Kommunen im oksimo.org Blog.

Anmerkung zu „DAS PRINZIP DER REPRÄSENTATION“

Kontext zum Artikel

Wie im vorausgehenden Artikel zu Bürgerbeteiligung und politische Parteien hervorgehoben wurde, muss das formale Prinzip der Gründung von Parteien, über die gewählte Repräsentanten bereit gestellt werden, um in verfassten Gremien die Regeln für ein gemeinsames Leben zu entscheiden, unabdingbar ergänzt werden um jene Kompetenzen, die notwendig sind, um die anstehenden Fragen sachlich angemessen erkennen und beantworten zu können.

Im Grundgesetz und im Parteiengesetz werden keinerlei Hinweise geliefert, wie die Einbeziehung notwendiger Kompetenzen real vonstatten gehen soll. Das formale Element der periodischen Wahlen ist als solches keinerlei Beitrag zur Frage von wirksam geteilten Kompetenzen. Im Parteiengesetz findet sich zwar der unübersehbare Hinweis, dass mit der Bereitstellung von Kandidaten für eine Wahl allein der Auftrag einer politischen Partei nicht vollstän dig erfüllt wird, aber konkrete Hinweise, wie eine kontinuierliche und nachhaltige Einbeziehung von Bürgern und ihrer Kompetenzen über das bloße Wählen von Repräsentanten hinaus aussehen sollte, findet sich nicht.

In diesem Zusammenhang ist interessant, was der amtierende Präsident des Deutschen Bundestages, Dr. Wolfgang Schäuble, dazu in der FAZ vom 1.Juli 2021 in der Nr.149, S.6, schreibt.

ARTIKEL SCHÄUBLE

(1) Schäuble diagnostiziert globale stark vernetzte komplexe Herausforderungen, die einhergehen mit einer Vielfalt, die nach einer Reduktion auf das Wesentliche verlangt, um sinnvolles Verhalten möglich zu machen. Für ihn sind die Parlamente jene Orte, wo die Reduktion auf das Wesentliche stattfinden muss.

(2) Hier ist interessant, dass Schäuble das Prinzip der Repräsentation eindeutig gegen die Forderung nach Repräsentativität abgrenzt. Da sich — aus rein praktischen Gründen — die reale Vielfalt der Bürger nicht 1-zu-1 in einem Parlament abbilden lässt, leitet er daraus ab, dass Repräsentation rein formal interpretiert werden muss: der gewählte Vertreter repräsentiert nicht einzelne, spezielle Gruppen, sondern ‚das ganze Volk‚. Er formuliert dazu „Sie [die Abgeordneten des Bundestages] vertreten die Repräsentierten nicht durch ihre Person, sondern durch ihre Politik.“

(3) Schäuble entgeht allerdings nicht, dass die Politik der Repräsentanten Teile der Repräsentierten nicht mehr überzeugt. Er leitet daraus die Forderung ab, dass mehr Streit in der Mitte der Gesellschaft möglich sein muss, der zudem öffentlich im Parlament ausgetragen werden soll.

(4) Eine Ursache für die Unzufriedenheit der Wähler lokalisiert Schäuble in globalen Problemstellungen, die sich auf nationaler Ebene allein nicht lösen lassen, was indirekt auf einen größeren politischen Kontext verweist, auf Europa, dessen parlamentarische Kontrolle allerdings gestärkt werden müsse.

(5) Für die objektiv messbare Unzufriedenheit der Bürger sieht Schäuble aber nicht das Ungenügen der Parlamente als Ursache, sondern in den massiven Veränderungen in der Gesellchaft selbst. Einen solchen Aspekt der gesellschaftlichen Veränderungen sieht er gegeben in der zurück gehenden Bindungsbereitschaft an bislang vertraute Gruppierungen.

(6) Den Trend, die Unzufriedenheit der Bürger in Form von Bürgerinitiativen, Bürgerbegehren, zufällig zusammengesetzte Bürgerräte, oder Volksabstimmungen zu kanalisieren, sieht er sehr kritisch, wenig konstruktiv, eher bedrohlich.

(7) Die faktische Erweiterung von Öffentlichkeit durch das Internet, die eine Demokratisierung der Demokratie unterstützen könnte, in der jeder direkt seine Meinung kundtun kann, sieht Schäuble ebenfalls sehr kritisch: es entstehen immer mehr Teilöffentlichkeiten, die eher gegeneinander, statt miteinander funktionieren; die für eine Demokratie unerlässliche gemeinsame Öffentlichkeit zersplittere in immer mehr Fragmente. Steigende Partizipationserwartungen suchen sich immer mehr neue Wege, auch solche, die mit populistischen Mitteln den schnellen Erfolg suchen.

(8) Angesicht dieser starken Tendenzen hält er ein Plädoyer für die parlamentarische Demokratie und für das strukturelle Element der politischen Parteien, die akuten, kurzlebigen populistischen Tendenzen widerstehen können. Sein Leitmotiv drückt sich gut in der Formulierung aus: Die Demokratisierung der Demokratie macht Repräsentation nicht entbehrlich. Angesichts einer wachsenden Vielfalt geht es auch und immer mehr um Ausgleich von widerstreitenden Interessen. Parlamente sind für Schäuble Orte der Gemeinsamkeit und Orte der Verantwortung.

(9) Für Schäuble führen diese beobachtbaren Schwächen und Unzulänglichkeiten der Repräsentation zurück zu den politischen Parteien: diese müssten sich erneuern um den Tendenzen zur Individualisierung und zum Strukturwandel gerecht zu werden. Dies könne nur geschehen, wenn die Bürger mehr als bisher in die konkrete Parteiarbeit eingebunden würden, so dass die verfassungsgemäße Repräsentation funktioniere, aber in mehr lebendigem Kontakt mit den Bürgern. Dies motiviert Schäuble zu der Feststellung: „Der Weg, gesellschaftliche Vielfalt im Parlament sichtbar zu machen, führt nicht über das Wahlrecht, sondern über die Parteien.“ In den Parteien selbst brauche es Vielfalt, brauche es Toleranz, brauche es Kompromissfähigkeit; das erhöht die Attraktivität von Parteien.

(10) Nach all diesen Überlegungen hält Schäuble fest, dass „die wichtigste Aufgabe“ von politischen Parteien letztlich ist, solche Politiker*innen hervor zu bringen, die in den Parlamenten ihrer Gesamtverantwortung gerecht werden können.

GEDANKEN ZUM ARTIKEL

Auf den ersten Blick kann man diesen Artikel von Schäuble als ein engagiertes Plädoyer für die Idee eines repräsentativen Parlamentes lesen, das getragen wird, von politischen Parteien, die im Wirrwar des Alltags eine besonnene, Extreme ausgleichende Politik möglich machen, die ‚dem Volke‘ dient.

Dass es eine zunehmende Unzufriedenheit der Bürger (der ‚Repräsentierten‘) mit ihren gewählten politischen Repräsentanten gibt, nimmt Schäuble wahr; auch, dass sich der Wille zu mehr Partizipation in immer mehr Initiativen manifestiert, die an den politischen Parteien vorbei um Gehörtwerden ringen. Die vielen — z.T. ja verfassungskonformen — Partizipationsformate außerhalb der verfassten politischen Parteien werden aber von Schäuble kritisiert; in ihrer inhärenten Partikularität könnten sie den jeweiligen Gesamtzusammenhängen nicht gerecht werden. Sie seien kein Ersatz für politische Parteien und das Parlament des Bundes (die Landes, Kreis und Ortsparlamente werden von ihm nicht eigens thematisiert).

Bei den möglichen Ursachen für die Unzufriedenheit der Bürger bleibt Schäuble sparsam mit seinen Gedanken. Strukturell sieht er — sehr abstrakt — stark vernetzte global initiierte Veränderungsprozesse, die auf Deutschland und den Alltag der Bürger einwirken, die sich nur partiell rein national gestalten lassen. Das Internet sei primär ein Medium der Zersplitterung von Öffentlichkeit. Die stattfindenden gesellschaftlichen Veränderungen führten zu einer abnehmenden Bindungswilligkeit der Bürger, so dass sie sich weniger als früher den politischen Parteien anschließen wollten. Es fehlt nicht viel, die Position Schäubles so zu lesen, als ob für ihn der unzufriedene Bürger die Rolle eines ‚Schuldigen‘ einnimmt, der den Weg der Tugend, den Weg der verfassungsgemäßen politischen Parteien, aus eigenem Unvermögen nicht mehr wahrnimmt, und damit zu einer Gefahr für das System ‚repräsentatives Parlament‘ wird.

Sein entschiedenes Pläydoyer für die zentrale Rolle politischer Parteien und für das repräsentative Parlament auf der Basis der politischen Parteien liest sich auf den ersten Blick sehr ’staatmännisch‘. Auf den zweiten Blick — und vieler weiterer Blicke — ist der Weg zu einer schrillen Disharmonie nicht weit.

Wie die zahllosen Enthüllungen von — zum Glück noch vorhandenen — kritischen Journalisten und Journalistennetzwerke der letzten Jahre gezeigt haben, ist eine — vielleicht die stärkste — Ursache für die wachsende Unzufriedenheit der Bürger mit dem Parlament (und nicht nur auf Bundesebene!) nicht das mangelnde Engagement der Bürger sondern das Parlament selbst! Dass Deutschland international als Eldorado für Lobbyismus gilt; für Geldwäsche; für vielfältige Formen organisierter Kriminalität; für ein willfähriges Werkzeug der Finanzindustrie, die jährlich mit mehrstelligen Milliardenbeträgen der Steuerzahler jonglieren; für den Ausverkauf von Immobilien und Agrarflächen sorgen; für mangelnde Qualitätskontrollen in wichtigen Lebensbereichen der Bürger; für einen unübersehbaren Verfall wichtiger Infrastrukturen; für ein immer schlechter werdendes Bildungssystem, was unsere nationale Zukunft unmittelbar bedroht … und vieles mehr …, das wurzelt nicht im fehlenden Engagement der Bürger, sondern im Verhalten von Parlamentariern, die Gesetze verabschieden, die all dies mindestens zulassen, wenn nicht gar befördern oder sogar erzwingen, zumindest aber zum Missbrauch einladen. Wenn die Parlamentarier zugleich in parlamentsfremden Gremien, Institutionen, Verbänden oder Firmen sitzen, deren Interessen sie direkt in die wichtigen Ausschüsse und Gesetzesverabschiedungen hineintragen, dann ist der Bürger systemisch neutralisiert. Dies erzeugt beim aufgeklärten Bürger ein tiefgreifendes Ohnmachtsgefühl, Enttäuschung, Politikverdruss, und — hoffentlich eigentlich — eine Form von Agressivität, die dann zu einem Handeln drängt: Das darf doch gar nicht wahr sein; im Parlament verschaffen sich — ganz offensichtlich ermöglicht durch die Mehrheit der Abgeordneten — unverhohlen bürgerfremde Interessen von außen einen direkten Zugang, um sich selbst an der Öffentlichkeit vorbei ‚ganz legal‘ zu bedienen. Der Übergang vom Lobbyismus zu unverhohlenen neuen Formen ’struktureller Korruption‘ erscheint hier fließend.

Vor diesem Hintergrund erscheint das Zeigen von Schäuble auf den bindungsunwilligen Bürger, der wie ein ungezogenes Kind den ‚ordentlichen Weg‘ der politischen Parteien nicht richtig wahrnimmt, fast wie blanker Hohn. Als Präsident des Bundestages weiß Schäuble eigentlich ziemlich genau, welche Einflussnahmen auf das Parlament durch die Parlamentarier in ihren ‚multifunktionalen Interessensrollen‘ stattfinden — und wenn er es nicht wüßte, wäre er ein sehr schlechter Präsident des Bundestages — , und dass er diese vielfach bekannt gemachten Sachverhalte nicht einmal erwähnt, mit keinem einzigen Wort, erzeugt ein großes Befremden und damit eine Verstörung, eine Verunsicherung, ein mögliches Mißtrauen, ein Mangel an Glaubwürdigkeit. Die Bürger anzuklagen, ohne den leisesten Hauch von parlamentarischer Selbstkritik, das ist die schlimmste Sünde, die ein Parlamentarier begehen kann.

Natürlich ist es so, dass wir in real stattfindenden gesellschaftlichen Umbrüchen leben, die letztlich jeden Bereich der Gesellschaft betreffen, jeden Bürger (am wenigsten allerdings die ‚Reichen‘, die ‚ihre Vertreter‘ direkt im Parlament sitzen haben), nicht nur in Deutschland, sondern in allen Ländern unseres Heimat-Planeten Erde. Natürlich ist es so, dass wir diese Probleme nicht mehr einzeln, nicht mehr nur lokal lösen können; wir sind zu einem großen kooperativen Zusammenwirken herausgefordert, wollen wir nachhaltige Lösungen finden. Ganz neu ist dies nicht, aber heute ist es unabwendbar real geworden, wo sogar die Zeit erlebbar real zählt. Natürlich ist es so, dass lebendige politische Parteien, die mit dem Bürger leben, diskutieren und handeln, eine wundervolle Hilfe sein könnten, um alle zusammen in einer repräsentativen Demokratie ein Optimum an Lösungen zu ermöglichen. Dazu aber braucht es Formen von Kommunikation und Formen von Wissen, die weit über das hinaus gehen, was wir zur Zeit in Deutschland alltäglich praktizieren. Und vor allem braucht es dazu ein transparenter bürgernahes Parlament, das das Vertrauen der Bürger wahrhaft verdient.

Schäubles Gedanken sind weit entfernt von dieser zukunftsfähigen, nachhaltigen Realität. Sein Artikel ist eher geeignet das Ohnmachtsgefühl der Bürger in diesem Land weiter zu vertiefen.

Was kann man in solch einer Situation als Bürger noch tun, wenn man überzeugter Demokrat sein will? Nur wählen zu gehen reicht bei einem solchen Parlament nicht. Es ist schon längst ganz woanders, nicht beim Bürger und nicht bei den wahren Problemen dieses Landes.